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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2014

Kopf hoch, denn Gott ist nah!
Predigt zu Lukas 21:25-33, verfasst von Siegfried Krückeberg

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. 27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. 29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: 30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist. 31 So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. 32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. 33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht. (Lukas 21, 25-33)


Liebe Gemeinde!

Zwei Kerzen brennen schon am Adventskranz. Und bald werden viele Familien vor dem Tannenbaum stehen und die schönen Lieder singen, Geschenke auspacken und die Weihnachtsstimmung genießen. Man sagt ja: Vorfreude ist die schönste Freude! Wenn man allerdings daran denkt, was zurzeit um uns herum passiert, kann einem schon mal die gute Laune vergehen: islamistische Jugendliche ziehen in den Krieg nach Syrien und in den Irak, Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer, der Konflikt in der Ukraine und mit Russland spitzt sich zu, und in Afrika sterben viele Menschen an der Ebola-Seuche. Da kann man schon verstehen, dass Bob Geldorf jetzt wieder die Frage stellt: „Do they know it´s Christmas? - Wissen sie eigentlich, dass Weihnachten ist?" Zusammen mit vielen anderen Musikern hat Geldorf jetzt noch einmal eine CD mit dem leicht umgeschriebenen Song von 1984 produziert, um mit den Einnahmen den Menschen der von Ebola betroffenen Gebiete zu helfen.

Für mich drückt sich darin zweierlei aus: Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit schmerzt dieser Widerspruch zwischen dem Leid der anderen und dem eigenen Wohlstand. Und eine Möglichkeit, damit fertig zu werden, ist es, sich zu engagieren und zu spenden. Um sich dann wieder auf die erfreulichen Dinge des Lebens zu besinnen. Auf die Genüsse der Adventszeit zum Beispiel. Und vielleicht gelingt es ja auch, in einem Gottesdienst auf andere Gedanken zu kommen. Aber der Abschnitt aus dem Lukasevangelium passt gar nicht zu dieser Erwartung. Wenig Erbauung, eher eine Zumutung.

„... und auf Erden wird den Völkern bange sein, ... und die Menschen werden vergehen vor Furcht ..." Da sind wir sofort wieder mitten drin in unserer Welt, die so hart und grausam sein kann. Die Zeichen am Himmel erinnern mich an die Fernsehbilder vom ersten Golfkrieg: Raketen huschen wie Sternschnuppen über den Nachthimmel, und dann hört man Explosionen. Ja, die Menschen zittern vor den Katastrophen auf der Erde. Viele von ihnen lassen sich nicht verhindern: Wirbelstürme, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Sturmfluten wie der Tsunami vor fast genau zehn Jahren. Aber Vieles haben wir selbst heraufbeschworen, sagen Klimaexperten: Überschwemmungen zum Beispiel oder Lawinenunglücke. Da trifft es zuerst die Menschen vor Ort, und irgendwann spüren wir alle die Veränderungen. Denn wenn etwas schief läuft auf dieser Erde, dann hat das gleich Auswirkungen auf alle Menschen. Tiere sterben aus. Menschen führen Krieg wegen der knapper werdenden Vorräte an Energie, Nahrung und Wasser. Die Völker zittern, ja, vor immer neuen Anschlägen überall auf der Welt. Uns ist bange vor den Dingen, die da kommen sollen und von Terroristen angekündigt werden. Viele Menschen sind ständig in Alarmbereitschaft.

Wenn man das alles vergleicht mit unserem Text, dann könnte man meinen, das wird hier alles vorausgesagt. Und manche Menschen sehen das ja auch so, dass das Ende der Welt nahe herbei gekommen ist. „This is the end, this is the end, my friend" hat die englische Musikgruppe The Doors schon vor Jahrzehnten gesungen. Doch wir müssen das umgekehrt sehen. Es geht in diesen apokalyptischen Bildern weniger um die Zukunft, sondern um eine Beschreibung der Gegenwart. Menschen, die den Untergang der Welt vor sich sehen, die haben dazu einen Grund: es geht ihnen schlecht. Sie durchleben schwere Zeiten. Das war auch damals so, als die Geschichten von Jesus aufgeschrieben worden sind. Da wurden die Christen verfolgt, mussten sich verstecken und haben viel gelitten. Deshalb haben sie die Zukunft erst einmal so düster gesehen und gedacht: jetzt kann uns nur noch eins retten: ein Wunder.

Genauso ist es in unserem persönlichen Leben. Wenn alles glatt läuft in der Schule, im Beruf, mit Freunden und Lebenspartnern, dann stellen wir uns auch die Zukunft in rosigen Farben vor. Wir fühlen uns stark, alles gelingt. Wir denken: Naja, mich wirft so leicht keiner aus der Bahn. Mir gehört die Welt! Und Gedanken daran, dass das vielleicht nicht immer so bleibt, den wischen wir schnell weg.

Dagegen, wenn uns etwas schiefgeht, nicht einmal, sondern mehrmals, dann sehen wir oft gleich schwarz für die Zukunft. Besonders, wenn es härter kommt, ein schwerer Konflikt, in dem wir den Kürzeren ziehen, eine ernste Krankheit, eine Krise mit Freunden oder Partnern. Wenn scheinbar alles zusammenstürzt, dann können wir oft gar nicht anders, als die Zukunft in dunklen Farben vor uns sehen. Vielleicht tut mancher auch so, als sei gar nichts, er verschließt die Augen und macht weiter wie bisher. Aber gut für die Seele ist das nicht. Besser ist, so schmerzhaft es auch sein mag, hinzugucken in die Dunkelheit. Dass Ziele, die wir uns gesteckt haben, in weite, weite Ferne rücken. Dass wir uns damit abfinden müssen, dass andere, vielleicht jüngere, uns überholen, dass etwas falsch läuft in unserem Leben, oder dass etwas wirklich zu Ende geht. Hingucken und alles aussprechen, das hilft, und wenn es auch in düsteren Farben ist, vielleicht sogar zu düsteren Farben. Jetzt haben wir das Gefühl, es geht nur noch bergab. Und das ist real. Und wenn dann jemand sagt: „Kopf hoch, das geht vorüber!" oder „Halt durch! Es kommen auch wieder bessere Zeiten!" Dann können wir das oft gar nicht hören, denn wir fühlen uns unverstanden. Nein, wir brauchen jemand, der uns ernst nimmt. Deshalb malen wir ja auch die Zukunft so schwarz. Damit es einfach drastischer ist. Damit die anderen sehen: wir sind am Ende mit unserer Kraft, es geht nicht mehr. Jedenfalls nicht aus eigener Kraft: höchstens noch nur durch ein Wunder, eine Erlösung.

Erlösung, ein Wunder - das wird in unserem Text tatsächlich angekündigt: Advent - „Der Menschensohn kommt, in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit." Und erst nach diesem Versprechen, dieser Zusage, heißt es dann: „Wenn´s soweit ist, dann erhebt eure Häupter!" Also mit anderen Worten: Kopf hoch!

„Kopf hoch, denn Gott kommt zu euch, Gott ist euch ganz nah." Das hat den ersten Christen Halt gegeben, Hoffnung und Kraft, Kraft in der Verfolgung, bei der Mission, beim Durchhalten im eigenen Glauben. Diese Zusage hat in ihre dunkle Gegenwart hineingeleuchtet, zuerst vielleicht nur wie eine kleine Kerze auf dem Adventskranz, aber dann immer stärker und schließlich wie ein großes Feuerwerk, das die ganze Erde hell macht.

Und dieses helle Licht, das leuchtet auch für uns. Wir wissen zwar nicht, wann die endgültige Erlösung kommt. Und viele fragen sich: Wie lange wird es unser Planet noch machen, wenn wir weiter so auf ihm herum trampeln, beziehungsweise wie lange werden wir als Menschen noch überleben, wenn wir unsere Lebensgrundlagen selber zerstören?

Doch solche Berechnungen führen zu nichts, weil wir dann nur abwarten und wie gelähmt darauf starren, wie unsere Welt scheinbar in den Abgrund stürzt. Nein, das Gleichnis vom Feigenbaum sagt etwas anderes. Es sagt: die Erlösung ist näher als wir denken. Aber das alles vollzieht sich nicht in unseren Vorstellungen von Raum und Zeit. Seit Jesu Geburt leben wir Christen sozusagen in einer Zwischenzeit und einem Zwischenraum. Wir wissen vom Reich Gottes, und deshalb ist es ein bisschen schon unter uns. Sein Licht strahlt in unsere Herzen und verändert uns. Denn wenn Gott zu uns kommt, dann verändert sich etwas: dann wird uns klar, dass alles, woran wir uns klammern, was für uns scheinbar unumstößliches Gesetz ist, letztlich nur vorläufig ist. Dann verlieren die Mächte ihre Macht. Dann verändern sich die Maßstäbe und die Kleinen werden groß.

So wie in dem Film von Roman Polanski: „Der Pianist". Da gelingt es einem jüdischen Musiker, dem Tod in Auschwitz zu entkommen. Er hat miterlebt, wie unzählige Menschen vor seinen Augen erschossen wurden, seine Familie kam ins KZ, alles, was ihm lieb war, ist zerstört, nur ein verwahrloster, hungriger Körper und eine tief verletzte Seele sind ihm geblieben. Doch kurz vor dem Ende des Krieges wird er entdeckt, von einem deutschen Soldaten, in einem Haus, das unversehrt geblieben ist. Und als der Offizier ihn fragt, was er von Beruf ist, und dann bittet er ihn, sich ans Klavier zu setzen und zu spielen. Da bricht sie förmlich aus ihm heraus: die Musik, die ihn die ganze Zeit am Leben erhalten hat. Eine unglaubliche Kraft, die stärker ist als alle Waffen, alle Bomben und Maschinengewehre, als Panzer und Armeen. Eine ergreifende Szene, die mir die Tränen in die Augen getrieben hat.

Eine Szene, ein Film. Sie können uns eine Ahnung davon vermitteln, dass die Kunst stärker ist als Krieg und Gewalt, dass der Geist letztlich stärker ist als die Materie, dass Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit siegen werden über den Tod. Weil wir das wissen, brauchen wir unsere Augen nicht verschließen vor der Wirklichkeit. Wir können Ängste eingestehen und die Dinge beim Namen nennen, wir können an Veränderungen mitwirken, uns engagieren.

Aus diesem Wissen heraus lebt unser Einsatz als Christen, auch in dieser Gemeinde. Dass wir Wohnungslosen und Flüchtlingen ein Zuhause geben, dass wir Menschen beraten, die in eine aussichtlose Situation geraten sind, dass wir Kranke begleiten und Trauernde trösten, dass wir einander vergeben und in unseren Gottesdiensten gegen die Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit dieser Welt von der Liebe Gottes singen, reden und um seine Nähe bitten.

Das alles verdanken wir diesem Licht, das in unser Leben jetzt schon strahlt. Daran erinnert uns diese Zusage: „Alles vergeht, selbst Himmel und Erde, aber meine Worte vergehen nicht!" So richtig begreifen, mit dem Verstand, können wir das nicht, wir können Gleichnisse, Vergleiche finden, um zu erahnen, was es bedeutet.

Ich denke zum Beispiel die Liebe zwischen uns Menschen ist so ein Gleichnis. Wenn in einer schweren Krise alles durcheinander purzelt, wenn ich denke: jetzt ist alles vorbei, da komm ich nicht mehr heraus, und alles was für mich bisher unumstößlich fest stand, gerät ins Wanken. Ich kann mich auf nichts mehr verlassen. Und wenn ich dann spüre: da ist jemand, der versucht an mir dran zu bleiben, der lässt sich nicht erschüttern, der geht mit, egal wohin. Das ist dann eine Erfahrung, die es uns ermöglicht zu verstehen, wie das mit Gott und seiner Liebe ist. Nicht, dass es das Gleiche ist. Menschliche Begleitung, menschliche Liebe und Gottes Liebe. Aber wer menschliche Liebe erfährt und zulässt, der hat es leichter, auch die göttliche Liebe zu spüren und anzunehmen.

Amen.




PD Dr. Siegfried Krückeberg
Frankfurt
E-Mail: medio.ffm@ekkw.de

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