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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 14.12.2014

Predigt zu Matthäus 11:2-10 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Elof Westergaard

Jes. 35; 1. Kor. 4-1-5; Matth 11,2-10 (dänische Perikopenordnung)

 

Grundtvigs Lied „Blühen wie ein Rosenhag" (Dän. Gesangbuch 78, Salmer på dansk og tysk 60) verbinden wir mit der Adventszeit[1] 

"Blühen wie ein Rosenhag

wird die Wüste wieder,

blühn in einem Jubeljahr

voller Vogellieder,

neigen sich im Strahlentanz

Libanons und Karmels Glanz,

Sarons Lieblichkeiten!

 

2 Keine Hand mehr sinke matt,

und kein Knie mehr wanke,

jede Runzel glätte sich,

sprieße dorre Ranke,

stehe auf gefallner Mut,

fließe leicht unruhig Blut,

Furcht und Gram verschwinde!

 

3 Gott mit uns, es kommt der Herr,

Glauben harret seiner.

Er dem Feind wird bieten Trutz

als des Volks Befreier,

zahlt dem Feind, was ihm gebührt,

und dem Volk, das ihm gehört,

schenkt er doppelt Gnade.

 

4 Da, vom schwarzen Star befreit,

sehen Augen wieder,

taube Ohren, nah und fern,

hören Freudenlieder,

wie ein Hirsch der Lahme springt,

Stammler, stumm geheißen, singt

und hebt klar die Stimme."

 

5 So Jesaja sah und sang

vor des Tempels Lade.

Zeit rann hin, es kam der Tag

voller Licht und Gnade

mit dem Sohn, der noch voll Kraft

sichtbar und verborgen schafft

Paradies aus Wüste.

 

6 Unserm Herrn und seinem Geist

Lob und Preis erklingen!

Sie in unserm Himmelreich

alles wohl vollbringen;

Taube, selbst dem Grabe nah,

Ohr'n, zu hören, finden da,

stumme Lippen singen.

 

7 Laut verkünden Jubeljahr

frohe Neujahrslieder:

"Blühen wie ein Rosenhag

wird die Wüste wieder,

neigen sich im Strahlentanz

Libanons und Karmels Glanz,

Sarons Lieblichkeiten!"

 

Jes.35,1-6. Grundtvig-Werkstatt 1983 und 1995

 

Dieses Lied entnimmt seine Bilder dem Alten Testament, dem Propheten Jesaja, das 35. Kapitel, eine Lesung des heutigen Sonntags.

Die Prophetie des Jesaja ist ein Jubelruf, in dem er eine starke Erwartung und eine goldene Hoffnung auf den Gott zum Ausdruck bringt, für den alles möglich ist. Gott will, so der Prophet, die Wüste und die Heide in blühende Rosengärten verwandeln. Gott wird die Hände der Mutlosen und die Knie der Kraftlosen stärken. Er bringt Taube zum Hören und öffnet die Augen der Blinden, so dass sie sehen können.

Bei Johannes dem Täufer und seinen Jüngern waren diese Prophezeiungen ein Grundton in ihrem Leben, gleichsam als ein Horizont für sie. Sie hatten deshalb ein Gespür dafür, wer diese Verheißungen erfüllen und diesen Traum, diese Hoffnung wahrmachen konnte, die der Prophet in sich trug. Johannes der Täufer schickte aus seiner Gefangenschaft einige seiner Jünger zu Jesus, um ihn zu fragen, ob er der Messias sei, den sie erwarteten: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir, oder sollen wir eines anderen warten?" fragten die Jünger. Jesus verwies sie auf das, was sie vor sich sehen konnten mit ihren eigenen Augen, dass die Augen der Blinden geöffnet wurden, dass Taube wieder hören konnten. Jesus antwortete ihnen in der Weise, dass ihnen, wenn auch indirekt, klar wurde, dass er, Jesus, die Erfüllung der Prophetie des Jesaja war.

 

Menschen-Weisheit und goldenes Zeitalter

Grundtvigs Lied Blühen wie ein Rosenhag ist wie die Prophetie des Jesaja voll von freudiger Erwartung und großer Hoffnung auf das göttliche Heil. Der dänische Liederdichter leitet sein Lied mit diesen Worten ein: „Blühen wie ein Rosenhag / wird die Wüste wieder, / blühn in einem Jubeljahr / voller Vogellieder!"

Grundtvigs Rede von einem Jubeljahr, dem goldenen Zeitalter bezieht sich natürlich auf den Glauben an den Sohn Gottes und sein Kommen auf Erden. Er weiß, dass die Prophezeiung schon wahrgeworden ist. Die Heilige Nacht und der Ostermorgen zeigen davon. Der Sohn Gottes wurde geboren, und er starb und stand auf von den Toten. Jesus Christus ließ Taube hören und öffnete die Augen der Blinden. Aber für Grundtvig war es zudem wichtig hervorzuheben, dass der Prophet nicht seine gegenwärtige Kraft und Bedeutung eingebüßt hat. Menschen, geboren nach der Zeit Jesu, leben nicht nur in einem verblichenen Verhältnis zu den großen Visionen der Prophetie und dem goldenen Zeitalter erfüllter Verheißungen. Wie Grundtvig sein Lied beschließt: „Laut verkünden Jubeljahr / frohe Neujahrslieder: / ‚Blühen wie ein Rosenhag / wird die Wüste wieder ...". Die Visionen des Propheten können noch immer in der Zeit sprechen und dazu beitragen, unserem Leben Richtung und Ziel zu geben.

 Der Liederdichter Grundtvig (1783-1872) hatte große Erwartungen an seine eigene Zeit. Er sah gerne eine Erweckung des Volkes in Dänemark, und er meinte in aller Unbescheidenheit, dass er selbst mit seinen Liedern und seinem Wirken dazu beitragen konnte. Grundtvig hoffte auf ein goldenes Zeitalter, geprägt von frohen Neujahrsliedern.

Die Hoffnung auf ein goldenes Zeitalter nährt sich oft aus den Mängeln, as man in der eigenen Zeit findet. Das, was man gerne  anders haben möchte. Was Grundtvig vermisste, wird deutlich, wenn man die ursprünglich viel längere Version des Liedes Blühen wie ein Rosenhag liest. Das Lied ist ein Protest gegen ein rationelles und ausschließlich vernunftorientiertes Denken und Leben. Der Rationalismus hat, so Grundtvig, die Leute taub und blind werden lassen, außerstande, die lebendige Macht zu ergreifen, die der Geist Gottes ist. Menschen-Weisheit, d.h. das eigene Wissen, die eigene Macht und Vernunft des Menschen .  Der Mensch kann aber nicht nur von Menschen-Weisheit leben. Das wäre gleichsam aus nur einem Element des Schöpfungsberichtes zu leben, nämlich dem Staub, der Erde. Eigentliches Leben erfordert auch Geist, dass Gott den Lebensgeist in die Nase des Menschen bläst. Geist schafft Leben.

 

Die gegenwärtige Kraft der Prophetie

Grundtvig hatte ein starkes Vertrauen darauf, dass er in einer besonderen Zeit lebte, an der Schwelle zu einem neuen goldenen Zeitalter.  Wir, die wir heute leben, würden wohl weniger mit den großen Worten Grundtvigs reden, hätten wohl kaum ein so großes Vertrauen in die Zeit, in der wir leben, und eine so starke Erwartung auf die kommenden Tage. Wir haben vielleicht eher das Gefühl, dass wir uns in einem verblichenen Abglanz früherer starker Erweckungen und kirchlicher Volksbewegungen befinden. Der Kirchenbesuch war wohl auch damals viel besser? Waren sie nicht in alten Tagen viel stärker im Glauben? Kannten sie nicht damals alle Lieder und biblischen Geschichten und fühlten sich in einer anderen und ganz natürlichen Weise dem kirchlichen Leben verbunden?

Ich weiß nicht, wieviel an einer solchen Beschreibung der Vergangenheit als stärker und kraftvoller eigentlich dran ist. Unsere Zeit ist eine andere als die, in der Grundtvig sein Lied Blühen wie ein Rosenhag schrieb, aber sowohl die Worte des Propheten Jesaja als auch das Lied Grundtvigs erzählen uns nicht von etwas, was längst geschehen ist, und von Prophezeiungen, die schon längst erfüllt sind. Die Prophezeiung des Jesaja ist nicht nur einer Prophezeiung, die mit der Geburt Jesu im Jahre Null erfüllt ist, und die Rede des Liedes von einem goldenen Zeitalter ist auch nicht identisch mit dem längst vergangenen dänischen goldenen Zeitalter und einer Zeit, bevor die Welt entzaubert und modern wurde. Die Prophezeiung des Jesaja, dass die Wüste und das trockene Land blühen soll, dass Gott die mutlosen Hände und die zitternden Knie stäken soll, ist und bleibt auch ein Wort in unsere Zeit. Die prophetische Verheißung hat sogar heute genauso große Gültigkeit. Die Prophezeiung Jesajas ist noch eine ein verheißungsvolles Wort zum Trost und zur Ermunterung in der nicht perfekten und unvollendeten Welt, in der wir Menschen leben und wohnen.

Auch heute können wir nur von dem leben, was wir selbst denken und schaffen. Die Fähigkeit des Menschen zum Denken und zur Gestaltung seiner Welt ist zwar formidabel, unsere Fähigkeit, Systeme zu erdenken und das Innere und Äußere offenzulegen, ist ganz enorm. Wissen ist somit nicht zu verachten, aber wir können jedoch nicht nur von dem leben und uns beherrschen lassen, was wir selbst aufgedeckt und erfunden haben. Die Vernunft des Menschen, die Rationalität unseres Denkens, sind und bleiben begrenzt. Die Systeme, die wir uns ausdenken, machen uns zuweilen geradezu ratlos.[2] Wenn wir nur unserer eigenen Sprache folgen, werden unser Leben und unserer Welt und unser Leben mit einander ziemlich eingeschränkt und alles recht eng. Das, was unser Leben trägt, die tiefsten Beziehungen, ist deshalb gottseidank nicht von uns selbst geschaffen, sondern der Liebe entsprungen, mit der uns Gott entgegentritt.

In Gott begegnen wir der Liebe, die nicht sich selbst sucht, die ihr Wort Fleischwerden ließ und deren Geist, so müssen wir hoffen und beten, uns ins Blut geht. Im Namen Jesu - Amen.



[1] Grundtvig verbindet das Lied ursprünglich mit der Pfungstliedern. Hier die deutsche Übersetzung des Liedes nach dem deutsch-dänischen Gesangbuch.

 

[2] Das Paradoxale ist, dass der Mensch nicht-menschliche Systeme zu schaffen pflegt, Leben, in dem es sich nicht gut leben lässt.



Bischof Elof Westergaard
DK-6760 Ribe
E-Mail: eve(at)km.dk

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