Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2014

Predigt zu Lukas 21:25-33, verfasst von Ulrich Kappes

Wer durch das Portal des Bamberger Domes geht, tritt unter einen Torbogen, in dem das Weltgericht am Ende der Tage dargestellt wird. Der Bamberger Dom ist darin  keine Ausnahme. In vielen alten Kathedralen wird über der großen Eingangstür das Letzte Gericht dargestellt. Es sind z. T. schreckliche Szenen. In der berühmten Kathedrale von Autun kämpfen beispielsweise  der Erzengel St. Michael und der Teufel um die Menschen, um ihren Eingang entweder in den Himmel oder in die Hölle. I1I

Das widerspricht allen Geflogenheiten und Prinzipien von Werbung: schlimme Bilder und schreckliche Gestalten sozusagen in das Schaufenster eines Gebäudes zu stellen.

 

Im Innenraum dieser Kathedralen gibt es leuchtend bunte Glasfenster, farbig gestaltete Bögen und Skulpturen, die hohen gotischen Bögen wie das Geflecht eines Baumgipfels. Das ist eine ganz andere Welt.

Was war die Botschaft der mittelalterlichen Baumeister?

Es liegt wohl nahe, zu sagen, dass dieses Zusammenspiel unterschiedlichster Gestaltungen

die Komplexität der Schrift wiedergeben soll: Das eine gibt es  nicht ohne das andere.  Der Glaube an das Christusgericht am Ende der Tage gehört in gleicher Weise zu unserem Glauben wie Weihnachten, Karfreitag, Ostern und Pfingsten. Es wäre die halbe Wahrheit und damit gar keine Wahrheit, würde man die dunklen und ernsten Teile der Schrift zugunsten der hellen und frohen entfernen.

Wir gehen auf das Weihnachtsfest zu und freuen uns, jeder in seiner Weise, auf die Weihnachtstage. Als Christinnen und Christen gehen wir aber mit unserem ganzen Leben auch auf den Advent des Gottessohnes am Ende der Zeiten zu. Wir können und dürfen das nicht zur Seite schieben.

Unser Evangelium des 2. Advents ist in der katholischen Leseordnung Evangelium des 1. Adventssonntages. Gemeinsam lassen wir uns mit den katholischen Christinnen und Christen im Advent in die Pflicht nehmen, über die Ankunft Christi am Ende der Tage nachzudenken.

 

Breiten Raum nimmt im Evangelium die Mahnung ein, auf die Zeichen der Zeit, die Zeichen einer untergehenden Natur zu achten. - Es ist wie bei einem Feigenbaum:

Der Feigenbaum ist im Orient eines der wenigen Gewächse, die zum Einbruch der Regenzeit die Blätter verlieren. Kahl steht er über Monate hindurch da. I2I Dann bricht sehr plötzlich der Frühling an und der Feigenbaum treibt wieder.

Man kann die Welt gerade in den Monaten November / Dezember wie einen nackten Feigenbaum sehen. Man kann angesichts kahler Äste nur Tristes und Kahlheit sehen.  Man kann aber auch durch seine Zweige hindurch auf das Neue hoffen.

Christus fordert uns auf, „den Feigenbaum und alle Bäume zu sehen".

All das, was vergeht, was in Umwelt und Natur mehr oder weniger unwiederbringlich verloren geht, macht uns traurig, wenn es uns nicht empört.

Die Natur, die uns übergebene Schöpfung, ist neben aller Schönheit und Einzigartigkeit von einem grausamen Eingriff der Menschen in ihrer Ganzheit charakterisiert.

Das unaufhaltsame Sterben der Arten, das nicht aufzuhaltende Schmelzen der Polkappen, die fortschreitende Verseuchung des Meeres mit Plastikmüll, um nur einiges zu nennen, kennen wir seit Jahren.

Schaut den kahlen Feigenbaum an, welche Wundmale er trägt ... und?

Man kann diesem schrecklichen Prozess abgewinnen, dass er uns, heftiger und dringlicher als alles „normale" Vergehen und Sterben der Natur, unnachgiebig und vehement darauf hinweist, dass diese Welt insgesamt eine vergehende ist. Der Faktor der Umweltzerstörung vermehrt und vervielfacht die Erkenntnis, dass diese Erde auf das Vergehen zusteuert.

Das rechtfertigt natürlich die Umweltzerstörung nicht. Bei allem Schlimmen des Raubbaus des Menschen ist sie aber gleichzeitig ein Hinweis der krassesten Art darauf, dass wir hier keine ewige Bleibe haben.

Die Zeichen der Zeit mit ihrer Tendenz zum Untergang können Christinnen und Christen in ihrer Weise darin bestärken, diese Welt nie an die Stelle Gottes zu rücken. „Himmel und Erde werden vergehen", steht über dem Eingangsportal zur Kirche des Glaubens. Es ist eine grundlegende Wahrheit, von der sich alles Weitere erschließt.

 

„Erhebet eure Häupter, darum, dass sich eure Erlösung naht!"

Was heißt das? Geht es um eine religiöse Variante des uns allen bekannten Spruches: „Nun lass mal den Kopf nicht hängen"? „Don't worry, be happy! In der Sprache des Karnevals: „Kopf hoch, hängen tut er von alleine! - Ist es das?

Nein, dieses Jesuswort ist keiner von den vielen Ratschlägen zu Zuversicht und Optimismus. „Erhebt eure Häupter!", ‚weil, ich, Dein Herr und Gott, komme'. Das allein ist der Grund, den Kopf erheben zu können.

„Seht auf den Feigenbaum!" ‚Jetzt ist er kahl. Träumt euch aber in ihn hinein. Er wird einmal ausschlagen und im Sommer Feigen tragen. Mit Weintrauben und Granatäpfeln gehören sie zum Fest der Ernte. Süße Feigen und saftige Weintrauben wird es geben.'

„Erhebt eure Häupter!" ‚und blickt über die kahle und trübe Gegenwart in die Ferne.' -  Der Erlöser wird kommen und mit ihm die Erlösung von Sorge und Krankheit. Der Kampf um das Überleben wird ebenso zu Ende sein wie die Kettung an sich selbst.

 

Dietrich Bonhoeffer schrieb am 15.Dezember 1943, zwischen dem 3. und 4. Adventssonntag, an seinen Freund Eberhard Bethge aus dem Tegeler Gefängnis die folgenden Sätze:

„Ich frage mich selbst oft, wer ich eigentlich bin, der, der unter diesen grässlichen Dingen hier sich immer mehr windet und das heulende Elend kriegt oder der, der ... nach außen hin und auch vor sich selbst als der Ruhige, Heitere Gelassene erscheint und sich dafür bewundern lässt?"

Andere Tegeler Häftlinge und das Wachpersonal rühmten Bonhoeffers Haltung und wie er immer den Kopf nach oben trug. Wie war ihm das möglich?  Dieser Brief gibt keine Antwort. Er schließt aber mit dem vielsagenden Satz: „Es geht um Wichtigeres als um Selbsterkenntnis."I3I

Und was ist, so ist zu fragen, wichtiger als „Selbsterkenntnis"?

Ich entnehme die Antwort, die im Sinn Bonhoeffers sein könnte, unserem Evangelium:

 „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen."

 

Trägt alles die Zeichen und die Spuren des Vergehens, so gibt es in dieser Welt des Sterbens und Vergehens sein Wort. Das bleibt. Es ist da, wie ein Pfosten im Sumpf, wie eine Säule auf schwankendem Untergrund. Sein Wort, dieser Pfahl und diese Säule, das ist die große Chance und Rettung.

Es geht um Wichtigeres, als sein Leid oder seine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung zu untersuchen. Den Kopf hoch zu halten, ist Menschen möglich, die sich an seine, nicht vergehenden Worte halten.

Zu Weihnachten feiern wir die Menschwerdung dieses Wortes, das uns eine Säule ist. Das wäre die andere Art, Advent zu feiern, sich Tag für Tag an der Säule seines ewigen Wortes aufrichten zu lassen, um dann in großer Dankbarkeit am Weihnachtstag das Geheimnis der Menschwerdung dieses Wortes zu feiern.



Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes
Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

Bemerkung:
I1I Denis Grivot, Die Bildhauerarbeiten des XII. Jahrhunderts am Münster von Autun, Colmar-Ingersheim 2000, S. 4 – zitiert nach Werner Milstein, Pred.med. z.St., in Pastoraltheologie 97.Jahrgang, 2008/11, 21-27, S. 24, Anm. 18.
I2I Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, S.!58, zitiert nach W. Milstein, a.a.O., S.22.
I3I DBW, 8.Band, München 1998, S. 235.



(zurück zum Seitenanfang)