Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Silvester, 31.12.2014

Es kommt, wie es kommt (und es ist gut so)…
Predigt zu Lukas 12:35-40, verfasst von Christian Winter



Liebe Gemeinde, der
Predigttext für den heutigen Altjahresabend steht bei Lukas im 12. Kapitel.
Dort heißt es: Jesus sprach zu seinen
Jüngern: „35 Laßt eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen 36 und
seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird
von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. 37
Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich,
ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen
und ihnen dienen. 38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten
Nachtwache und findet's so: selig sind sie. 39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn
ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein
Haus einbrechen. 40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer
Stunde, da ihr's nicht meint."



Ja, liebe Gemeinde,
wäre das nicht toll - man weiß genau, wann der Einbrecher kommen will.
Vielleicht hat man ein paar Tage vorher eine Karte im Briefkasten gehabt - „Ich
bin in dieser Woche in Ihrer Region unterwegs und beabsichtige, am Donnerstag
zwischen 16:00 und 17:00 Uhr einen Hausbesuch bei Ihnen zu machen; eine
persönliche Anwesenheit Ihrerseits ist nicht notwendig. Herzlichst, Ihr
Einbrecher" . Oder es ist bekannt, daß alle Häuser in der Straße mit ungeraden
Hausnummern jeweils in den ersten beiden Februarwochen mit ihrem jährlichen
Einbruch dran sind, und man kann sich darauf einstellen... Dann kämen wir auch
mit weniger Polizei aus (die müßte ja nicht mehr mühsam ermitteln, sondern nur
zur rechten Zeit am richtigen Ort sein), könnten ganz beruhigt in den Urlaub
fahren in dem sicheren Wissen „Ich bin ja nicht dran mit einem Einbruch ins
Haus", wie schön wäre das denn... Sie merken schon, das bekommt langsam völlig
absurde Züge.



Aber tatsächlich geht
es auch in unserem heutigen Predigttext um die Frage des - wie man neudeutsch
vielleicht sagen würde - „richtigen Timings". Es geht nämlich um die Frage:
wann genau ist der Zeitpunkt der Wiederkunft Christi? Hier, im Lukasevangelium,
ist es das Bild von dem Herrn, der von der Hochzeit (unangekündigt) zurückkommt
und von seinen Dienern erwartet, daß sie wach sind und ihm die Tür öffnen, aber
eben auch das von dem Hausbesitzer, der - wenn er den Zeitpunkt des Einbruchs
kennen würde - natürlich den Dieb nicht in Haus ließe. In beiden Fällen ist es
die Wachsamkeit, die Erwartungshaltung, das Bereit Seins, das letztlich das
richtige Verhalten darstellt.



In Amerika gibt es in
Pennsylvania in Ephrata Cloisters eine ehemalige klosterähnliche Anlage, die
1732 von dem aus der pietistisch-täuferischen Tradition stammenden deutschen
Auswanderer Joseph Conrad Beissel gegründet wurde. In seiner Blüte Mitte des
18. Jahrhunderts gehörten etwa 80 zölibatär lebende Mitglieder sowie etwa 200
im Umkreis des Klosters in Familien angesiedelte Anhänger zu dieser
Gemeinschaft. Neben der Wahrnehmung des Samstags als Sabbattag war es vor allem
der spartanischen Lebenswandel, der diese Gruppe definierte. Man schlief auf
knapp 40cm breiten Holzprischen, beschränkte sich dabei auf zwei je
dreistündige Schlafphasen pro Nacht und kam jede Nacht zwischen Mitternacht und
2:00 Uhr morgens zu einem Gottesdienst zusammen, um gemeinsam die Wiederkunft
Christi zu erwarten. Nach dem Tod Beissels 1768 verlor die Gruppe ihren
Zusammenhalt; das letzte noch zölibatär im Kloster lebende Mitglied starb 1813,
die verbliebenen Gemeindeglieder schlossen sich dann einer anderen Gemeinde an.



So eine Art der
Frömmigkeit mag uns heute vielleicht als allzu gesetzlich, vielleicht auch als
weltfremd oder sogar menschen­verachtend erscheinen - und doch ist es natürlich
ein Versuch, umzusetzen, was Jesus in seinen Worten an die Jünger beschrieben
hat. Aber stellt sich für uns heutige Menschen nicht sowieso die Frage: wie
ernst nehmen wir das noch mit der Wiederkunft Christi, wie sehr ist das für uns
heute überhaupt noch ein Thema? Die ersten Jahre und Jahrzehnte nach dem Tod,
der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi sind für die frühen Christen
sicher noch geprägt gewesen von eine intensiven Naherwartung, von der
drängenden Hoffnung auf die baldige Wiederkehr des Herrn. Denn Jesus hatte doch
selber zu seinen Jüngern in Lukas 21,32, dem Evangeliums- und Predigttext für
den 2. Advent, gesagt: Wahrlich,
ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
Nur
- diese angekündigte Wiederkehr blieb aus; man lebte zunehmend in dem Gefühl -
der Tag des Herren kommt ja vielleicht, aber wann wissen wir nicht. Mir ist
noch eine Szene im Ohr, die ich vor vielen Jahren an einem Freitagmorgen, also
vor dem Sabbatbeginn, in einem Geschäft in Jerusalem im der Altstadt überhörte.
Dort fragte eine amerikanische Touristin die offensichtlich jüdisch-orthodoxe
Verkäuferin, ob das Geschäft denn auch am Sonntag geöffnet wäre (sie wollte ein
Souvenir kaufen, hatte aber ihr Geld im Hotel vergessen und sollte am
Sonntagabend in die USA zurückfliegen). Die
Verkäuferin antwortete: „So der Messias nicht in der Zwischenzeit gekommen ist,
sind wir am Sonntag ab 10:00 Uhr natürlich wieder geöffnet..."



Ich
denke, etwas Ähnliches hier bei uns in Deutschland zu hören ist wohl eher
unwahrscheinlich. Für die allerwenigstens von uns (und ich will mich da gar
nicht ausnehmen) ist die Wiederkunft Christi eine Frage des genauen Termins,
für manche wird es vielleicht sogar eher schon eine Frage des „Ob Überhaupt"
geworden sein. Nur - wenn wir diese Hoffnung aufgeben, zu den Akten legen, dann
geht uns Entscheidendes verloren. Es geht nicht um die Frage des „Wann" - ein
Blick in die Geschichte und auch zu den theologischen Positionen mancher Sekten
und religiösen Sondergruppen zeigt ganz deutlich, wie gefährlich es werden
kann, wenn wir anfangen, irgendwelche Endzeittermin errechnen zu wollen. Es
geht vielmehr heute um das Festhalten am „Das". Mir kommt in diesem
Zusammenhang immer eine sehr schöne Anekdote in den Sinn, in der genau diese
Frage auf eine  - wie ich finde - sehr
schöne Weise gelöst wird. Im amerikanischen Mittelwesten sitzen Ende des 19.
Jahrhunderts Richter und Geschworene zusammen und beraten über ein Urteil. Da
verfinstert sich der Himmel, ein schweres Unwetter bricht los, und einige der
Geschworenen bekommen es mit der Angst zu tun. Steht vielleicht der Untergang
der Welt bevor, bricht nun der Tag des Jüngsten Gerichtes an? Die Unruhe wird
immer mehr, bis der Richter sich räuspert und sagt: „Beruhigt euch doch. Es
gibt jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder das Unwetter zieht vorbei, und
dann ist alles gut. Oder es ist tatsächlich der Anfang vom Tag des Jüngsten
Gerichtes, und die Welt geht unter. Und wenn das wirklich so ist, wenn die Welt
also untergeht, dann soll der Herr uns bei der Arbeit vorfinden, wenn er
kommt..."



Ich
denke, was hinter dieser Anekdote steckt, das kann man auch so formulieren:
seid bereit, aber fürchtet euch nicht. Es gibt keinen Grund in Panik zu
verfallen - das hilft nicht weiter. Verlaßt euch vielmehr darauf, daß das, was
kommt, etwas Gutes sein wird.



Auch
wir sind aufgefordert, der Wiederkunft Christi mit Zuversicht und auch einem
Stück Gelassenheit entgegenzuschauen. Wir sollen nicht spekulieren um Tag oder
Jahr, sondern wir können versuchen, unser Leben ein Stück so zu leben, daß wir
bereit sind, daß wir mit uns, unseren Mitmenschen und unserem Gott im Reinen
sind. Dazu kann ein Tag wie heute, der Wechsel vom Alten zum Neuen Jahr eben,
uns vielleicht auch ein Stück Anstoß sein. Natürlich werden wir auch 2015
wieder Vieles tun, was sich spätestens im Rückblick als falsch oder unüberlegt
herausstellen wird. Natürlich werden wir auch immer wieder Dinge tun oder
lassen, wo wir uns anders hätten entscheiden müssen. Da wird sich 2015 nicht
von 2014, 2013, usw. unterscheiden. Und zugleich sind wir auch diesmal wieder
aufgefordert, sorgsamer zu sein, mit uns, mit unserem Nächsten, mit dem, was
wir tun oder lassen. Dann können wir allem, was kommt, gelassen entgegen sehen...
Und so begleite uns der Segen Gottes in das, was kommt; er stärke und bewahre
uns im Neuen Jahr, wie er uns auch schon im alten Jahr bewahrt hat, durch seine
Liebe, durch seine Nähe, durch seine Gnade und Barmherzigkeit.

Amen.



 



Pastor Dr. Christian Winter
Niebüll
E-Mail: Balttap03@disanet.de

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