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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2014

Predigt zu Matthäus 11:2-6, verfasst von Uwe Michelsen

Das kann man immer wieder hören: „Adventszeit heißt Wartezeit. Warten auf den Herrn."

Ist das so richtig? Kann eine Wartezeit geschenkte, erfüllte  Zeit sein?

Warten ist nicht jedermanns Sache. Es gibt angenehmere Orte als Wartezimmer oder Wartesäle.

Da stehe ich auf dem kalten Bahnsteig und warte. Wieder einmal Verspätung. Wieder diese unpünktliche Bahn; dabei ist doch gar kein Streik! Man flucht vor sich hin: wieso kriegen die das nicht in den Griff?! Also: Warten. Etwas anderes bleibt mir ja nicht. Und ich sage mir leicht frustriert: Wartezeit ist verschenkte Zeit.

Manchmal kommt es mir so vor, als liefe alles nach dem abschätzigen Muster „Abwarten und Tee trinken!". Nur nicht ärgern! - Es wird schon. Kopf hoch, Alter! In der Ruhe liegt de Kraft!

Beim Warten kann leicht Ungeduld aufkommen. Wenn die Handwerker Termine nicht halten, das Paket nicht eintrifft, der Freund nicht pünktlich zur Verabredung kommt: Immer hat es irgendeiner verbaselt.

Und wie ist das nun mit dem Advent? Ist das auch eine verschenkte Wartezeit? Vier (oft verkaufsoffene) Sonntage! Vier Kerzen am Adventskranz! Vierundzwanzig Fenster am Adventskalender. Warum werden wir so lange auf die Folter gespannt? Könnte man nicht ohne so viel Brimborium zur Sache kommen? Warum sagt man nicht gleich „Freut euch, Christ ist geboren, feiert mit uns Weihnachten"? -

Die gute „Alte" Kirche wird sich schon etwas dabei gedacht haben, wenn sie diese adventliche Wartezeit vor das große Fest von Christi Geburt platziert hat.

Warum das so ist, wird an den Texten für den dritten Advent  besonders deutlich. Die entscheidende Person des heutigen Adventssonntags ist Johannes der Täufer. Der letzte Prophet. Das war einer, bei dem wir das Warten lernen können.

Als Jesus predigend durch Palästina wanderte, um seine Botschaft vom herannahenden Reich Gottes zu verbreiten, da saß Johannes hinter Schloss und Riegel. Auf Befehl des König Herodes Antipas hatte man ihn ins Gefängnis abführen lassen. Dort wartete Johannes auf seinen Prozess, auf ein gerechtes Urteil.

Warum Johannes gefangen gehalten wurde, ist nicht ganz klar. Vermutlich aus zwei Gründen: zum einen, weil Johannes öffentlich die zweite Heirat des Königs, nachdem er seine erste Frau verstoßen hatte, verurteilt hatte; zum anderen, weil der König wohl befürchten musste, dass die prophetische Bußpredigt vom Herannahen des Reiches Gottes zur Revolte im jüdischen Volk führen könnte. Also aus Angst.

Im Gefängnis lernt man das Warten. Man zählt entweder die Tage bis zum Prozess oder bis zur Entlassung. Im schlimmsten Falle zählt man die Tage und Stunden bis zur Hinrichtung. Dies sollte auf Johannes noch zukommen. Doch noch weiß er nicht, dass die königliche Stieftochter Salome eines Tages als Belohnung für einen Tanz seinen Kopf verlangt. Präsentiert auf einem Teller. So sollte dieser Johannes zum  Märtyrer werden.

Soweit sind wir aber noch nicht. Hier in unserer Evangelium geht es um die Gefängniszelle des in Ketten liegenden Johannes. Er, der  Monate zuvor am Jordan Jesus getauft hatte, will nun genau wissen, was aus diesem besonderen Täufling geworden ist. Johannes hat ja auch Zeit zum Nachdenken. Schon damals bei der Taufe ist ihm klargeworden: dieser Jesus ist nicht irgendeiner. Er muss ein göttliches Charisma haben. Und im Taufbericht heißt es  entsprechend, dass sich der Himmel geöffnet habe und der Geist Gottes sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, heute habe ich dich gezeugt!"

Seitdem wartete Johannes auf mehr. Er hofft auf weitere Offenbarungen, die ihm endgültig die Augen über das Geheimnis dieses Jesus von Nazareth öffnen sollten.

Und deswegen wartet er nicht nur still  und gottergeben, sondern gibt seinen Freunden, die offensichtlich die Besuchserlaubnis hatten, den Auftrag, Erkundungen einzuholen.  Denn es hatte sich bis in die Gefängniszellen herumgesprochen, dass es mit diesem Jesus von Nazareth etwas Besonderes auf sich habe.

Aber was genau ist da los mit diesem Wanderprediger? Johannes lässt ganz direkt fragen: „Bist du es, der da kommen soll oder sollen wir eines anderen warten?" Er stellt die für ihn ganz entscheidende Messiasfrage. Denn das war bisher der Lebensinhalt des Täufers Johannes: Buße und Umkehr zu predigen angesichts des unmittelbar bevorstehenden Kommens des Messias.

Damit hatten Johannes und seine jünger bisher ihr Leben zugebracht. Mit dem Warten auf den Herrn, den Retter Israels, den König aller Könige, den Sohn Gottes.

Dieses Warten soll nun ein Ende haben. Denn auf die Frage der Johannesjünger, ob er denn nun der Messias sei, antwortet Jesus zwar nicht mit „ja" oder „nein", aber er benennt die Taten und Zeichen, an denen er als Sohn Gottes erkennbar ist.

Blinde sehen und Lahme gehen. Aussätzige werden rein und Taube hören. Tote stehen stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Das Warten ist vorbei. Diese frohe Botschaft darf jetzt Johannes im Gefängnis hören. Auf seine zögernde Frage, ob in Jesus denn nun der wahre Gott sichtbar geworden sei oder die Menschheit auf einen anderen warten solle, werden ihm die Augen geöffnet. Das Warten hat sich gelohnt. Jedenfalls für Johannes.

Worauf sollen wir heute warten?  Ist mit diesem Evangelium  nicht alles ein für allemal klar? Müssten wir nicht über jeden Zweifel erhaben sein? Die Sache mit Jesus hat sich doch peu à peu durchgesetzt; seit Kaiser Konstantin wurde das Christentum sogar Staatsreligion.

Aber: Können wir uns unserer Sache wirklich sicher sein, dass in diesem Jesus Nazareth das Heil der Welt begründet ist?  Stimmt es denn, dass Lahme gehen, Blinde sehen und den Armen das Evangelium gepredigt wird? -

Nein. Es stimmt nicht. In unserer Welt bleibt so vieles dunkel. Krankheit und Tod, Hungerödeme an Leib und Seele beherrschen unser Leben weiterhin. Es gibt zwar die großartigen Diakonischen Werke, Brot für die Welt, Caritas und was sonst wir an Strukturen geschaffen haben, um der Not Einhalt zu gebieten. Es ist gut, wenn wir nicht die Hände in den Schoß legen und es ist für uns Christen geboten, unsere Augen nicht vor Unrecht, Gewalt und Gemeinheiten zu schließen. Aber bei all unserer Wachheit und all unserem Tatendrang wissen wir:  all dies bleibt Stückwerk und kann nur einen Vorgeschmack auf eine erlöste Welt sein.

Was uns bleibt, ist das Warten. Wir leben im Advent. Wir warten auf auf den definitiven Anbruch des Reiches Gottes. Zum Trost können wir wissen, dass dieser Gott auf uns zukommt. Und das kann uns von jedem Druck befreien.

Aber. (Wieder mal ein Aber!)  Vielleicht gilt es doch, dass das Abwarten nicht immer der beste Weg ist. Manchmal sollte man einfach einmal alles Fesselnde loslassen. Einfach mal springen - so als wären wir Kinder. Jesus hat gesagt, da sei man schon auf dem allerbesten Weg.

Man müsste mal wieder Quatsch machen,

man müsste mal wieder laut lachen,

man müsste mal wieder lustig pfeifen,

man müsste mal wieder zu den Sternen greifen.

 

Man müsste mal wieder einfach verreisen,

man müsste mal wieder auf alles werfen,

man müsste mal wieder spazieren gehen,

man müsste mal nicht immer nach dem Rechten sehn.

 

Man könnte ja manchmal einfach was wagen,

man müsste ja manchmal nicht alles ertragen,

man könnte ja Mahnmal sich selber pflegen,

mehr innen als außen, na meinetwegen.

 

Ich würd mal mal wieder gern tanzen im Regen,

ich würd mich mal wieder gerne in eine Wiese legen,

ich würde mal wieder gerne Lieder singen,

ich würde mal wieder gern über die Mauer springen.

 

Lass uns die Zeiger der Uhr anhalten

und lass uns heut einfach die Zeit ausschalten.

(THOMAS KNODEL)

 

Amen   



Pastor i.E. Uwe Michelsen
Hamburg
E-Mail: uwemichelsen@icloud.com

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