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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2014

Wegbereitung
Predigt zu Matthäus 11:2-6, verfasst von Marc Wischnowsky

Liebe Gemeinde,

 

was mag in ihm vorgehen, Johannes, den wir den Täufer nennen. Weil er die Menschen eingeladen hat damals am Jordan, sich im Namen Gottes rein waschen zu lassen von ihren Sünden. Johannes, der Prophet, der seinen Auftrag so ernst nahm, dass er ohne Scheu das Unrecht anprangerte, das Menschen begingen. Ohne Scheu auch vor den Mächtigen, was ihn am Ende den Kopf kosten wird.

Nun sitzt er ein, im Gefängnis, in der Todeszelle.

Dabei war er doch so voller Gewissheit gewesen. So konnte er den Menschen ins Gewissen reden. Er hatte sich verstanden als den Wegbereiter, von dem Jesaja sprach.  Für einen, der mit noch größerer Vollmacht antreten würde. Und so sicher war er sich gewesen, ihn in Jesus von Nazareth gefunden zu haben. Der ihm zum Jünger geworden war, sich von ihm taufen ließ, der, der da kommt.

Was mag in ihm vorgehen, dass er jetzt, wo er von den Taten Jesu im Lande hört, seine Jünger zu ihm schickt aus seinem Gefängnis mit der bangen, vielleicht auch provozierenden Frage: Bist du es der da kommen soll, oder sollen wir auf anderen warten? Bist du es, der da kommen soll oder müssen wir noch weiter warten?

Johannes, der Wegbereiter.

Die Zeit der Wegbereitung, das ist Advent: Vorbereiten, Warten, Erwarten - aber eben auch dies: eine Zeit der Anfechtung und des Zweifels. Bist du es? Kommst du wirklich? Oder warten wir womöglich vergebens?

Die Außenseite dieser Erwartung ist sichtbar. Hell leuchten in den Straßen die Sterne und Kränze, geschmückt sind die Bäume. Engel und Weihnachtsmänner lachen uns an. Die Weihnachtsmärkte brummen. In den Schaufenstern glänzt die Verführung zu weiterem Konsum. Der Einzelhandel meldet Verkaufsrekorde ...

Ich gestehe, ich komme da manchmal nicht hinterher. Da ist wenig Warten und viel Geschäftigkeit. Vieles will noch erledigt werden. Geschenke müssen besorgt, die Planungen für das Fest abgeschlossen werden. Wen darf ich nicht vergessen? Haben wir genug? Wo feiern wir und wie? Da verliert man schnell aus den Augen, worum es am Ende geht.

Und so klingt die Frage des Johannes manchmal anders in mir: Bist du es - oder erwarten wir eigentlich etwas anders? 

Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

Darin liegt ja die Pointe von Jesu Antwort in unserem Evangelium: Glücklich, wer sich nicht an mir stößt. Ja, aber warum denn? Was sollten wir denn Anstößiges finden an dem Kindlein in der schummrig erleuchteten Krippe: holder Knabe im lockigen Haar?

Alte Sehnsüchte nach heiler Welt, nach Wärme und Geborgenheit, wenn uns die Gerüche von Bratäpfeln, Zuckerwatte und Glühwein einholen. Einmal im Jahr wenigstens Ruhe vor schlechten Nachrichten. Einmal im Jahr wenigstens die Kinder sehen. Einmal im Jahr harmonische Familie.  Und doch ahnen wir, wie brüchig diese Erwartung ist. Keine noch so gute Festvorbereitung kann das sichern. Was uns das Jahr über beschäftigt, es wird am Heiligen Abend nicht einfach verschwinden. Unsere familiären Auseinandersetzungen lassen sich nicht unter den Weihnachtsteppich kehren. Die Welt hält nicht still. Das Evangelium ist ja nicht der Zuckerguss über unsere Festtagseuphorie. Weihnachten erschließt sich uns nicht im niedlichen Angesicht der Rauscheengel. Die Sehnsucht trägt. Aber echte Hoffnung braucht einen tieferen Grund.

Einen Anstoß: Es ist der Gefangene, der nach Jesus ruft. Es sind die Lahmen, die gehen werden, die Blinden, die sehen werden, die Kranken, die heilt werden. Es sind die Armen, denen das Evangelium verkündet wird. Die Geburt, auf die wir zugehen, geschieht in einem Stall, und daran ist nichts Romantisches. Im Dreck der Tiere haust diese Flüchtlingsfamilie aus Nazareth und im unschuldigen Gesicht des Kindes in der Futterkrippe schauen wir schon das Angesicht des Gemarterten am Kreuz.

Selig, wer das nicht anstößig findet.

 

Die Nacht ist vorgedrungen,

der Tag ist nicht mehr fern.

So sei nun Lob gesungen

dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet,

der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet

auch deine Angst und Pein.

 

Jochen Klepper hat das gedichtet, noch einer, dem der Tod vor Augen stand.

Es geht gerade nicht darum, Angst und Pein zu verdrängen. Es geht darum, hin zu schauen, ehrlich zu sein mit sich und der Welt. Es ist geht ja gerade um das, was mich belastet, bedrückt, schuldig macht. In alter Tradition ist Violett die Farbe des Advents: eine Bußzeit. Es ist gerade das, was mein Vertrauen erschüttert, meine Begrenzungen und meine Zweifel, um die es Gott zu tun ist. Dafür kommt er zu uns in diesem Kind.

 

Dem alle Engel dienen,

wird nun ein Kind und Knecht.

Gott selber ist erschienen

zur Sühne für sein Recht.

Wer schuldig ist auf Erden,

verhüll' nicht mehr sein Haupt.

Er soll errettet werden,

wenn er dem Kinde glaubt.

 

Ich habe vor meinen Augen eine Karikatur von Thomas Plaßmann: Zwei Eltern gehen mit ihrem Sohn spazieren. Der ist vielleicht sechs. Sie fragen, was man so fragt in diesen Tagen: „Na, und was bringt dir das Christkind?" Und was antwortet der Kleine, lächelnd und mit leuchtenden Augen? „Erlösung!" 

Um nichts Geringeres geht es. Für uns alle, die wir so blind sind für das Leid nebenan. Für uns alle, die wir so lahm sind, wenn es darum geht, unsere Tür demjenigen zu öffnen, der ohne Obdach ist. Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Gott nimmt dem Tod die Macht und lässt Gerechtigkeit hereinbrechen in unsere geängstigte Welt.

 

Liebe Gemeinde,

noch sind wir da nicht. Noch ist Advent. Aber Wegbereitung, das hat Johannes uns vorgemacht, das fordert von uns den klaren Blick und eine ehrliche Bestandsaufnahme. Wir machen es nicht, dass er kommt - zum Glück nicht - aber ein paar mehr Steine weg räumen, das dürften wir schon. Wir können dem Blinden das Augenlicht nicht geben, aber wir können ihm vorlesen. Wir können dem Lahmen das Laufen nicht geben, aber wir können ihn stützen. Die Kranke können wir wohl nicht heilen, aber an ihrem Bett sitzen. Der Armut werden wir nicht Herr, aber müssen wir uns damit zufrieden geben, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter aufgeht? Wir können dem Flüchtling mit Achtung begegnen und wir können den Gefangenen besuchen. Wir können teilen, wovon wir zu viel haben und wir können bedenken und vergeben, was wir aneinander verbrochen haben.

Auch das ist Wegbereitung, wovon Johannes so viel wusste, die Innenseite.

Es gehört zur tiefen Wahrheit des Evangeliums, dass der Christus, auf den Johannes voraus weist - dass dieser Christus uns gerade in dem Armen und dem Kranken, dem Blinden und dem Lahmen begegnet. Er ist mit dem Flüchtlingskind in Friedland und dem Bettler an der Ecke und mit Johannes im Gefängnis. Und das Unfassbare: er ist mit mir meiner Zerbrechlichkeit und Krankheit, in unserer Blindheit und Lähmung ist er schon mit uns. In unserem Warten ist er schon gegenwärtig.

Darin liegt die Gewissheit des Advents.Darin liegt der Grund unserer Hoffnung und unserer Adventsfreude.

 

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld.

Doch wandert nun mit allen, der Stern der Gotteshuld.

 

Lassen Sie uns das singen.

Und Gottes unendliche Barmherzigkeit sei mit uns allen.

 

Amen



Pastor Dr. Marc Wischnowsky
Göttingen
E-Mail: mwischnowsky@arcor.de

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