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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 16.11.2014

Predigt zu Matthäus 18:1-14 (dänische Perikopenordnung - Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres), verfasst von Birgitte Graakjær Hjort

Unser Gott und Vater im  Himmel

Wir sind keine großen Christen -

Nur kleine.

Aber deine Gnade ist uns genug. Amen.

(Gebet nach Karl Barth)

 

Wer ist der größte? Wer der tüchtigste? Wer ist der beste? So etwas kennen die Kinder seit ihrer frühen Kindheit. Fragt man ein Kind in der ersten Klasse, dann weiß es sofort, wer i n der Klasse am schnellsten läuft, wer am besten liest und wer der stärkste ist.

 

Fragt man die Konfirmanden in der 7. Klasse, haben sie sie auch eine Antwort. Sie wessen, wer am besten Handball spielt, wem Mathematik, Englisch usw. am leichtesten fällt.'

 

Und das setzt sich fort bei den Erwachsenen. Lasst uns das eingestehen. Die meisten von uns wissen sehr wohl, wer inter unseren Geschwistern die beste Ausbildung hat, wer unter unseren Bekannten die besten Jobs, und wer von unseren Kollegen die höchsten Gehälter.

 

Wir können es fast nicht sein lassen, uns selbst mit anderen zu vergleichen und zu untersuchen, wer, wer der beste ist. Und das gilt nicht nur für die Gesellschaft im weiten Sinne, dass wir daran gewöhnt sind, uns selbst und einander zu messen. Das tun wir oft auch in der Kirche - nur in einer anderen Weise.

 

Wer ist der größte in der Kirche? Ja, wir meinen jedenfalls als Pastoren, dass wir sehr bedeutend sind. Denn wir haben ja die Verantwortung für die Verkündigung, den Unterricht und die Seelsorge.

 

Und dennoch sind wir vielleicht in unseren stärksten Augenblicken sehr wohl darüber im Klaren, dass nicht Leute wie wir die größten sind. Das sind eher die Leute, sie in der diakonalen Arbeit engagiert sind. Die sind wohl die, die im Reich Gottes die größten sind. Den n sie haben gleichsam verstanden, dass wir in einer besonderen Weise Gott in der Gestalt der Menschen begegnen, die leiden und kämpfen und sich durch das Leben quälen. Diejenigen also, die richtig diakonal eingestellt sind und die Worte Jesu über unser Verhältnis zu den sozial Benachteiligten im Leben realisieren, die sind wohl die größten.

 

Im Lichte des heutigen Evangeliums deutet einiges darauf hin, dass die größten in der Kirche weder Pastoren sind noch die Angestellten in sozialen Institutionen. Nicht einmal die fleißigsten Freiwilligen, die seit Menschengedenken im Besuchsdienst tätig waren. Die größten hier in der Kirche, das sind die Kinder, die Kinder, die gerade im Kinderwagen vor der Kirche warten oder im Arm ihrer Eltern liegen und gerade getauft wurden. Sofie und Vagn heute, viele andere Kleine.

 

Geht das nicht zu weit? Nimmt man dann nicht das Wort Jesu, dass der größte im Himmelreich ein kleines Kind ist, allzu wörtlich?

 

Nein, keineswegs. Denn das war gerade die Überraschung, als Jesus plötzlich ein kleines Kind nahm, in die Mitte stellte und zu seinen Jüngern sprach: „Bekehrt euch und werdet wie ein solches Kind. Ihr sollt zurückkehren zu der Stelle, woher ihr kamt. Ganz gleich ob ihr 87 oder 93 Jahre alt werdet, so sollt ihr ganz von vorn anfangen und werden wie ein Kind."

 

So hatte Jesus eine Tendenz, die Dinge auf den Kopf zu stellen in Bezug auf das, was wir uns selbst vorstellen. Das ist einer der Gründe, warum es zuweilen anstrengend sein kann, in die Kirche zu gehen. Denn hier wird uns nicht nur nach dem Munde geredet und alles bestätigt, was wir selbst meinen. Hier wird zuweilen gründlich An dem gerüttelt, was wir für groß und kein, richtig und verkehrt halten. Und es kann zuweilen provozierend sein, in die Kirche zu kommen und zu erfahren, dass Jesus uns gelehrt hat, ganz anders zu denken, als wir es gewohnt sind.

 

Denn als Jesus ein kleines Kind nahm und in die Mitte stellte und sagte, dass wir so werden solle wie so ein kleines Wesen, da erinnerte das ja an einen Fussballschiedsrichter, der die schwächste Mannschaft auswählte und sagte: Das sind die Sieger. Oder ein Lehrer, der den Sitzenbleiber zum Nummer eins in der Klasse ernennt. So überraschend was das, was Jesus sagte!

 

Was ist es, das die kleinen Kinder kennzeichnet, wenn Jesus uns auffordert, ihnen zu gleichen? Was ist es, dass sie als Vor4bilder dienen können, von denen wir lernen können?

 

Ja, nicht dies, dass kleine Kinder schöne und liebe Wesen sein können. Fas können sie in der Tat. Aber sie könne auch das Gegenteil sein. Kinder können gegeneinander hart sein wie wenig andere. Wie z.B. in einer zweiten Klasse in einer Schule, in der sie einen Vertreter haben sollten, den sie nicht mochten. Als die Schüler in der zweiten Klasse hörten, dass sie eine Vertretung haben sollten, schrieben sie in der Pause mit großen Buchstaben an die Tafel: „Margit ist sauer". Und als die Vertreterin Margit in die Klasse trat, war dies das erste, was sie sah. Eine herzlose Erklärung der Klassee, dass sie sie nicht mochten.

 

So lieb und voller Charme Kinder sein können, so unsensibel können sie sein gegen ihre engste Umgebung.

 

Es ist deshalb nicht der Charme oder die Unschuld der Kinder, die Jesus meint, wenn er sagt, dass wir zu dem zurückkehren sollen, vom dem wir kamen und im Verhältnis zu Gott wie kleine Kinder werden sollen.

 

Aber es gibt etwas anderes, was Kinder sehrt gut können. Viel besser als die Erwachsenen. Das ist um Hilfe zu bitten. Sie können geradezu laut und ungeduldig schreien, wenn sie etwas brauchen. Sie denken nicht, dass es wohl am besten ist, etwas zu warten, ehe ich um Hilfe bitte. Sie warten nicht fein, bis sie sagen, was sie brauchen. Sie fahren sofort los!

 

So sollen wir Gott gegenüber leben! Wir sollen wie Kinder sein, die sich ihm aufdrängen. Immer wieder zu ihm zurückkehren. Sich nicht zurückhalten und ihn immer wieder belästigen. Wir sollen lernen, ihn um Hilfe zu bitten im Grossen wie im Kleinen. Der Fehler bei uns Erwachsenen besteht darin, dass wir uns viel zu viel mit uns selbst beschäftigen, Und viel zu viel Sorgen machen über das, worauf wir in Wirklichkeit keinen Einfluss haben. Einige von uns müssen lernen, wie sehr es erleichtert, dass wir aufgeben und die Verantwortung in die Hand Gottes legen.

 

Der Größte im Himmelreich ist der, der in allen Dingen Gott braucht.

 

Außer dass Jesus davon sprach, wie Kinder zu werden, hörten wir auch heute einige Worte, die uns erschrecken und abschrecken können. Worte, die davon handeln, Verzicht zu  üben. Jesus sagte es so: „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich zum Abfall verführt, so hau sie ab und werfe sie von dir..... Und wenn dich dein Auge zum Abfall verführt, reiß es aus und wirf's von dir. Es ist besser für dich, dass du einäugig zum Leben eingehst, als dass du zwei Augen hast und wirst in das höllische Feuer geworfen."

 

Das sind heftige Worte. Worte, die davon handeln, bestimmte Teile des Körpers abzuhauen. Eine Hand oder einen Fuß abzuhauen. Und auch wenn wir sehr wohl darüber im Klaren sind, dass dies nicht wörtlich zu verstehen ist, spüren wir dennoch einen besonderen Ernst in diesen Worten.

 

Jesus spricht davon, dass es da etwas gibt, von dem wir uns trennen müssen. Das kann etwas sein, das ein ganz selbstverständlicher Teil von uns und unserem Leben geworden ist. Etwas, das uns geradezu als ein Teil von uns selbst vorkommt, wir können uns gar nicht vorstellen, ohne das zu leben. Aber es ist zugleich etwas, auf das wir verzichten müssen.

 

Und woran kann man da denken? Ja, wir wissen wohl am besten selbst, was dies mehr konkret in unserem leben sein könnte. Das können wir nicht für einander entscheiden. Aber wir müssen es jeder für sich überlegen.

 

Aber lass uns dennoch ein einzelnes Beispiel heranziehen, das sehr wohl für einige von uns gelten könnte. Dass könnte z.B. unsere Arbeit sein oder unsere Karriere. Es ist nichts falsch daran, eine Arbeit zu haben, in der wir aufgehen, oder eine Karriere, für die wir uns sehr engagieren. Aber das kann so viel ausfüllen, dass wir wichtigere Dinge versäumen, und es gibt Personen, an deren leben wir nicht so teilhaben, wie wir es gerne sollten oder wollen. Das kann unser ganzes Engagement in Anspruch nehmen, so dass andere Menschen zur Nebensache werden und zu etwas werden, an das wir nur hin und wieder denken. Es ist besser, ins Leben als Arbeitsloser einzugehen als zur Hölle zu fahren als Multimillionär.

 

Reiß es aus - das bringt uns weg von Gott, sagte Jesus ohne Umschweife. Trenne dich von der Hand, die immer selbst will und selbst kann, weil das, was man selbst tut wohlgetan ist. Trenne dich von dem Fuß, der immer seine eigenen Wege gehen will, weg von Gott und seinem Willen mit dem Leben, das er uns gegeben hat. Und trenne dich von dem Auge, das nicht weitersehen kann als zur eigenen Nasenspitze und deshalb blind ist für die Herrlichkeit Gottes. Hacke den Fuß ab, reiß das Auge aus, sagte Jesus. Denn wenn ihr nicht umkehrt und wie Kinder werdet, kommt ihr gar nicht ins Himmelreich. Ja, hier hilft es nicht, die Botschaft in feines Papier zu packen, denn wir spüren sehr wohl den Ernst.

 

Und der, der uns dies hier lehrte, war ja nicht irgendwer. Er selbst war bereit, sich von allem zu trennen. Jesus von Nazareth war bereit, nicht nur seine Hand oder seinen Fuß für uns zu verlieren. Er war bereit, sein eigenes Leben zu verlieren, damit wir leben und wie Gottes Kinder fühlen dürfen, damit wir uns Sonntag für Sonntag um das Taufbecken versammeln und im Vertrauen auf die Worte und Verheißungen Jesu auch die Kleinsten taufen können.

 

Es kostete Jesus nicht eine Hand oder einen Fuß, uns zu Kindern zu machen. Wir singen deshalb heute das Lied, das man das Wiegenlied Gottes genannt hat, Grundtvigs „Sov sødt barnlille" (Schlaf Kindlein und liege[1]). Das ist gar kein Tauflied, auch wenn es oft aus diesem Anlass gesungen wird. Und auch kein Abendlied für Kinder. Es ist ein Lied, das davon handelt, im Verhältnis zu Gott wie ein Kind zu leben.

 

Grundtvig schrieb dieses Lied unmittelbar nach einer tiefen Depression. Er war 60 Jahre alt zu diesem Zeitpunkt, aber er wurde wie ein Kind. Er erfuhr, was es heißt, das verlangen zu spüren, um Hilfe zu rufen und zu schreien. Er erfuhr, was es heißt, sich durch jeden tag zu quälen, zwischen Leben und Tod, Heil und Verdammnis zu kämpfen.

 

Wenn wir so erleben, dass es in uns und um uns tobt, dann dürfen wir uns still legen - wie ein Kind, das sich beruhigt und sich ruhig schlagen legt im Vertrauen darauf, dass es Engel gibt, die über einen wachen. Das kann Ruhe verleihen mitten in größter Gefahr. Amen.



[1] Deutsche Übersetzung des Liedes in: Salmer på dansk og tysk- Auszug aus dem dänischen Gesangbuch, 1995, Nr. 488.



Lektor Birgitte Graakjær Hjort
DK-8000 Århus C
E-Mail: bghj(a)km.dk

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