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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2014

Predigt zu Lukas 21:25-33, verfasst von Tim Sonnemeyer

 

Liebe Gemeinde,

haben Sie auch eine Krippe zuhause? Aus Holz geschnitzt, ganz klassisch, oder vielleicht sogar selbst gemacht? Ich besitze so eine. Die Figuren sind liebevoll geschliffen und bemalt, sie stehen alle zusammen um den leeren Futtertrog unter dem Dach eines kleinen Stalls und warten mit Ochs und Esel auf das Christkind. Ein bisschen Stroh lege ich meist auch dazu - eben wie man das so kennt.

Heute ist der zweite Advent. Der Predigttext für diese Woche berichtet vom „Kommen des Menschensohnes". Allerdings nicht auf eine besinnliche Art und Weise, wie es sich in meine Holzkrippe fügen würde. Es ist die Rede von einer Apokalypse: Oben zürnt der Himmel, unten tobt das Meer, und die Menschen dazwischen werden vergehen. Aus einer Wolke wird dann der Menschensohn herabsteigen und die Erlösung verkünden.

So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Das klingt danach, als ob jemand meine Holzkrippe nimmt, sie in der Mitte kaputtschlägt und mit ihr alle Figuren. Danach kommt dann das Kind und wird oben auf den Trümmerhaufen gesetzt. Das klingt nach einem schrecklichen Ende und macht mir Angst. - Tatsächlich, im Predigttext wird Angst verbreitet: Es geht um Bange-Sein, Verzagen. Menschen werden vergehen. Die Kräfte des Himmels kommen ins Wanken. Aber warum? Warum dieser gewaltige Text so kurz vor dem besinnlichen Weihnachtsfest?

Schauen wir zunächst in die Vergangenheit! Der Text steht im Lukasevangelium. Er zeugt von der Idee der ersten Christen, dass das irdische Reich bald enden und das Reich Gottes hereinbrechen wird. In den Ängsten der Christenverfolgung beschreibt Lukas die Hoffnung auf eine bessere Gerechtigkeit für die Gläubigen bei Gott. Diese Vorstellung der unmittelbar bevorstehenden Apokalypse ist nicht eingetroffen. Die Erde, sie existiert noch, und auch wir leben - man könnte sagen - in einer Zwischen-Zeit, bevor doch einmal alles vergeht.

Das wird passieren, da ist sich die Wissenschaft einig. Ob früher oder später, liegt zum großen Teil an uns. Moderne Weltuntergangs-Szenarien werden von Klimaforschern, Astrophysikern oder Virologen aufgestellt. Inzwischen können auch Informatiker Bilder beschreiben, wie die Menschheit ohne Computer und Strom an die Grenzen ihres Daseins gerät. Die Nachrichten von Naturkatastrophen und Bankenkrisen lassen das Ende von allem nicht so unmöglich erscheinen, wie wir es gern hätten. Während wir Weihnachtsgeschenke einpacken, schnürt die Politik neue Finanzpakete; arme Länder stellen sich unter Rettungsschirme. Wir können allenfalls kurzfristig am Glühweinstand Unterschlupf suchen.

Doch lässt uns der Text nicht in diesen dunklen Bildern zurück. So spricht Jesus: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht." Er begründet die Zuversicht darauf, dass selbst wenn alles zu Ende geht, selbst dann, eines beständig bleibt: die Zusage Gottes an uns. Damit haben wir nun zwei Aspekte, denen wir uns nacheinander widmen wollen: auf der einen Seite die Endlichkeit der Erde und des Lebens, auf der anderen der Zuspruch Gottes an uns.

Erstens, Endlichkeit. Die Geschichte verweist uns in die Schranken unserer eigenen Vergänglichkeit. Unser Leben ist endlich, das wissen wir. Der Predigttext unterstreicht, dass auch unsere Erde kein Werk für die Ewigkeit ist. Wir haben es bereits gehört - in apokalyptischen Bildern zu denken war der Zeit Jesu geläufig. Seine Anhänger haben im Wirkungsfeld von derartigen Vorstellungen gelebt: Einmal wird das Elend der Vergangenheit angehören und die Zukunft heilsame Erlösung bescheren.

Das Weltenende stellte man sich nicht nur damals vor, auch heute noch spekulieren wir über das Ende. Aber wir leben in anderen Bezügen und haben ein neues wissenschaftliches Instrumentarium, um uns das große Finale auszumalen. Unsere Sprache hat sich über die 2000 Jahre hinweg geändert, und auch unsere Ängste sind andere geworden. Kriege, Börsencrash, Terror, Hungerkatastrophen, globale Erwärmung bestimmen die Vorstellungen heute, dazu die persönlichen Krisen wie Krankheiten, Einsamkeit und Depression. Das lässt sich leicht mit einem Blick in das Kinoprogramm oder die Science-Fiction-Literatur belegen.

Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, sich über den Weltuntergang Gedanken zu machen. Warum? - Vielleicht brauchen wir Vorstellungen über das Ende, um die Zeit davor umso mehr wertschätzen zu können. Nichts ist selbstverständlich. Die Nachrichten in allen Medien führen uns das täglich vors Auge.

Antwort auf existenzielle Nöte suchen Menschen auch heute noch in der Kirche. Sie bringen ihre Anliegen im Gebet vor Gott und erhoffen sich neuen Zuspruch durch den Segen. Der Un-Selbstverständlichkeit des eigenen Wohls wird mit Dankbarkeit begegnet, und der Glaube kann neue Kraft geben, um Angst und Not zu überwinden. Genau wie in der biblischen Geschichte: Durch die Verheißung des Kommens des Menschensohns spricht Jesus seinen Anhängern, Lukas seiner Gemeinde - und spreche ich Ihnen heute - Halt im Leben zu.

Zweitens also, Zuspruch. Die Gemeinsamkeit zwischen der lukanischen und unserer Gemeinde ist nichts anderes als die Suche nach einem Halt im Leben. Präziser: nach dem Halt im Leben. Das Ende des Textes hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Es ist auch in unserer Zeit verständlich: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht." In meinen Worten gesagt: Wer an Gott glaubt, der findet Halt vor und in allem Übel.

Diese Zusage macht Lukas seiner Gemeinde voller Zuversicht. Sie ruft auch uns zu der Gewissheit auf, dass es Beständigkeit gibt über die Grenzen des Vorstellbaren hinaus. Das Evangelium fasst zusammen: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil eure Erlösung naht!" Seht auf und lasst euch nicht beugen von Leid, Trauer und der Sorge vor der Zukunft! Seht auf, denn es gibt Halt! Geht aufrecht in eurem Leben, denn die Erlösung naht!

Wie diese Erlösung genau aussieht, wissen wir nicht. Wir Christen glauben, dass es sie gibt. Wir haben heutzutage berechnet, dass die Sterne am Himmel nicht so einfach auf die Erde prasseln. Wir haben Fortschritte gemacht, die uns andere Vorstellungen zugetragen haben. Indes ist die Botschaft der Zusage dieselbe geblieben: Gott steht uns bei, was auch immer geschieht.

Dazu kommt mir Dietrich Bonhoeffer in den Sinn. In den Nazi-Gefängnissen wurde für ihn die Vorstellung seines persönlichen Endes immer konkreter. Er war bereits seit 18 Monaten in Haft - kurz zuvor war er in ein Kellergefängnis der Gestapo verlegt worden; unvorstellbare und unsagbare Umstände begleiteten ihn -, als er am 19. Dezember 1944 in einem Weihnachtsbrief an seine Verlobte die Verse schrieb: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag." Wenn man an Bonhoeffers Schicksal denkt, sind es traurige Verse, und doch ist das Lied immer wieder überzeugend. In seinen Zeilen steckt Gewissheit. Die Grausamkeit des Krieges und den eigenen Tod vor Augen, formuliert Bonhoeffer die Gewissheit des Zuspruchs Gottes: „Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag."

Ein letzter Aspekt. Lukas macht hier etwas Großartiges: Er verwandelt das Ende zu einem Ziel. Dieser Unterschied ist wichtig. Was zunächst nach einem Welten-Ende aussieht, wird zu einem Ziel im Glauben. Das Herabfallen der Gestirne und das Toben der Meere gehört zum Untergang, doch die Beständigkeit des Wortes weiß von einem Ziel, das größer ist als wir. Diese Botschaft ist passgenau auf die Adventszeit abgestimmt. Wir warten auf Weihnachten - das ist ihr Ziel, das Kommen des Menschensohnes -, ebenso wie Lukas uns das Kommen Gottes am Ende der Tage verkündigt. Gott selbst nimmt sich unsrer an, er gibt uns Halt.

Gott kommt zu uns. Vielleicht muss manches erst ins Wanken geraten, bevor wir uns von ihm orientieren lassen können, und muss Altes umgestürzt werden, bevor wir bereit sind für die frohe und befreiende Botschaft, die uns den Retter verheißt. Und damit bin ich - wieder bei meiner Krippe daheim angekommen. In zwei Wochen ist es so weit, ich werde das Jesus-Kindlein in den Futtertrog hineinlegen können. Ochs und Esel werden darum herum stehen, und das Haus wird nicht zusammengestürzt sein. Auch der Predigttext von heute klingt dann nicht mehr nach einem schrecklichen Ende, das mir Angst macht, sondern nach dem hoffnungsvollen Ziel, das mir Mut gibt.

Amen.



Stud.theol. Tim Sonnemeyer
Zürich
E-Mail: tim.sonnemeyer@web.de

Bemerkung:
Diese Predigt zu Lukas 21,25-33 wurde in einem homiletischen Seminar in Zürich erarbeitet mit dem Ziel, sie hier im Internet zu veröffentlichen.


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