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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2014

Predigt zu Lukas 21:25-36(dänische Perikopenordnung), verfasst von Eberhard Harbsmeier

Manchmal weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll, ob man sich freuen darf oder ob man Angst haben muss. Dafür gibt es viele Beispiele. Am naheliegendsten ist vielleicht eine bevorstehende Geburt, ein Fest, eine Reise, ein bevorstehendes Examen, ein Umzug. Eigentlich ja alles ein Grund, sich zu freuen, man hat sich ja darauf vorbereitet, darauf gefreut, etwas Großes und Neues steht bevor. Wenn es dann schließlich ernst wird - kann einen plötzlich Panik ergreifen, Angst vor dem Neuen, dem Fremden. Man hat sich auf die Reise gefreut, aber plötzlich, wenn man packen soll, entdeckt man, dass es eigentlich genauso schön zuhause ist - und viel billiger, man bekommt Reisefieber, bereut ein wenig und hat das Gefühl, doch lieber zuhause bleiben zu wollen. Oder ein großes fest, ein Geburtstag, man hat sich jahrelang darauf gefreut, alles vorbereitet - und plötzlich gerät man in Panik: Was nun, wenn niemand kommt - oder noch schlimmer, was, wenn alle kommen und alles im Chaos endet. Ganz zu schweigen von dem Brautpaar, wenn sie in die Kirche kommen. Sie sind natürlich froh und glücklich - aber auch ernst zugleich. Merkwürdig: Wo wir eigentlich froh und glücklich sein sollten, kann uns eine unerklärliche Sorge ergreifen.

Eigentlich ist der Advent eine solche Zeit. Neulich war hier ein deutscher kluger Professor zu besuch, der voller Ernst sagte: Es ist ein großer Fehler, schon im Advent weihnachtspredigten zu halten. Advent ist ja eigentlich eine Fastenzeit, voller Angst, voll von Ernst, wir dürfen Weihnachten nicht vorwegnehmen. Ich erlaube mir, dem klugen Kollegen zu widersprechen: Advent ist so eine Mischung zwischen Freude und Angst, Erwartung und Sorge. Wir die Situation, wo man mit seinem Koffer bereit ist zu reisen - und plötzlich auf die Idee kommt, dass es zuhause eigentlich genauso schön ist.

Wir haben die frohen Prophezeiungen des Jesaja gehört von der neuen Zeit, der Rose die entspringt - von der singen wir ja zu Weihnachten. Und dann dies: Schrecken, Weltuntergang, Angst und Schrecken. Wie passt das zusammen? Da ist wahrlich nicht viel Weihnachten in diesem Text!

Aber trotzdem: Unsere Lebenserfahrung zeigt, dass beides sehr wohl zusammen passt. Wenn etwas Neues kommen soll, muss etwas Altes verschwinden. Weihnachten ist sozusagen nicht umsonst, man muss sich vorbereiten und auskehren, etwas verlassen, ehe es Weihnachten werden kann. Und das Evangelium spricht denn auch von beidem: Angst und Schrecken - und erhobenen Hauptes dem heil entgegengehen., flieht nicht davor

Solange ich mich mit Theologie beschäftigt habe, hat man diskutiert, ob dieser Text nun von der Zukunft handelt oder vom Leben hier und jetzt. Wann ist der Tag des Gerichts, irgendwann in der Zukunft oder hier und jetzt, wo das Leben auf dem Spiele steht. Ich denke, das ist keine Alternative, beides ist der Fall - die Zukunft und das Leben hier und jetzt, die ganze Welt, und meine kleine Welt.

Was tut man, wenn man froh und ängstlich zugleich ist? Das Evangelium gibt eigentlich eine naheliegende und fast banal klingende Antwort auf diese Frage: Seid wach, Wacht und betet! Flüchtet nicht vor dem Leben - weder vor dem, was gefährlich ist und vor dem, was Freude bedeutet - flüchtet nicht in Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung. Beschwert nicht eure Herzen, seid wach. Es gibt viele Möglichkeiten, sich das Leben vom Leibe zu halten. Trunksucht, Flucht in die Arbeit, oder die Kombination von beiden. Das ist bestimmt nicht harmlos. Wir sollen unser Leben nicht in dieser Weise „wegwerfen", es geht darum, „wach zu sein"! Die Angst nicht dadurch bekämpfen, dass man sie verdrängt. Es ist legitim zu schlafen, wir brauchen Schlaf, es ist auch legitim zu vergessen - das tun wir wen n wir feuern, in guten Stunden, wo wir alles vergessen, was uns plagt und bedrückt. Das tun wir ja auch zu Weihnachten. Aber nicht immer, dann würden wir uns selbst betrügen. Es geht darum, wach zu sein und ehrlich zum Leben und zu sich selbst. Nicht sein Herz beschweren, betäuben, nicht vor dem leben fliehen, sondern wach sein, ich würde es übersetzen mit gegenwärtig sein, das ist der Kern des heutigen Evangeliums, der Kern der Adventszeit. Nicht - oder nicht nur - Gemütlichkeit - sondern Gegebwätigkeit.

 

Wach sein und beten, gegenwärtig sein in seinem eigenen Leben! Das erinnert mich an eine sehr bewegende Geschichte meiner Tante Magdalene, die war Gemeindeschwester während des Kirchenkampfes in der Nazizeit in Bremen in der Bekennenden Kirche. Man hatte einen Pastor angestellt, der kein Nazi war, aber sonst hatte man nichts, nur eine Schubkarre mit Gesangbüchern. Gottesdienst hielt man während des Krieges in Kellern und anderen Räumen, die man bekommen konnte - kein einziger Gottesdeinst musste ausfallen in der ganzen Zeit, bemerkt die gute Magdalene stolz. Das war eine reformierte Gemeinde, wo man an sich nicht jeden Sonntag Abendmahl feierte, aber, so Magdalene, wir mussten doch jeden Sonntag das Abendmahl feiern, denn wir konnten ja nie wissen, ob es nicht das letzte Mal war. Eine gute Begründung für das Abendmahl jeden Sonntag - man kann nie wissen, ob es das letzte Mal ist, das ist christgliche Wachsamkeit.

Einen anderen Zug an Magdalene will ich hervorheben aus ihren Erinnerungen. Am Schluss schreibt sie, wie sie nach dem Kriegsende das alte Gemeindehaus besuchte. Alles war zerbombst und in Schutt und Asche, aber auf wunderbare Weise war der Eingang stehengeblieben, ein Mauerrest mit der Inschrift: „Jesus Christus gestern, heute, morgen, und derselbe auch in alle Ewigkeit". Das war ihr Testament für die jungen Leute heute. Eine wunderbare Mischung aus Humor und Ernst liegt in diesen Worten, das eine kann nicht sein ohne das andere. Amen.



Rektor Professor Eberhard Harbsmeier
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: ebh(a)km.dk

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