Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Weihnachten, 28.12.2014

Manchmal werden Wünsche wahr…
Predigt zu Lukas 2:25-38, verfasst von Christian Anders Winter

Liebe Gemeinde,

wir hören noch einmal den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Lukasevangelium. Dort heißt es [Lk 2, 35-38]:

25 Ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 „Herr, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel." 33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. 34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: „Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem wider­sprochen wird 35 - und auch durch deine Seele wird ein Schwert drin­gen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden. 36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, 37 und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Manchmal wartet man lange, manchmal sogar ein Leben lang - auf den einen Moment, auf den Augenblick, wo sich Himmel und Erde zu berühren scheinen, wo sich der sehnlichste Wunsch erfüllt. Die große Liebe, das erste Kind, eine Freundschaft, die nach vielen Jahren Funkstille wieder zum Leben erwacht, das erste eigene Auto noch einmal die alte Heimat sehen, in das Land der Träume reisen - für jeden von uns kann dieser Wunsch, diese Sehnsucht ganz unterschiedlich ausfallen. Aber wir alle tragen tief in uns so eine Sehnsucht, so einen innersten Wunsch. Und oft können wir uns das, wonach wir uns sehnen, auch gar nicht mit Geld erfüllen, das, wonach wir uns sehnen, was wir uns ersehnen, ist mit Geld nicht zu kaufen. Denn ist es eben nicht einfach so, wie es uns die Werbung einreden will: A kostet soundsoviel, B kostet soundsoviel, C ist unbezahlbar - und für alles andere gibt es die XYZ-Kreditkarte. Manche Dinge, manche Wünsche  kann ich mir vielleicht mit Geld erfüllen, vieles andere aber auch nicht - und oft genug kann ich selber gar nichts dazutun, um meinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Ich bekomme das, was ich mir wünsche, geschenkt, unerwartet, überraschend.

Genauso ergeht es Simeon in unserem Predigttext. Auch ihm wird etwas zuteil, worauf er zwar gehofft hat, aber was er zugleich auch nur als ein Geschenk empfangen konnte. Dabei ist das sogar noch ein wenig komplizierter mit seinem Wunsch, mit dem, wonach er sich sehnt. Simeon ist alt geworden, ist lebenssatt, wie es an anderer Stelle in der Bibel einmal von Abraham heißt, und er möchte eigentlich nur noch sterben, möchte endlich in Gottes Frieden eingehen. Nur - er darf eben noch nicht sterben, oder besser gesagt: er darf erst sterben, wenn sich für ihn eine Vorbedingung erfüllt hat. Er wird erst sterben können, wenn er den verheißenen Erlöser, den Heiland, den Messias, wenn er - wie es auf Griechisch heißen würde - den Christus gesehen hat. Die Sehnsucht nach dem kommenden Erlöser, dem, der Gottes Heil zu den Menschen bringen wird, der alle Mißstände beseitigen wird, der das Volk Israel wieder in eine goldene Zeit ohne römische Besatzung und Ungerechtigkeit führen wird, ist zur Zeit Jesu, aber auch natürlich in den Jahrhunderten vorher weit verbreitet im jüdischen Volk. Nachdem mit dem Ende der Königsherrschaft von David und Salomo das Reich immer weiter zerfiel, immer öfter fremde Herren das Sagen im Land hatten, verdichtete sich diese Hoffnung immer mehr, wurde zum alles bestimmenden Leitthema. Wiederholt waren im Laufe der Jahrhunderte selbsternannte Erlöser aufgetreten, aber keiner von ihnen hatte sich als derjenige erwiesen, auf den die Verheißungen des Alten Testaments zutrafen, keiner von ihnen hatte die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen können. Alle waren letztlich gescheitert.

Nun aber scheint Neues, Anderes zu geschehen. Josef und Maria haben - wie es des Gesetz vorgab - ihren Erstgeborenen in den Tempel gebracht, um ihn den Priestern zu präsentieren und ihn symbolisch von Gott durch ein Opfer freizukaufen; dies ist in den vorangehenden Versen beschrieben worden. Dort, im Tempel, treffen sie auf Simeon, der - wie es heißt - vom Heiligen Geist ebenfalls in den Tempel geführt worden war. Und Simeon erkennt in dem Säugling den, dessen Kommen ihm vom Geist verheißen worden war, den Heiland, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. Der Jubelruf Simeons wird aufgenommen von Hannah, einer Prophetin am Tempel, die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Nun scheint also einzutreten, scheint sich zu erfüllen, was doch an vielen Stellen im Alten Testament verheißen worden war. Der Erlöser, der Retter, der Messias ist endlich da; in dem kleinen Kind erkennt Simeon schon den, der als Erwachsener wirksam werden wird. Und zugleich erkennt Simeon noch etwas, was weit über die Erwartungen, die sich mit der Gestalt des Messias verbunden haben, hinausweisen wird. Denn der Heiland, den er als neugeborenes Kind in seinen Armen hält, wird weit mehr sein als das, was alle erwarten. Er ist gekommen zum Preis deines Volkes Israel, aber eben auch als das Licht, zu erleuchten die Heiden. Die Heilsexklusivität des jüdischen Volkes wird erweitert auf alle Menschen, nicht im Sinne einer Ablösung der Verheißungen, sondern vielmehr im Sinne einer Erweiterung, eines Angebotes Gottes an alle, die glauben.

Was im Zuge der Texte des Weihnachtsfestes fast nebensächlich scheint, am Rande erzählt wird und in den wohlvertrauten Geschichten von der wundersamen Geburt im Stall und der Begegnung mit den drei Weisen aus dem Morgenland fast unterzugehen scheint, ist doch in konzentrierter Form ein Vorblick auf das, wofür Jesus geboren worden ist, wofür er mit seinem Leben und Sterben einstehen wird.

Auch wir, die wir nicht zum jüdischen Volk gehören, sind nun hineingenommen in die Heilszusage Gottes. Dabei ist es wichtig, daß wir nicht an die Stelle des jüdischen Volkes getreten sind, daß Gottes Verheißungen, die er seinem Volk, die er Noah oder Abraham gegeben hat, nicht hinfällig geworden sind. Paulus hat dies in seinem Brief an die Römer ja noch einmal ausdrücklich betont. Aber wir haben nun auch Anteil am Heil; der Erlöser, der Heiland, der Messias, ist auch für uns gekommen. Sein Kommen ist zugleich für uns der Ruf in eine Entscheidung. Wir sind gefragt, ob wir in Jesus den Verheißenen erkennen, erkennen wollen. Wenn Simeon zu Maria sagt: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem wider­sprochen wird ..., damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden, dann richten sich seine Worte auch an uns. An Jesus scheiden sich sozusagen die Geister, das war damals so, und das ist auch heute noch so. Gott macht uns ein Angebot, das wir annehmen, aber natürlich auch ablehnen können. Diese Herausforderung bleibt, sie ist in gewisser Weise die logische Konsequenz unseres freien Willens, unserer Fähigkeit zur Erkenntnis des Guten und des Bösen, die seit dem Sündenfall im Paradies eben auch Teil unseres Menschsein ist. Immer wieder werden wir in unserem Leben mit genau dieser Frage konfrontiert, immer wieder hat Jesus in seinem Predigen und Handeln diese Alternative aufgezeigt - nun sind wir gefragt. Gott hat uns ein Angebot gemacht, hat uns in der Menschwerdung eines Sohnes noch einmal seine unendliche Liebe zu uns Menschen deutlich gemacht - aber er überläßt es zugleich auch, wie wir mit diesem Angebot umgehen.

Ich wünsche uns allen, daß wir uns richtig entscheiden mögen, für den, der uns gegeben ist als ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. Amen.



Pastor Dr. Christian Anders Winter
Niebüll
E-Mail: baltap03@disanet.de

(zurück zum Seitenanfang)