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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Predigt zu Lukas 2:10-11, verfasst von Ekkehard Heise

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

   Heiligabend -

Nun endlich ist es so weit.

         Der Friede der Weihnacht kann unsere Herzen erfüllen.

Wir beginnen das große Fest gemeinsam in der Kirche.

         Wir überzeugen uns:

                   Auch andere sind da. Wir sind uns nah, gemeinsam erleben das Besondere dieser Heiligen Nacht, ihr Geheimnis, das wir immer wieder neu entdecken dürfen:

 

   Weihnachten verbindet uns Menschen, auch wenn wir nachher, in den Familien, vor verschiedenen Tannenbäumen und brennenden Kerzen weiterfeiern.

Wir haben die vertrauten Worte der Weihnachtsgeschichte gehört -

Mit wie vielen Erinnerungen an früher, an andere Weihnachten sind sie verbunden. Und alle Jahre wieder fragen wir nach und sinnen über der alten Geschichte:

Was bedeutet ihr Geheimnis uns dieses Jahr?

Was meint der Engel, der zu uns spricht:

 

„Fürchtet euch nicht;

siehe ich verkündige euch große Freude,

die allem Volke widerfahren wird,

denn euch ist heute der Heiland geboren:"

 

„...der Heiland geboren..."

                   auch für uns in Stade,

                            für jeden von uns ist das wahr geworden!

 

Das Geheimnis des Glaubens.

Immer wieder neu möchte ich dieses Geheimnis des Glaubens kennenlernen,

ihm nachsinnen.

Das Geheimnis der Weihnacht für mich erschließen.

Und manchmal,

   in den langen dunklen Nächten der Weihnachtszeit

                   wird etwas von diesem Geheimnis offenbar.

Ich erinnere mich eines Traumes.

Es ist Heiligabend und ich befinde mich im Hause meiner Eltern.

Dort warte ich,

         wie wir es als Kinder immer taten,

                            im dunklen Zimmer,

                                      bis das Glöckchen uns

                                               ins geheimnisvolle Weihnachtszimmer

                                                                           zur Bescherung rufen wird.

Das Glöckchen erklingt.

Ich eile der verheißungsvollen Tür entgegen,

                                                        aber sie verschlossen.

Ich rüttele ein wenig an ihr.

                   Aber nichts geschieht.

Hilfesuchend blicke ich mich um und bemerkte,

dass ich allein bin.

Das Weihnachtszimmer ist verschlossen.

Ich halte inne.

         Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit.

Der Raum ist mir auf einmal fremd

                                               und doch wieder vertraut.

Es scheint mir als wenn er immer größer und weiter werde.

Ich sehe mich um.

In der Ecke steht ein alter Ohrensessel

         und an den Wänden hängen Bilder,

                    aus denen Licht in den verschiedensten Farben schimmert.

Manche Bilder strahlen hell,

         gleißendes Licht scheint aus ihnen hervorzubrechen,

                                                                  das den Augen weh tut.

Andere sind in warme Farben getaucht.

 

In dem Sessel sehe ich nun einen alten Mann sitzen.

                            Er blickt von einem dicken Buch hoch

                                               und sieht mich freundlich an.

Sein faltiges Gesicht ist ruhig,

         und es erscheint mir unendlich vertraut,

                            wenngleich ich im Moment nicht weiß,

                                                                  woher ich es kenne,

„Wenn Du in das Weihnachtszimmer willst",

                                                                  sagt der Greis,

„dann musst du erst herausfinden,

         was das Geheimnis deines Lebens ist.

Ohne dieses Geheimnis zu entdecken,

                            kannst du jene Tür nicht öffnen.

 

Seine Worte klingen liebevoll,

                                      weise und ein wenig traurig.

 

„Versuch herauszufinden, wer du bist",

                                                        sagt er,

„anders findest du nicht zur Freude der Weihnacht.

  Es steht alles in diesem Buch."

 

„So gib es mir",

                   bitte ich,

„dass ich das Geheimnis meines Lebens erfahre."

Aber der alte Mann lächelt:

„Dafür ist es noch zu früh.

                             Dieses Buch darf nur ich lesen.

Für dich sind die Bilder,

         die du an den Wänden siehst,

                            mit ihnen erfährst du genug für heute.

Sie bringen dich auf den Weg.

                            Mehr braucht es nicht, "

und sein Blick versenkt sich wieder in das Buch.

 

Ich blicke mich im Raum um.

Die ersten Bilder,

         die ich an den Wänden betrachte,

                                                sind Kinderzeichnungen.

Ich erkenne Menschen,

          mit Bundstiften gezeichnete Köpfe mit langen Beinen und Füssen,

                   Arme mit Händen, die wie kleine Harken aussehen.

 

Dann werden die Zeichnungen genauer:

Mit Wachsmalstiften,

                   Tusche immer bunter und voller werden die Bilder.

Auf vielen lacht eine große, gelbe Sonne,

ich erkenne ein Haus,

                            eine Kirche,

                                       einen großen Apfelbaum

und immer wieder eine kleine Person,

                            deren Hände rechts und links

                                      von großen freundlichen Menschen gehalten werden.

Es sind meine Bilder,

erkenne ich,

                   Bilder, die ich als Schulkind gestaltet habe,

Zeugnisse einer behüteten Kindheit.

 

Später malte ich auch meine Angst:

                                      brennende Hände,

die sich verzweifelt aus einem dunklen Meer

                            dem schwarzen Himmel entgegen recken.

 

Mein Blick geht weiter und entdeckt Fotos:

ein langhaariger Jugendlicher mit mürrischem Blick ist zu sehen

         und beim Betrachten dieser Fotos erklingt Musik,

                                      harte schmerzende Akkorde

                                               und weiche sehnsuchtsvolle Melodien,

Musik, die ich als Jugendlicher gehört habe,

Lieder,

         die das menschliche Unrecht anklagen

                                      und Frieden herbeisehnen.

 

Mein Herz beginnt heftiger zu schlagen.

Ich trete vor einen Rahmen,

                   aus dem gleißendes Licht in die Augen brennt.

„Wie idiotisch von mir damals",

                             denke ich, als ich die Szene erkenne

                                      und wende meinen Blick beschämt ab.

 

Und doch muss ich wieder hinsehen.

Der Schmerz lässt nach,

                   erfährt Linderung durch den Rahmen,

                                               in dem dieses Foto gehalten ist.

Ein wundervoller, großer, starker Rahmen aus kostbarem Holz,

                   der dem Bild viel von seinem Schrecken nimmt,

                                                                  den es für mich zunächst hatte.

 

Immer mehr gerahmte Fotos reihen sich aneinander.

Szenen aus meinem Leben.

         Schöne, herzliche Erinnerungen,

                                      manches lang Vergessene.

 

Etwas Geheimnisvolles geht von diesen Fotos aus.

Ihre Farben sind nicht die des Alltages,

                            sondern es sind besondere Farben:

Auf den Fotos der guten Erinnerungen

         scheint alles wie mit dem Goldgelb der Sonne durchmischt zu sein.

Traurige Momente sind in ein warmes Blau gehüllt,

         das den Schmerz linderte und die Wehmut fast heiter stimmt.

 

Auf jenen Fotos, die Szenen meines Lebens zeigen,

                   die ich so gerne vergessen hätte

                                               und doch nicht konnte,

sind die Farben oft bizarr,

                   leuchteten grell

         und selbst das Dunkel der Nacht

                   scheint mit roten Blitzen durchzogen,

                                      mein Gesicht in giftigem Grün entstellt.

Diese Bilder lassen mich erschauern

         und schnell suchen meine Augen die Rahmen,

die die schrecklichen Darstellungen halten,

                                               ihnen Ruhe geben

                                                        und alle Scheußlichkeit auffangen, 

dem Ganzen so einen Frieden geben, der mir guttut und tröstet.

 

Ich weiß nicht,

          wie lange ich mich in jener geheimnisvollen Bildergallerie

                                                                                              aufgehalten habe.

Auf und ab gehen meine Gefühle,

         nichts, was mein Leben ausmacht bleibt unerwähnt.

Es findet sich ein Bild,

                   eine Zeichnung,

                                      ein Foto

                                               oder Darstellung für alle Momente ,

                                                                       derer ich mich erinnern kann,

und dennoch,

          ich hätte noch stundenlang weiter die Bilder betrachten können.

 

Die schönen Erinnerungen, an die zu denken, mir so gut tat,

         aber auch, ja gerade, die schlimmen Bilder,

                   sie sind so klar,

                            deckten auf

                                      und ihr spiegelblankes Licht zeigt jede Einzelheit,

auch diese Bilder kann ich betrachten,

         weil sie stark und liebevoll eingefasst sind.

 

„Na, erkennst du nun das Geheimnis deines Lebens?

         die Stimme des alten Mannes erklingt freundlich aus dem Sessel.

„Es ist das Licht", sagte ich,

         „dieses warme goldgelbe Licht,

                   das alles bescheint und durchdringt

und es sind die Rahmen,

         alles, was wehtut,

                    ist eingeschlossen in einem guten schützenden Rahmen,

                                                                                     der es tragbar macht."

 

„Es ist das Verzeihen Gottes, dieser Rahmen",

                   die Stimme des Greises klingt warm und annehmend,

„und das Licht, das ist seine Liebe.

Verstehst du dieses Geheimnis?
Weißt du jetzt,

         was das Wichtigste in deinem Leben ist?"

 

„Ja, das weiß ich", antworte ich.

„Ich weiß,

         dass ich in allem gehalten war und bin,

dass einer Ja, zu mir sagt,

                   und dass ich geliebt werde.

Mein Leben ist nicht immer einfach und gradlinig gewesen.

Wüstenzeiten und hässliche Bilder gehören dazu,

         aber ebenso Zeiten der Freude und Gelassenheit.

Ich bin geliebt.

Und ich kann Liebe weitergeben.

Ich habe eine Ahnung von den Geheimnissen des Lebens.

Und ich glaube, dass alles Dunkle und Zerstörerische,

         meine Fehler und Irrtümer,

                  einmal ein Ende haben werden.

Und das Wichtigste,

         ich weiß jetzt, dass ich nicht allein bin auf meinem Lebensweg,

es niemals gewesen bin

                   und niemals sein werde."

 

„Das stimmt",

sagt der alte Mann,

„ich kann es dir bestätigen,

         du wirst auch in der Zeit, die noch kommt,

          niemals allein sein.

                            Ich weiß es."

 

Und in seinem Lächeln erkenne ich in seinem alten Gesicht, mein eigenes.

 

Ich bin mir selbst begegnet,

         wie ich sein werde am Ende meiner Tage.

 

Ich möchte die Hand des Alten ergreifen und ihn noch so vieles fragen, aber da ist er verschwunden, der Sessel ist leer, und der Raum verändert sich.

Die Bilder an den Wänden verschwinden.

Und ich stehe wieder vor der Tür im dunklen Zimmer meines Elternhauses.

Was für eine geheimnisvolle Begegnung, denke ich, und ich spüre:

Gott ist da, und wenn ich ganz still werde, kann ich seine Stimme in mir hören.

Und es sind gute Worte, die sie zu mir spricht. Worte der Annahme,

         des Verzeihens,

                   der Liebe und Zuneigung,

                                               Worte die Schutz geben.

 

Ich stehe wieder vor der Tür,

                   im dunklen Zimmer meines Elternhauses.

Es ist Heiligabend

das Glöckchen erklingt

         und als ich nun die Klinke bewege,

                   öffnet  sich die Tür

                            und ich trete in das hellerleuchtete Zimmer.

 

Ich durfte das Geheimnis des Glaubens zu Weihnachten erfahren.

 

Liebe Gemeinde,

wir alle dürfen das Geheimnis des Glaubens zu Weihnachten erfahren.

In einem Traum,

         wenn wir innehalten,

                   einkehren und uns besinnen,

so wie jetzt im Gottesdienst,

 

Wir dürfen unser Leben bedenken

         und in ihm die Zuwendung Gottes entdecken,

                                      in den guten und schweren Momenten.

 

Wir dürfen unser Leben betrachten,

                            in uns hineinhorchen,

ganz still werden,

         auf laute Worte,

                   Erklärungen und  Ausreden verzichten.

Ganz still werden.

 

Dann spricht Gott zu uns und wir hören seine Stimme,

                   die uns das Geheimnis des Glaubens eröffnet:

 

„Du bist nicht allein.

         Gott ist bei dir,

                            hält dich,

                                      und das Licht seine Liebe begleitet dich."

 

Ihnen allen eine gesegnete Weihnacht.     

 

 

Amen.



Pastor Ekkehard Heise
Stade
E-Mail: ekkehard.heise@t-online.de

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