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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2014

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Margrete Dahlerup Koch

"Die Kirche soll die Heimat aller sein". Das ist ein Zitat, das in der Diskussion verwandt wird, wenn es um die Frage geht, wer den Kirchenraum für was verwenden darf - z.B. wenn es um Asylanten geht, die in einer Kirche Schutz suchen. Merkwürdigerweise können sich die Leute nicht darüber einigen, woher das vorzügliche Zitat eigentlich stammt. Einige meinen bestimmt, es sei da Jütische Gesetz aus dem Jahre 1241, andere haben es im Seeländischen Gesetz aus dem Jahre 1284 gelesen. Aber es ist eigentlich egal, ob die Formulierung von dem einen oder anderen König Waldemar oder Erik stammt. Denn ist ja einleuchtend wahr und schön und richtig, niemand würde wohl widersprechen. Hier ist niemand Wirt für andere. Denn Gastgeber ist Gott selbst. Und wir alle sind Kinder des Hauses. Deshalb ist die Tür breit und der Raum groß, so dass wir alle hineinpassen: „Die soll die Heimat aller sein".

Heute ist ein großer Festtag: Der Neujahrstag des Kirchenjahres, der erste Advent. Mit neuen hohen Kerzen auf dem Altar, dem schönen frischen Adventskranz, die Krippe ist aufgestellt und das Altartuch ist neu gebügelt. Aber was treffen wir an?? Bedingungen, Forderungen, dass man nun auf eine bestimmte Weise zu sein hat, um bei fest hier dabei sein zu dürfen. „Wer darf auf des Herren Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört", hörten wir aus dem 24. Psalm. „Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasset uns ehrbar wandeln ... nicht in Fressen und Saufen ... nicht in Hader und Streit ... und wartet des Leines nicht so, dass ihr seinen Begierden verfallet", sagt Paulus.

Dann ist also doch nicht Platz für jeden, oder was? Und was ist das nun, was man soll? „Ehrbar wandeln und nicht den Begierden verfallen"? Was ist das, außer langweilig? In der dänischen Übersetzung des Neuen Testaments, die vor einigen Jahren erschien, hat man „lasst und ehrbar wandeln" mit „lasst uns ein ordentliches Leben führen" übersetzt. Und das verdeutlicht wohl besser, wovon Paulus spricht. Es handelt sich nicht um die kleinbürgerliche Moral der Konsulin Holm aus der dänischen Fernsehserie Matador. Ehrbar oder ordentlich leben heißt für Paulus, ein Leben zu leben, wo die Rücksicht auf andere Menschen das ist, was meiner Selbstentfaltung Grenzen setzt. Wenn ist zurzeit modern ist, Höflichkeit zu fordern, geht es vielleicht um dasselbe. Wir brauchen nicht die aufgeblasene leere Attitüde, sondern wir brauchen die ganz gewöhnliche Höflichkeit, die zum Ausdruck bringt, dass wir einander respektieren und achten. Dass ich mir selbst Grenzen setze, damit ein anderer hier sein kann, ja vielleicht geradezu mehr und besser Platz bekommt.

Dies ist es, und nicht nur gutes Benehmen bei weihnachtlichen Firmenfesten, worum es Paulus geht. Ehrbar leben heißt den Anderen und sich selbst als den zu sehen, die wir sind: Menschen Gottes. Fleischlich leben heißt das Gegenteil tun: Seine Umwelt zu seinem Eigentum zu machen. Fleischlich leben - das tun wir, wenn wir die Natur und andere Menschen als etwas betrachten, das da ist, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn wir die Natur auf Ressourcen reduzieren; wenn das Kind zu einer Trophäe wird, der Geliebte zu einer Lebenserfüllung und der Freundeskreis zu denen, mit denen wir uns bei Festen schmücken. Wenn wir kurz gesagt die Anderen zu Menschen machen, die für uns da sind, und nicht sehen, dass sie in erster Linie immer Gott gehören und den Anspruch haben, danach behandelt zu werden.

„Lebt ordentlich, gebraucht nicht die Anderen zur Befriedigung eurer eigenen Wünsche", das ist es, was wir sollen, gerade damit jeder - alle die Anderen - auch hier sein können.

Und dann fügt Paulus die merkwürdige Wendung hinzu: „Ziehet an den Herren Jesus Christus". Ordentlich leben, das ist nicht weniger als Christus anziehen.

Das ist ein mutiges und sonderbares Bild. Sich Gott anziehen. Ihn sich überziehen. Ein merkwürdiges Bild. Ja, aber vielleicht auch Bild einer Sehnsucht. Neulich erzählte eine Mutter von ihrem fünfjährigen Kind, das sich sehr für die biblischen Geschichten in der Kinderbibel interessierte. „Ich mag also Gott gern", hatte er eines Tages gesagt, „kann man ihn nicht als Verkleidung bekommen?"

„Komm, wie du bist". So glauben wir Erwachsenen, klingt die beste Einladung zum Fest. Aber der fünfjährige Junge und der liebe Gott wissen es besser. „Komm, wie ich bin", lautet die Einladung Gottes. „Zieht euch Christus an". Das heißt, entkleidet euch und kleidet euch um, so dass ihr dem gleicht, was ihr nicht seid, nämlich Christus. Nehmt nicht für Gott, sondern für einander seinen Glauben, seine Barmherzigkeit, seine Stärke und seine Freude an und auf, als wären sie eure eigene.

Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir ständig darüber Rechenschaft ablegen müssen, was wir über dieses und jenes fühlen und denken. Wir leben in einer Kultur, wo der Kontakt zu den eigenen innersten Gefühlen und Gedanken zu einem Ideal geworden ist. Eine Testkultur, bei der es darum geht, Selbstbetrug und Ignoranz zu überwinden, um herauszufinden, wer und wie wir eigentlich sind. Der nackte ehrliche Mensch, so scheint es uns, ist unheimlich interessant: wir selbst, wie wir unverstellt und ohne Filter sind.

Gott ist offenbar anderer Meinung. Schon als Adam und Eva das Paradies verließen, sorgte Gott dafür, dass sie etwas anhatten. Er machte sich gar selbst mit Nadel du Garn daran, für sie Lederzeug zu nähen, damit sie davor beschützt sind, entkleidet und ungeschützt vor einander und der ganzen Welt stehen sollten. Ein gnädiges Bild, das wohl in einer uralten Erfahrung gründet: Wenn jemand sich berufen fühlt, die nackte Wahrheit über andere zu erzählen, führt das in der Regel zu einem Kälteschock und Erfrierungen.

Deshalb liegt eine Riesenentlastung darin, dass es also in unserer Gesellschaft einen Ort findet, nämlich hier in der Kirche, wo wir etwas sein dürfen als nur wir selbst. Ein Ort, wo wir gerade nicht die die guten, richtigen, starken Gedanken und Gefühle aus unserem eigenen Inneren hervorholen sollen, sondern wo sie uns angelegt werden. Die Kirche und der Gottesdienst sind wie ein großes Walk-in-Klosett, wo wir das anziehen dürfen, was ein anderer, nämlich Gott, selbst für uns hingehängt hat. „Ziehet an den Herrn Jesus Christus". Wir werden für das Leben eingekleidet. Von Gott selbst. Das werden wir in der Taufe und im Abendmahl: Wir werden bewirtet, wir essen und trinken und tauchen ein in als das, was ihm gehört. Und wir nehmen sein Gebet, das Vaterunser, und machen es zu unserem eigenen Gebet.

Heute beginnt das neue Kirchenjahr. Und als eine Programmerklärung für all das, was auch in diesem neuen Jahr kommen wird, steht der Bericht, wie Jesus in Jerusalem einreitet. Der Esel, den er erst zusammen mit seinem Füllen losbinden ließ. Und die Leute, die ihn kommen sehen, legen ihre Kleider ab.

Esel, die losgebunden werden. Leute, die ihre Kleider ablegen.

Zwei kleine Details, die Bilder sind für das Neue, mit dem und für das Jesus kommt: Die, die sich in ihren eigenen vorgefassten Meinungen, Haltungen und Werten eingewickelt, versteckt und gewärmt haben, müssen das ablegen. Und die, die gebunden und verschlossen sind, werden freigegeben. Die Vergangenheit, Schuld, Scham oder ganz gewöhnliche kleinliche und beleidigte Unzufriedenheit darüber, dass sich das Dasein nicht genau so aufführt, wie ich es geplant hatte - all das, was uns an uns selbst kettet und bindet und uns selbst darin hindert, die Anderen und Gott zu sehen - von all dem uns zu befreien kommt er heute wieder. Die Esel werden losgebunden mit der Begründung: „Der Herr bedarf ihrer". Mit derselben Begründung gibt Jesus jedes Mal, wenn er lahme, verzweifelte, selbstsüchtige Menschen vom dem befreit, was sie an sich selbst bindet. „Gott braucht dich" Deshalb: „Steh auf, nimm deine Bahre, steh auf und gehe". Zu den anderen. Dazu bist du eingekleidet. Amen.



Pastorin Margrete Dahlerup Koch
DK-6980 Tim
E-Mail: mdk(at)km.dk

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