Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Silvester, 31.12.2014

Ende der Gottesfinsternis
Predigt zu Lukas 12:35-40, verfasst von Ulrich Kappes

Der Altjahresabend ist dazu angetan, um Rückschau zu halten
auf das vergangene Jahr. Nach einer Untersuchung über „Silvesterpredigten"  kam heraus, dass zwei Drittel der Silvesterpredigten auf evangelischen Kanzeln auf das vergangene Jahr Rückschau hielten, Beurteilungen der politischen Ereignisse abgaben und wohl gemeinte  Ratschläge lieferten. I1I Ich bitte um Verständnis, dass ich das jetzt nicht tun möchte. Wir werden in einigen Stunden die Ansprache der Bundeskanzlerin hören. Er und andere können das zum einen besser als ich und zum anderen wäre es nicht im Sinn des Predigttextes. Hier geht es nicht um Rückschau, sondern um den Blick nach vorn.

Wir hörten von einem Hausherrn, der zu einem Festmahl geladen war und nach dessen Ende nach Haus kommt. Wann, das stand nicht fest. Noch vor Mitternacht? Das war „bis zur
2. Nachtwache" oder danach? I2I
Um in sein Haus zu eintreten zu können, musste ihm von seinen Knechten die Tür aufgeschlossen werden. Waren die Knechte nicht wach, stand er in der  kalten Nacht draußen vor der Tür.

Deshalb war er dankbar, sie „wachend" zu finden, so dankbar,
dass er die Rollen vertauschte und als der Herr seinerseits die Knechte zum
Nachtmahl einlud und er es war, der sie bediente und bewirtete.

Das zweite Gleichnis unterstreicht ein Moment des ersten:
Wie ein Dieb in ein Haus sich schleicht und keiner weiß, wann er es macht, so
wird es sein mit dem Kommen des Menschensohnes. Die Klammer zwischen beiden
Gleichnissen ist die „Wachsamkeit".

Das erste Gleichnis, das Jesus erzählt, setzt sich aus verschiedenen Bildern zusammen, von denen wir einige genauer betrachten wollen.

Es geht, ohne dass das Wort fällt, zunächst grundlegend um
den Schlaf, dem die Wachsamkeit entgegen gesetzt wird.

Der Schlaf ist, wir wissen es, ungeheuer wichtig für uns.
Die Worte aber, die man aus ihm ableiten kann, wie schläfrig, verträumt,
abwesend ..., zeigen auch seine negative Seite. In der griechischen Sagenwelt ist
der Schlaf (Hypnos) der Bruder des Todes (Tanatos), hat also eine sehr dunkle
Seite.

Der Bildhauer Johann Gottfried Schadow hat diesen „Gott des Schlafes"
einmal dargestellt: ein Wesen mit zwei Flügeln, neben ihm nach unten gestülpte
Schlafmohnzweige. Er hat sich  über einen Baumstumpf gelehnt. Als „Kopfkissen" dient sein Gewand. Der Eindruck von Trägheit, Machtlosigkeit, Willenlosigkeit, Unentschlossenheit und Passivität drängt sich auf. Wir würden neudeutsch „looser" sagen.I3I
Womit ist der „Schlaf" zu besiegen? Jesus sagt: „Mit Warten und Wachen".
Dieses Besiegen und Überwinden des Schlafes wird darin
illustriert, „aufzustehen, den Gürtel enger zu schnallen und ein Licht
anzuzünden".

Zentrales Bild des Gleichnisses ist das Bild der Nacht oder
der Finsternis.
In der Nacht sind die Lenden zu gürten ... Ein Licht ist
anzuzünden ... Während der Nachtwachen kommt der Herr.

Was besagt das Bild der Nacht? Ich verstehe es so:
Es ist darin und dadurch geprägt und bestimmt, dass der
Hausherr „abwesend" ist.
Auf uns bezogen: Wir leben in der „Nacht", weil wir den
Herrn nicht sehen, weil er im täglichen Vollzug der Arbeit im „Hause" nicht da
ist.  Wir leben in der „Finsternis", weil uns Christus nicht gegenwärtig ist. Wir leben, müssen damit leben, als ob es Gott in unserem Leben nicht gäbe. Das ist die schmerzliche Erfahrung von uns Knechten und Mägden. Das macht unsere Nacht aus.
Gottesfinsternis und Nacht breitet sich aus, wenn Menschen Gott
nicht mehr erkennen und sehen. Sie gehen durch einen Wald, aber sie bringen die
Schönheit und Erhabenheit um sie herum nicht mit Gott zusammen. Sie sehen die
Wolken am Himmel entlang stürmen, es berührt sie nicht, geschweige, dass  ihre Gedanken auf den Schöpfer dieser Wolken
und dieses Himmels gelenkt werden. Sie betreten eine alte Kirche und lesen über
sie wie in einem Geschichtsbuch. Dass diese Kirche rundum eine lebendige Predigt
hält von Glauben und Glaubenstreue, können sie nicht vernehmen.
Alle Formen von Leid und Krankheit, alle Einsamkeit und alle
Niederlagen gelten für sich und absolut. Dass das Gottes Wille sein kann und
Gott damit seine Ziele verfolgt, Prüfungen auferlegt, Veränderungen hervorrufen
möchte, liegt außerhalb eines Lebens, in dem Gott abwesend ist. So denken sehr
viele. Hand auf's Herz: Wir auch mit Ihnen?

Der jüdische Denker Martin Buber sah in seinem Buch
„Gottesfinsternis" über das Abendland die Nacht des Glaubens hereinbrechen, als
sich die Philosophie von der Theologie trennte. Das war vor fünfhundert Jahren.
Seitdem gelte es als Grundgesetz des Denkens, Glaube und Wissenschaft nicht zu
vermischen. Im praktischen Lebensvollzug bedeute das freilich, dass mit Gott
nicht mehr wirklich gerechnet, ihm nicht vertraut und er nicht mehr auch im
Rahmen einer wissenschaftlichen Betrachtung der Natur wahr genommen wird.I4I

Der Predigttext am Endes dieses Jahres ist ein Herz
andringender Aufruf an uns alle, die in der Finsternis leben: Wachet, dass sie
euch nicht beherrscht. Was da heißt: Glaubt gegen den Trend, dass Gott der Schöpfer
dieser Welt ist und wir ihn verehren in unserer praktischen und - vielleicht -  wissenschaftlichen Arbeit ebenso wie im Gebet.

Inmitten der Finsternis und Nacht geht die Sonne auf und der Menschensohn kommt.
Die Bedeutung des Wortes „Menschensohn" ist umstritten. Ich
entscheide mich für eine Auslegung im Anschluss an einem Wort aus dem
Markusevangelium: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass der sich dienen
lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als ein Lösegeld für viele."  Wer kommt? Im Sinne unseres Gleichnisses und dieses Wortes aus dem Markusevangelium: Der dienende Menschensohn. I5I
Wenn einst Christus kommen und dienen wird, so ist das der
Maßstab und die Richtschnur für uns, die wir hier und jetzt leben und wachen
und warten.

Worauf gehen wir zu? Auf Christus. Für seine Knechte und Mägde heißt es, hier und jetzt auch
nichts anderes zu suchen und zu erstreben, als in Seinem Sinn zu leben, auf ihn
hin  zu leben: dem dienenden Menschensohn. Sein Wesensmerkmal wird eine geheiligte, einzigartige, ungebrochene Menschlichkeit sein. Und ich? Und wir?

Ich will sein, wie der, der auf mich zu in diese Gottesfinsternis einmal kommen wird: ein kleines Licht, das anderen ein wenig Licht zu bringen versucht, ein dienender Mensch.
Das könnte ein Vorsatz für 2015 sein.

Pfarrer Ulrich Kappes
D-14043 Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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