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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Predigt zu Lukas 2:1-20, verfasst von Reinhard Schmidt-Rost

Liebe Gemeinde!

 

Der Heiland ist geboren!

 

Das ist eine ganz moderne Botschaft, lassen Sie sich nicht täuschen ... auch wenn Sie sie auswendig kennen, vielleicht in Kindertagen gelernt.

 

Diese Geschichte ist ihrer, unserer Zeit bisher immer noch weit voraus .Wenn sie nur das Bekannte, das Übliche erzählen würde, wäre sie längst vergessen, wie eine Zeitung von gestern; und erst recht, wenn sie mit unserem Leben nichts mehr zu tun hätte, wäre sie versunken wie die Sagen alter und fremder Völker.

 

Weil aber jedes Jahr viele Kinder geboren werden und immer noch viel zu wenige Kinder in der Welt unbeschwert aufwachsen können, ohne früh zu verhungern oder an Infektionen zu sterben oder als Kindersoldaten eingesetzt oder Kindersklaven verwendet zu werden,

 

weil die Sehnsucht nach Frieden nicht gestillt wird, obwohl so viele Menschen auf Frieden hoffen, sich Frieden wünschen,

 

weil die Hoffnung der Menschen ohne Rechte und im Dunkeln sich noch immer zum Himmel richten muss, statt auf der Erde Erfüllung zu finden ...

 

deshalb ist die Weihnachtsgeschichte leider weiterhin eine ganz moderne Geschichte, eine Sehnsuchtsgeschichte - und es ist für eine humane Gesellschaft ganz und gar unverzichtbar, dass Menschen sie unaufhörlich weitererzählen!

 

Von Hänsel und Gretel, von Rumpelstilzchen und Schneewittchen erzählt man sicher heute nicht mehr überall, wie die Geschichten der Edda nur noch wenigen Menschen bekannt sind, die Sagen von Roland, dem fränkischen Helden, von Rienzi und Rinaldo, die Geschichte vom Kind in der Krippe aber wird weiter erzählt werden, bis ans Ende der Welt - und wir hoffen, es sei dann nicht der Weltuntergang, das Ende der Menschheit.

 

Und selbst wenn sich immer neue Geschichten über unser Leben lagern, vom Herrn der Ringe, vom Prinzen Löwenherz, Harry Potter und Momo, wenn Frau Holle und Aschenputtel längst vergessen sind und niemand mehr von Winnetou oder Momo redet, Bethlehem bleibt mit der Geschichte vom Kind in der Krippe ein Sehnsuchtsort des Weltfriedens.

 

Weshalb?

 

Das entnehmen wir der Geschichte am besten selbst. Sie beginnt ganz modern-realistisch mit Steuerpolitik:

 

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

  

Volkszählung im Römischen Reich. Alle Bewohner der Provinzen werden erfasst, denn sie sollen zur Kasse gebeten werden, der Straßenbau muss weitergehen. Es ist teuer, die Wege zwischen den Hafenstädten am Mittelmeer und der hochgelegenen Stadt Jerusalem zu befestigen, vor allem wenn römische Soldaten darauf marschieren sollen. Steuerlisten hat es hier bisher nicht gegeben, niemand weiß, wie viele Leute hier wohnen, und wen hätte das interessiert? Nun aber muss Geld in die Staatskasse kommen, vor allem für Straßen. Unwegsames Gelände kann man nicht beherrschen. Die Berge rund um Jerusalem sind gefährlich. Das Land am Ostufer des Mittelmeers ist ein Unruheherd, damals wie heute.

Jeder Familienvater musste sich an seinem Geburtsort in die Meldelisten eintragen, nicht dort, wo er aktuell lebte. Es kommt zu einer Völkerwanderung in der ganzen Provinz Syrien. Und nicht jeder hat dort, wo er geboren ist, noch Verwandte, die ihn für ein paar Tage aufnehmen könnten. So sind die wenigen Gasthäuser und Herbergen schnell überfüllt. Der Zimmermann Josef findet mit seiner Frau nur noch in einem Stall eine Bleibe - und das, obwohl sie hoch schwanger ist.

So könnte es gewesen sein, damals, als Jesus von Nazareth geboren wurde, so erzählt es Lukas, der Evangelist. Ein bescheidener Anfang für eine Biografie mit weltbewegenden Folgen. Denn: Als Jesus von Nazareth erwachsen ist und als Lehrer auftritt, bringt er eine Wende: nicht nur in Israel, sondern im Leben der ganzen Menschheit. Nicht die Geschichte des Kaisers Augustus hatte weltbewegende Folgen, obwohl er ein halbes Jahrhundert das römische Weltreich beherrschte. Auch seine Lebensgeschichte wurde natürlich aufgeschrieben. Aber die Geschichte der Geburt des Jesus von Nazareth, die sich die Menschen seit fast zweitausend Jahren erzählen, berichtet von einer ganz anderen Herrschaft: Nicht die gewaltige militärische Macht der Römer schützt und bewahrt das Leben auf der Erde. Auch dieses Reich wird wieder zerfallen, wie alle Weltreiche davor und danach.

Jesus von Nazareth vertritt eine andere Vorstellung von Macht: Güte und Barmherzigkeit helfen das Leben zu schützen und zu entfalten. Gewalt, wie sie Weltmächte gebrauchen, mit Waffen - Gewalt gegen Gewalt - zerstört alles Leben, bewahrt es nicht.                                                                                      Das könnte eigentlich allen Menschen einleuchten. Doch die Geschichte von dem neu geborenen Friedenskönig wartet immer noch auf ihre weltweite Anerkennung und Verwirklichung. Wir  Christen erzählen sie unermüdlich weiter, denn nur durch geduldiges Singen und Sagen kann der Gedanke von der anderen Macht, von der Kraft der Güte und Barmherzigkeit immer neu in den Herzen der Menschen wirken.

Am Anfang war's eine Steueraffäre,

die Bürgerlisten noch voller Lücken,

die sollten die Volkszähler reichlich bestücken

mit jedem, der irgend erreichbar wäre,

 

dass er des Kaisers Mittel vermehre,                                                           

gewiss nicht, um das Volk zu beglücken,                                                            

viel mehr, um es effektiv zu bedrücken,

... mit Mitteln für neue Straßen und Heere.

 

Die Pax Augusta? Ein Friedhofsfrieden

für alle, die nicht des Reiches Bürger,

sie blieben von römischem Wohlstand geschieden,

die Kaisermacht - ein mächtiger Würger -

der Handwerksmeister aus Nazareth,

fand in Bethlehem für sein Kind kein Bett.


Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.

Diesen Krippenplatz hat dem jungen Erdenbürger niemand streitig gemacht, der war noch frei, den wollte keiner haben. Unzumutbare hygienische Zustände. Und das für einen Spross aus der Ahnenreihe des Königs David. Die Futterkrippe im Stall und die Windeln, eine unmögliche Geburt. Wer immer diese Geschichte hört oder liest, denkt unvermeidlich an Flüchtlinge und Vertriebene. Ihnen geht es oft wie dem Jesus-Kind der Weihnachtsgeschichte. Nur ein Platz am Rand, aber wenigstens ein Dach.

 

Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass Menschen, die Heimat und ein sicheres Leben haben, sich um Flüchtlinge kümmern und Heimat geben den Heimatlosen, damals wie heute. Doch es gibt sie: Menschen, die Flüchtlingen Asyl geben und Leidenden ihr Los erleichtern. Denn das Bild von Stall und Krippe ist nicht mehr wegzudenken aus der Kultur des Abendlandes, das Bild von einer Familie, die Schutz sucht und von Hirten und Weisen besucht wird, Nahrung und Gemeinschaft bekommt. Und die Geschichte hat gewirkt: Die Krippe steht heute nicht mehr so sehr für die unwürdige Unterkunft, sondern für Geborgenheit - gerade in  Not. Die Krippe - sie erinnert uns: Kümmert euch um die Kinder! Die Kinderkrippe hat deshalb ihren festen Platz im Leben der westlichen Industriestaaten:

Vor etwa zweihundert Jahren, als die Industrie sich zu entwickeln begann, und die alten Lebensgemeinschaften in Dorf und Stadt, vor allem die Familien ihre Stabilität verloren, da waren die Kinderkrippen in Europa eine Notlösung zur Kinderaufbewahrung. Wenn beide Eltern in Fabriken vierzehn bis sechszehn Stunden arbeiten mussten, hatten sie keine Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Viele Kinder verwahrlosten, viele starben. Wie in Bethlehem war die Krippe auch in Europa eine Hilfe in äußerster Not.

 

Inzwischen sind aus den Kinderkrippen gut ausgestattete Kindertagesstätten geworden. Aus der Notlösung ist eine pädagogisch durchdachte und einfallsreich ausgestaltete Praxis geworden. Viel Phantasie und viel Geld wird für die Betreuung der Kinder aufgewendet. Die große Aufmerksamkeit für Kinder in unserer Gesellschaft hängt mit der Geschichte vom Kind in der Krippe zusammen. Sie verbreitet unermüdlich die Aussage: In jeder Gesellschaft, die sich um Kinder kümmert, blüht das Leben aller Menschen auf!

 

Aber damals im Augustusreich war die Krippe Futterplatz der Tiere, so sahen es auch die Hirten, die auf das eigenartige Geschehen aufmerksam wurden:


  Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen allen Menschen guten Willens. 

 

 

 

Es heißt, es hätten Engel gesungen

von Gott, der die Welt sich zugekehrt,

das hätten zuerst ein paar Hirten gehört,

es sei ihnen tief in die Seele gedrungen ...

 

den alten zuerst, doch gleich auch den jungen,

dass die Güte Gottes Gewaltordnung stört,

der Macht der Herrscher in Kindsgestalt wehrt -

so hätten gesungen mit tausenden Zungen

 

die Engel damals; doch wer hat vernommen

die Botschaft, gefährdet im römischen Reich,

 

die durch Lukas erst in die Welt gekommen,

die besondere Nachricht, dass alle gleich

 

des Lebens Würde aus Liebe empfangen?

Wir wollen zu dieser Wahrheit gelangen!

 

Die Friedensbotschaft der Engel hat in der Geschichte der Menschheit eine ganz besondere Wirkung entfaltet. Die Nachricht vom Friedenskönig, der zur Welt kommt, ist keine Nachricht unter vielen, es ist die Nachricht überhaupt!             

 

Diese Nachricht hat die Ahnung von einem neuen, anderen Leben unter die Leute gebracht und die Hoffnung auf dieses andere Leben hat die Menschen nicht wieder verlassen, bis heute nicht. Das Heil der Menschheit kommt nicht aus Kampf und Krieg, aus „Sieg und Heil" militärischer Überlegenheit. Man hatte es doch schon immer an Müttern und Kindern gesehen: Das Leben wächst durch Hegen und Pflegen, durch Ermutigung, durch Liebe, die sich hingibt.

Man hatte es auch von Propheten gehört, Amos und Hosea, Jesaja und Jeremia, dass einmal ein Friedenskönig kommen werde, der den Menschen Heil und Segen durch Milde und Liebe bringt. Aber die Fürsten und die Herrscher in den alten Gesellschaften wollten von einem solchen König nichts wissen, sie glaubten einem anderen Satz: Der Krieg ist der Vater aller Dinge - damals wie heute. Krieg aber schafft kein Heil, auch kein heiliger Krieg. Denn Krieg löscht das Leben in seiner Vielfalt aus, aus der Vielfalt der Geister und Gaben aber erwächst immer neues Leben, das ist in wissenschaftlichen Arbeitsgruppen nicht anders als in Familien und Gemeinden.

 

 

Liebe Gemeinde!

Und die Hörer, die Hirten? Was sagen Sie, liebe Gemeinde, zu dieser Botschaft? Die Hirten haben sie jedenfalls weitergetragen ...

  

  Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

Sicher sind sie sich kaum gewesen. War diese Himmelserscheinung nicht nur Einbildung? Sie waren einfache Leute, und gerade deshalb Realisten. Spinnereien konnten sie sich nicht leisten. Ihr Leben war hart, die Natur bestimmte ihr Leben, das Wetter, die Weiden, die wilden Tiere, und natürlich ihre Herde und was die Tiere zum Leben brauchten. Vielleicht haben die Hirten zuerst gezögert, ob sie wirklich nachschauen sollten. Wenn sie sich das alles eingebildet hätten, dann würden sie sicher in Bethlehem verspottet werden. Sicher gab es auch Zweifler unter ihnen: „Kinder werden viele geboren auch heute Nacht in Bethlehem, wie wollt Ihr denn genau dieses Kind finden?" Aber die andern meinten: „Es muss schon ein besonderes Kind sein, sonst würde es uns nicht so glänzend angekündigt." Darauf die Zweifler: „Also, wirklich, glaubt ihr tatsächlich, wir Hirten sind eine passende Leibgarde für einen König? Denn ein König muss es ja mindestens sein, wenn Gott selbst mit Glanz und Gloria zur Ankündigung seiner Geburt seine Engel schickt." Am Ende setzte sich doch bei allen die Neugier durch und auch die Zweifler ließen sich umstimmen. Und so zogen sie nach Bethlehem, um sich selbst zu überzeugen, ob  etwas dran wäre an den Worten des Engels.  Und sie fanden das Kind in der Krippe tatsächlich, und dieser Eindruck ließ sie ihr Leben lang nicht mehr los. Immer wieder erzählten sie davon: In diesem Kind ist der Heiland der Welt geboren! Der,  der allen Menschen Frieden bringen wird!  Und viele, die es hörten, verbreiteten die Worte der Hirten.

 

 

Liebe Gemeinde!

wie hätte der Evangelist Lukas anders von der Geburt des Jesus von Nazareth erzählen sollen? Er hatte gehört und dann selbst erlebt: Im Anfang waren es vor allem die einfachen Leute, die Jesus, dem Lehrer aus Nazareth zuhörten und seinen Worten vertrauten: die Fischer am See Genezareth, die Hausfrauen in Kapernaum, die Bauern im Norden Palästinas, und später dann in Griechenland, in Thessalonike, Philippi und Korinth auch Handwerker und Kauffrauen.

Sie alle schöpften Hoffnung, dass ihr Leben sich verändern würde. Und ihr Leben hatte sich verändert, sie selbst hatten sich verändert, durch diese Worte.

Und uns geht es genauso: Wir hoffen wie unsere Vorfahren und für unsere Kinder darauf, dass Gottes Geist der Liebe und des Friedens alle Menschen  anspricht, allen zu Herzen geht und in uns allen zum Guten wirkt. Deshalb feiern wir Weihachten Jahr für Jahr und warten nicht tatenlos auf das Heil, sondern  wirken weiter in Wort und Tat mit der einen wahrhaft guten Nachricht: Der Heiland ist geboren, er ist der Welt als schutzbedürftiges Kind gegeben worden:

Gott hat die Großen und Kleinen gemeint,

die Kaiser, Könige, Honoratioren,

genauso, wie die, die am Rande geboren,

weil der Geist der Liebe die Menschheit vereint,

die Weihnachtssonne auch denen scheint,

gegen die sich der Menschen Mächte verschworen, 

sich selbst verloren, des Nachts halb erfroren,

der Heiland ist kommen, der Opfer beweint

und ihnen durch Menschenhand Hilfe sendet,                                                    auch wo niemand mehr an Veränderung dachte,

hat er so manchen Sinn noch gewendet,

und wenn die Welt sein Kreuz auch verlachte,

hat er durch Menschenmund Frieden verkündet,                                                      weil die Liebe dem Leben am tiefsten verbündet.

Und der Friede Gottes, der die menschliche Vernunft berührt und sie über sich hinausführt, bewahre auch unsere Sinne im Geist des Heilands Jesus Christus. Amen.



Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
Bonn
E-Mail: r.schmidt-rost@uni-bonn.de

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