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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Vom Kaiser und vom Kind
Predigt zu Lukas 2:1-20, verfasst von Bernd Giehl

Liebe Gemeinde!

Ich weiß gar nicht mehr, ob meine Eltern mir abends vor dem Schlafen gehen Geschichten erzählt oder vorgelesen haben. Dabei war ich doch ein Kind, das Geschichten liebte. Geschichten deuten die Welt. Manchmal öffnen sie auch die Augen für das, was wir mit unseren fünf Sinnen nicht erkennen können.

Gewiss: es gibt auch die belanglosen Geschichten. Oder die, die Lügen erzählen. Geschichten, die die Welt falsch deuten. Und wenn wir älter werden, lernen wir fast automatisch die Deutung der Welt durch die Naturwissenschaften kennen. Für viele von uns werden dann die Antworten der Naturwissenschaften zu den einzigen Erklärungen, die zählen. Der magische Aspekt, der in den Geschichten aus der Kindheit noch eine so große Rolle gespielt hat, verschwindet nach und nach. Nur das, was man sehen kann, nur was beweisbar ist, was erforscht werden kann, nur das bleibt bestehen.

Ob da etwas verloren geht? Man kann darüber streiten.

 

*

 

Habe ich gerade „streiten" gesagt? Um Gottes Willen, gerade dieses Wort wollte ich doch vermeiden. Unter allen Umständen. Weil doch jetzt Weihnachten ist.

Nein, an Weihnachten streiten wir nicht. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. An Weihnachten singen die Engel in den schönsten Harmonien vom Frieden auf Erden und alle dissonanten Töne sollen gefälligst draußen bleiben.

Und die Engel? Die dürfen heute hinein in unsere guten Stuben. Nein, das stimmt immer noch nicht so ganz. Die sollen, die müssen hinein. Nicht nur in diesen Gottesdienst. Die nehmen wir mit nach Hause und zuhause zünden wir die Kerzen am Weihnachtsbaum an, damit die Engel sich dort wohlfühlen und nicht gleich wieder verschwinden. Wir brauchen ihnen ja nicht zu sagen, dass wir an den übrigen Tagen des Jahres nicht an sie gedacht haben. Das alles spielt jetzt keine Rolle. Sie sollen den Frieden der Heiligen Nacht  mitbringen, nach dem wir uns so sehnen. Die sollen bewirken, dass es anders wird mit uns und der Welt.

 

*

 

Merken Sie's? Aber natürlich merken Sie's. Weihnachten ist das Fest der Wünsche. Und damit meine ich nicht nur die Wünsche der Kinder, die sich die X-Box wünschen oder das neue i-Phone. Ich meine auch die Wünsche, die womöglich noch schwerer zu erfüllen sind. Den Wunsch nach Frieden zum Beispiel. Oder nach Heilung der Wunden, die das Leben uns geschlagen hat. Ob ein Tag dafür ausreicht? Ob dazu nicht ein Weg notwendig ist? Eine Reise zum Beispiel? Reisen können bilden, aber sie können auch wegführen. Von alten Wahrheiten zum Beispiel. Oder von alten Sicherheiten.

Machen wir uns also auf die Reise. In eine alte Geschichte, die von einem neugeborenen Kind erzählt. Geschichten deuten die Welt, habe ich vorhin gesagt. Manchmal stellen sie dabei unsere Gewissheiten infrage. Was wir zu kennen wissen wird zweifelhaft. Ob wir es wirklich wagen sollen? Ach was, wir fragen nicht. Wir gehen einfach hinein in diese Geschichte. So als ob wir sie noch nicht kennen würden. Als hätten wir sie nicht schon tausend Mal gehört.

Und da fragen wir uns nun als erstes: Wo ist das Licht? . Zunächst einmal ist es nicht da, wo es sein sollte. Lukas zumindest berichtet nichts von einem Stern über dem Stall, der anzeigt, dass hier etwas Besonderes geschehen ist.  Das Licht ist eher in Rom, wo der große Kaiser Augustus regiert. Dort werden die rauschenden Feste in den Villen der Senatoren und dem Palast des Kaisers gefeiert.   Wer ein so großes Reich regiert wie der römische Kaiser Augustus, ein Reich, das von Germanien bis an die Flüsse Euphrat und Tigris reicht, der braucht natürlich Geld. Geld für die Verwaltung der Provinzen, für das Militär, das den Frieden garantieren muss und nicht zuletzt für die Bauten, die vom Glanz und der Macht des Herrschers erzählen sollen. Da müssen eben manchmal auch Steuern erhöht oder neue Einnahmequellen erschlossen werden.

Und so stelle ich mir nun vor, dass Rom hell erleuchtet ist, während in Bethlehem allenfalls ein paar Fackeln brennen.  Der Kaiser ist Gott, so heißt es und wo Gott ist, da strahlt das Licht. Dass da nicht so viel für die Menschen in den Provinzen übrig bleibt, nun ja. Der Kaiser braucht Geld und die Provinzen müssen es aufbringen.

„Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlecht Davids war, damit er sich schätzen ließe, mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." (VV4-7)

Eigenartig, wie nüchtern, das alles anfängt. Und wie wenig Licht da ist. Gewiss, es gibt schlimmere Orte, an denen Menschen geboren werden. Babys, die auf die Welt kommen sollen, können nicht warten, bis die Umstände günstiger sind; sie kommen notfalls auch im Straßengraben auf der Flucht oder im Bunker zur Welt. Davon hören wir derzeit öfter als uns lieb ist.  Aber wenn wir es erfahren, dann nur als Teil einer Reportage aus Syrien oder dem Irak, als Illustration, wie schlimm der Krieg wüten kann. Normalerweise wäre ein solches Ereignis viel zu unbedeutend, als dass es auch nur in den Spalten von „Vermischtes" auftauchen würde.

Noch können wir es nicht erkennen. Noch wissen wir nicht, dass hinter dem Ganzen ein Plan steckt. Dass das alles nicht zufällig ist, die Gegenüberstellung vom großen und mächtigem Kaiser Augustus und der kleinen Familie aus der Provinz, von der unbedeutenden Kleinstadt Bethlehem in Judäa und Rom, dem Zentrum der Welt, dem Befehl eines Herrschers aus seinem weitläufigen Palast  und der Geburt eines Kindes in der Enge eines Stalls. Ein Plan, der von einem Größeren als dem Herrscher der Welt im Glanz seines Palasts ersonnen wurde.

Aber davon wird später noch zu reden sein. An dieser Stelle möchte ich erst einmal meine Predigt unterbrechen. So wie ich es auch schon in früheren Jahren getan habe. Manchmal kann Musik besser von dem Wunder erzählen, das jetzt an der Reihe ist. Ich bitte deshalb jetzt den Chor, dass er sein Lied „Maria durch ein‘ Dornwald ging" singt.

 

Chor: Maria durch ein Dornwald ging

 

Da ist es also, das Wunder, von dem ich sprach. Vielleicht ist es nicht ganz so groß wie das Wunder, von dem in der Weihnachtsgeschichte erzählt wird. Eine schwangere Frau geht durch einen Wald mit Dornengestrüpp und dann schlagen die Dornbüsche aus und tragen Rosen. Und wer jetzt fragt, ob das wirklich so gewesen sein kann, der hat die Geschichte nicht verstanden. Es geht nicht um wörtliches Verständnis, sondern um das Verstehen mit dem Herzen. Und manchmal gelingt das der Musik besser als den Worten, weil die Musik tiefere Schichten in uns anrührt, als die Worte es können.

Womit wir also bei den Engeln wären, die den Hirten auf dem Feld von Bethlehem erscheinen. In meinem Krippenspiel, das ich für den heutigen 15 Uhr Gottesdienst geschrieben habe. zweifeln die Hirten an dem, was sie gesehen haben. Zuerst glauben sie, sie hätten nur geträumt und erst als sie feststellen, dass alle das Gleiche gesehen haben, gehen sie zum Stall. In Wirklichkeit haben die Hirten natürlich nicht gezweifelt, aber unser Krippenspiel von heute nachmittag enthielt  ein paar Anspielungen auf unsere moderne Welt, in der Engel nur als niedliche Putten ihren Platz haben. Aber ohne die Engel hätte die Weihnachtsgeschichte keinen Sinn. Erst sie stecken dieser Geschichte ihr Licht auf. Sie erst erklären, was es mit dem neugeborenen Kind auf sich hat. Dass dieses Kind der Heiland ist, der Erlöser. Der Sohn Gottes. Der, der die Welt heil machen wird.

Ich weiß nicht, warum Lukas es nicht erwähnt. Vielleicht weil es jedem, der zu seiner Zeit seine Geschichte las, bekannt war. „Euch ist heute der Heiland geboren", sagen die Engel zu den Hirten, und das griechische Wort „soter", „Heiland" oder „Erlöser" war ein Titel, der nur dem Kaiser zustand.

 

*

 

Eine Kleinigkeit? Alles andere als das. Diese „Kleinigkeit" macht dem Kaiser seinen Platz streitig. Wenn es stimmt, was die Geschichte behauptet, dann ist nicht mehr Rom mit seinem Glanz und seinen Palästen der Mittelpunkt der Welt, sondern Bethlehem. Der kleine Ort in der unbedeutenden Provinz. Aber kann man das glauben? Wo bleibt denn der Glanz, nachdem die Engel wieder in den Himmel zurückgekehrt sind? Viele Maler von der Gotik bis zum Barock haben die Szene mit den Hirten und der Krippe gemalt und dabei das Kind in einen überirdischen Glanz getaucht.

Und doch weiß ich nicht, ob sie recht hatten. Womöglich haben sie in einem übergeordneten Sinn recht. Und doch glaube ich, dass Lukas genau wusste, was er tat, als er die Geburt Jesu in all ihrer Armut schilderte. Auf einer unfreiwilligen Reise in einem Stall. Und indem er am Anfang den Kaiser erwähnt, den Kaiser, der in einem Palast wohnt und von Armut nichts weiß. Und doch macht ebendieses Kind in all seiner Bedürftigkeit ihm seinen Platz streitig. Nur eben nicht so, wie wir uns das normalerweise vorstellen würden. Dieses Kind wird nicht aufwachsen in dem Bewusstsein: Ich muss Kaiser werden. Es wird nicht mit dem Schwert umgehen lernen und dann Gefolgsleute sammeln, um schließlich den Endkampf gegen die Mächte der Welt zu ergreifen und sie zu besiegen. Seine Macht ruht nicht auf Schwertern und Lanzen, Schilden und Speeren. Im Grunde beruht sie nicht einmal darauf, dass er der „Sohn Gottes" ist, weil die Menschen in Israel mit diesem Titel gar nichts anfangen konnten, weil nämlich nur die Götter der Heiden Söhne und Töchter hatten, der Gott Israels jedoch nicht. Sondern sie beruhte auf seinem Wort. Auf der Wärme, die von ihm ausging. Auf seiner Zuwendung, die er denen entgegenbrachte, die vom Leben nichts mehr zu erwarten hatten. Auf seiner Macht, mit der er Kranke heilte. Der Glanz, der von ihm ausging, war keiner, den man mit Macht und Geld erreichen kann; er kam von innen. Von der Nähe zu den Menschen, in denen sie die Nähe Gottes spürten. Sie spürten, dass er Gott näher war als andere Menschen. Und dass diese Nähe sie heilte. Manchem ermöglichte sie ein anderes Leben. Ein Erwachen aus der Resignation, ein Abschütteln der Bitterkeit, die Möglichkeit zu neuem Leben.

Jesus ist mehr als der Kaiser, so sagt es diese Geschichte. In ihm kam Gott selbst auf die Erde, Gewiss, er war verwechselbar. Man konnte in ihm auch einen Narren sehen, der die Gesetze der Welt in Frage stellte. Einen, der die Armen seligpries. Einen der forderte, auch noch die andere Wange hinzuhalten. Einen der tatsächlich sagte: „Wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen." Kaum einer hat so wie er die Verhältnisse so in Frage gestellt. Welcher Mächtige sagt denn zu seinen Gefolgsleuten: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer aller Diener." Natürlich wird so einer unschädlich gemacht. Jedenfalls dann, wenn seine Botschaft wirklich Anklang findet. Sie könnte tatsächlich die Verhältnisse auf den Kopf stellen.

 

*

 

Bin ich jetzt abgekommen? Ein wenig vielleicht. Aber jetzt kehre ich wieder zur Weihnachtsgeschichte zurück. Lukas stellt das neugeborene Kind in Opposition zum mächtigen Kaiser der Welt. Nicht der Kaiser ist der Erlöser, sondern das gerade erst geborene Kind. Und wie bei der Geburt eines Prinzen im Palast, so reisen auch bei seiner Geburt Menschen an, um dem Kind zu huldigen. Nur sind es keine Könige und Fürsten, sondern einfache Leute. Dieses Kind wird auch regieren, aber nicht mit Soldaten und Erlassen, sondern indem es die Herzen der Menschen erreicht. Indem es Licht in die dunklen Herzen der Menschen bringt. Noch kann es das nur durch die Botschaft der Engel tun. Noch erreicht es nur ein paar Hirten. Erst später wird es selbst zu den Menschen sprechen und ihnen sagen können, dass Gott ihnen nahe ist mit seinem Erbarmen. Später wird er Menschen heilen und sie werden Gott in ihm erkennen.



Pfarrer Bernd Giehl
Nauheim
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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