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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2014

Predigt zu Lukas 2:15-20, verfasst von Jochen Riepe

                                                                           I

Krippenspiel . Der erste Hirte (fasziniert) : ‚Ich kann mich gar nicht losreißen - das Kind, das Kind ...‘  Der zweite Hirte (drängend) : ‚Wir müssen gehen , schnell, die Schafe sind allein...‘ Der dritte Hirte (lächelnd) : ‚Ja, gehen wir zurück. Ich kenne einen guten Umweg .‘

                                                                           II

Rückwege ...  Als Kinder sollten wir  nach der Schule zügig und direkt  nach Hause  kommen. ‚Du sollst nicht bummeln !‘, diese Ermahnung mußte sich der Junge oft anhören . Je älter und erwachsener wir wurden, desto mehr waren Abstecher , Entdeckungen , Verspätungen erlaubt oder wurden jedenfalls hingenommen : Ach ,was für eine herrliche Zeit !  Rückwege ... Von vielen Pilgern auf dem Jakobsweg  heißt es , sie buchten schon vor dem Aufbruch nach Spanien den - Rückflug. Das wäre aber nicht ratsam : Schon der Hinweg könne unter Zeitdruck geraten. Vor allem aber der Rückweg als Weg entfiele dann , denn früher gingen die Pilger auch wieder zu Fuß in ihre Heimat zurück . ‚Das Geheimnis der Freude ist am Tag ...rasch verbraucht  - und höchstens durch Verlangsamung wiederzugewinnen‘*.

                                                                            III

‚Und die Hirten kehrten wieder um , priesen und lobten Gott für alles, was sie gesehen und gehört hatten‘.  Wenn es ein ‚Evangelium der Wege‘  gibt , dann ist dies sicherlich das Lukas-Evangelium. Der Überlieferung nach soll Lukas ein Arzt gewesen sein und als solcher - das darf man annehmen - wußte er um die Bedeutung des Gehens , des Hingehens und des ‚Wieder-zurück-Gehens‘. Der verlorene Sohn kehrt zum Vater zurück. Die Emmaus-Jünger sind nach den Ereignissen von Karfreitag auf dem Heimweg und finden - den Glauben. Ja, und die Hirten von Bethlehem und ihre Rückkehr stehen  hervorgehoben am Ende der Weihnachtsgeschichte. Entsprechend der Verkündigung der Engel waren sie ‚eilends‘ aufgebrochen. Sie hatten das Kind auch gefunden. Wie sieht die ‚Umkehrung‘ aus , wenn man solch ein Bild im Herzen trägt ?

                                                                              IV

Anscheinend hat der Weg zurück , wenn man so will : der Abstieg in den Alltag , ins Kleine-Allzukleine , gleichsam in die Nische unseres Lebens , seine eigene Würde und seine eigene Problematik. ‚Das Geheimnis der Freude ist am Tag jeweils rasch verbraucht‘, schreibt der wegerfahrene Peter Handke. Lukas weiß das : Wir Menschen suchen und lieben das Außergewöhnliche , schnell sind wir dabei und schnell ist es vorbei .‘Das war's dann!‘ sagt der Morgenkater und sieht hinter dem event das berühmte schwarze Loch ... Seht ihr, und darum ist der Rückweg so wichtig ! Wie leben wir mit dem , was wir gesehen haben ? Haben wir etwas gelernt ? Und vor allem : Haben wir  ‚etwas‘ , nein : das Wichtigste von Gott verstanden , von der ‚Klarheit des Herrn‘? Vom Heimweg der Hirten heißt es ja  : ‚Sie priesen und lobten Gott für alles , was sie gesehen hatten‘.

                                                                                 V

Krippenspiel. Der erste Hirte (fasziniert) : ‚Das Kind, das Kind!‘  Der zweite (sorgenvoll) :‘Schnell zurück zur Herde!‘  Der dritte : ‚Ja, kehren wir zurück , aber langsam. Ich kenne einen guten Umweg‘.  Der Novize , der Anfänger auf dem Jakobsweg, weiß, was auf dem Hinweg geschehen soll : Selbstüberwindung , Leerwerden , Klärung - Hape Kerkeling hat es vielen erzählt.  Zum Hinweg gehört schließlich auch das erhebende Gefühl : ‚Ich hab's geschafft !‘ Welch  eine Gnade, welch eine Freude, zum Ziel , zum Grab des Heiligen Jakobus , zu kommen : Santiago de Compostela  ...  und dann rasch in den Flieger ? Man darf , so sagen die alten und erfahrenen Pilger , den Rückweg nicht auslassen oder verkürzen. Seine Frage lautet : Was ist meine Aufgabe, vielleicht meine Lebensaufgabe?  Der Hinweg gilt als der Weg des Glaubens , der Rückweg aber ist der Weg der Liebe. Der Weg zum Du , zum Du der Menschen und darin zum Du Gottes. Ziele , Zielvorgaben fordern uns heraus - und sei es sportiv. Ich gewinne Stärke und Kompetenz, Vitalität , Lebensfreude.  Das Spannende des Rückwegs ist : Kann das ‚Geheimnis der Freude‘ mit in den Alltag genommen werden ?

                                                                                VI

‚Ja, laßt uns gehen , aber langsam.‘ Vermutlich , liebe Gemeinde , liegt in diesem Zusatz des dritten Hirten die Chance des lukanischen Rückwegs oder auch des eigentlichen Weihnachtsweges. Ich sagte es : Lukas soll ein Arzt gewesen sein, ein Mensch, der sich mit dem Leib und mit der Seele auskannte . Einschneidende Erlebnisse bedürfen der Durchdringung, der Gestaltung , der Verleiblichung - unterwegs , Schritt für Schritt, langsam. Wer hier überspringt , muß soz. an den Anfang ! Der verlorene Sohn reift auf dem Weg zum Vater - vom Selbstmitleid zur Selbst- und Schulderkenntnis. Die  enttäuschten Emmaus -Jünger reifen zum Mahl mit dem Auferstandenen  und schließlich unsere Hirten - ihr Weg ist ein Hineinwachsen in den Lobpreis Gottes. Ja, es ist wunderbar : Nach dem zielbestimmten , eiligen Hinweg , nach dem ‚Inne-werden‘  des Kindes , nach der großen Freude , die immer durch den Absturz bedroht ist, nach alledem tut  sich dem Rückreisenden eine ganz neue Landschaft auf. Dieser Gott , der Schöpfer der Welt, er ist uns der Nächste geworden - uns, die wir doch nichts von ihm wissen wollten.

                                                                               VII

Gewiß : Langsame Leute , Hand auf's Herz , können uns nerven und der allgegenwärtige Ratschlag ‚Herunterschalten!‘ mag besonders den Jüngeren , denen auf dem Hinweg des Lebens , unrealistisch oder gar zynisch vorkommen. Ist nicht der Druck überall? ‚ Beweis dein Tempo und deine Nützlichkeit !‘ Und dennoch : Wir Weihnachts-Rückkehrer , die Schwestern und Brüder des menschgewordenen Gottes, haben Zeit und die Verlangsamung ist eine Weise , die  Weihnachtsfreude zu wieder zu finden . ‚Eine neue Weise des Aufmerkens, des Wahrnehmens  , des Miteinander-Daseins‘, würde der Arzt Lukas vielleicht sagen , und das nicht irgendwann , sondern : ‚Heute!‘. Auch dies muß man sagen : ‚Rück-kehr‘ ist in sich schon ein belastetes Wort. Darin klingt Scheitern mit, Abstieg, weniger ,kleiner ,unbedeutender werden ; Rückbau , Zurücknahme ...  ‚ Jede Stufe, die aufwärts führt, ist lieblich , aber die nämliche , im Fall erreicht , ist schrecklich. Kündigt nicht alles ein gesunkenes Leben an?‘ ** Ja, es gibt die Jahre der Hinreise , es gibt Augenblicke des Ankommens , des Schauens und der Faszination , und es gibt die Jahre des Gotteslobes , der Rück-Reise . Durch Krankheit, Enttäuschung , vielfältiges Sterben hindurch - ein Reifen zum Du Gottes , eine Klärung in der ‚Klarheit des Herrn‘ . Darf ich sagen : Der schönste Um-Weg ,die schönste ‚Bummelei‘ , die es gibt ?!

                                                                    VIII

Am Ende erinnere ich an einen alten Brauch , der leider aus der Mode gekommen ist. Einst ging man nach dem Weihnachtsgottesdienst eben nicht schleunigst und direkt nach Hause , ins Private, sondern  auf  -  Neben - und Umwegen, mit Abstechern und Abschweifungen . O, was für eine herrliche Zeit ! Ein Anschellen , Anklopfen dort , ein Gruß zum Fenster hoch oder auch ein Besuch  ... der Weihnachtsfriede will ja öffentlich werden und vielleicht ist in diesen Tagen ein Friedenszeichen in der Flüchtlingsunterkunft in der Adlerstraße ganz besonders wichtig. Ja, kehren wir zurück , aber langsam ! Aufmerksam und wahrnehmungsstark : ‚Euch ist heute der Heiland geboren.‘

*P. Handke, Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990 ,Salzburg und Wien . 2.Aufl. 2005, S.  504

** F.W.J. Schelling, Schriften von 1806-1813 ,Darmstadt 1990,S.461



Pfarrer Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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