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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Silvester, 31.12.2014

Predigt zu Jesaja 9:2, verfasst von Reinhard Schmidt-Rost

Liebe Gemeinde,

auch am Jahresende 2014 denken wir in der akademischen Predigtreihe „Messias" über ein Bibelwort nach, das G.F. Händel in seinem Oratorium „Messias" vertont hat. Ich habe den zehnten der 50 Sätze ausgewählt, und gehe damit noch einmal zurück, hinter die Geburt des Messias, die Händel in den Sätzen 11-18 freudestrahlend ankündigt und bejubelt, um dann die Veränderungen zu schildern, die dieser Messias in die Welt gebracht hat. Ich gehe dahinter zurück und komme damit ganz in die Nähe der Worte, die am 4. Advent der Predigt zugrunde lagen: Vor zehn Tagen war es Jes. 60,2+3, ein Spruch des dritten Jesaja, heute ist es Jes. 9, 2 - ein Satz aus dem Buch des älteren, des ersten Jesaja:

 

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

 

Ich habe diesen Prophetenspruch ausgewählt, weil er den Jahreswechsel 2014/15, weil er jeden Jahreswechsel in einen besonderen Zusammenhang bringt: Der Prophet sagt einen Machtwechsel an! Und jeder Jahreswechsel bietet die Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob der Machtwechsel denn wirklich schon stattgefunden hat, der Machtwechsel, den der Prophet ankündigte. Ob es nicht ein Strohfeuer der Veränderung war, das da aufflammte und gleich wieder erlosch! Oder überhaupt nur eine Fata Morgana, eine Täuschung des Jesaja, wenn er fortfährt:

 

Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

 

Was in der Welt geschehen ist seitdem und auch im vergangenen Jahr, stützt die Aussage, ein Machtwechsel habe schon stattgefunden, nur schwach. Ich brauche Ihnen dazu nicht die Zeitung vorzulesen und keinen Nachrichtensprecher zu mimen, der Pfarrer auf der Kanzel ist längst nicht mehr die amtliche Informationsquelle im Auftrag des Landesherrn, wie es im 17. Und 18. Jahrhundert war. Sie wissen alle gut genug, wie wenig der Friedefürst herrscht, wie friedlos diese Welt auch und gerade in unseren Tagen wieder ist.

 

Was aber, liebe Gemeinde, wäre in der Welt los, wenn es diese prophetische Rede nicht gäbe? Können Sie sich eine Welt ohne diese mutigen Worte der Hoffnung vorstellen? Eine Welt, in der blutige Mäntel und dröhnende Soldatenstiefel die Menschen ängstigten, Mord und Totschlag überall ganz alltäglich wären, wo ich mich mit meiner Rede nicht von Ihrem Wohlwollen geschützt und bestärkt wüsste? Natürlich auch herausgefordert zum Zeugnis für das Evangelium von Jesus Christus, das in den Worten Jesajas zweifellos einen Vorläufer hat.

 

Nicht in dem Sinne Vorläufer, dass Jesaja schon auf Jesus hingewiesen hätte, wie es die ersten Christen sagten, aber die Verwandtschaft der Gedanken ist unübersehbar.

 

Wahrscheinlich wären viele von uns gar nicht mehr am Leben, wenn es nicht Menschen gäbe, die für uns gesorgt haben, die vorgesorgt, vorgedacht und sich mutig vorgewagt haben, zum Besten aller, -  Menschen, die das Prophetenwort als Ermutigung aufgefasst haben: Ein Friedensreich ist das Ziel der Menschheitsgeschichte, nicht der Sieg der einen und der Tod der anderen.  Vom Kampf gegen die Gewalt als Lebensmittel lesen wir in ganz verschiedenen Formen in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite: von Kain und Abel, von Noah und der Sintflut, vom Turmbau  zu Babel, bis in die Offenbarung des Sehers Johannes, der von einem himmlischen Jerusalem träumt, so wie der Prophet Jesaja davon sprach, dass die Völker der Welt sich am Zion versammeln werden. 

 

Es ist unsere Aufgabe,  dazu sind wir als Prediger berufen, diese lebenswichtige Nachricht gegen alle anderslautenden Stimmen zu verbreiten, die Nachricht, dass die Menschheit ihre Erfüllung im Frieden und in Gerechtigkeit finden wird, nicht in der Überlegenheit der Überlegenen. Diese Nachricht ist das große Licht, das das Volk in der Finsternis zu Gesicht bekommen soll.

 

Um diese Botschaft auch ganz konkret zu verantworten, will ich aber nun doch zwei aktuelle Texte aus den Massenmedien zitieren, die ich in den letzten Tagen gelesen habe - und die mich beschäftigen:

 

Ein junger Redakteur einer bekannten Sonntagszeitung schrieb in der Ausgabe am 21.12.14 einen Beitrag unter der Überschrift: „Die Egoisten retten die Welt".

Er beginnt mit einer Beschimpfung: „Noch drei Tage, dann gehen sie wieder los: die wohlklingenden Appelle und die gutgemeinten Aufrufe. Die Eltern am Essenstisch, die Politiker hinter den Mikrofonen, die Pfarrer auf der Kanzel - sie alle feiern das Fest der Nächstenliebe. Und machen einen zentralen Wesenszug der Menschen schlecht: den Egoismus."

 

Was immer dieser Autor von seinen Eltern gehört hat, das Format seiner Gedanken ist überschaubar: In seinem Aufsatz setzt er Egoismus und Eigeninteresse gleich. So kann natürlich nichts anderes herauskommen, als eine Verteidigung des Eigeninteresses. Der Einsatz in einem Beruf, der anderen dienen mag, aber doch vor allem dem eigenen Lebensunterhalt dient, wird wortreich gegen die Einschätzung als Egoismus verteidigt, ein Vorwurf, den niemand erhoben hat. Denn es ist doch selbstverständlich, dass wir unser Tun und Lassen gar nicht ohne Eigeninteresse denken können. Auch der Einsatz akademischer Lehrerinnen und Lehrer wird immer von eigenen Interessen und Verantwortung für die Studenten zugleich geprägt sein, genauso wie das Studium eine Aktion im Eigeninteresse ist, aber zugleich mit Anspruch und Hoffnung auf eine sozial nützliche Tätigkeit.

 

Ob der Autor je eine evangelische Predigt gehört hat, wage ich zu bezweifeln, allerdings mag es sein, dass auch nicht jedem evangelischen Theologen das Kunststück gelingt, die christliche Sündenlehre so in die Gegenwart zu übertragen, dass dabei mehr als moralische Verurteilung herauskommt. Dabei ist gerade die Spannung von Egoismus und Eigeninteresse ein guter Ansatzpunkt.

Denn Eigeninteresse ist für jeden Menschen unverzichtbar, überlebensnotwendig - und doch enthält die Mobilisierung des Eigeninteresses zugleich den Impuls zur Selbstsucht, der Mitmenschen gefährdet. Das ist unvermeidlich - und eben deshalb, weil keiner dieser Gefährdung entgeht, spricht das Evangelium von dem moralischen Vorwurf frei, man sei ein schlechter Mensch, weil das Eigeninteresse eben auch eine sozial schädliche Form annehmen kann.

 

Das Evangelium leistet Aufklärung, gerade bei diesem komplizierten Wesenszug des Menschen, und es lässt erkennen: Es gibt in diesem Leben keine eindeutigen Urteile: Entweder - oder, entweder selbstlos oder egoistisch, entweder Eigeninteresse oder dessen Verurteilung als Egoismus ...

 

Einfache Lösungen helfen nicht zum Leben, aber Plakate mit deutlichen Polarisierungen sind eindrucksvoller als differenzierte Darstellungen. Prediger, die das wissen und beherzigen, sind meist weniger populär, aber Populismus auf der Kanzel ist gefährlich, und mein zweites Beispiel soll keineswegs der Polarisierung Vorschub leisten, auch wenn es auf eine kirchenpolitische Stellungnahme hinzielt:

 

Im Internet-Info-Brief der EKiR, Dezember-Ausgabe 2014, werden dem seit Anfang 2014 im Kirchenamt in Düsseldorf tätigen leitenden Dezernenten des Finanzdezernats unter dem Titel „Mit konkreten Zielen planen" fünf Fragen gestellt:

 

Die erste lautet: „Mit Hilfe von Kennzahlen soll ein Presbyterium überprüfen, ob ein von ihm formuliertes Ziel erreicht worden ist. Heißt das, dass im Haushaltsbuch nur solche Ziele aufgeführt werden, die auch mit Kennzahlen messbar sind? Und wie konkret sollte ein Ziel formuliert werden?"

 

Darauf antwortet der Dezernent u.a. „Ziele müssen konkret sein, eindeutig messbar und mit einem klaren Zeitbezug. Wenn die Erreichung eines Ziels nicht überprüfbar ist, dann taugt es auch nicht als Ziel."

 

In welcher Richtung die Reise geht, wird bei der nächsten Frage klar. Sie lautet: „Wie lassen sich spirituelle Aspekte angemessen auf der linken Seite des Haushaltsbuches darstellen? Wie sind beispielsweise geistliche Qualitäten - etwa im Gottesdienst oder in der Seelsorge - messbar?"

 

Darauf antwortet der Ökonom: „Von Befragung bis Like-it-Button auf der Facebook-Seite der Gemeinde, von Besucherzahlen bis Kollektenaufkommen, von der Zahl der Seelsorgegespräche bis hin zur Zahl der Menschen, die auf Empfehlung anderer Seelsorge nachfragen, lassen sich Kennzahlen und Indikatoren finden, die Qualität abbilden. Es ist nicht schwer, hier Kreativität zu entwickeln. Lassen Sie sich dabei nicht von denen entmutigen, die aus Angst vor den Ergebnissen jede Messmethode ablehnen."

 

Liebe Gemeinde, ich erwarte von einem Ökonomen keine theologischen Kenntnisse, schon gar keine theologische Urteilsfähigkeit, aber von einer Kirchenleitung erwarte ich, dass sie Menschen einstellt, die sich nicht an ihre ökonomische Denkweise klammern und die Qualität von Gottesdiensten an quantitativen Parametern festmachen; vielmehr erwarte ich mir in einer Kirchenleitung auch in der Finanzabteilung Menschen, die wenigstens ansatzweise erkennen lassen, dass es gerade in der evangelischen Kirche um inhaltliche Aussagen und Kriterien geht, denen alle kirchliche Arbeit folgen muss, nein: folgen will!

 

Auch angesichts der großen Anhängerschaft von amerikanischen Predigern bleibe ich dabei, der Zulauf steht nicht für das klare Wort des Evangeliums, sondern meist für eine ziemlich suggestive und individualisierte Jesus-Frömmigkeit.

 

Wenn ich die Qualität einer Predigt nach der Zuhörerzahl beurteilen wollte oder nach der Anzahl der Zustimmungsmails, was wäre das für ein Armutszeugnis!

 

Der theologische Qualitätsmaßstab hat ganz andere Kriterien - und ich habe dazu in den vergangenen 15 Jahren bei den Predigtpreisverleihungen die Gelegenheit gehabt, dazu einiges zu sagen, das kann, wer will, im Internet nachlesen.

 

Hier und heute muss weniges genügen:

Ganz kurz gesagt: Eine evangelische Predigt will stärken und trösten, ermutigen und anregen, nicht abkanzeln und mit Appellen entmutigen.

 

Eins aber muss man in der gegenwärtigen politischen Lage natürlich ganz besonders hervorheben: Christen predigen keinen Hass, polarisieren nicht prinzipiell, sondern versuchen differenziert zu beschreiben und zu argumentieren; sie suchen nach guten Beispielen der Achtung, Güte und Liebe unter den Menschen. Davon profitieren auch der junge Journalist und der Ökonom.  

 

Und dann kommt vieles, was mit der Botschaft der Propheten bis hin zu Jesus Christus zu tun hat:

 

Den Menschen, die an Christus als ihren Heiland glauben, als das Licht in ihrer Finsternis, denen verbindet sich der unscheinbare Anfang in der Krippe mit dem grausamen Ende am Kreuz zu einer einzigartigen Erwartung für eine glückliche Zukunft der Menschheit überhaupt:

Menschliches Leben wird nur aufblühen und auf Dauer bewahrt bleiben und weitergegeben werden, wenn der Dienst Gottes für die Menschen in Anspruch genommen wird: Alle Größen- und Stabilitätsphantasien, alle Hoffnung auf ein menschliches Leben aus eigener, individueller Kraft werden außer Kraft gesetzt. Wer sich nicht zur Krippe niederbeugt und zum Kreuz aufblickt, lässt die Pflanze der Zukunft verdorren, zertritt sie unter dem Stiefel-Absatz der Macht des Faktischen, - oder in Jesajas erstem Bild: der bleibt in der Finsternis.

 

Liebe Gemeinde, ich behaupte nicht, die christliche Botschaft erschließe sich leicht, das Kreuz Christi bleibt das Kreuz der Christen, weil es nicht vom Egoismus, sondern von der Entfernung jedes einzelnen vom Guten für alle zeugt. Jesus von Nazareth hat seine Bemühungen, diese Entfernung zu verringern, die Menschen dem Guten für alle näher zu bringen, mit dem Leben bezahlt, nicht zu vergessen auch die vielen, die ihm gefolgt sind und für seine prophetische Botschaft in den Zeugenstand getreten sind, unter Einsatz ihres Lebens.

 

Und wie sie alle bezeugen auch wir für das Neue Jahr das Evangelium, die erfreuliche Mitteilung: Wir leben von Gottes Güte und Liebe und wir leben von der Vergebung, die uns alle Morgen neu geschenkt wird. Das gilt in guten wie in bösen Tagen. Auch 2015.

 

Und der Friede Gottes, der der menschlichen Vernunft unfassbar ist, so sehr er unsere Sehnsucht erfüllt, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
Bonn
E-Mail: r.schmidt-rost@uni-bonn.de

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