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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Weihnachten, 04.01.2015

Irgendwie anders
Predigt zu Lukas 2:41-52, verfasst von Thomas Volk

Liebe Gemeinde,

„Irgendwie Anders" heißt ein Bilderbuch, das die Kinder in unserem Kindergarten immer wieder fasziniert.

Es handelt von einem besonderen Wesen mit dem Namen „Irgendwie Anders". Es bemüht sich sehr, so zu sein wie die anderen, aber es gelingt ihm nicht. „Irgendwie Anders" ist und bleibt irgendwie anders. Es sieht nicht so aus wie die anderen. Es spricht nicht wie sie. Es malt nicht so wie sie. Es zieht sich anders an und es isst ganz andere Sachen. Deswegen lebt es auch ganz alleine auf einem hohen Berg und hat keinen Freund.

 

Die Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel gibt ebenfalls den Eindruck wieder, dass Jesus auf seine Art und Weise auch irgendwie anders ist.

Als die Eltern sich nach ihrer Pilgerreise wieder auf den Heimweg nach Nazareth machen wollen, bleibt Jesus einfach in Jerusalem und die Eltern bekommen es nicht einmal mit.

Als sie bemerken, dass er fehlt und ihn suchen, finden sie ihn im Tempel, wo er wie ein Erwachsener öffentlich mit den in der Schrift Gelehrten diskutiert. Dabei ist er noch gar nicht religionsmündig. Dazu muss man ein Jahr älter sein.

Und als die Eltern ihm mitteilen, was sie sich für Sorgen gemacht haben, hat er nur eine abweisende Antwort übrig. „Warum habt ihr mich gesucht? Ihr hättet euch doch denken können, dass ich in dem Haus bin, wo mein Vater wohnt!" (vgl. V.49).

 

Irgendwie anders ist dieser 12jährige.

Aber nicht weltabgewandt, als ob ihn das Leben der Menschen und besonders seiner Familie draußen gar nicht besonders interessieren würde.

Er ist nochmal ganz anders. Erst viel später wird man es merken, wenn er den einzelnen Menschen mit seiner persönlichen Lebensgeschichte höher achtet als alle religiösen Vorschriften. Oder wenn er heilt und damit deutlich macht, dass Krankheiten keine Strafen sind, die von oben auferlegt werden als Quittung für das, was man falsch gemacht hat.

 

Man kann viel spekulieren, warum der Evangelist Lukas diese Geschichte in sein Evangelium aufgenommen hat.

Ich glaube nicht, dass er eine bislang geheime Quelle ausfindig gemacht hat, die exklusiv wusste, was damals auf dieser Pilgerreise vor vielen Jahren genau passiert ist. Man darf diese Geschichte auch nicht als einen Tatsachenbericht verstehen, den man wörtlich nehmen muss, weil er wenigstens an dieser einer Stelle Aufschluss gibt, was wohl in den 30 Jahren zwischen Jesu Geburt und dem Beginn seines Wirkens geschehen ist.

Ich glaube, dass Lukas eines hervorheben will. Um Jesus auf die Spur zu kommen, muss man wissen: von Anfang ist er irgendwie anders gewesen. Nicht nur die Geburt in einem Stall ist für das Kommen Gottes in die Welt ungewöhnlich gewesen. Auch diese legendenhafte Erzählung, bei der sich heute manche Eltern fragen würden, was sie in ihrer Erziehung wohl falsch gemacht hätten, fällt aus dem üblichen Rahmen.

 

Mir macht diese Geschichte auch deutlich: Von Anfang an ist die Gefahr groß gewesen, dass Menschen diesen Jesus nicht verstanden haben.

Seine Eltern haben ihn nicht begriffen, weil sie sich so über sein Verhalten wundern und sich fragen, ob sie ihrem Sohn vielleicht zu viele Freiheiten eingeräumt haben, weil er jetzt macht, was er will.

Später werden seine Jünger ihn nicht verstehen, weil sie meinen, dass mit dem Karfreitag alles aus und vorbei ist. Erst später werden sie die Zusammenhänge verstehen.

Auch die Obersten der religiösen Ordnung und alle, die in ihren religiösen Vorschriften so einfahren und festgelegt sind, sind in ihrem Erfassen viel zu kurz. Verständlich, dass sie nicht begreifen können, wie jemand so unmittelbar von Gott sprechen kann. Dabei sind sie sich doch so sicher gewesen, dass man Gott ausschließlich auf Gesetzestafeln und in Verordnungen finden kann.

 

Überhaupt zeigt schon das ganze Alte Testament einen Gott, der ganz anders ist. Dort, wo Menschen meinen, man kann tun oder lassen, was man will, weil Gott ohnehin seinen Segen dazugibt, da schiebt er einen Riegel vor. Er will sich einfach nicht vereinnahmen lassen.

Und überall da, wo Menschen nicht auf ihre eigene Stärke setzen oder auf eigenes Vermögen bauen, sondern von ihm alles erhoffen und erbitten, da zeigt Gott Wege und Möglichkeiten auf, wie man aus dieser Sache wieder raus kommt. Gott möchte, dass wir uns in unserem Leben, in dem manches auch ganz anders kommen kann, jeden Tag ganz auf ihn verlassen können.

 

In diese Spur fügt sich auch Jesus ein, der ebenso in kein festes Bild, das Menschen sich von ihm zurechtzimmern, passt.

Von daher kann ein neues Jahr auch Anlass sein, diesem Jesus, der ganz anders gewesen ist, wieder ein Stück weit mehr auf die Spur zu kommen.

Vielleicht mal die Gelegenheit nutzen und eines der vielen Jesusbücher lesen, die es auf dem Büchermarkt gibt oder eines der Evangelien. Sich anhand des Bibelleseplans Tag für Tag mit einem Abschnitt befassen und für sich überlegen: Welche Worte Jesu sprechen mich gerade an? Und wo legt er eine neue Sichtweise dar, die für mein festgefahrenes Denken genau hilfreich wären?

 

Auch ein neues Kalenderjahr ist ja irgendwie anders. Die Highlights vom vergangenen Jahr sind Vergangenheit. Manches, was in den kommenden zwölf Monaten kommen wird, können wir heute schon abschätzen, anderes überhaupt noch nicht.

„Irgendwie Anders" aus dem Bilderbuch hat eines Tages übrigens auch etwas völlig Überraschendes erlebt.

Eines Abends klopft es an die Türe von „Irgendwie Anders". Ein seltsames Wesen kommt herein. Und das ist noch einmal ganz anders als „Irgendwie anders".

Weil dieses Wesen so ganz anders ist, schickt „Irgendwie anders" es weg. Aber dann geht ihm auf. Er merkt, dass er genau das tut, was die anderen an ihm schon immer getan haben. Er grenzt jemanden aus, den er noch gar nicht kennt. Er hat bereits eine feste Meinung über jemanden, ohne von ihm zu wissen.

Er rennt ihm nach und holt es zurück. Die beiden "Irgendwie anderen" rücken zusammen, werden Freunde. Und ihre Freundschaft zählt mehr, als das Gerede der anderen.

 

Diese Geschichte, zu der die Autoren Kathryn Cave und Chris Ridell 1997 dafür den Preis der UNESCO erhalten haben, ist nicht nur für Kindergartenkinder, sondern auch für Jugendliche und Erwachsene eine wunderbare Geschichte, weil sie uns auf eine liebevolle Weise den Spiegel vorhält und uns fragt: Wo habe ich von einer Person eine so festgefahrene Vorstellung, die längst nicht mehr passt?

Vielen ist es beim Tod des Sängers Udo Jürgens so gegangen. Wie viele haben gesagt: „Ich habe gedacht, dass er nur ein Schlagersänger gewesen ist. Ich habe gar nicht gewusst, dass er schon vor 40 Jahren mit seinem „griechischen Wein" ein Lied geschrieben hat, in dem er sich in die Rolle eines Gastarbeitenden hineinversetzt, der es hier einfach schwer hat." Damals in den 70ern ein sehr ungewöhnlicher Part. Und mit seiner Kritik an einer spießigen bürgerlichen Doppelmoral, die er in das Lied „Ein ehrenwerten Haus" hineinpackt hat, hat er schon damals viele zum Nachdenken gebracht.

Wen muss ich mit anderen Augen sehen?

Wo muss ich meine Kinder mehr loslassen, dass sie lernen, alleine im Leben zurechtzukommen, eigene Schritte wagen, eigene Entscheidung treffen? Wo muss ich ihnen mehr Eigenverantwortung zugestehen? Nicht mehr so viel kontrollieren? Und wo klammere ich noch zu fest?

Oder wo muss ich vielleicht anders werden? Von meinen starren Gewohnheiten abrücken? Wo merke ich gar nicht, wie sich die die Welt um mich verändert?

Vielleicht bin ich ja selbst schon irgendwie anders geworden und habe es nicht gemerkt? Kleinlicher und pingeliger? Fahre schneller aus der Haut? Oder merke an mir, dass ich ängstlicher und vorsichtiger geworden bin? Ziehe mich von den anderen zunehmend zurück, weil ich sie nicht mehr verstehe und mich in der digitalen Welt einfach nicht mehr auskenne?

 

Von Selma Lagerlöf stammt der Ausspruch, der gerade am Beginn eines neuen Jahres so treffend ist: „Man soll nicht ängstlich fragen: „Was wird und was kann noch kommen?" Sondern sagen: „Ich bin gespannt, was Gott jetzt noch mit mir vorhat!"

Ein passendes Motto für ein neues Jahr, das irgendwie anders werden wird und in dem auch wir wieder irgendwie anders werden. Gut zu wissen, dass auch das Kind in der Krippe größer und anders wird und uns auch in diesem Jahr auf ganz andere Art und Weise, als wir es für möglich halten, überraschen wird. Mit vielen Möglichkeiten, die ganz anders sein werden, als wir sie uns ausmalen, aber immer so, dass wir mit jede Menge Lebensmut in dieses neue Jahr hineingehen können.

Und die Weite Gottes, die umfassender und höher und tiefer ist als alles menschliche Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Pfarrer Thomas Volk
Marktbreit
E-Mail: thomas.volk@elkb.de

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