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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Weihnachten, 28.12.2014

Predigt zu Lukas 2:25 – 35 + 39 - 40, verfasst von Hans-Otto Gade

25 Ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm.

26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.

27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,

28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;

30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,

31 den du bereitet hast vor allen Völkern,

32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.

34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird

35 - und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

36 - 38 ....

39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.

40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.

 

Liebe Gemeinde,

es war ein ganz normaler Taufgottesdienst. Die Eltern, einfache Leute, kamen mit ihrem noch sehr kleinen Kind recht früh in unsere Kirche. Die Paten und die Familie werden noch nachkommen, so erzählte mir der strahlende Vater.

Der Pastor, selbst Vater von drei Kindern und Großvater zweier Enkelkinder, schwärmt fachmännisch mit den Eltern über die Freude des ganz neuen Lebens in einer jungen Familie. Er spricht mit den Eltern über die Hoffnungen und Erwartungen, die wir mit einem kleinen Kind verbinden.

 

Die Kirchentür öffnet sich. Herein kommt Herr Sch., Mitglied in unserem Bibelkreis, einer der im besten Sinne ganz Frommen. Sonntag für Sonntag besucht er den Gottesdienst; bei allen Andachten und kirchlichen Feiern fehlt er nie. Herr Sch. ist so ein Christ wie wir ihn uns wünschen: Sein Tag beginnt und endet mit einem Gebet und er vertraut seine Gegenwart und seine Zukunft dem Allmächtigen und Barmherzigen Gott an.

 

Herr Sch. begrüßt uns alle freundlich. Plötzlich stutzt er, sieht das kleine Kind an und ein strahlendes Leuchten geht über sein Gesicht. „Darf ich ihr Kind auf den Arm nehmen?", so fragt er die leicht verwirrten Eltern. Mit dem Kind auf dem Arm tritt er vor den Altar: „Dieses Kind wird einmal unser Volk mit Liebe und Gerechtigkeit leiten! Dieses Kind wird unser Volk und ganz Europa auf den Weg zurück zu Gottes Willen bringen!"

(Anm.: Ich vermeide hier ganz bewusst das Wort „führen".)

 

Liebe Gemeinde, es ist höchst unwahrscheinlich dass sich so eine wie diese von mir erfundene Geschichte jemals zuträgt. Und wir nehmen ja die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Prophezeiung in unseren Sprachgebrauch auf. So sagte mir vor einiger  Zeit ein Freund: „Hat dir jemand an deiner Wiege gesungen, dass du später mal Pastor in Buxtehude sein wirst?

 

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass einem Kind schon an der Wiege oder bei der Taufe gesagt wird, welchen Weg dieses Kind später einmal gehen wird. Das hat allenfalls vor Jahrzehnten und Jahrhunderten in der Landwirtschaft und im Handwerksberuf gegolten, als der älteste Sohn selbstverständlich in die Fußstapfen des Vaters getreten ist. Aber auch das gilt heute nicht mehr. Und in meinem Beispiel geht es ja auch nicht um die Wahrscheinlichkeit einer durch das Elternhaus möglicherweise vorgeprägten Berufswahl. Es geht in meinem erfundenen Beispiel um einen außergewöhnlichen, ein ganzes Volk bewegenden Lebensweg.

Auch in der Geschichte, die wir gerade gehört haben, geht es um die außergewöhnliche, einzigartige Zukunft eines Kindes:

 

Vierzig Tage nach der Geburt Jesu bringen seine Eltern den Kleinen in den Tempel. Er war der älteste Sohn und deshalb von alters her Gott geweiht.

Im Tempel nun ereignet sich die höchst merkwürdige Geschichte, die wir gerade gehört haben:

Simeon, ein frommer, alter Mann, erkennt in diesem Kind die Hoffnung und die Rettung Israels - er erkennt also in dem Kind Jesus den lang erwarteten Messias. Er lobt Gott für die Erfüllung der Hoffnung des Volkes Israel, er dankt Gott für das Erscheinen des lang erwarteten Retters Israels. Genauso wie wir singen: „Christ, der Retter ist da!" Christus, der Messias: Beide Wörter bedeuten ein und dasselbe. Beide Wörter heißen auf Deutsch: Der Gesalbte. Also derjenige, der von Gott selbst wie ein König gekennzeichnet wird.

 

Christ, der Retter ist da: Das Kennzeichen dieses lang erwarteten Messias ist die Erfüllung der Sehnsucht nach Frieden. Mit der Geburt Jesu ist die messianische Heilszeit angebrochen, deswegen nennt Simeon dieses Kind den erwarteten Heiland.

Simeon prophezeit aber nicht nur, dass die Messias-Hoffnung des Volkes Israel mit der Geburt Jesu erfüllt sei. Er geht noch weit darüber hinaus: „Allen Völkern sendest du das Licht.." Die Völker um Israel herum sollen nicht nur Zeugen oder auch nur Zuschauer sein, wenn der Messias seinen heilmachenden Frieden in Israel wirken lässt. Dieser Messias, dieser Jesus wird der lichtbringende Heiland für alle Völker sein - nicht nur beschränkt aus das Volk Israel, sondern der Retter aller Welt.

 

„Ein Heiland aller Welt!" Wir singen die erste Strophe des Liedes „Macht hoch die Tür":

 

Macht hoch die Tür:

die Tor macht weit;

es kommt der Herr der Herrlichkeit,

ein König aller Königreich,

ein Heiland aller Welt zugleich,

der Heil und Leben mit sich bringt;

derhalben jauchzt, mit Freuden singt:

Gelobet sei mein Gott,

mein Schöpfer reich von Rat.

 

Jesus Christus, der Heiland aller Welt!

Das ist die Weissagung des Simeon, und diese so außergewöhnlichen Sätze des alten Simeon rufen bei den Eltern, bei Maria und Joseph verständlicherweise Erstaunen hervor. In unserem Text heißt es: Der Vater von Jesus und seine Mutter wunderten sich über das, was Simeon von dem Kind sagte.

 

Dieses „wundern", „verwundern" über das, was über und von Jesus gesagt wird, und was ihm für seine Zukunft vorhergesagt wird, das finden wir auch in der Weihnachtsgeschichte des Lukas: Nachdem die Hirten an der Krippe erzählen, was die Engel ihnen von diesem Kind berichtet haben, schreibt Lukas: Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.

Dort an der Krippe im Stallt zu Bethlehem „wundern" Maria und Joseph sich zum ersten Mal über die Weissagungen, die über ihr Kind ausgebreitet werden. Die einfachen Hirten erzählen dem verwunderten Elternpaar die großen Dinge, die mit ihrem gerade in Armut geborenen Kind verbunden sind.

 

Das klingt in der Tat alles sehr weihnachtlich und fried- und freudevoll. Aber die Geschichte dieses kleinen Kindes hat einen völlig anderen Weg genommen, als viele sich das damals in Israel erhofft hatten:

 

Die Juden verbanden mit ihrer Messias-Hoffnung politische Erwartungen an den Heiland: Befreiung von der Besetzung durch die Römer, Aufrichtung eines Gottesstaates möglichst ohne König, nur geführt durch die Hohenpriester und den Hohen Rat, also einen Staat Israel, der sozusagen von Gott selbst regiert wird. Das alles waren Voraussetzungen für den Frieden, den sich die Juden zurzeit Jesu erträumten und erhofften. Und der erwartete Messias sollte der von Gott Gesandte sein, der dieses Königtum Gottes in Israel aufrichten sollte. Notfalls auch mit Gewalt.

 

Wir wissen, Jesus ist einen anderen Weg gegangen. Über die ersten dreißig Lebensjahre lesen wir nichts in den Schriften der Bibel - mal abgesehen von dieser eigentümlichen Geschichte des 12-jährigen Jesus im Tempel und seine Gelehrten-Diskussion mit den Schriftgelehrten. Über diese Geschichte werde ich am nächsten Sonntag predigen.

Also: die ersten dreißig Lebensjahre waren ohne Auffälligkeiten, und die für uns wichtige Geschichte Jesu beginnt mit seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer. Und mit der Taufe erkennt Gott den Zimmermann Jesus von Nazareth als seinen Sohn an: „Du bist mein lieber Sohn!"

 

Anschließend die Erwählung seiner Jünger, seine Wanderungen, seine Predigten, seine Wundergeschichten und schließlich seine Auseinandersetzungen mit der jüdischen Oberschicht. Das Kreuz von Golgatha war der Endpunkt und gleichzeitig der Beginn des so ganz anderen Wirkens des Heilands. Nicht so, wie das Volk Israel den Messias, den Heiland erhofft und vorgestellt hat, sondern wie Gott ihn sich vorgestellt und erwählt hat.

 

Auf diese letzte Zeit Jesu mit Gefangennahme, Folter und Kreuzestod verbunden mit allen Ängsten und Schmerzen auch und gerade für Maria weist Simeon mit dem letzten Teil seiner Prophezeiung hin:

 

Simeon segnete sie und sagte zur Mutter Maria: »Dieses Kind ist von Gott dazu bestimmt, viele in Israel zu Fall zu bringen und viele aufzurichten.

Es wird ein Zeichen Gottes sein, gegen das sich viele auflehnen werden. So sollen ihre innersten Gedanken an den Tag kommen. Du aber wirst um dieses Kind viele Schmerzen leiden müssen; wie ein scharfes Schwert werden sie dir ins Herz schneiden.«

 

Eins fehlt. Eine „Station" in der Zukunft des Jesuskindes fehlt. Es fehlt, was der alte Simeon noch nicht wissen konnte. Es fehlt genau das, was die weltweite 2000 Jahre alte Kirche Jesu Christi begründet. Es fehlt das Fundament unsers Glaubens, unseres Vertrauens, unserer Hoffnung:

Es fehlt der Sieg Jesu Christi über den Tod!

Denn wir setzen unser Vertrauen ja nicht auf den dreieinigen Gott, weil Jesus Christus seinen Weg von der Krippe bis zum Kreuz gegangen ist.

Wir setzen unseren Glauben und unsere Hoffnung auf IHN, weil er nach dem Willen Gottes den Tod besiegt hat.

Wir vertrauen auf seine Wegbegleitung in unserem Leben und auch darüber hinaus, weil die Macht der Liebe Gottes, wie sie sich in Jesus Christus gezeigt hat, stärker ist als alles Leid der Welt.

Und sogar stärker ist als der Tod!

Amen

 



Pastor i.R. Hans-Otto Gade
Buxtehude
E-Mail: Hans-otto.gade@ewetel.net

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