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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2014

Offene Türen!
Predigt zu Matthäus 21:1-11, verfasst von Eberhard Busch

Diese Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem ist in dem Adventslied aufgegriffen, das wir vorhin gesungen haben. Ich zitiere noch einmal den ersten Vers: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Es kommt der Herr, der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt; derhalben jauchzt, mit Freuden singt ..." Dies ist im Bild der ehemaligen Stadttore gesagt und bedeutet, dass wir nicht offen genug sein können für die Ankunft des so erfreulichen Herrschers. Das Lied ist vor bald 400 Jahren von dem Königsberger Pfarrer Georg Weissel gedichtet worden. Dabei hatte er noch andere Bibeltexte vor Augen - etwa Psalm 24, der ähnlich lautet: "Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe." Und es gibt weitere Stellen im Alten Testament, an denen wir Ähnliches hören: „Bereitet dem Herrn den Weg; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenkundig werden" (Jes. 40,3.5). Oder: „Du, Tochter Zion, freue dich und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer" (Sach. 9,9). Nicht wahr, das tönt ja wie ein Chor von Stimmen, angestimmt in der Hoffnung auf das Kommen dieses Einen, „der Heil und Leben mit sich bringt".

Das Volk, das Jesus beim Einzug in die Stadt vorangeht, singt von diesem Einen. Es beruft sich dabei auf jene Ankündigungen von ihm im Alten Testament. Es bestätigt, dass dieser Eine nun tatsächlich kommt - derselbe, von dem die Worte der Propheten geredet haben. In ihm stellt sich heraus, dass sie wahrhaftig ihn gemeint haben, in ihm erfüllt sind: in diesem Jesus von Nazareth. Wir feiern heute den ersten Advent. Advent heißt: darauf warten wir - dem gehen wir entgegen - der kommt. Im Advent schließen wir uns dem Volk an, das damals in Jerusalem aufgebrochen war, um ihn zu begrüßen, um ihm zu huldigen.

Von diesen unseren Vorangegangenen wird uns berichtet, dass sie ihre Kleider auf die Straße gelegt haben; Andere haben Baumzweige abgehauen und dort ausgebreitet. So wie sonst für Hochwürden rote Teppiche ausgerollt werden, damit ihnen ein ehrenvoller Empfang zuteil wird. Dass solche Teppiche jetzt nicht vorhanden sind, das deutet schon an, dass der da Einziehende von anderer Art ist als die uns sonst bekannten Regenten. Und doch jubeln, ja, schreien die Menschen dort dem da Kommenden entgegen. Er ist ja weit mehr, als die sonst so Verehrten. Und so singen sie: „Hosianna, das heißt: Hilf uns, Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!" Damit bringen sie Beides zum Ausdruck: Hilf uns, denn du kannst und du wirst uns helfen! Darum sei du gelobt.

Vielleicht zögern wir, in diesen Jubel einzustimmen. Wir kennen den Spruch: „Das Beste kommt noch." Aber heute ist vielen die Lust vergangen, diesen Spruch in den Mund zu nehmen. Ist es nicht vielmehr umgekehrt so, dass Schlimmes, allzu Schlimmes auf uns zukommt? Unklar ist nur, aus welcher Ecke auf unserem so kleinen, so verletzlichen Globus das Bedrohliche uns zuerst erreicht. Muss man nicht nachgerade blind sein, wenn man das bestreitet? Allerdings gibt es bei uns jede Menge Verharmloser. Und glauben wir ihnen nicht allzu gern, um uns nicht aus der Ruhe bringen zu lassen oder um uns allenfalls über allerlei Unnötiges aufzuregen? Und ist es dabei nicht die erwünschte erste Aufgabe der Religion, uns zu besänftigen und den Leuten zu sagen: es ist alles halb so wild?! Aber machen wir uns klar: Die Bibel ist nicht dazu da, um uns mit Verharmlosungen zu beruhigen. Sie bestätigt darum auch nicht jenen Spruch: Das Beste kommt noch. Sie sagt uns eben das, was die Volksmenge in unserer biblischen Geschichte ausruft: Der Beste kommt!

Das macht einen tiefgreifenden Unterschied aus. Wenn wir auf etwas erwarten, dann geht es dabei um einen Wert, den wir uns ausdenken und wünschen. Dann geht dabei alles von uns aus. Dann stehen wir im Mittelpunkt, und wir entscheiden, ob das erwartete Gute für uns gut genug ist. Aber alles kehrt sich um, wenn uns gesagt wird: Der Beste kommt. Dann steht Er im Mittelpunkt. Dann ist es nicht in unserer Hand festzulegen, ob er unseren Erwartungen entspricht. Dann sind wir in seiner Hand, und er bestimmt, worin seine Güte besteht und inwiefern sie für uns gut ist. Und genau der steht uns zur Seite in dem Dunkel und gar nicht Guten, das wir uns eingebrockt haben und täuscht uns nicht darüber hinweg. Er  heißt es nicht gut. Aber er will es gut machen. Darum sei gelobt, du, der du kommst!

Wir verstehen nun auch das Aufregende: Unsere biblische Geschichte redet nicht von einem Advent, dem ein von uns besorgtes Lichterfest folgt. Unsere Geschichte steht am Anfang der Leidensgeschichte Jesu, und an ihrem Ende steht für ihn der Tod. Jochen Klepper hat in seinem Weihnachtslied dem Ausdruck gegeben: „Die Welt liegt heut im Freudenlicht,/ dein aber harret das Gericht,/ dein Elend wendet keiner ab./ Vor deiner Krippe gähnt das Grab." Und dasselbe Volk, das ihm heute zujubelt, wird morgen rufen: Kreuzige ihn! Wie soll man das zusammenbringen, dass dasselbe Volk jetzt schreit: Hosianna! und jetzt: Kreuzige ihn!? Ist das nun einmal der dumme Pöbel, der besinnungslos jeweils seine Fahne nach dem Wind hängt?

Der Vorgang ist wohl in einem anderen Sinn zu verstehen. Der Lobgesang, den die Leute bei dem Einzug Jesu in Jerusalem singen, der wird am Karfreitag nicht überholt. Der muss da nicht abbrechen. Der wird dort erst recht in Erfüllung gehen. Auch wenn das schwer zu begreifen ist, wir sollten es unbedingt verstehen: Über dem, was auf Golgatha geschieht, haben wir das als eine Überschrift zu lesen: „Hosianna, du Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!" „Der Held aus Juda siegt mit Macht, / es ist vollbracht." Das kann man nicht bei anderen Todesfällen singen. Aber hier ist es voll und ganz im Platz. Denn hier in diesem Einen, „der da kommt im Namen des Herrn unseres Gottes", tritt Gott für uns ein. Ja, in ihm tritt Gott an unsere Stelle, um uns von Ihm Getrennten mit sich zu verbinden. In der ganzen Art unseres Denkens und Handelns und Redens sind wir ihm entfremdet. Aber durch dieses sein Eintreten für uns macht er den Weg für uns frei, wieder heimzukehren und mit ihm zu leben, in hellen wie in dunklen Tagen. Dafür sei er gelobt und gepriesen, Er, der da eingetreten ist für uns im Namen Gottes.

Es geht daher in Ordnung, dass schon am Anfang der Leidensgeschichte Jesu der Lobgesang der Menge steht, der Lobgesang, in den wir am heutigen ersten Advent mit einstimmen dürfen. Jawohl, gelobt seiest du, dass du mit diesem Äußersten dich für uns einsetzest! Er ist daher gar nicht derart König, als sonst Herrschende auf unserer Erde auftreten. Wohl ist er „ein König aller Königreich", wie wir gesungen haben. Aber er ist es in anderer Weise als sonst die Machthaber und die sonst auf Erden Umjubelten. In demselben Lied wird weiter von ihm gesagt: „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron' ist Heiligkeit, sein Szepter ist Barmherzigkeit." Gerade so steht es ja in unserem Predigttext, zur Beschreibung dessen, was beim Einzig Jesu in Jerusalem geschieht: „Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig."

Und dann heißt es dort weiter: „und er reitet auf einem Esel". Es ist wunderlich, dass Jesus zwei seiner Jünger eigens dafür losschickt, um in einem Dorf ausgerechnet zwei Esel zu ihm zu bringen. Es wird ihnen gesagt: Falls der Besitzer der Tiere Einspruch erhebt, sollten sie ihm mitteilen: „Der Herr bedarf ihrer." So sei es beim Propheten Jesaja vorausgesagt. Aber warum braucht Jesus denn jetzt Esel? Als Kaiser Wilhelm II. einst in Jerusalem einzog, wollte er es unbedingt hoch zu Pferde tun. Und weil dafür das Stadttor zu eng war, musste eine größere Pforte geschaffen werden. Er veranlasste das, „um dem deutschen Namen Achtung zu verschaffen". Jesus dagegen will auf einem Esel sitzen, auf einem Tier, das der Volksmund störrisch und dumm nennt. Damit kommt zum Ausdruck, dass seine Autorität in seinem dienstbaren Helferwillen besteht; und seine Hoheit besteht in seiner Demut, in der er den Bedrückten „Achtung verschafft". Dass er auf einem Esel reitet, das bekundet anschaulich, dass er ein Herrscher ist, dessen Herrschaft auf Liebe und nicht auf Gewalt beruht.

Dieses Zeichen seiner Herrschaft ist immer wieder eine Beunruhigung für die, die meinen, dass es halt ohne tötende Gewalt nicht geht. Man sagt auch in der Kirche Jesu Christi: Ohne das geht's doch nicht. Aber man balanciert diese Auskunft geschickt aus mit der These, nur verantwortlicher Gebrauch von Gewalt sei berechtigt, sonst finde ein Machtmissbrauch statt. Doch darf man fragen: wer stellt denn fest, ob ein verantwortlicher Gebrauch stattfindet? Sagen Sieger nicht immer, sie hätten solchen Gebrauch gemacht? Findet er statt, wenn man einfach die Zahl der Opfer in den Medien nicht nennt? Oder bei denen, die die massiveren Waffen haben?  Im Unservater sprechen wir: „Dein ist die Macht", und das besagt: sie ist nicht unser. Wir können nur Diener Jesu Christi sein und darum Diener der Art, in der der König auf der Eselin in Jerusalem eingezogen ist. Solche Diener dürfen wir sein.

An seinem 80. Geburtstag hat der Basler Theologe Karl Barth eine merkwürdige Rede vor einem großen Kreis von ehrbaren Gästen gehalten. Er erzählte, dass er in seinem berühmten frühen Werk, dem sogenannten „Römerbrief", sich selbst eine Widmung geschrieben hat: „Karl Barth seinem lieben Karl Barth", und dazu hat er einen Eselskopf gemalt mit zwei langen Eselsohren. Doch dann fuhr er fort, er habe in den folgenden Jahrzehnten zwar eine Menge weiterer Bücher geschrieben. Aber es sei sein Wunsch, dass diese Arbeit dem Dienst jener Eselin in unserer Geschichte gleicht, die keinen Ruhm für sich hat. Sie dient nur dem Ruhm und Lob dessen, der „Heil und Leben mit sich bringt". Das ist eine Anregung für uns, auch von solchem Wunsch beseelt zu sein. Und wie schön, wenn man je und dann Menschen begegnet, die im Dienst dieses „Heilands aller Menschen" Anderen Gutes tun!

Eben in dieser Weise loben wir Ihn und loben nicht uns selbst. Wir stehen dann in einer Reihe mit denen, die einst in Jerusalem zum Lob dieses Einen ihre Tücher und Baumzweige auf die Straße gelegt haben - und heutzutage könnten es auch Nahrungsmittel oder Geldspenden für Notleidende sein, womit wir Ihn loben und begrüßen. In unserem Gesangbuch steht ein Lied mit einer mitreißend fröhlichen Melodie - sie stammt von dem in Halle geborenen Georg Friedrich Händel; man kann es sogar leicht vierstimmig singen. Der Text dieses Liedes hat auch unseren Predigttext vor Augen. Die dritten Strophe stehe am Ende dieser Predigt: „Hosianna, Davids Sohn, / sei gegrüßet, König mild. / Ewig steht dein Friedensthron, / du, des ewgen Vaters Kind. / Hosianna, Davids Sohn, / sei gegrüßet, König mild."



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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