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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2014

Freude trotz der Dunkelheiten
Predigt zu Lukas 1:46-55, verfasst von Klaus Wollenweber

Liebe Gemeinde,

im 1.Kapitel des Lukas-Evangeliums wird von einem Besuch der Maria bei Elisabeth erzählt. Beide Frauen sind schwanger. Elisabeth wird den Johannes und Maria den Jesus zur Welt bringen. Innerhalb der Erzählung von dieser einzigen Begegnung der beiden Frauen finden wir das sog. Magnificat, den Lobgesang der Maria. Vielfach ist er musikalisch vertont und in gottesdienstliche Liturgien eingebaut worden. Dieser Lobgesang der Maria steht in der Tradition jüdischer Lieder, wie wir sie ähnlich in den Geschichtsbüchern der hebräischen Bibel und in den Psalmen entdecken können. Es geht in diesen Liedern um den Schöpfergott, um die großen Heilstaten Gottes.

Ich lese aus dem 1.Kapitel des Lukas-Evangeliums die Verse 46-56:

  

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.

Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan,

der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht

bei denen, die ihn fürchten.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm

und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron

und erhebt die Niedrigen.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern

und lässt die Reichen leer ausgehen.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit

und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern,

Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

 

Was für ein Bild von Gott, liebe Gemeinde! Verwundert und wieder neu fragend habe ich diesen Lobpreis der Maria gelesen und bin sofort an den Handlungsweisen Gottes in der Welt der Menschen hängengeblieben: Wo übt denn Gott mit seinem Arm Gewalt? Wo stößt er die Gewaltigen vom Thron? Und wo füllt er die Hungrigen mit Gütern? Damals? Heute?

Wenn ich die aktuelle Situation in unserer Welt in dieser Vorweihnachtszeit beobachte, dann kann ich nur ausrufen: Ach, wenn doch die IS-Kämpfer von ihren schrecklichen Gewalttaten abgebracht werden könnten! Ach, wenn doch in Diktaturen in Asien und Afrika die Gewaltigen vom Thron gestoßen werden könnten! Ach, wenn doch in vielen armen Ländern so viel Arbeit und Nahrung vorhanden sein könnte, damit die hungernden Menschen nicht die waghalsigen Wege über Wüsten und Meere auf sich nehmen müßten, um in reichere Länder zu gelangen! Wo bleibt die Realität dieses Lobliedes auf Gott in der damaligen und in der heutigen Zeit? Ob die Gedanken an das bevorstehende Weihnachtsfest mit der Hilfsbereitschaft vieler Menschen in dieser Advents- und Weihnachtszeit weiterhelfen zum besseren Verständnis dieses Lobliedes der Maria? Ist das vielleicht eine Hoffnung?

 

Entdecken wir erst einmal andere Aussagen in diesem Lobpreis Gottes: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.", so beginnt Maria ihr Lied. Es ist auffällig und beachtenswert, daß Maria in ihrer besonderen Situation der überraschenden Schwangerschaft sich nicht selbst erhebt oder beklagt oder die Sorgen und Ängste um das zukünftige Kind besingt. Sie preist voll und ganz Gott! Die bisher unscheinbare, junge Frau Maria sieht in Gott den Schöpfer des Lebens, `der große Dinge an ihr bewirkt hat´, wie es in dem Lied heißt. Sicher können wir das gut hören, daß neues, werdendes Leben im Bauch einer Frau einem Schöpfungsvorgang vergleichbar ist. Dies gibt allen Grund zu Freude. Aber normalerweise findet die Schwangerschaft einer Königstochter oder einer Ehefrau eines Königssohnes große Beachtung, aber nicht die einer einfachen, unbekannten, jungen Frau, die bisher erst verlobt ist und sowieso am Rande der Gesellschaft lebt.

 

Und gerade diese Frau in ihrer ganzen Niedrigkeit - sie nennt sich „Magd" - erlebt die Barmherzigkeit Gottes und kann diesen Lobpreis Gottes anstimmen. Gott ist kein Gott allein der adligen, reichen und anerkannten Menschen in der Welt. Gott sieht die armen, hungrigen und randständigen Mitmenschen, wendet sich diesen zu und meint es gut mit ihnen. Sein Herz öffnet sich für ihre Not. Das meint die Barm-Herz-igkeit, von der Maria singt! Gott hilft dort, wo viele Menschen lieber weggucken und die Hilfsbereitschaft anderen mit deren Idealismus überlassen: in Flüchtlingslagern, in Notunterkünften, in Kriegsgebieten. Gott geht nicht vorbei an den Geiseln in Nigeria und an den Eingeschlossenen im Nordirak; auch nicht an den Flüchtlingen in Syrien und in der Ostukraine. Gott sieht in Jesus Christus das Leiden und Sterben, das die Menschen in vielen Ländern einander antun. Gott selbst hat alles in Jesus Christus bis in den Tod erlitten.

Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest  denken wir Christen gerade daran, daß Gott uns so menschlich nahe gekommen ist, wie ein Embryo im Bauch einer Frau zum Menschen heranwächst, in die Welt hineingeboren wird und den Alltag unter hilfsbedürftigen und kranken Menschen erlebt. Jesus von Nazareth - wie einer von uns: mit Gaben und Fähigkeiten, mit Vertrauen und Zweifel, mit Ideen und Enttäuschungen. Der ferne Gott als lebensnaher Mensch - so unglaublich dies auch nach 2000 Jahren noch klingt, genau so wahr trägt dieses Geschehen im Glauben und im Vertrauen die Menschen, die von harten Schicksalsschlägen getroffen sind und oftmals nicht mehr ein noch aus wissen. In der tiefsten Not und Zwangslage läßt der barmherzige Gott uns Menschen nicht los. Darum lobt Maria Gott und freut sich über die Existenz des Heilands.

Allerdings ist mit dem Lob die weltliche Alltagsgeschichte nicht weggewischt oder überholt. Nein, das Lobpreisen Gottes bleibt, auch wenn die Gewaltigen immer noch auf ihrem Thron sitzen und die Hungrigen nicht satt werden. Die eigene Perspektive hat sich jedoch geändert. Maria hat die Perspektive Gottes angenommen, d.h. sich von dem lähmenden Blick auf das Unrecht in der Gegenwart gelöst. Sie weist auf Abraham hin, für den die göttliche Verheißung des Kindersegens und des Landbesitzes damals galt. An dem glaubenden Vertrauen des Abrahams hat sich nichts geändert. Maria kann sich darauf berufen. Zwar ist die äußerliche Situation in den Ländern der Welt anders geworden, aber Gott ist mit seiner Verheißung geblieben: „Ich bin und bleibe bei dir alle Tage bis an das Ende der Welt". Dies ist gleichsam bei aller  Veränderung für uns der Fixpunkt, das Fundament: Gott ist in seiner Barmherzigkeit nahe bei uns; ja, er ist selbst als Mensch geboren und begleitet uns, um uns zu stärken und zu trösten.

Daher haben wir am 4.Advent allen Grund zum Lobpreis und zur Freude, - trotz der Schatten und Dunkelheiten in der eigenen Biographie und der Gewaltsamkeiten zwischen den Religionen. Versuchen wir an diesem 4.Advent, uns der damaligen Freude der Maria anzuschließen, einer jungen Frau, die im Blick auf ihre Familien-situation, auf ihre Schwangerschaft und ihre Lebenszukunft alles andere als Luftsprünge machen kann.

Lobpreis Gottes: wir gehen jetzt auf das Weihnachtsfest zu. Einige von uns haben trotz der Aufforderung zur Freude ein schlechtes Gewissen, wenn sie an die Menschen denken, denen es in diesen Tagen überhaupt nicht zum Lobpreisen Gottes zumute ist. Jesus Christus ist in eine unheilige Welt gekommen, und so ist die Welt bis heute geblieben! Aber Jesus Christus hat diese dunkle Welt mit Frauen und Männern ausgestattet, die Christen sind und die überall auf der Erde Liebe und Freude, Frieden und Hilfe bringen und Hoffnung und Licht in der Dunkelheit spenden.

 

Nehmen wir unser schlechtes Gewissen, unsere Hilflosigkeit und unser Mitleid mit den geschundenen Menschen, nehmen wir all unsere Sorgen um diese dunkle Welt mit in den Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes, wie es von Maria in ihrem Magnifikat überliefert ist; denn uns Menschen können wir nicht lobpreisen:

„Von ganzem Herzen preise ich den Herrn, und mein Geist jubelt vor Freude über Gott, meinen Retter. ... Er, der Mächtige, hat Großes an mir getan. Sein Name ist heilig." ( NGÜ )

Amen

 

„Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen"



Altbischof Klaus Wollenweber
Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

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