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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 25.02.2007

Predigt zu Lukas 22:31-34, verfasst von Günter Goldbach

Liebe Christinnen und liebe Christen!

Natürlich: Wir erinnern uns. Petrus und seine - wenig rühmliche - Rolle in der Passionsgeschichte. An sein Versagen - trotz großer Worte. Vielleicht sogar trotz guten Willens und ehrlicher Absicht. Aber dennoch: Sein Verrat, seine Verleugnung - das war doch das Entscheidende!
Meister Lukas hat in meisterlicher Dramaturgie daran erinnert: Erst ein feierliches Gelöbnis: ?Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen? (v 33). Aber wenig später schon - als es ernst wird mit dem Gefängnis und der Todesgefahr - heißt es: ?Ich kenne den Menschen nicht? (v 57). ?Simon, Simon...? (v 31). Ja, es war wohl vorauszusehen. Allemal für IHN, der um jeden Menschen weiß. Doch ja: Wir erinnern uns an diese eindrucksvolle Geschichte eines misslungenen Martyriums.
Nur: Betrifft uns das?! Uns ganz persönlich? Sind wir involviert? - Was wäre, wenn jene Ausleger recht hätten, die sagen: Petrus war nicht nur er selbst. Er war Prototyp, Paradigma - auch für uns! Wir sind Nachfolger des Petrus. Nicht nur jene, die es als Bischöfe von Rom beanspruchen. Nein, wir alle sind Nachfolger des Petrus, die sich auf sein Bekenntnis berufen. Die doch auch auf das Petrus-Bekenntnis ihren Glauben gründen (Luk. 9, 20). Aber sich auch oft genug in seinem Scheitern und Versagen wieder finden.
Solche Behauptungen könnten uns vorsichtiger machen. Es angeraten sein lassen, nicht so schnell so negativ zu urteilen. Zunächst jedenfalls, genauer hinzusehen.

(I)
Zunächst also: Da spricht ja doch einer aus, was er als Nachfolger Jesu ehrlichen Herzens als Ziel und Sinn seines Lebens anstrebt. Womöglich ist es für ihn nach der Leidensankündigung Jesu notwendig und hilfreich, feierlich auszusprechen, was er von sich selbst erwartet. Kann er ahnen, dass er noch nicht die notwendige Kraft, die notwendige Reife hat - damals in Jerusalem?! Und rührt uns diese scheinbar unerhört kritische, sehr menschliche Darstellung des Petrus nicht gerade deswegen irgendwie an - nach der ersten negativen Erinnerung?
Und dann - wenn wir also genauer hinsehen: Sollte uns etwas anderes nicht auch in Erinnerung kommen: Lukas schreibt ja sein Evangelium nach dem Märtyrertod des Petrus in Rom. Nach der neronischen Verfolgung, in deren Verlauf Petrus sein Leben verlor. Lukas weiß also - und seine Leser wissen es auch: Petrus hat sich nicht nur mutig vor Machthabern zu Christus bekannt (vgl. Act. 4, 19ff; 5, 29ff; 12, 3). Er ist für sein Christusbekenntnis sehr wohl in den Tod gegangen. Er hat das ?Examen rigorosum? beim zweiten Mal sehr wohl bestanden.
Darum: Das Bild, das Lukas von Petrus zeichnet, reflektiert womöglich Erfahrungen seiner Generation und seiner Zeitgenossen: Als sich die Christenverfolgung im römischen Reich abzuzeichnen begann. Als man sehr wohl ins Gefängnis geworfen werden konnte, wenn man als ?Christianus? oder als ?Christiana? denunziert worden war. Als man dem Tod nur entgehen konnte, wenn man im Gerichtsverfahren leugnete, zu den Jesusanhängern zu gehören. Als man dies durch einen Opfertest vor dem Kaiserstandbild unter Beweis stellen musste. Als die Versuchung zur Verleugnung für jedermann und jede Frau höchst aktuell war...
Also: Die Verleugnung des Petrus ist wohl gar nicht das Sonderschicksal eines sich selbst maßlos überschätzenden und dann kläglich scheiternden schwachen Charakters. Die Petrusverleugnung könnte vielmehr typisch sein als Folge von Angst und Hoffnungslosigkeit der gesamten Jüngerschaft - die jeweils ganz konkrete Hintergründe hat.

(II)
Sollte das wirklich gemeint sein: die Petrusverleugnung ein für die Jüngerschaft repräsentatives Schicksal?! ?Satan hat sich euch (alle) ausgebeten?, zitiert Lukas jedenfalls Jesu eigene Worte (v 31). - ?Satan?? Was hat der damit zu schaffen?! Den es doch gar nicht gibt - wie wenigstens wir aufgeklärten Leute wissen sollten. Das sind eben mythologische Vorstellungen vergangener Zeiten, sagen die Ausleger. Klar doch. Aber andererseits: Wie naiv! Können sie, diese Ausleger die bildhafte Redeweise nicht verstehen? Vor allem: Wissen sie nichts von den wahrhaft teuflischen Versuchungen, in die uns unser ganz privater Überlebenskampf immer wieder geraten lässt?! Bei unbegreiflichen und uns unerklärlichen Leiderfahrungen in den Brüchen unseres Lebens durch Krankheit und Unglück vor allem. Aber auch bei immer schwieriger werdenden zwischenmenschlichen Beziehungen in Familie und Freundschaft. Wir verleugnen einander in egoistischer Selbstsucht, verleugnen unsere Partner, versagen in Beziehungen... Wie nahe liegend, wie leicht gerät uns doch Verleugnung und Verrat: ?Den kenne ich doch gar nicht mehr! Mit dem habe ich doch gar nichts mehr zu tun!? Um bei alledem immer unser Gesicht wahren, unsere eigene Haut retten zu wollen oder gar zu müssen - wie oft gerät uns das zu einer total falschen, wirklich verteufelten Norm! Bert Brecht hat es in einem Gedicht zutreffend adaptiert: ?Nicht umsonst/ Wird der Anbruch jeden neuen Tages/ Eingeleitet durch das Krähen des Hahns/ Anzeigend seit alters/ Einen Verrat?.
Und auch jene andere im Text verwandte forensische Metaphorik ist uns keineswegs fremd: Auch unsere Situation ist die ?im Sieb?. Nicht nur unser privat korruptes Verhalten ?schüttelt? uns durch. Niederlagen im Kampf, Leiderfahrungen in Konflikten beziehen sich auch auf unsere ?öffentliche? Existenz: wenn wir je und dann und immer wieder ?gesiebt? werden. Das teuflische Durchschütteln und Selektieren bei Bewerbungen, Prüfungen, sog. Strukturveränderungen funktioniert immer noch - damals wie heute. Und macht uns unsere Ohnmacht und Ausgeliefertsein bewusst. Denn ein Sieb mit Weizen: je mehr man es schüttelt, desto mehr fällt zu Boden und verdirbt.
Aber auch hier sollten wir genau hinsehen: Die satanischen Versuchungen, von denen die Bibel redet, beziehen sich nicht auf jene schmerzhaften, aber vergleichsweise banalen Alltags- und Lebenserfahrungen, unter denen wir alle leiden. Hier geht es um Raum, um einen Platz an anderer Stelle, den der Satan fordert. Er ist ja, seit Hiobs Zeiten, überzeugt: Wenn Menschen in die Kategorie des Leidens geraten, dann verlieren sie ihren Glauben, dann schwören sie Gott ab. So auch hier, behauptet der Teufel: Alle Jünger (und Jüngerinnen) verlassen Jesus, wenn sie ihre Anhängerschaft, ihr Glaube, ins Leiden führt. Das Martyrium um Jesu willen - das wollen sie nicht auf sich nehmen. Das Risiko scheuen sie. Sie wollen wohl treue Christen sein. Aber am liebsten doch von vorneherein die Bescheinigung haben, dass ihnen nichts passiert. Ihnen geht es um fromme Erfahrung, Frieden der Seele. Leiden um Christ willen, Leiden als Signum der Jüngerschaft - aber nun wirklich nicht!
- Wer hat schon den auserwählten Glauben eines Martin Luther?! Wie oft war er, Doktor Martinus, in Lebensgefahr um seines Glaubens und Bekenntnisses willen! Aber er konnte sich damit trösten, dass seine Widersacher ja doch ?nur? (!) den Leib töten konnten. Selbstironisch konnte er fragen: ?Sie wollen dich erwürgen. Was wollen sie danach tun? Vielleicht widder aufwecken, und noch einmal tödten?? - Aber wer von uns bringt das schon?! Sind wir doch alle kein großes Glaubenslicht. Eher ?glimmender Docht, angebrochenes Rohr?, wie es bei Jesaja heißt (Jes. 42, 3). Darum:
Hat der Satan nicht recht?! Das ?Geschütteltwerden? durch Leiden und Verzweiflung, Krankheit und Ängste kann sehr wohl und nachvollziehbar zur Versuchung werden: sich zurückzuziehen, offen oder heimlich aufzugeben, Gott abzusagen.
- ?Was reden Sie da von der Liebe Gottes in Jesus Christus?, sagt mir eine Frau. ?Mein Kind ist mit 10 Jahren an Krebs gestorben! Haben Sie überhaupt eine Ahnung von dieser teuflischen Krankheit Leukämie?! Wo ist da die Liebe Gottes?! Wie sollte ich noch daran glauben können?!?
- ?Wir wollten ja eine gute Ehe führen?, sagt ein Mann. ?Aber immer öfter haben wir uns gestritten. Und dann hat sich meine Frau von diesem Typen verführen lassen. Na ja, ich habe es ihr heimgezahlt und sie auch betrogen. Wissen Sie was: Ihre kirchliche Trauung hat gegen alles das auch nichts geholfen. Aber gar nichts!?
- ?Doch, ich erinnere mich noch an die Konfirmation?, sagt ein 17jähriger. ?Besonders an die Konfer-Freizeit auf Spiekeroog mit Ihnen. Sogar meinen Konfirmationsspruch weiß ich noch: ?Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen?. Ha, niemand wollte meinen Namen kennen, als es darauf ankam. Wohl 50 Mal habe ich mich beworben in den ersten 2 Jahren nach der Schule. Aber niemand hat mich genommen. Da musste ich mir doch irgendwie was besorgen. Meine Alten wollen jetzt nichts mehr von mir wissen. Jetzt bin ich Fürsorgezögling, abgestempelt für immer...?
- ?Und wie ich an Gott geglaubt habe! Und wie ich zu Jesus gebetet habe?, sagt eine noch junge Frau. ?Aber Sie sehen es ja: Jetzt sitze ich im Rollstuhl. Multiple Sklerose. Es gibt keine Hoffnung, sagen die Ärzte. Mein Freund hat sich schon lange von mir getrennt. Bald muss ich ins Heim. Meinen Sie wirklich, der Glaube könnte mir da irgendwie helfen?!?
Wie viele Beispiele könnte ich noch aneinander reihen! Wo der Glaube durchaus gewollt, die Zugehörigkeit zu Christus durchaus ernst gemeint war. Aber dann doch verloren ging unter den Dornen der schmerzhaften Lebenswirklichkeit. ?Ich brauchte Gott, man gab ihn mir; ich empfing ihn, ohne zu begreifen, dass ich ihn suchte. Da er aber in meinem Herzen keine Wurzeln schlug, vegetierte er einige Zeit in mir und starb dann?, stellt Jean-Paul Sartre in seiner Autobiografie resignierend fest.

(III)
Aber, liebe Christinnen und liebe Christen, dieses resignierte Lamento, jede Berufung auf jedes Nicht-mehr-glauben-können, ist das Werk des Teufels. Den aber der, zu dem wir gehören, trotz allem und gegen alle teuflischen Versuchungen nicht zulassen will. ?Denn dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre?, heißt es im Wochenspruch (1. Joh. 3, 8b).?Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre?, erklärt es Jesus selber dem Simon Petrus in unserem Predigttext (v 32). Der Inhalt des Gebetes Jesu ist damit nicht, dass die Treue des Simon Petrus nicht wanken möchte. Dazu kennt ER, der ja ?mit leiden wollte mit unserer Schwachheit? (Hebr. 4, 15) ihn und uns alle viel zu genau. Jesus betet, dass der Glaube des Simon Petrus nicht ?aufhören? möchte. Er rechnet wohl damit, dass von dem Glauben des Bekenners kaum noch ein Hauch übrig bleibt. Aber die Fürbitte Jesu erhält selbst den todmüden Glauben am Leben. Also: Dass Petrus in der Nähe Jesu bleibt, dass er den Blick auf ihn richtet und sich von Jesu Blick treffen lässt, ist Anzeichen für das letzte Restchen Glaubens, das dem Simon geblieben ist (v 61f).
- ?Der Glaube ist erhalten geblieben in der Fähigkeit, bitterlich zu weinen und umzukehren? (Wilhelm Stählin). Ja, das ist eine schöne Formulierung. Und doch missverständlich. Denn es geht in keiner Weise um unsere Fähigkeiten. Nicht einmal um die einer Umkehr oder Rückkehr in ein verratenes und verleugnetes Treueverhältnis.
- ?Zurückkehren, das heißt sich umwenden; wieder auf den sehen, der nicht wegsah von uns, als wir uns abwenden wollten? (Susanne Wolf-Withöft). Noch eine so schöne Formulierung. Aber auch diese wiederum missverständlich. Denn in keiner Weise geht es um unser Tun. Für die Kontinuität und Stabilisierung des Glaubens hat Jesus selbst gesorgt. Er allein. Wir sind ins Gebet genommen. In sein fürbittendes Gebet. Das ist unvergleichlich.
- ?Gebet und Solidarität helfen gegen alles Böse? (Jan Janssen). Ja, ja. Aber auch hier, ein drittes Mal: Nein. Auch dieser Ausleger unseres Textes greift zu kurz. Es geht - noch einmal - nicht um das, was wir zustande bringen. ?Was den Gläubigen zum Gläubigen macht, ist ein Geheimnis? (K. H. Miskotte). So mag man es sehen. Wer auf unseren Text sieht und hört, weiß es gleichwohl besser. Lukas jedenfalls rückt die ?Autorität des bittenden Jesus? (Eberhard Jüngel) in den Mittelpunkt des Glaubens. Die Fürbitte Jesu geht unserem Suchen und Finden, allem Scheitern und jedem ?Erfolg? - auch dem im wieder gefundenen Glauben - voraus. Die Fürbitte Jesu allein trägt auch noch die schärfste Differenz zwischen unserem Wollen und unserem Können (vgl. Röm. 7). Zwischen unserem mehr oder weniger perfekten Selbstbild und dem immer wieder so desolaten realen Lebensvollzug. ?Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren?, bekennt es Doktor Martinus, wie wir doch alle einmal gelernt haben. ?Es streit? für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ? (EG 362, 2).
Nur unter dieser Vorraussetzung lässt es sich dann sagen, womöglich auch erfahren: Der Glaube trägt, auch uns, durch alle Anfechtungen und Versuchungen eines zerbrochenen Lebens. Auf der Basis der Fürsprache Jesu, die mehr ist als jede uns mögliche Fürbitte, nämlich die ?Kraft aus der Höhe?, wie es Lukas später formuliert (24, 49). Glaube ist nie etwas anderes als Gabe (die fides qua creditur), Glaube ist immer Glaube ?von Gottes Gnaden?. Das ist der Verheißungsgehalt unseres Textes. Er gilt dem Simon Petrus. Und nicht nur ihm. ?Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre?, lässt Lukas Jesus sagen. ?Ich... für dich? - in diesen 3 Worten ist das ganze Evangelium beschlossen.

(IV)
Ein Letztes: Auch darum steht die Geschichte von Petrus im Evangelium: die Geschichte des Jüngers, der im entscheidenden Augenblick seinen Herrn verleugnet, um die eigene Haut zu retten. Den Jesus aber dennoch nicht fallen lässt. Ihm vielmehr durch seine Fürbitte erneut die Möglichkeit des Glaubens schenkt. Aber nun nicht nur alles das: Jesus nimmt Petrus auch erneut in Auftrag und Dienst! ?Stärke deine Brüder!? (v 32). Verstehen Sie: Der an seinem Auftrag Gescheiterte bekommt einen neuen Auftrag, eine neue Chance. Ausgerechnet der schwach gewordene Verleugner soll andere in ihrer Schwachheit stärken, aufrichten und trösten.
Aber nun ist vielleicht gerade diese ?Befindlichkeit? des Petrus eine Voraussetzung für die ihm aufgetragene seelsorgerliche Aufgabe. Denn nur, wer um sein eigenes Scheitern weiß, um das Scheitern auch der besten Absichten; um die eigene Versuchlichkeit und Verletzbarkeit: Nur der ist imstande, sich nicht an der gnadenlosen Aufrechnung von Schuld und Versagen anderer zu beteiligen, sie zu verurteilen und zu verdammen. Der sich aus bitterer Erfahrung eigener Schwäche, aber geschenkter neuer Stärke, den Schwachen zur Stärkung zuwenden kann - der ist Petrus.
Noch einmal sei daran erinnert: Petrus wird ja hier nicht nur als er selbst, als versagender und dennoch berufener Jünger Jesu dargestellt. Er wird als Typus verhandelt, in exemplarischer Deutung vor unsere Augen gerückt. Denn die trotz unzähliger Niederlagen von der Gnadenzusage Jesu Umgriffenen - das sind wir ja doch alle! Anscheinend gibt es überhaupt nur solche. Und eben die stellen die christliche Gemeinde dar! Alles andere wäre doch eine fatale Selbsttäuschung, eine durch nichts zu rechtfertigende Ignoranz. Ja, das ist wohl wahr: ?Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft der Versuchten und Gefallenen, aber durch Christi Gebet Zurückgeholten und Bewahrten? (Albrecht Schönherr). Doch auch wenn Gott offenbar sein Reich nur mit zerbrochenen Werkzeugen bauen will, von den immer und immer wieder gilt: simul iustus et peccator, zugleich gerechtfertigt und Sünder (Luther): Damit wird nicht die Schwachheit zum Prinzip erhoben. Vielmehr darum geht es: Wo wir schwach sind, da ist die Gnade Gottes mächtig!
Und nun: In dieser bevollmächtigten Gnade Gottes können und sollen wir unterwegs sein durch unser Leben, zur Stärkung der Schwestern und Brüder - unbeeindruckt von jener Mischung aus Häme und Enttäuschung, mit der ?die Welt? vor allem unser Versagen und Scheitern immer wieder konstatiert. In der tröstlichen Gewissheit: Bei uns gibt es eben keine Helden, sondern nur Gehaltene.
Wohlgemerkt: Wir alle sind dazu berufen, als Nachfolger des Petrus das zu bezeugen - mit und ohne Theologiestudium. Es darf einfach nicht geschehen: Einer, der mit uns zu tun gehabt hat, sagt: Evangelium - was ist das? Ich habe nie davon gehört. Es darf einfach nicht geschehen: Einer, der mit uns gelebt hat, beruft sich darauf, das Evangelium habe sich ihm nie in den Weg gestellt; es sei ihm nie begegnet als Anlass zum Ärger oder zur Freude.
Sich aus den Lebensniederlagen heraus Glaubensstärke schenken zu lassen, die anderen zugute kommt - das möchte ich zum Schluss als ?Petrus-Wirklichkeit? bezeichnen. Und ?gesegnet? will ich diejenigen nennen, die eben das mit einem besonderen ?geistlichen Charme? zu vermitteln vermögen.

Ich erinnere mich oft an jenen Mann, den ich immer wieder zu Predigten und Vorträgen in meine Gemeinden eingeladen habe, solange ich selber Gemeindepfarrer war. Wann immer es sein Terminkalender zuließ, kam er diesen Einladungen nach. Dabei: Er war nicht in besonderer Weise rhetorisch begabt; oder intellektuell brillant. Aber er strahlte für mich so etwas wie eine unglaublich ehrliche Überzeugungskraft aus; ohne auch nur im geringsten aufdringlich zu wirken. Und eben das wollte ich gerne auch andere erleben und erfahren lassen. Er war, ich sage es einmal unter Anlehnung an unseren heutigen Predigttext und etwas salopp: ein ?echter Verstärker? Nun, in der Verhaltenspsychologie nennen wir ja auch alles einen ?Verstärker?, was Suchende und Lernende positiv be-stärkt. In christlicher Adaption also: Dieser Mann vermochte es, in unnachahmlicher Weise andere in ihrem Glauben zu bestärken.
Doch dann übermittelten eines Tages die Medien die Nachricht: Der Berliner Altbischof Kurt Scharf sei in einem Bus der Berliner Verkehrsbetriebe tot zusammen gebrochen. - ?Mein Gott?, war mein erster Gedanke, ?musste das denn sein?!? Doch langsam verstand ich es: Dieser eines Bischofs unwürdige Tod war womöglich das selige Sterben eines wahren Christen, der in seiner aufrichtigen Bescheidenheit der Petrus-Nachfolge - bis ganz zuletzt - an nichts anderes erinnern wollte als an die Lebenskraft, die ein Gekreuzigter verschenkt, dessen Leben vom Tod nicht beendet werden konnte.


Dr. Dr. Günter Goldbach
Zum Schäferhof 21
49088 Osnabrück

E-Mail: Guenter.Goldbach@uni-osnabrueck.de

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