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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Weihnachten – Bild oder Rahmen?
Predigt zu Lukas 2:1-20, verfasst von Gert-Axel Reuß

Ich nehme einen großen, vergoldeten Bilderrahmen (ohne Bild) für die Predigt mit auf die Kanzel.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

in meinen Händen halte ich einen Rahmen (Rahmen hoch halten). Das Bild hat irgendjemand herausgenommen. Vielleicht wurde es verkauft? Vielleicht ist es auf andere Weise abhanden gekommen. - Auf jeden Fall muss dieses Bild sehr kostbar gewesen sein, denn es hatte diesen großen, goldenen Rahmen. Was wohl darauf zu sehen war?

 

Stellen Sie sich für einen Moment vor, dieses Bild hinge bei Ihnen im Wohnzimmer! Was für ein Bild müsste das sein, damit sie es so aufhängen würden? - Ein Familienerbstück vielleicht? Oder ein ganz besonderes Geschenk?

 

Ich hänge meine Bilder normalerweise ganz anders auf. Es sind ja auch nur Poster oder billige Kunstdrucke, die nichts anderes brauchen als einen schlichten Wechselrahmen. Die kann ich austauschen wie meine Einrichtung. Ein Sofa kauft man sich heute ja auch nicht mehr für das ganze Leben.

 

Aber zwischen den Plakaten und gerahmten Fotografien gibt es ein Bild, das mir im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen ist. Das ich nicht aus dem Rahmen genommen habe beim letzten Umzug. Das auch die unterschiedlichsten Farbgestaltungen der Wände überdauert hat. Irgendwann gab es das Gefühl: Ein billiger Wechselrahmen soll es jetzt doch nicht mehr sein. Das Bild ist mir kostbar geworden. Und das soll der Rahmen auch zeigen.

 

Bestimmt war das bei diesem Bild auch so. Am Anfang noch ganz ohne Rahmen, aber dann wurde es immer wertvoller. Und der Rahmen wurde größer und kostbarer, bis jemand diesen goldenen Rahmen für das Bild machte.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

jedes Fest braucht einen Rahmen. Die Geschenke, der Tannenbaum. Das festliche Essen, die gefühlvollen Lieder. Die Sehnsucht nach „weißen Weihnachten", vielleicht auch der Gottesdienstbesuch. Jede Familie hat ihre eigenen Rituale und Traditionen. Jede, jeder von uns hat ganz eigene Vorstellungen von dem, was zu Weihnachten unbedingt dazu gehört.

 

Auf den richtigen Rahmen kommt es an! Für mich wird es erst Weihnachten, wenn ich die Weihnachtsgeschichte gehört oder gelesen habe. In den vertrauten Worten des Lukasevangeliums, die ich mitsprechen kann seit Kindertagen. So wie wir sie vorhin gehört haben. Genau so.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

das ist der kostbare, aufwendig gestaltete Rahmen, der nicht fehlen darf, damit dieses Fest gelingt. Aber was ist auf dem Bild zu sehen? Warum feiern wir Weihnachten?

 

Ich vermute, jede / jeder von uns hat eine sehr genaue Vorstellung, was Weihnachten für sie / ihn bedeutet. Vielleicht ist uns das nicht immer bewusst. Vielleicht können wir es auch nicht richtig beschreiben. Und trotzdem gibt es dieses Gefühl, dieses Bild, diese Vorstellung. Die Sehnsucht nach einer „heilen Welt". Dieses Bild der Harmonie und des Friedens, von dem die Menschen ja schon lange vor Jesu Geburt geträumt haben. Und es noch immer tun.

 

Auf meinem Weihnachtsbild ist viel Glanz und Licht. Ganz wie die mittelalterlichen Maler es uns vor Augen stellen:

 

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Bild oder Rahmen? Wir brauchen beides!

 

Der Rahmen, den ich hier hochhalte(Rahmen hoch halten), er ist nicht leer. Er ist gefüllt mit unseren Bildern einer friedlichen, einer menschlichen Welt. Er ist gefüllt mit unseren Hoffnungen, mit unserer Sehnsucht nach einem Leben, wie es sein könnte: achtsam, liebevoll. Mit dem Blick auf uns selbst, auf unsere Möglichkeiten. Auch auf unsere Bedürfnisse. Mit dem Blick auf andere, die uns brauchen. Und die uns zugleich geben, was wir brauchen: Anerkennung und Liebe.

 

Ein kleines Kind, ein Neugeborenes macht uns zu Menschen. Vor ihm können wir sein, wie wir sind, ohne uns etwas vorzumachen oder uns zu verstecken: Begabt und bedürftig zugleich.

 

Ich wünsche uns allen, dass wir immer wieder hineinfinden in die Geschichte Gottes mit den Menschen, die in der Weihnachtsgeschichte das vielleicht schönste Bild gefunden hat. Ich wünsche uns, dass wir inmitten all der Symbole und Bräuche entdecken, dass dieses Christkind mit seiner Botschaft gerade uns meint. In der Liebe, die wir teilen, in den Liedern, die wir singen, in den Gesprächen, die wir führen - im Familienkreis und darüber hinaus - ist Gott mitten unter uns.

 

Amen.



Domprobst Gert-Axel Reuß
Ratzeburg
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

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