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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reformationstag, 31.10.2007

Predigt zu Jesaja 62:6-7+10-12, verfasst von Jorg Christian Salzmann

I
Am Reformationsfest würden wir gern von der Erneuerung der Kirche und vom Aufbruch reden. Ja, ist es nicht Zeit, dass wir endlich aus der Depression herauskommen? Doch die Realität scheint eine andere Sprache zu sprechen. Landauf, landab schrumpfen die Gemeinden. Der Einfluss der Kirche schwindet. Der Pastorenberuf ist längst nicht mehr so angesehen wie noch vor wenigen Jahren. Umfragen zeigen, dass auch getaufte Christen immer weniger über ihren eigenen Glauben wissen. Und wenn man dann noch ans Geld denkt, nehmen die Sorgen ganz und gar überhand. Haben wir denn die Kraft zur Erneuerung der Kirche, haben wir den Schwung zum Aufbruch?

II
Das Prophetenwort aus dem Jeremiabuch, das wir eben gehört haben, richtete sich an die Bewohner der Stadt Jerusalem zu einer Zeit, als man dort ebenfalls im Blick auf die Zukunft eher skeptisch war. Unbedeutend war die Stadt Gottes geworden, die Weltpolitik schien einen Bogen um diesen Ort zu machen. Nach der Zerstörung und dem babylonischen Exil war nie mehr der alte Glanz zurückgekehrt. Jerusalem hatte einen neuen Beinamen: die Verlassene. Depression allenthalben.
Da stellt der Prophet ein unglaubliches Programm auf: Wächter sollen die Stadt pausenlos in Atem halten und von den Türmen aus rufen und an Gott erinnern. Zugleich aber sollen sie auch Gott keine Ruhe lassen, bis Jerusalem wieder im alten Glanz dasteht und Gott zur Ehre gereicht. Gott und sein Volk sollen also wieder zusammengebracht werden - dass Jerusalem nicht gottvergessen in seiner Depression vor sich hinlebt, und dass Gott nicht vergisst, sondern seine Verheißung wahr macht.
Und schon erzählt der Prophet vom Heil Gottes, als wäre, was er versprochen hat, schon eingetroffen. Er erzählt so, dass eine ältere Heilsankündigung mit erklingt. Damals hatte Gott den Leuten im Exil versprochen, dass sie zurückkehren sollten nach Jerusalem: „Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!" Im Triumphzug bringt Gott seine Leute nach Hause.
So werden die Leute an die Taten Gottes erinnert, ja Gott selbst wird keine Ruhe gelassen: du hast es versprochen, dass du das Heil bringen willst, nun tu es auch!

III
Die Frage ist, ob wir ein solches Programm, wie es der Prophet damals entwarf, für uns umsetzen können. Unsere Städte haben keine Stadtmauern und Wächter mehr. Wie könnte man sich Gehör verschaffen, und wer sollte da reden? Außerdem: was sollte gesagt werden - und zu wem? Fangen wir bei der letzten Frage an. Wenn im Prophetenwort Jerusalem angesprochen wird, dann ist die Hauptstadt des Gottesvolkes gemeint und damit das ganze Volk Israel. Der Prophet richtet sich also an die Insider, an diejenigen, die zu dem Gott Israels gehören. Auf uns bezogen also ginge es nicht um unsere Stadt, sondern um uns Christen - wir wären diejenigen, die angesprochen sind.
Was aber ist die Botschaft? Haben wir hier ein Programm, das uns hilft, unsere Depressionen zu überwinden? Den Leuten in den Ohren liegen, dass sie Gott nicht vergessen, und Gott in den Ohren liegen, dass er uns nicht vergisst, das hört sich nicht schlecht an. Da wüssten wir, was zu tun ist. Aber gerade am Reformationstag fragt sich, ob wir damit den Sinn der Sache richtig verstanden haben. Denn das ist ja die Grundeinsicht der Reformation, dass wir mit unseren Anstrengungen nicht das Heil schaffen können. Und bei genauerem Hinsehen ist es doch auch hier so: dass Gott wahr macht, was er versprochen hat, das mag durch inständiges Bitten vielleicht beschleunigt werden, aber es ist doch immer noch Gott, der das Heil bringt. Er sorgt dafür, dass die „Erlösten des Herrn" mit Freuden in die Stadt einziehen, er allein kann Glanz und Herrlichkeit verleihen, wo Schäbigkeit und Depression herrschen.
Also auch bei uns: es liegt nicht an dem Programm, das wir auflegen, sondern letztlich an Gott selbst, wenn seine Kirche gedeiht und ihm zur Ehre gereicht. So hat auch Martin Luther die Sache mit der Kirche gesehen und gesagt: „Wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten, unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen, unsere Nachkommen werdens auch nicht sein, sondern der ists gewesen, ists noch, wirds sein, der da spricht: Ich bin bei euch bis an der Welt Ende ...". (Martin Luther, Wider die Antinomer, 1539 - WA 50,476)
Das nun wäre tatsächlich etwas, womit wir Gott in den Ohren liegen könnten: „Du hast uns Deine Gegenwart zugesagt und du willst, dass allen das Heil verkündigt wird: so komm und bringe dein Heil zu uns Menschen. Lass Deine Kirche nicht untergehen, sondern gedeihen. Hilf uns aus all unsern Sorgen heraus!"
Aber wieso sollen eigentlich wir zu Gott rufen? Waren es beim Propheten nicht die Wächter, die diese Aufgabe hatten, Prophetenschüler also vielleicht oder gar die Propheten selbst? Es gehört zum Amt eines Propheten, Fürbitte zu tun. So könnten auch bei uns die Kirchenprofis das Gebet als wichtigen Teil eines jeden Programms zur Erneuerung der Kirche begreifen. Aber natürlich haben weder damals noch heute nur die Profis die Möglichkeit, Gott zu bitten; nein, jeder Christ darf mit seinen Bitten vor Gott kommen.
Auf der anderen Seite aber sollten damals die Wächter dem Volk in den Ohren liegen und es an Gott erinnern, dass sie wussten: wir leben in und aus der Beziehung zu unserm Gott. Die Leute sollten begreifen, dass auf diesen Gott Verlass ist. Da lag der Weg aus der Depression, in dem Vertrauen, dass Gott sein Heil selbst schaffen wird. Und da liegt der Weg auch heute noch: im Vertrauen auf diesen Gott. So wäre auch das ein Grundbestandteil einer jeden Erneuerung der Kirche: dass Leute rufen und uns erinnern an die Gnade Gottes, an seine Treue, daran, dass auf ihn Verlass ist.

IV
So wird das Reformationsfest zu einem Fest der Gelassenheit, zu einem Fest der Predigt vom Heil Gottes, das er allein uns schenkt, und zu einem Fest des Gebets, dass Gott seiner Kirche helfen möge, sie aus allen ihren Sorgen reißen und Erneuerung schenken. Wenn wir dann hören von dem Triumphzug, mit dem Gott die Seinen nach Hause bringt, dann werfen wir wohl schon einen Blick in den Himmel. Aber das ist gewiss: es wird zu diesem Triumphzug kommen, und so können wir getrost und zuversichtlich in die Zukunft schauen - eine Zukunft der Kirche Gottes, auf den Verlass ist durch Jesus Christus.



Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann

E-Mail: dr.jchr@jmsalzmann.de

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