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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christvesper, 24.12.2014

Wo möchten Sie Weihnachten feiern ? - Weihnachten zuhause
Predigt zu Lukas 2:1-19, verfasst von Uwe Vetter

„...da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war... mit Maria, seinem vertrauten Weibe; ...."

 

1.Sie haben diese Worte schon unzählige Male gehört, selber vorgelesen, gespielt gesehen. Man sollte meinen, irgendwann reicht´s. Es ist alles gesagt, alles bedacht, nun gib Ruh! Kaum beschleicht einen ketzerische Ehrlichkeit, passiert etwas Merkwürdiges: Die Geschichte wird wach, unruhig, lebendig wie ein Kind, das ins Bett soll. Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, fragt Sie die Weihnachtsgeschichte, hast du dich mal gefragt, warum dieser Josef zu Weihnachten nach Hause fährt ? ...da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war ... Warum wollen Josef und seine junge Frau Weihnachten zuhause sein? - Wegen der Volkszählung, zitieren wir. Unsinn! gibt sie zurück, diese Begründung traf schon zu Lukas´ Zeiten nicht ins Schwarze.[1] Bürokratie allein holt niemanden heim. „Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause (Ort) und Geschlechte (Familie) Davids war... Vielleicht, überlegt die Weihnachtsgeschichte, vielleicht fährt auch Josef nach Hause, weil ihn zu Weihnachten dasselbe seltsame Heimweh befällt wie uns.

   Kennen Sie auch diese eigenartige Gravitation, die unser Zuhause in den Festtagen entwickelt? Weihnachten wollen alle zuhause sein, unter Freunden, mit den Kindern, den Großeltern, Geschwistern. An einem der Feiertage braucht es die Wiedervereinigung des Clans. Obwohl das jedes Mal auch seine anstrengenden Seiten hat und das Stöhnen darüber längst zu den festen Weihnachtsriten gehört, steht fest: Wenn es ausfällt, wenn wir nicht da sind, dann fehlt was. All die amerikanischen Driving-home-for-Xmas-Sentimentals würden längst nicht mehr gespielt, wenn es anders wäre. Auch Josef macht da keine Ausnahme.  „Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war... mit Maria. Das Christkind kommt zuhause in Bethlehem zur Welt, wo Josef her ist und wo seine Familie lebt, entschieden die ersten Christen. So war´s verheißen. Da gehört es hin. So ist es richtig. So hat Lukas es uns in die Weihnachtsgeschichte geschrieben.

 

2. Dabei wissen wir: Das biblische Weihnachten lässt sich nicht in Wohnzimmern einsperren. Was sich zu Zeiten von Kaiser Augustus begab, ähnelte unsern Tagesschaunachrichten auf schauderhafte Weise. Kindermassaker, Söldner und Milizen, Flüchtlingsdramen - das ist Kulisse der ersten Weihnacht. Auf unbeheizter Weltbühne fand das alles statt. Und doch ist es so: Was Menschen anrührt, uns nah kommt und was uns nah geht, das ist dieses menschliche Setting in Bethlehem, das sind Maria und Josef, Hirten und Weise, den sie Namen gegeben haben[2], mit denen wir aufgewachsen sind, und die an Heiligabend zur Familie gehören, auch wenn sie so ein komisches Deutsch sprechen: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging vom Kaiser Augustus .." - wissen Sie noch, wo Sie das zum allerersten Mal gehört haben? Daheim, im Licht der Weihnachtsbaumkerzen? Oder in der Kirche in Ihrem Viertel? Oder im Gemeindehaussaal beim Krippenspiel? Wie alt waren Sie da? Roch es nach Tannengrün, Harz und verloschenen Streichhölzern? Wurde gesungen? Was wurde gegessen? Was war das erste Weihnachtsgeschenk, an das Sie sich erinnern? Und wer war damals dabei, wer gehörte zu Weihnachten dazu?

Wenn wir im hohen Alter allmählich unser Gedächtnis verlieren, gehören Kinderweihnachtserinnerungen zum letzten Wachbestand. Festtagsheimatsbilder bleiben, solange irgendwas bleibt. Weder Erwachsenenklugheit noch Lebenserfahrung vermögen das zu löschen oder lächerlich zu machen. Luthers Sprache und Weihnachtsmelodien lösen eine Diashow in der Seele aus. Weihnachten holt zusammen, was zusammen gehört. Und manchmal, in stillen Minuten des Festes, stellen sich sogar jene ein, die gar nicht mehr da sind, aber früher immer dazu gehörten, und ihren Platz einnehmen. Es mag kitschig klingen, aber es ist so: Weihnachten ruft uns heim, und zu Weihnachten sollte man zuhause sein.[3] Dachte sich auch Josef.  Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war... mit Maria

 

3. Und genau an diesem Punkt, wo es so richtig familiär, mollig und idyllisch wird, genau da schiebt die Weihnachtsgeschichte das nächste Stück Wahrheit nach. Als Maria und Josef daselbst - d.h. zuhause, in Bethlehem - waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Josef und Maria kommen nach Hause und passen irgendwie nicht rein. Sie kommen heim, wollen ihre Plätze beim Fest einnehmen, in ihre Weihnachtsrollen schlüpfen und ihren Allejahrewiederstaat anziehen, und stellen fest: Das passt nicht mehr wie angegossen. Ich platze aus den Nähten. Alle erwarten, man sei ganz der Alte, und ist eben nicht mehr nur so wie eh : hier die große Ton angebende Schwester, dort der kleine Gedichte aufsagende Bruder, da die Nachtschwärmerin und bis-in-die-Puppen-Schläferin, daneben der gern-mal-einen-drauf-Macher und berüchtigte um-die-Wette-Esser. Josefs Eltern bleiben Eltern ihres Sohnes, aber es ändert sich etwas, wenn die Kinder selber Eltern werden. Maria hat ein eigenes Kind dabei, das Platz braucht, das Prioritäten verschiebt. Die Weihnachtsgeschichte erzählt, Maria und Josef kommen nach Hause, und dann ist kein Platz. Und schauen Sie, was passiert: Die drei werden nach unten[4] geschickt, an den Katzentisch, zwischen die Schafe und Ziegen: Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Kommt Ihnen irgendetwas daran bekannt vor ? Wenn Sie sagen: Bei uns ist das nicht so! Bei uns ist es genau wie früher! dann haben Sie wenigstens ein Herz für all die anderen. Für all jene, die jedes Jahr Weihnachten mit einer gewissen Sorge nach Hause fahren und sich im Stillen fragen: Geht das gut? Während wir hier zum Gottesdienst beisammen sind, füllt sich die Altstadt mit dem Heer der Weihnachtsunglücklichen. Mit Menschen, die an Heiligabend heimatlos sind. Die Festtagsfremdler, bei denen Heiligabend wie Aschermittwoch ist, alles vorbei, weil sie Weihnachten ein Dutzend Male vorgefeiert und deshalb satt haben. Die Altstadtpartyfans, die sich die Wehmut wegtrinken. Die Kreativen, die wissen: Ich bin rausgewachsen, das Fest hat mich verloren und ich habe das Fest verloren, und nun nach einem möglichst originellen Ersatz-Event suchen. Denken Sie nur an die Leute, die in Scharen als Flüchtlinge in die Stadt gekommen sind, und von denen nicht wenige bis vor Kurzem Weihnachten als Familienfest gefeiert haben, und jetzt gibt's kein Zuhause mehr, nur ein Zimmer mit fremden Möbeln, und eine Umgebung, die nicht weiß wohin mit ihnen. - Es gibt viele Menschen, die heute das Gefühl haben nicht mehr reinzupassen. Nicht mehr dazu zu gehören. Die spüren: es ist kein Raum in der Herberge. Vielleicht haben M&J, als sie da unten zwischen dem Viehzeug saßen, weil Weihnachten keinen Platz für sie hatte, mit beißender Ironie gedacht: ´Tolles Fest ! Das machen wir jetzt jedes Jahr so.`

 

4.  Menschen brauchen ein Zuhause. Zugleich sorgt das Leben dafür, dass wir keine bleibende Stadt haben. Das ist der Heiligabendspagat, und das ist die Herausforderung. Kennen Sie die Lösung? Die Weihnachtsgeschichte erzählt, die Lösung liege nicht in unserer Hand. Zur Lösung brauche es Hilfe von außen, brauche es einen Löser. Einen Er-Löser, (in der alten Bibelsprache Griechisch „Sotér", Erlöser) in Luthers Bibeldeutsch einen „Heiland". Und es braucht einen himmlischen Boten, einen „Engel des HERRN", der für Klarheit sorgt, der sagt, was gesagt werden muss:  Ihr könnt das Problem nicht lösen. Ihr könnt euer Zuhause nicht konservieren. Ihr könnt die Zeit nicht anhalten und nicht zurück drehen, dass alles ist wie früher. Weihnachten heißt nicht, wir feiern uns und das, was einmal war. Euch ist heute der Heiland geboren, der Erlöser, der Lösungswege weist und bahnt. Weihnachten, sagt der Engel, ist etwas, was heute, jetzt, immer wieder neu eintrifft. Gott selbst mogelt sich in unser Leben, in dem nichts bleibt, wie es ist. Gott sucht sich einen Platz in der Welt, die keinen Platz für Gott hat. Der große Himmel macht sich winzig und kriecht in die kleinste Hütte, ins engste Zimmer, und ins einsamste 200-qm-PenthouseAppartment. Es braucht keine Stimmung noch Festtagsreden - zwischen Schafsblöken und Ziegenmeckern schafft Gott sich Raum, und Sein Zuhause. Und sagt: ICH bin da. Mach dir keine Sorgen, du musst MICH nicht einquartieren. ICH bin da. 

*

Und wenn Sie heute Abend und in diesen Festtage die Häupter Ihrer Lieben zählen, und es fehlt jemand, der im letzten Jahr noch dabei war, jemand, den Sie wirklich vermissen, weil sie/er wichtig war und es ohne sie/ihn irgendwie nicht richtig Weihnachten werden will, dann lesen Sie die alte in- und auswendig bekannte Bibelgeschichte noch einmal nach, Wort für Wort. Und dann werden Sie merken, wie aus dem leeren Platz eine Chance wird. Sagen Sie: Lieber Gott, mir/uns fehlt jemand. Hier ist Raum in der Herberge. Und Gott wird sagen: Das trifft sich. ICH komme.

Amén



[1] Diese „Schätzung" bzw „Einschreibung" gibt den Historikern mehr Rätsel auf als Antworten an die Hand. Nach den Weihnachtsgeschichten ist Jesus noch zu Lebzeitendes König Herodes geboren; Herodes starb im Jahre 4 vor Christi Geburt, was Weihnachten mindestens um 4 Jahre gegenüber unserem Kalender vorverlegt. Die „Schätzung", d.h. eine Eintragung aller Bürger in Steuerlisten, ist in Syrien und angrenzende Provinzen aber erste zehn Jahre später angesetzt worden, unter dem Stadthalter Quirinius, der vom Jahr 6 nach Christi Geburt sein Amt in Syrien angetreten hatte. Als Grund für die Heimfahrt des Josef kommt diese Volkszählung ein Jahrzehnt zu spät. - Eine andere Vermutung äußerte der jüdische Journalist und Bibelforscher Pinchas Lapide. Aus den Schriften des Josephus wissen wir, dass messianische  Aufstände in Israel zur Römerzeit mit Steuerboykotts begannen. Patriotisch-strengreligiöse Galiläer, zur fraglichen Zeit unter der Führung eines gewissen Judas Galiläus, wehrten sich gegen die römische Steuer mit einem gewalttätigen Steuerstreik. Wer nicht auf die Straße ging, wich über die Landesgrenze aus und machte sich davon. Ging Josef nach Judäa, um in Galiläa den Steuereintreibern zu entgegen? fragt Lapide. - Die biblisch-theologische Erklärung nimmt die alttestamentlichen Messias-Verheißungen in den Blick :  Der Christus wird aus Bethlehem, Ephrata kommen (Micha), er wird ein Davidssohn sein, ein Erbe der Verheißung Gottes an König David, dass sein Haus (Familie)  auf ewig Bestand haben werde. (JohEvg „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?"). Jesus von Nazareth kommt in Bethlehem zur Welt, weil das dem Christus vorher bestimmt ist. Er ist der Davidsohn, unbeschadet der Tatsache, dass Nazareth der Ort seiner Kindheit sein wird.     

[2] Kaspar, Melchior und Bathasar.

[3] Der Münchener Journalist Matthias Morgenroth („Weihnachtschristentum" 2002) beschreibt das Phänomen der unverglühten Attraktivität dieses Festes. „Das gelebte Christentum der Gegenwart ist vor allem ein Weihnachts-Christentum". Zur Weihnachtszeit ist in seiner Beobachtung zusammengerückt, was über das ganze Kirchenjahr verteilt war: Besinnung auf existentielle Themen, Kirchgang und private Andacht. (in Verdichtetes Christentum, Artikel von Gerald Kretschmar).

 

[4] Das biblische Wort „Katályma" meint die untere Ebene des orientalischen Ein-Raum-Hauses. Die Menschen bewegen sich und schlafen auf einer Art Halbgalerie, einen Meter tiefer tummeln sich die Schafe und Ziegen, die nachts zur Sicherheit und als lebendige Heizung ins Haus herein geholt werden. Die Krippe ist eine ausgekleidete Mulde im Boden, wo das Kleinvieh gefüttert wird. „Katzentisch" trifft nicht ganz die Tierart, wohl aber den Rang dieser Örtlichkeit.



Pfarrer Dr. Uwe Vetter

E-Mail: Uwe.vetter@evdus.de

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