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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Predigt zu Lukas 2:1-14 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Niels Henrik Arendt

Einer meiner Freunde ist lutherischer Pastor in Bethlehem- Bethlehem, das wir im ganzen September besingen, ist nicht ein Ort im Lande östlich der Sonne oder westlich des Mondes oder eine andere Phantasiewelt, nein, es ist eine ganz gewöhnliche Stadt, die westlich des Jordans im Heiligen Land liegt. Vom Bethlehemer Pastor erhielt ich einen Weihnachtsbrief mit einem Bild, das mir nicht aus dem Kopf wollte. Nun ist es ja so, dass diese ganz gewöhnliche Stadt Bethlehem an drei Seiten von einer neun Meter hohen Mauer umgeben ist. Es ist die Schutzmauer, die Israel zwischen sich und den besetzten Gebieten errichtet hat. Darüber kann man geteilter Meinung sein; ich habe auch meine Meinung, und damit möchte ich euch jetzt nicht belasten. Aber schön ist es nicht. Das Bild, das ich bekam, ist ein Bild aus einer bestimmten Ecke der Mauer mit einem riesengroßen Wandbild. Das Bild stellt die Jungfrau Maria dar, hochschwanger, in orangenen und goldenen Farben, wie eine Ikone. Maria sieht etwas bedrückt aus, besorgt - und das kann man ja gut verstehen.

Ein solches Bild erwartet man nicht an dieser Mauer mit ihren Wachtürmen, den Grafittis mit ihren markanten politischen Aussagen. Wenn mir das Bild nicht aus dem Kopf will, so deshalb, weil es genau den Gegensatz enthält, der auch im Weihnachtsevangelium zu finden ist. Etwas sehr Schönes - und etwas sehr Hässliches. Etwas sehr Friedvolles - und etwas, das Unfrieden und Feindschaft zwischen Menschen signalisiert. Etwas Hoffnungsvolles, was strahlt mehr Hoffnung aus als der im Grunde ganz alltägliche Anblick einer schwangeren Frau - und dann etwas, was ein hohes Maß an Hoffnungslosigkeit ausstrahlt.

Schön mit dem Kind Jesus, von dessen Geburt heute erzählt wird im Evangelium, aber um Gottes willen, was für eine Umgebung dort im Stall. Friedvoll mit der kleinen Familie, aber gleich um die Ecke lauern die dem Kind nach dem Leben trachten. Wir denken auf die Zukunft hin, wenn ein Kind auf die Welt kommt, aber für Josef und Maria, für ihr Kind, ja für ihr ganzes Volk sah die Zukunft hoffnungslos aus.

Wir hören, dass die Engel eine Friedensbotschaft in die Nacht singen: Friede den Menschen und Gottes Wohlgefallen. Das klingt so hoffnungsvoll, so verlässlich. Aber da ist kein Friede. Weder in Bethlehem noch in Ferguson, Syrien, der Ukraine oder dem Irak. Es ist auch kein Friede bei uns: Man denke nur daran, wie viele Kinder mehrmals Heiligabend feiern müssen, weil ihre Eltern es nicht fertigbringen, Frieden zu schließen! Oder man denke an den Unfrieden in uns selbst, wenn wir uns ungerecht behandelt oder übersehen fühlen. Man denke die Angst, den Job zu verlieren oder sonst irgendwie zu Fall zu kommen.

Frieden, Frieden, singen sie aber wo ist Frieden?

Ist die ganze Weihnachtsgeschichte ein großer Betrug? Ja, entweder ist das der Fall - oder aber es gibt tatsächlich einen Frieden mitten in all dem, was so völlig unfriedlich wirkt. Und es ist eben das letztere wahr!

Was ist Frieden? Nicht nur die Abwesenheit von Streit und Kampf. Nein, es ist die Befreiung von jedem Feind, die Entdeckung, dass die Feinde nicht die letzte Macht über uns haben. Weil die Macht bei einem anderen liegt. Man kann Frieden in einer Situation erleben, in der man von Feinden umgeben ist. Wenn man etwas bei sich hat, das die Feinde nicht erobern können, dessen sie sich nicht bemächtigen können. Wenn die Feinde ganz einfach nicht das letzte Wort haben.

Anders gesagt: Selbst die stärksten Mächte können in Situationen kommen, wo sie entdecken, dass all ihre Waffen nichts nutzen. In dem Film „The Lady" über die burmesische Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi , die 20 Jahre unter Hausarrest stand, , sieht man auf einem Marsch eine Abteilung Soldaten, die versuchen, sie zu stoppen, indem sie ihre automatischen Gewehre auf sie richteten und entsicherten. Sie aber geht nur weiter ihnen entgegen. Und man sieht die Ratlosigkeit in ihren Gesichtern: Wie kann man jemanden überwinden, der noch nicht einmal fürchtet, erschossen zu werden?

Aller Unfriede beginnt mit Menschen, so ist es leider. Aller Unfriede beginnt mit der Unruhe und dem Selbstbehauptungswillen, den es im Herzen eines jeden Menschen gibt. Aber gegen diesen Unfrieden stellt das Christentum das Kind von Bethlehem. Es kommt mitten in den hässlichsten und feindseligsten und hoffnungslosen Umgebungen. Niemand kann verhindern, dass das Kind zur Welt kommt, und damit - auch wenn dies wohl so etwa das Hilfloseste und Ohnmächtigste ist, was wir uns vorstellen können - ist dies Ausdruck einer göttlichen Macht, die Unfriede beginnt mit der Unruhe, die allen Widerstand überwindet. Selbst der Unfriede, die Unruhe in uns selbst können nicht bestehen. Das ist die unfassbare Befreiung des Weihnachtsevangeliums - ‚befreit wir werden von jedem Feind, auch dem, der unsere Herzen besetzt hat‘.

Gott bedarf keiner Machtdemonstration, um alle Kräfte des Unfriedens kleinzumachen; nein, er kann sich mit so etwas Alltäglichem und Geringfügigem begnügen wie das Kommen eines Kindes in die Welt.

Reden wir nun von so einer Art himmlischem oder geistlichem Frieden? Nein, es ist etwas, was hier auf Erden geschieht. Eines der schönsten Beispiele dafür sind die Berichte vom ersten Weltkrieg von den deutschen, französischen und englischen Soldaten, die vor genau 100 Jahren, am Heiligen Abend 1914 aus ihren Schützengräben krochen in das Niemandsland zwischen den Fronten und einander Geschenke, Zigaretten und Schokolade gaben und sogar gemeinsam sangen. Das ist auch das Bild der schwangeren Frau an der hässlichen Mauer. Das ist die Überwindung unserer Selbstgenügsamkeit, wenn wir uns dazu befreit wissen, anderen Menschen die Hand zu reichen, die gerade nicht in ihrem Leben Überschuss haben. Es ist eine groteske, aber auch verhängnisvolle Täuschung, wenn wir glauben, dass das Böse nur durch riesengroße Maßnahmen überwunden werden kann, allzu groß für unsere Kräfte. Seht Gott: Er lässt eine Frau ein Kind zur Welt bringen, das ist alles, und das bewirkt so viel, dass wir noch heute davon erzählen.

In derselben Weise erzählt der Pastor aus Bethlehem, dass alle Regierungschefs der Welt fast routinemäßig an diesem Brennpunkt der Welt vorbeikommen, um etwas zu bewirken - und bislang ist dabei nichts herausgekommen. Aber in Bethlehem sorgt die lutherische Kirche dafür, dass die Kinder in die Schule gehen, dass ihnen in ihrem schlimmsten Traumen geholfen wird, dass es einen Ort gibt, wo sie Fußball spielen können, und man gibt ihnen die Möglichkeit einer brauchbaren Ausbildung. Das hält das Böse in Schach, und das schafft Hoffnung darauf und Glaube daran, dass die Mächte der Zerstörung nicht das letzte Wort behalten.

Gott behält das letzte Wort. Und damit sind wir befreit von der Angst, dass das Böse in uns und um uns zuletzt die Macht erhält. Aber wir sind auch davon befreit von dem Riesenbeitrag, für den unsere Kräfte nicht reichen, befreit zu der kleinen alltäglichen wohlgemeinten Tat, zu der wir alle fähig sind und die so wichtig ist. In dem großen Film über Tolkiens Roman „The Hobbitt" sagt der alte Zauberer Gandalf einmal zu einem seiner Mit-Zauberer: „Er glaubt, dass nur die überwältigende Macht das Böse in Schach halten kann. Aber das ist es nicht, was mir klargeworden ist. Ich bin zu der Einsicht gekommen, dass es die kleinen alltäglichen Taten von ganz gewöhnlichen Menschen sind, die der Finsternis die Stirn bieten. Kleine Taten der Freundlichkeit und der Liebe". Das Größte kann im Kleinsten verborgen sein. Daran hat mich das Maria-Bild an der Mauer erinnert. Gehen wir denn heute Abend nach Hause und feuern Weihnachten mit Wärme, Gemütlichkeit und Verträglichkeit. Tun wir allen Gutes, reden wir ordentlich miteinander und lassen wir den Frieden einen Augenblick über uns kommen - und machen wir nicht zu schnell weiter im Trott des Alltags. Auch das ist die Befreiung von Weihnachten. Gesegnete Weihnachten!



Pastor, ehem. Bischof Niels Henrik Arendt
Ulfborg
E-Mail: nha(at)km.dk

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