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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 21.12.2014

Maria auf lutherisch
Predigt zu Lukas 1:39-56, verfasst von Jörg Coburger

Von Beginn an ist zweierlei klar. Maria ist eine biblische Person und keine konfessionelle.

Sie „gehört" nicht einer Konfession und die anderen schwiegen ganz unökumenisch dazu. Vieles ist in den letzten fünfhundert Jahren nebulös geworden, und letztlich schon seit zweitausend Jahren gesungen und gestritten worden. Und zum zweiten wären wir schlechte Evangelisch-Lutherische, wenn wir die Deutungsmöglichkeiten allein der Römisch-Katholischen Kirche überließen.

 

So dichtete Martin Luther:

 

„Sie ist mir lieb, die werte Magd, und kann ihr nicht vergessen.

Lob, Ehr und Zucht von ihr man sagt, sie hat mein Herz besessen.

Ich bin ihr hold,

und wenn ich sollt groß Unglück han, da liegt nichts dran,

sie will mich des ergötzen mit ihrer Lieb und Treu an mir

die sie zu mir will setzen und tun all mein Begier.

 

Sie trägt von Gold so rein ein Kron, da leuchten drin zwölf Sterne;

ihr Kleid ist wie die Sonne schon, das glänzet hell und ferne,

und auf dem Mon ihr Füße stohn.

Sie ist die Braut, dem Herrn vertraut

ihr ist weh und muß gebären ein schönes Kind,

den edlen Sohn, dem ist sie unterton.

 

Das tut dem edlen Drachen Zorn und will das Kind verschlingen,

sein Toben ist doch ganz verlorn, es kann ihm nicht gelingen.

Das Kind ist doch

gen Himmel hoch genommen hin und lässet ihn auf Erden fast sehr wüten

Die Mutter muß gar sein allein,

doch will sie Gott behüten und der recht` Vater sein."

  

Das Lied spielt auf Offenbarung 12 an. Zwar kommt konkret Maria in der Offenbarung

nicht vor - das Lied kann ohne Luthers katholischer Kinderstube nicht gedacht werden - aber wir Evangelisch-Lutherischen mit unserer Marienvergessenheit tun gut daran, neu nachzudenken. Vielleicht zunächst so: „Maria auf evangelisch."

 

Um es gleich zu sagen: Wir Evangelisch- Lutherischen beziehen unser Marienverständnis nicht aus Rom. Erst 1845, nicht ohne den Einfluss der Romantik, wurden wesentliche Dogmen über sie festgeschrieben, wie z.B. Unbefleckte Empfängnis. 1950 dann die „Himmelfahrt Mariens" Doch wir beten auch im Gottesdienst mit dem Apostolikum ein Bekenntnis, indem sie eine wichtige Rolle hat. „Geboren von der Jungfrau Maria."

 

Wir verdanken es unter anderem Impulsen aus der feministischen Theologie, dass Maria und viele andere Frauengestalten der Bibel näher und neu ins Licht gestellt wurden. Maria gehört in der biblischen Heilsgeschichte in eine lange Kette großer Frauen wie Sara, Rebekka, Lea, Rahel, Hanna, Elisabeth... Das Besondere an ihr mag also nicht rein exklusiv gedacht werden, sondern inclusiv, Maria und die lange Reihe der Frauen in Gottes Heilsplan. Gott gibt sein Volk und seine Verheißungen nicht auf. Immer sind es durch Kinderlosigkeit, also fehlendem Kindersegen, gefährdete Verheißungen. Nicht nur die Thora, nicht allein das Land selbst, nicht nur der Tempel, sind Unterpfand Gottes für alles, was er in Genesis 15 dem Abraham und damit Israel zusagte, sondern auch die Kinder. Fehlen diese Gottesgeschenke, ist alles in Gefahr. Uns kann das heute in Deutschland nur nachdenklich machen.

 

Maria mag uns wie ein altes herrliches Schloss erscheinen. Daraus wurde mit der Zeit ein ganzes Gedankengebäude, ein riesiger Gebäudekomplex, zum Abreißen und wieder Anbauen, zum umbauen, als untauglich vernachlässigte Zimmer, manch theologischer Architekt oder Architektin - an einer Quote arbeiten sie derzeit noch - wollte sich am Haus selbst beweisen und profilierte sich gut gemeint so eigenwillig und kitschig, dass es die Maria in eine Art feministische Kampfwallküre verwandelte, wie die Bilder im Treppenhaus zeigen. Da sind weiterhin alte Tapeten, hinter denen es gespenstig raschelt und wie in jedem ordentlichen Schloss auch eines, nämlich das verbotene Zimmer gibt. „Unbefleckt/ immaculata" steht draußen dran. Es gibt da einen evangelisch-lutherischen Gebäude- Flügel, der ist ziemlich klein, liegt nach Norden, zwar reinlich und fein, aber die Bibliothek ist unterbesetzt, der letzte Band aus dem vergangenen Jahrtausend von Hans Küng, Neueres gibt es nicht. Meist ist niemand zu Hause, weil auch hier wieder ( auf Druck einer weiblichen Personaldezernentin ) Stellen zusammengestrichen worden; und ein allerletzte Band von einem Drewermann, der den katholischen Klerikern beim Thema Maria „Ersatzerotik" vorwirft. Das war das einzige Mal, woraufhin die Evangelischen dann doch einmal ihre römischen Geschwister in Schutz nahmen, weil sie Argumente in gerächter Sprache nicht gut fanden. Sie fertigten sogar eine Gemeinsame Erklärung, aber nach ein paar Monaten kam aus Rom die Enzyklika „Wir sind das Volk!"

 

Daneben, drüben gegenüber, am anderen Ende der Schlossanlage, mit ordentlichem Trennzaun und Bewegungsmeldern dazwischen, ist der pompöse katholische Flügel, riesengroß, nach Süden ausgerichtet, und mit allem in Glanz und Gloria. Die dort schauen mit Schmerz auf den unbeleuchteten protestantischen Teil des Schloss, auf das kaputte Dach, die unbenutzten Küchentrakt, erwähnen mit Tränen den schäbigen Weinkeller und schimpfen: „Da hausen sie, die Besserwisser." Und eben genau dort in beklagter Richtung schauen im Dunkeln hinter den Gardinen heimlich ein einzelner Theologe, der wegen hochkirchlicher Umtriebe hierhin strafversetzt wurde, und eine Feministin auf den mit Pomp angestrahlten Gebäude teil und schimpfen: „Da hausen sie, die Besserwisser."

 

Liebe Gemeinde,

mit Maria sollte schon vieles bewiesen werden. Niemand, keine Konfession, keine Frömmigkeit ist frei von der Gefahr, sie mit neuen oder alten Ideologien zu überfrachten oder eben zu vernachlässigen. Es gibt verschiedene Auslegungen des Magnificat. Das eine ist die eher revolutionäre politische Maria mit dem Kernsatz: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen" und dann die eher stille und betende Maria, die im Demut betet: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen."

 

Da lese ich z.B. eine Auslegung des Magnificat ( 1 ) dass die Jungfrauengeburt uns sagen wolle, die Frau sei nun zum Hervorbringen von Leben davon befreit, weiter vom Mann abhängig zu sein; nein, sondern dazu brauche sie ihn nun nicht mehr. Das ist mit Verlaub eine Mischung aus Sexismus und Rassismus. Dazu kommt der Erfahrungsvorsprung jeder schwangeren Frau, den ein Mann anders erleben muss. ( Wir haben drei erwachsene Kinder. ) Wie muss ein Mensch nur beschaffen sein, um dieses Erfahrungsvorsprung vor, gar gegen den Mann ständig triumphierend feiern zu wollen?

 

Gern bekenne ich mich sonntags in Credo zur Jungfrauengeburt. Zu einem, weil der Glaube meiner Kirche größer ist, als mein je eigener persönlicher; zu anderen, weil mich nervt, wenn die Jungfrauengeburt immer nur als ein sexuelles Geheimnis gesehen werden soll, und uns ein solches wahrmachen wolle und schließlich, weil die völlig unableitbare Herkunft und Geburt

das Woher und Wohin vom Vater bezeugt wird.

 

Nüchtern gilt festzuhalten: Maria war eine „alma" - eine junge Frau. Wollte Jesaja 7,14 Jungfrau sagen, hätte eine völlig andere Vokabel dort stehen müssen, nämlich „b´thulah" und nicht alma- Junge Frau. Die Geburt ist kein sexuelles Geheimnis, sondern ein existentielles. Der Apostel Paulus weiß von einer Jungfrauengeburt rein gar nichts und ist der große Zeuge

Mitten in einer Welt geworden, die die Gottwerdung des Menschen verkündigte, während er die Menschwerdung Gottes verkündigte. Gal. 4,4

  

Das Ziel des Magnificat ist nicht Maria. Das Ziel ist ihr Ziel! Groß ist wahrlich die, die diese Lied singt und bewegend ihre Geschichte mit Elisabeth, die Ankündigung der Geburt durch Gabriel. Dann ist vieles überhöht worden. Gratia plena? Ja, „voll der Gnaden", richtig! Aber der Genitiv ist doppeldeutig. Denn Maria ist nicht Quelle der Gnade, sondern deren Empfängerin; schon gar nicht Miterlöserin „denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus" 1.Tim.2,5 Gratia plena - du und ich auch!

 

Heute können wir Maria dadurch ehren, indem wir sie wieder mehr in Beziehung setzen.

Ich kann sie nicht getrennt von den anderen Frauen Israels sehen. Dort gehört sie ganz in die „Wolke der Zeugen" wie es der Hebräerbrief 12,1 sagt. Wunderlich bleibt dennoch, dass Maria dort im 11.Kapitel, wo viele Zeugen bis zu Rahab vorkommen, nicht genannt wird. Es ist mit dem Magnificat wie mit vielen Psalmen. Der Lobgesang ist ganz ihr eigener, es sind ihre Worte, ihr Glauben, ihre Erfahrung, gespeist aus den Glauben der Väter und Mütter.

 

In Beziehung setzen zu Israel und dessen Geschichte. Maria singt in einer Tradition anderer großen Gesänge. Das Magnificat ist nicht ohne den Lobgesang der Mirjams Ex. 15 und Hannas 1. Sam.2 zu denken. Dort macht sie sich fest mit ihren ganz eigenen Worten. Es ist originell Maria, original ist ihr Lobgesang nicht. Dort heraus findet sie ihre eigene Sprache, das Eigene, das Meine, das Persönlicher und Individuelle, um das wir heutigen Menschen so besorgt sind: Und wo bleibe ich?

 

Ich kann und will sie nicht getrennt von Joseph sehen, der sie vor der Steinigung bewahrte und um der beiden willen zu einem Flüchtling wird. Und wie oft wurde die Liebe des Joseph geschmälert. Ja, Joseph will sie verlassen und bleibt doch, weil er auf einen Engel hört. Beide laufen zunächst vor einem Geheimnis davon, dass sie nicht verstehen. Maria hat eine gute Freundin- Base. Welch eine Begegnung der beiden Frauen. Von der kommt sie verändert zurück. Nicht nach Gabriel, sondern da, nach diesen drei Monaten beginnt sie zu singen.

Wie heute auch, ist ihr Leben mit Schwangerschaft und Geburt nie wieder wie vorher. Das bedrohte Kind hat ihr Leben verändert. Beide kämpfen um das Leben des Kindes, nicht nur die Mutter Maria. Mutter und Kind sind in Gefahr. Joseph ist ein Mann, der um sein Kind kämpft.

 

Der Lobgesang Mariens ruft die Kirche selbst zum Lob dessen, den Maria singend preist. Ihr Lied ist zum Abendgebet der Christenheit geworden. Wenn meine katholischen Freunde sagen: „Wir beten zu Maria, aber wir beten die nicht an" will ich das gewiss achten, aber geklärt ist damit gar nichts. Marias Worte haben die Wurzeln nicht in sich selbst, sondern aus ihrer Tradition und doch singt Maria, wenig besorgt um sich selbst, sehr eigen und in ihrer Person sichtbar. Es ist ein einmaliges Glaubenszeugnis. Wir könnten unsere Selbstanstrengung und Angst sein lassen, dass ich ja bloß als Person sichtbar bleibe. Meine Worte kommen aus fremden Worten.

 

Maria ist bereit für Gottes Ruf. Das hat seine Konsequenz für Maria unter dem Kreuz.

Von Agatha Christi gibt es eine „Weihnachtsgeschichte" in der ein Engel auftaucht, Maria vorab das Schicksal des Kindes aufzeigt und sie fragt, ob sie das nicht ihrem Kind ersparen wolle. Ist es richtig, Marienverehrung allein in Advent und Weihnacht zu betonen, als nicht deutlicher auch die Mutter unter dem Kreuz wahrzunehmen. Was kann uns denn besseres geschehen, als ein einziges Mal im Leben Knecht oder Magd des Herrn gewesen zu sein?

 

Marienverehrung auf evangelisch ist schlecht möglich und bleibt auch unnötig.

Allein Jesus Christus. Aber die beiden helfen mir, meine eigene gebrochene Familien- und Kindheitsgeschichte getröstet und heilend, ohne Bitterkeit zu verarbeiten.

 

Beim Thema: „Heilige" geschieht derzeit Wunderliches in meiner Kirche. Die VELKD gibt eine neue Agende II „Passion und Ostern" heraus. Da ist viel Gutes drin, aber ich frage mich, was den Herausgeberinnen und Herausgebern nur durch Kopf ging, als sie z. B. Seite 318- 320 Folgendes beten lassen wollen:

 

„Mit Ambrosius und Gregor

Paul Gerhardt und Johann Sebastian Bach,

die dein Lob gesungen haben,

mit Benedikt, Franziskus und Elisabeth von Thüringen,

mit Mathilda Wrede und allen,

die den Weg der Nachfolge gegangen sind,

bitten wir dich..."

 

Diese Verkoppelung von Heiliggesprochenen mit z.B. Paul Gerhardt will eine Unbefangenheit suggerieren. ist anbiedernd und niedrigschwellig formuliert. Dennoch falsch. Sebastian Bach und Paul Gerhardt sind tot! Auf meine Kritik hin: Niemand hätte geschrieben, sie seien faktisch „Heilige" hieß eine Verteidigung. Aber Aufgabe und Funktion eines Heiligen sollen sie dann doch wohl erfüllen?

 

Bereit sein für den einmaligen Ruf Gottes an mich. Auf diesen Ruf so persönlich und konkret zu reagieren wie sie. Wer in Wittenberg von der Straße herkommend in die Lutherhalle will, wird, im Halbdunkel des Durchganges zum Schwarzen Kloster leicht übersehbar, einer Inschrift im Hoftor inne: „Niemand lasse den Glauben daran fahren, daß Gott an ihm eine große Tat will." Darunter steht klein: Martin Luther. Ob das wirklich vom Reformator stammt ist unerheblich.

 

( 1 ) Christa Mulack, Weiblichkeit Gottes



Pfarrer Jörg Coburger
Amtsberg
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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