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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2014

Predigt zu Lukas 2:1-14 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Michael Brautsch

Liebe ist die höchste Form der Weisheit, und die Liebe macht uns frei. Nun haben wir die Weihnachtsbotschaft gehört, dass wir nicht allein sind, preisgegebene kleine Wesen auf einem kalten Planeten mitten im unendlichen Weltraum. Denn wir haben die Weihnachtsbotschaft gehört, ein Zeugnis dafür, dass wir nicht ohne höchsten Sinn sind, ohne eine absolute Wahrheit, ohne die grenzüberschreitende Freiheit, ohne Gott.

Gott selbst hat sein Volk besucht, und dieses Volk sind wir. Und wird das Evangelium von Lukas nicht nur erzählt, nein, wir sollen es wirklich hören. Es annehmen, vielleicht nicht mit dem Verstand (denn es ist schwer zu verstehen), sondern mit unserem ganzen Herzen, unserer Seele, unserem Sinn. Es ist nicht leicht, aber wir haben ja auch das ganze Weihnachten, bis zu Ostern, und ein ganzes Leben dafür.

Nun ja. Wir hören die Weihnachtsgeschichte von Lukas. Wir haben sie so oft gehört: Das kleine Kind in der Krippe der Stalltiere, Engel, Hirten und der Besuch der Weisen -der Könige auf ihrem Gebiet. Wir hören und lesen, aber was bedeutet das, was wir hören sehen?

Ostern und Pfingsten, also die Überwindung des Todes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, entspringen von Weihnachten - das Fundament selbst wird also am Heiligen Abend errichtet, aber was ist dieses Fundament? Worin besteht es und was können wir dann darauf bauen? Denn es handelt zwar von Gott, aber es macht keinen Sinn, wenn es nicht auch uns angeht. Für uns ergeht die frohe Botschaft, zu uns kommt Jesus auf die Erde.

Das, was Gott in die Welt hinein geboren sein lässt, ist die Liebe - aber Liebe ist ein schwieriges Wort. Wir gebrauchen es in so vielen Zusammenhängen, dass es sowohl verbraucht ist und etwas fremd. Dann können wir es ja mit der Wahrheit versuchen. Oder Freiheit. Die Wahrheit wurde in jener Nacht geboren. Nicht dass es vor diesem Ereignis in Bethlehem keine Wahrheit gegeben hätte, aber es war eine „Wahrheit" mit kleinem „w".

Logische Wahrheit z.B., wenn man nachweist, dass eine Aussage allein aus dem Grund wahr ist, weil das Gegenteil eine Unmöglichkeit wäre oder Nonsens: „Alle Junggesellen sind unverheiratet" - dieser Satz war wahr vor Jesu Geburt und ist immer noch wahr - logisch wahr, weil es im Wort „Junggeselle" liegt, dass man unverheiratet ist. Das ist eine absolute Wahrheit, während eine Aussage wie „es schneit im Winter" nicht notwendigerweise wahr oder falsch ist, denn es kommt ja darauf an, wo auf der Erde man wohnt.

Wahrheit, mit kleinem „w", bezog sich immer auf Übereinstimmung mit Fakten und Wirklichkeit. Subjektive Wahrheit ist das, was für dich wahr ist, also ob es gerade kalt oder warm ist, während objektive Wahrheit von Naturgesetzen handelt.

In dieser Weise wird es nicht sicher nicht leichter, die Weihnachtsgeschichte vom Jesuskind, wenn wir versuchen, sie als die „Wahrheit" zu deute, die in die Welt geboren wird. Es kann schwer sein, zwischen den verschiedenen Formen von Wahrheit zu unterscheiden.

Jesus sagt von sich selbst: „Ich bin die Wahrheit, der Weg und das Leben". Alles mit großen Buchstaben und in bestimmter Form. Die Wahrheit.

„Dann bist du also eine Art König, fragte Pilatus. Ja, antwortete Jesus, ich bin dazu geboren, und ich bin gekommen, um von der Wahrheit zu zeugen. Alle, die die Wahrheit lieben, hören mich. Ja, was ist Wahrheit, unterbrach ihn Pilatus".

Sie reden nicht von demselben, aber das weiß Pilatus nicht. Er ist nämlich nicht weiter gekommen als bis zu den Äpfeln im Paradies, den Früchten, zwischen Gut und Böse, richtig und falsch unterscheiden zu können. Die Frucht gab Einsicht - wenn du das Gute kennen willst, wirst du auch mit dem Bösen Bekanntschaft machen. Und wenn du erst das Böse kennst, fängt es dich ein.

Deshalb muss es ein Verkehrsgesetz geben für uns Menschen und unseren Umgang miteinander, und dieses Gesetz war das Gesetz im Alten Testament. Der größte Teil des mosaischen Gesetzes handelt von dem, was man nicht tun soll und dem was richtig ist zu tun, verstanden als Wahrheit, aber Wahrheit mit kleinem „w".

Und das genügt nicht, wenn der Mensch von dem Untergang gerettet werden soll, dem wir entgegengehen. Das sagt Jesus immer wieder. Wir brauchen das Evangelium. „Wenn ihr euch wirklich durch das Gesetz erlösen wollt, dann müsst ihr auch das Gesetz hundertprozentig einhalten. Sagst du „Narr", oder denkst du „Tor" übereinen anderen Menschen, hast du einen Mord begangen. Machst du das Leben schwer für die, mit denen du auf der Erde lebst, im Großen wie im Kleinen, dann bist du dabei, dem betreffenden das Leben zu nehmen. Siehst du nur einen Augenblick auf den Ehepartner eines anderen, hast du Ehebruch begangen, denn dann bist du nicht rein im Herzen. Halte das Gesetz hundertprozentig und erlöse dich selbst. Oder erkenne das Unmögliche der Aufgabe; erkenne, dass du allein nicht stark genug bist", sagt Jesus zu uns.

Du musst viele Dinge in deinem Leben entscheiden, Wege dafür und dagegen, aber die Wahrheit selbst (mit großem „W"), der ganze und große Sinn des Lebens, das was nicht relativ ist sondern immer dasselbe, das Fundament unter allen Dingen, das was dich schließlich hält, wenn du fällst (zusammen mit Aktienkursen, Immobilienpreisen, Todesfällen, Untreue, Angst und Gier); der Wahrheit sollst du dich nur zuwenden und Ruhe in ihr finden.

Die Wahrheit hast du dir nicht verdient, denn sie kam aus Liebe, und die Liebe ist immer unverdient. Sie hat nie denen geschmeichelt, die Macht und Einfluss hatten, Geld und Berühmtheit, denn sie wurde diese Welt hinein geboren in einem Stall unter Tieren und armen Menschen, mit unglaubwürdigen Hirten als ersten Zeugen.

Die Wahrheit ist nicht etwas, was aus logischen, subjektiven oder objektiven Gründen gewählt werden muss, denn die Wahrheit hat dich erwählt, und wie die Jungfrau Maria neun Monate zuvor gesagt hat, so können auch wir nur sagen: Gott, ich bin dein Diener, ich bin dein Werkzeugkasten, ich bin in Deinen Händen, gebrauche mich hier in dieser Welt wie du willst. „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden".

Wahrheit. Und Freiheit. Die Liebe macht uns frei. Der Radio-Journalist Frederik Dessau schreibt in einem seiner Bücher folgendes Glaubensbekenntnis: "Ich glaube, dass Freiheit im umfassendsten Sinn des Wortes die innerste Bestimmung des Menschen ist, Freiheit von Schuld und Zwang und Angst, Freiheit nein zu sagen, und man selbst zu sein ohne Furcht vor Bedingungen anderer".

Freiheit man selbst zu sein! Ich glaube, dass ich Gottes geliebtes Kind bin, nach Gottes Bild geschaffen, reisend mit Gott und gegen Gott. Frei, wie es nur der Reisende sein kann, denn der Reisende besitzt den Augenblick und die Möglichkeit. Jesus ist der Weg, in ihm ist somit die echte Freiheit.

Und die Bewegung des Evangeliums ist immer Freiheit. Denn Freiheit ist die Essenz der innersten Botschaft des Evangeliums, die Liebe ist. Und deshalb ist Glaube, im christlichen Sinne, immer Glaube an die Freiheit des Menschen. Das ist die innerste Bestimmung des Menschen.

Die Freiheit finden wir meist im Band der Liebe zu einem anderen Menschen. In der Gebundenheit der Liebe findet sich die größte Freiheit. Die Liebe macht eben frei. Deshalb ist das Reich der Liebe identisch mit dem der Freiheit. Das ist gerade das ganz Große im Verhältnis zu einem anderen, dass wir gerade dort freigesetzt sind. Frei werden, um sich zu binden.

In Jesus Christus, dem Kind in der Krippe, dem Heiland auf dem Wege, dem Menschensohn am Kreuz, zeigt sich Gott nicht als Richter, sondern als ein Vater, der seine Kinder liebt und ihnen deshalb Freiheit gibt. Das ist vielleicht die allerwichtigste Botschaft im ganzen Christentum, dass sich Gott eben als Vater offenbart. Dort ist die Liebe am größten und schenkt vor allem Freiheit.

Freiheit gibt es in all den Verhältnissen, wo wir uns binden: zu Mutter und Vater, Ehepartner und Kindern, Brüdern und Schwestern. Hier ist die Freiheit wirklich, weil diese Beziehungen auf der tiefsten Liebe beruhen. In diese Verhältnisse setzt sich Gott selbst hinein, im Evangelium, und das Christentum überträgt sie auf seine Gemeinde, so dass wir nun gemeinsam eine Familie sind.

Dies war es, was in dem Stall geschah. Wir sollen nicht nur stehen und zuschauen. Die Hirten standen auch nicht nur da und sahen zu, und dies tat niemand, der Jesus wirklich gesehen hat. Wir sollen keine Zuschauer sein, sondern eine Familie. Wir sind einander Schwestern und Brüder. Über allem ist unser Vater. Das ist der Kern des Christentums. Und das schenkt die allergrößte Freiheit.

Das Christentum ist Freiheit von Schuld und Zwang und Angst. Die Religion, die unter dem Namen Christentum bekannt ist, ist zwar lange Zeit das Gegenteil gewesen: hat den Leuten Schuld und Zwang und Angst auferlegt. Aber das war ein völlig missverstandenes Christentum. Christentum ist Liebe und damit Freiheit, sein Leben zu leben und man selbst zu sein ohne Furcht vor Bedingungen anderer.

Liebe ist ein schwieriges Wort, und Wahrheit und Freiheit wohl auch. Aber im Lichte, dem kleinen Licht in der Finsternis, da sehen wir trotzdem und verstehen. Wir können es nicht mit Worten erklären, aber in der Empfindsamkeit des Herzens und der Unendlichkeit des Blickes sollen wir versuchen, es ei einander und bei uns selbst zu finden.

Denn, wahrlich: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell". Frohe Weinachten. Amen.



Pastor Michael Brautsch
DK-2000 Frederiksberg
E-Mail: MWB(at)km.dk

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