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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 07.12.2014

Predigt zu Lukas 21:25-33, verfasst von Regula Enderlin Cavigelli

 

25 Es werden Zeichen
erscheinen an Sonne und Mond und Sternen und auf Erden ein Bangen unter den
Völkern, so dass sie sich nicht zu raten wissen vor dem Tosen und Wogen des
Meeres. 26 Und den Menschen schwindet das Leben vor Furcht und in banger
Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen. Denn die Himmelskräfte
werden erschüttert werden. 27 Und dann werden sie den Menschensohn kommen sehen
auf einer Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit. 28 Wenn aber das zu
geschehen beginnt, richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung
naht.

29 Und er erzählte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle anderen
Bäume! 30 Wenn sie ausschlagen, und ihr seht es, wisst ihr von selbst, dass der
Sommer schon nahe ist. 31 Genau so sollt ihr, wenn ihr dies alles geschehen
seht, wissen, dass das Reich Gottes nahe ist. 32 Amen, ich sage euch: Dieses
Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht. 33 Himmel und Erde
werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.


Liebe Gemeinde,

wie geht es Ihnen, wenn Sie diesen Text hören? Welche Bilder
steigen in Ihnen auf? Gibt es da überhaupt Bilder oder doch eher nur
Stirnrunzeln? „Es werden Zeichen erscheinen an Sonne und Mond und Sternen und
auf Erden ein Bangen unter den Völkern", heißt es da. Ja, es sind wirre Zeiten.
Die Zeichen stehen auf Sturm. Es ist nicht vorstellbar, dass das auf Dauer gut
kommt.

Wenn ich das so sage und mir dabei zuhöre, dann bleibt
offen, ob ich nun diesen biblischen Text nacherzähle, oder ob ich von unserer
Zeit spreche. - Wird das gut kommen? Wer von uns fragt sich das nicht immer
wieder? Wir fragen uns das im doppelten Sinne: mit Blick auf die Welt - wir sehen
da Krieg, Krankheit, Not. Aber wir fragen uns das auch mit Blick auf unser
eigenes Leben, unser Leben in dieser Welt. Wir fragen uns das, wenn wir vor
unserem Innersten und vor Gott Rechenschaft ablegen über unser Leben.


Vergegenwärtigen wir uns unseren Text noch einmal! Es heißt
da: „Den Menschen schwindet das Leben vor Furcht und in banger Erwartung der Dinge,
die über den Erdkreis kommen. Denn dieHimmelskräfte werden erschüttert werden." Ein apokalyptisches Bild. Ein Bild vom Ende der Welt, vom Ende der Zeit. So groß dieser Schrecken ist, er verliert in der biblischen Erzählung seinen Stachel mit dem gleich
anschließenden Versprechen, dass „sie - die Menschen - den Menschensohn mit großer
Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke werden kommen
sehen." Ein
gigantisches Bild: In dieser Situation, wo alles, aber auch wirklich alles,
Himmel und Erde, aus den Fugen gerät, da tritt der Retter in aller Macht und
Herrlichkeit auf einer Wolke auf die Bühne. Auf einer zarten Wolke. Aber der
darauf steht, ist nicht zart und schwach, im Gegenteil, er kommt in Macht und
Herrlichkeit.


Es sind diese Gegensätze, die den Text auf den ersten Blick
so wenig nahbar wirken lassen. Ein erster Gegensatz besteht zwischen dem
geschilderten - ich möchte sagen - „Weltuntergang" und der plötzlichen
Errettung. Und dann der Gegensatz zwischen der Macht und Herrlichkeit des
Retters und der weichen Wolke, auf der er steht. Und als ob der Gegensätze noch
nicht genug wären, ein dritter: jener zwischen der geschilderten Not und der
nahen Errettung. In dieser Spannung, welche in diesem Text durch diese
Gegensätze aufgebaut wird, kommt die Aufforderung, die mich besonders berührt.


Es heißt: „Wenn aber das zu geschehen beginnt, richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht." Es ist die Aufforderung: Geht aufrechten Ganges mitten in
Angst und Schrecken, mitten in der Not! Habt Vertrauen! Kriege, einer grausamer
geführt als der andere, sie bedrohen derzeit alles, was uns an Werten wichtig
ist. Denken wir nur an die Enthauptungen durch die ISIS, die Armee, die einen
islamischen Staat erkämpfen will. Seuchen wie Ebola bedrohen unser Leben. Wir
hören von Leid und Not tagein, tagaus.


Aber zum Glück hören wir auch immer wieder von Menschen, die
aufrechten Ganges gegen das Unrecht, gegen das Leid kämpfen. Mit Hoffnung und
Vertrauen. Ich denke an diesen Arzt, der sich als Familienvater entschlossen
hat, trotz Gefahr den Kampf gegen Ebola aufzunehmen. Er will Menschen Hoffnung
geben. Gerade in diesen Situationen, wo wir uns von Gott verlassen sehen,
erkennen wir in solchen Menschen, dass Gott ganz nah ist. Dass Rettung nahe
ist. Vielleicht näher als sonst.

Nicht umsonst berühren solche Geschichten unser Herz. Es
sind in der Bibel oft die Sätze, über die ich zu Beginn stolpere, die mich beim
genaueren Nachdenken besonders berühren. Hier ist es der Satz: „Wenn aber das zu geschehen beginnt, richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht." Es wäre ja noch verständlich, dass wir unsere Häupter erheben sollen, wenn der Retter auf
seiner Wolke heranbraust. Wer macht sich nicht gerne groß in dem Moment, wo die
Rettung in Sicht ist. Aber nein, das Zeichen ist nicht die Wolke, sondern die
Zeit, in der die Himmelskräfte erschüttert werden. In dieser Zeit sollen wir
unser Haupt erheben. Das braucht Mut. Das braucht Kraft. Das braucht vor allem
Vertrauen. Vertrauen, dass da wer ist, der rettet, der uns in unserer
Zerrissenheit ganz macht.

Unser Text ist ein Text voller innerer Spannung. Die Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, aber auch die Spannung zwischen Stärke und Schwäche. Gerade wenn uns Gott unendlich fern scheint, ist er uns vielleicht ganz nah. Dann, wenn wir aufrechten Gangs nach ihm Ausschau halten.
Wir Menschen haben im Paradies vom Apfel gekostet, vom Baum der Erkenntnis von
Gut und Böse. Seither können und müssen wir uns zwischen Gut und Böse
entscheiden. Seit diesem Moment realisieren wir Menschen, wie wir uns immer
wieder von dem entfernen, was wir als das Richtige oder eben das Gute erkennen,
von dem, was dem Leben - der Welt - förderlich ist. Wir verfehlen immer wieder,
was wir im Grunde unseres Herzens wünschen. Das ist es, was wir als Schuld
oder, mit dem religiösen Wort gesagt, als Sünde erleben.

Gerade in schwierigen Zeiten, wie sie in dramatischer Form
in unserem Bibeltext geschildert werden, verkriechen wir uns oft gerne. Wir
hoffen, dass so der Schrecken an uns vorüber zieht. Dies auch, wenn wir spüren,
dass jetzt beherztes Handeln - eben der aufrechte Gang oder das erhobene Haupt
- gefordert wäre. Das Gleichnis führt uns noch einmal, aber auf andere Weise,
an dieses Thema heran. Hören wir:

„Seht den Feigenbaum und alle anderen Bäume! Wenn sie ausschlagen, und ihr seht es, wisst ihr von selbst, dass der Sommer schon nahe ist. Genau so sollt ihr, wenn ihr dies alles
geschehen seht, wissen, dass das Reich Gottes nahe ist. Amen, ich sage euch:
Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht."


Das Zeichen der Knospen, das verstehen alle Menschen. Es
zeigt uns den nahen Sommer an. Wenn wir dieses Zeichen nicht verstehen würden,
sähe der Baum im Frühjahr genauso tot aus wie im Winter und wir könnten nicht
im Vertrauen auf den nahen Sommer und die reifenden Früchte leben. Genau so -
so heißt es im Gleichnis - soll es mit uns Christen sein: So wie wir das
Zeichen des knospenden Feigenbaums verstehen, sollen wir auch die Wirren der

Zeit als Zeichen der Nähe Gottes lesen und verstehen können. Und, wir sollen
gerade in diesen Zeiten zuversichtlich sein und aufrechten Ganges gehen. Nur
aufrecht sind wir Gott ein Gegenüber, ein Ebenbild. Wenn auch ein
zerbrechliches.

Mir gefällt das Bild des zerbrechlichen Menschen, der
erhobenen Hauptes und aufrechten Ganges auf Gott horcht. Der Schweizer
Schriftsteller Hans Rudolf Hilty hat die Seligpreisungen des
Matthäus-Evangeliums (Mt 5, 1-12) mit der Wendung „aufrechter Gang" übersetzt.
„Selig sind die, die in ihrer Bedrängnis aufrecht gehen." Wir brauchen dazu
keine Helden zu sein, Menschen, die keine Furcht kennen. Auch Jesus hat in
seiner Not gebetet: „Lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!" Aber wir können
immer wieder versuchen, uns in unserem Leben aufzurichten, auf Gott
auszurichten, auf ihn zu hören. Ihn nahe wissen, gerade wenn er fern scheint.

Amen.

 



Regula Enderlin Cavigelli
Zürich
E-Mail: regula.enderlincavigelli@uzh.ch

Bemerkung:
Diese Predigt zu Lukas 21,25-33 wurde in einem homiletischen Seminar in Zürich erarbeitet mit dem Ziel, sie hier im Internet zu veröffentlichen.



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