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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2014

Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert
Predigt zu Matthäus 11:2-6, verfasst von Sven Keppler

I. Ein Whistleblower. Ein Popstar. Kritiker der Herrschenden. Er veröffentlichte die Gesetzesbrüche der Mächtigen. Brach damit ein Tabu. Hatte unzählige Follower. Und bekam den Gegendruck des Machtapparats heftig zu spüren.

Ich spreche nicht von Edward Snowden. Sondern von einem Mann, der sich zweitausend Jahre früher mit den Herrschenden angelegt hat: Johannes der Täufer. Er hat immer wieder den Finger in die Wunde gelegt. Die Steuereintreiber hat er ermahnt: Beschränkt Euch auf die vorgeschriebenen Beträge. Saugt die Menschen nicht aus und wirtschaftet nicht in die eigene Tasche.

Die Soldaten hat er aufgefordert, ihre Waffengewalt nicht zu missbrauchen. Und den religiösen Führern hat er ins Gewissen geredet: Haltet euch nicht für überlegen. Auch Ihr seid auf Gottes Gnade angewiesen!

Den größten Skandal löste jedoch seine Kritik am Königshaus aus. An Herodias. Einer Enkelin von König Herodes. Sie war zuerst mit ihrem Onkel verheiratet. Als der keine Aussicht auf die Macht mehr hatte, verließ sie ihn. Sie überredete einen anderen, herrschenden Onkel, seine Frau zu verstoßen. Und stattdessen sie selbst zu heiraten.

Johannes kritisierte diese machtgierigen Ehebrüche. Offen und un-verschämt. Das Volk bewunderte ihn dafür. Die Menschen strömten zu ihm. Sie erlebten einen religiösen Aufbruch. Die Taufen am Jordan wurden zu einer Massenbewegung. Menschen fragten wieder nach Gott. Selig, wer sich nicht an ihm ärgerte! Aber seine Gegner überzeugte das nicht. Sie warfen ihn ins Gefängnis und demonstrierten ihre Macht.

 

II. Im Gefängnis hörte der Täufer von Jesus. Monate zurvor hatte Johannes auch ihn getauft. Aber nun drang der Ruf von Jesus bis in den Kerker. Deshalb schickte er seine Anhänger zu Jesus. Von dieser Begegnung berichtet Matthäus im 11. Kapitel [lesen: Mt 11,2-6]

Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Das kannte Johannes zur Genüge. Am Ende sollte dieser Ärger ihn sogar den Kopf kosten. Herodias, die Schlange, spann so lange ihre Intrigen, bis ihr Gegner ermordet war.

Auch heute löst ein Prediger dann am ehesten Ärger aus, wenn er politisch wird. Wenn er Partei nimmt. Gar nicht unbedingt im Sinne der politischen Parteien. Aber wer für eine bestimmte politische Maßnahme Partei ergreift, bekommt oft Gegenwind. Wer auf problematische Verhältnisse hinweist, zieht Ärger auf sich. Und wer sogar bestimmte Personen beim Namen nennt, deren Verhalten mit dem Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung schwer vereinbar ist - dem ist der Ärger sicher. Zumindest von den Parteigängern der angeprangerten Personen.

 

III. Aber davon ist bei Jesus gar nicht die Rede. Zumindest nicht in unserem Predigttext. Hier werden nur Ereignisse geschildert, die eigentlich unanstößig sein sollten: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Wer sollte sich daran ärgern?

Mein erster Gedanke: Wir selbst ärgern uns daran. Weil wir es einfach nicht glauben. Allenfalls der modernen Medizin trauen wir das zu. Operationen am Grauen Star. Gehprotesen. Chemotherapie gegen Lepra, also Aussatz. Immer ausgefeiltere Hörgeräte. Durch medizinische Therapie und Technik ist einiges wahr geworden von dem, was Jesus sagt.

Aber halten wir die spontanen Heilungen für möglich, von denen die Evangelien berichten? Sie sind seit vielen Jahren zum Ärgernis schlechthin aufgebauscht worden. Zu einem Ärgernis, an dem sich entscheidet, ob wir als Christinnen und Christen moderne Menschen sein dürfen oder nicht. Für viele ist der Glaube nur dann akzeptabel, wenn es kein Wunderglaube sein muss.

Aus den Heilungen, aus ursprünglich heilsamen, hilfreichen, menschenfreundlichen Handlungen ist ein Ärgernis geworden. Wohlmeinende deuten die Heilungswunder deshalb bildlich, im übertragenen Sinn: Eigentlich soll durch die Wunderberichte doch nur veranschaulicht werden, wie gut uns Menschen das Reich Gottes tut. Wie pfleglich und förderlich, wie human es ist.

Aber prüfen Sie sich selbst. Wenn ich jetzt mit Nachdruck sagen würde: Gewiss gab es spontane Heilungen, wenn Kranke zu Jesus kamen. Ohne Zweifel hat er sie geheilt: die Blinden, Tauben und Lahmen. Sicherlich hat er Tote wieder zum Leben erweckt: Lazarus und die Tochter von Jaïrus.

Steigt dann nicht vielleicht auch in Ihnen ein leiser Ärger auf? Wird jetzt hier in unserer aufgeklärten Volkskirche doch wieder der Wunderglaube gepredigt? Ein Opfer des Verstandes von uns erwartet? - Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!

 

IV. Dazu kommt der menschlich allzumenschliche Ärger, den der Erfolg auslöst. Nicht bei den Erfolgreichen. Nicht bei denen, die den Nutzen davon haben. Sondern bei den Mitbewerbern. Den Kollegen. Den Konkurrenten.

Da spüren die Menschen, dass einer ihnen gut tut. Sie setzen ihre Hoffnung auf ihn. Wenden sich an ihn. Eine Bewegung entsteht. Und die anderen, die ebenfalls helfen möchten, stehen daneben. Erst verwundert. Dann verstimmt. Dann neidisch.

Nichts ist ärgerlicher als der Erfolg des Nachbarn. Als die Beförderung der Kollegin. Als das Lob für die Mitschülerin. Allenfalls unseren Freunden gönnen wir den Erfolg und die Auszeichnung. Aber auch das nicht unbegrenzt.

So wird es auch den Mitbewerbern von Jesus gegangen sein. Den Pharisäern und Schriftgelehrten. Den gewöhnlichen Dorfrabbis. Schon bei der ersten Predigt von Jesus fragten sich die Leute: Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! - Verglichen mit den gewissenhaften und handwerklichen Auslegungen, die sie von ihren Pfarrern gewohnt waren, predigte Jesus ganz anders. Ergreifend. Echt. Glaubwürdig. Und deshalb überzeugend. Wie das wohl die eingesessenen Rabbis gefunden haben? Selig, wer sich nicht an mir ärgert!

Und so zogen sie Vorwürfe gegen Jesus an den Haaren herbei. Er habe auch am Sabbat geheilt. Als ob es verboten wäre, am Feiertag einen Vorgeschmack auf das Reich Gottes zu geben! Er habe sich mit den Sündern verbrüdert. Als ob es nicht gerade darum ginge, die Sünder wieder zu Brüdern und Schwestern zu machen! Er habe sich als Sohn Gottes bezeichnet. Als ob er uns nicht allen die Freiheit geschenkt hätte, zu Gott „Vater" zu sagen.

Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein - selig, wer da nicht neidisch wird!

 

V. Zum Ärgern gibt es hundert Gründe: die politische Aussage, die nicht meinem Standpunkt entspricht; die Erfahrung, die mein Weltbild sprengt; der Erfolg eines anderen, auf den ich neidisch bin. Und wenn ich mich erst einmal ärgere, finde ich tausend Argumente, um meinen Zorn zu begründen.

Gibt es einen gemeinsamen Nenner, auf den all dieser Ärger gebracht werden kann? Ich glaube, dieser Nenner hat mit dem zu tun, der sich ärgert. Er ist nämlich vor allem mit sich selbst beschäftigt. Mit dem eigenen Standpunkt. Der eigenen Art, die Welt zu deuten. Der eigenen Geltung, neben der keiner besser dastehen soll.

An Johannes und Jesus ärgern sich vor allem diejenigen, die beständig um ihr heiliges Ich kreisen. Denn Johannes und Jesus stehen für einen grundsätzlich anderen Lebensentwurf.

Johannes war der Wegbereiter. Auf Bildern sieht man ihn oft mit erhobenem Zeigefinger. Aber nicht, weil er ein Besserwisser war. Sondern weil er auf einen anderen hinwies. Einen, der nach ihm kommen sollte. Deshalb seine Frage: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Und auch wenn Jesus der ist, auf den so viele Generationen gewartet hatten: Auch Jesus geht es nicht um sich selbst. Er ist die fleischgewordene Liebe Gottes. Derjenige, dem es um sein Gegenüber geht. Um den Blinden, dem er die Augen öffnet. Um die Lahme, der er zu neuer Beweglichkeit verhilft. Um die Armen, denen er eine neue Hoffnung schenkt.

Deshalb ist er der Botschafter von Gottes Liebe in der Welt. Denn es entspricht Gottes Wesen, voller überfließender Lebenskraft zu sein. Einer Fülle, die Gott seinen Geschöpfen mitteilt. Dadurch ermöglicht er uns erst zu leben. Und das jeden Tag neu. Ohne ihn könnten wir weder sehen noch gehen, weder hören noch Hoffnung haben. Gott beschenkt uns, egal ob das in unsere Vorstellungen passt oder nicht. Selig ist, wer sich nicht daran ärgert. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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