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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 30.11.2014

Hinter die Bilder schauen
Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Bernd Giehl

Bilder sind mächtig. Das waren sie immer schon. Das wussten schon die Menschen der Antike. Die Pharaonen bauten die Pyramiden in Ägypten als Grabdenkmäler, damit die Untertanen an die Macht und Größe des Pharao glaubten. Spätere Könige und Kaiser ließen ihre Statue zumindest in der Hauptstadt aufstellen, damit das Volk vor ihrer Größe erschauern würde. Es gab Prozessionen und Feiern zu runden Geburtstagen damit jeder wusste: Der König ist groß. Es lebe der König.

Manche behaupten, wir Heutigen lebten Zeitalter des Bildes. Da mag etwas dran sein. Zumindest werden wir mit Bildern bombardiert. Wir entkommen ihnen nicht, nicht auf der Straße und auch nicht in der eigenen Wohnung. Egal ob es Werbebotschaften sind, die an uns herangetragen werden oder Nachrichten. Was nicht mit Bildern unterlegt wird, wird nicht wahrgenommen. Es existiert nicht.

Bilder inszenieren die Wirklichkeit. Und manche bleiben lange im Gedächtnis. Präsident Bush in der Uniform eines Kampffliegers auf dem Flugzeugträger, der am Ende des Irakkriegs Haltung annimmt und verkündet: "Mission accomplished". „Auftrag erfüllt." Oder Präsident Putin mit nacktem Oberkörper, ein Sportboot steuernd oder das Gewehr anlegend. „Seht auf diesen Mann", sagen sie. „Vor ihm verneigt sich die Welt."

Solche Bilder muss man produzieren, wenn man etwas werden will.

Bilder sind mächtig. Das wussten offenbar auch schon die Evangelisten. Und so berichten sie übereinstimmend vom Einzug Jesu als König in Jerusalem. Zunächst scheint ja auch alles in Ordnung. Jesus reitet durch eins der Tore in die Stadt Jerusalem ein und die Untertanen breiten ihre Oberkleider auf dem Weg aus oder streuen Zweige als Huldigung für den neuen König. Der König zieht mit seinem Gefolge in seine Hauptstadt ein und das Volk huldigt ihm. So muss es sein.

Warum nur kommen mir da die Zweifel? Womöglich, weil die Geschichte keine Fortsetzung findet? Weil sie einfach wie eine Welle am Meer ausrollt? Dass Geschichten einfach so enden, ohne wirklich an einen Schluss gekommen zu sein, das haben doch erst wir Modernen erfunden. Oder kommen mir Zweifel, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die Römer dem einfach so zusehen und nichts unternehmen, obwohl ein Anwärter auf den Thron Israels ihnen nun wirklich gefährlich werden könnte?

Das alles könnte ich als Gründe für meinen Zweifel anführen. Aber es ist der Esel, der in mir die größten Zweifel weckt. Hat man so etwas schon einmal gesehen? Einen König, der auf einem Esel in seine Hauptstadt einreitet? Und zwar ein König, der noch nicht einmal gekrönt ist? Müsste es nicht ein edler Araberhengst sein? Und müsste nicht auch sein Gefolge auf Pferden reiten?

Aber nichts da. Es muss ein Esel sein. Ein Lasttier. Und das alles, weil ein unbedeutender Prophet namens Sacharja es so vorausgesagt hat.

Vielleicht ist das ja der Grund, warum die ganze Geschichte später im Sande verläuft. Vielleicht ist es ja der Esel, der schuld ist, das es am Ende so schief läuft.

Sind Bilder mächtig? Manchmal können sie auch Zweifel wecken.

Alles also nur ein Missverständnis? Die Uraufführung eines Theaterstücks, die gewaltig schief geht, weil vorher niemand die Folgen bedacht hatte? Oder weil vorher gar niemand gefragt worden ist und Jesus deshalb ganz allein verantwortlich ist?

So könnte es sein. Aber so ist es nicht.

Manchmal ist es nicht die Realität, die uns in die Irre führt. Sondern es sind unsere Erwartungen, die uns den Blick auf die Realität verstellen.

Nein, ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Auch wenn der Gedanke zunächst einmal ziemlich sperrig erscheinen mag. Ich möchte vielmehr mit einer Geschichte weitermachen, die ich vor langer Zeit in der Vorbereitungsliteratur für diesen Sonntag gefunden und in einem Familiengottesdienst auch selbst eingesetzt habe.

Es beginnt damit, dass Gott beschließt, seinen König in die Welt zu senden. Dieser König soll die Welt besser machen. Er soll sie so umgestalten, dass sie wieder dem Bild entspricht, das sich Gott von ihr machte, als er sie erschuf. Und dann sieht man den König, angetan mit einer Krone auf dem Kopf, einem Schild und Schwert. Er ist auf ein Papier aufgemalt, Krone, Schild und Schwert sind als lose Teile an der Figur befestigt.

Dann sieht Gott sich die Figur, die er erschaffen hat, von nahem an, aber er ist nicht so richtig zufrieden mit ihr. Die Krone, denkt er, es ist die Krone. Die verschafft dem König Respekt. Aber sie schafft auch Distanz. Vor einem Menschen, der eine Krone trägt, muss man sich verneigen. Oder auf die Knie fallen. Aber ich will nicht, dass die Menschen vor ihm auf die Knie fallen. Er soll ihnen nicht befehlen, sondern sie überzeugen.

Also nimmt er ihm die Krone vom Kopf.

Dann tritt er einen Schritt zurück. Das ist schon besser, denkt er. Aber so richtig zufrieden ist er noch nicht. Das Schwert passt nicht. Es ist zwar ein Zeichen seiner Macht, aber ich will ja nicht, dass er Krieg führt und Völker unterwirft. Also nimmt er ihm das Schwert ab.

Bleibt noch der Schild. Dahinter könnte er in Deckung gehen. Aber was nutzt ihm ein Schild, wenn er kein Schwert mehr hat? Schwert und Schild gehören doch zusammen. Er soll sich ja nicht verstecken, sondern offen auf die Menschen zugehen. Er soll ihr Vertrauen gewinnen.

Also nimmt er ihm auch noch den Schild ab.

Jetzt ist Gott zufrieden. Gleich wird er seinen König zu den Menschen schicken.

Eine seltsame Geschichte. Ich gestehe es ein. Man könnte sich daran stoßen, dass hier versucht wird, in Gottes Gedanken einzudringen. Aber dann sagt man sich: Es ist doch nur ein Gleichnis.

Aber stimmt das denn? Diese Geschichte ist doch viel mehr. Sie ist sozusagen der innere Kern der Erzählung vom Einzug in Jerusalem. Wenn man diesen Kern versteht, dann versteht man auch: Hier kommt kein Held. Hier kommt keiner, der Israels Größe wiederaufrichten wird. Er ist eben nicht der Sohn Davids, wie das Volk ihn versteht, das ihm zujubelt.  Er ist es jedenfalls nicht in dem Sinn, dass er die Römer aus dem Land jagen und die verlorenen Gebiete wieder zurückerobern wird. Er ist kein Benjamin Netanjahu, der das biblische Israel wieder aufrichten will und dabei das Leid der Palästinenser in Kauf nimmt. Vielleicht hätte er damit ja sogar Erfolg. Gewalt erreicht vieles; nur zum Frieden führt sie nicht. Nein, er ist sanftmütig, einer der die Friedensstifter seligpreist. Und darum ist der Esel eben doch kein Missverständnis, und der König kein König im wörtlichen Sinn, sondern eher einer der die Herzen der Menschen mit seiner ansteckenden Güte gewinnen will. Der wird eben nicht Gleiches mit Gleichem vergelten und er wird auch nicht als Batman  über Gotham City fliegen um die Stadt  vom Bösen und den Bösewichten zu befreien.

Vielleicht muss einer wie Batman immer wieder das Fledermauskostüm aus dem Schrank holen, weil er nicht verstanden hat, dass das Böse nicht nur von außen kommt, sondern mehr noch aus dem Inneren der Menschen.

Und wie ist das nun mit Jesus? Der fliegt nicht in Gotham City ein, sondern der reitet auf einem Esel durch das Stadttor von Jerusalem. Wenn ich das Bild vor meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse, dann denke ich: So ungewöhnlich kann das doch gar nicht sein, dass da Menschen auf einem Esel durch eins der Stadttore geritten sind. Das müssen doch täglich Dutzende, vielleicht sogar Hunderte getan haben. Warum läuft ihm dann eine jubelnde Menschenmenge hinterher? Doch nicht weil er auf einem Esel reitet. Sondern vermutlich deshalb, weil er Jesus ist.

Ist das wirklich die Inszenierung eines Königs? Eher eines Königs der Herzen. Was auch immer da wirklich passiert sein mag, Matthäus jedenfalls hat es im Sinne von Psalm 24 gedeutet, wo es heißt: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehen kann." Zwar ist das eigentlich ein Tempellied und die Vorstellung dahinter ist, dass der König der Ehren vor dem Tempel steht und Einlass begehrt, aber hier kommt er  nur durchs Stadttor

In seiner ursprünglichen Fassung sagt der Psalm: Gott kommt in den Tempel und er betritt ihn als König der Welt. Hier muss das Stadttor genügen. Und doch sagt die Geschichte: Hier kommt der König der Welt.

Ob ich an dieser Stelle noch weiterdenken darf? Wenn ich es versuche, stockt mir der Atem. Und doch glaube ich: Genauso hat Matthäus es gemeint. Gott kommt in die Welt. Nur kommt er anders als wir ihn erwarten. Nicht in Pracht und Herrlichkeit, sondern auf einem Esel. Es ist eine ziemlich hintersinnige Geschichte, die hier erzählt wird und deshalb kann man in ihr auch oft genug stolpern. Und dennoch denke ich: Genau so ist sie gemeint. Gott kommt in die Welt, aber man kann ihn verwechseln. So leicht bekommt man ihn nicht zu fassen. Er verbirgt sich in einem Mann auf einem Esel oder in einem Kind in der Krippe. Und am Ende sogar in einem, der an einem Kreuz hängt. Um ihn erkennen zu können, muss man hinter die Dinge sehen.

Und darum sind die Bilder auch verwechselbar. Man muss sie deuten. Man sollte sie nicht so unmittelbar nehmen. Sie sind noch nicht das Eigentliche. So wie auch die Bilder, die wir sonst vom Advent wahrnehmen, die Tannengirlanden, die Adventskränze, die Glühweinbuden und die Weihnachtsbäume in der Fußgängerzone noch nicht das Eigentliche sind.

Wichtig ist, hinter die Bilder zu schauen. 



Pfarrer Bernd Giehl
Nauheim
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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