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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Weihnachten, 04.01.2015

Predigt zu Lukas 2:41-52, verfasst von Hans-Otto Gade

Liebe Gemeinde!

Wieso steht in der Bibel (fast) nichts über die Kindheit und Jugend von Jesus? So fragen nicht nur Konfirmanden, sondern viele erwachsene Menschen. Da ist die Weihnachtsgeschichte, die wir vor kurzem mehrfach gelesen und gehört haben. Anschließend machen die Berichte der Bibel sozusagen einen Sprung von 30 Jahren und wir hören die Geschichten der letzten Zeit Jesu bis hin zu Kreuzigung und Auferstehung.

 

„Ich wüste doch gern, was Jesus so als Kind und Jugendlicher gemacht hat! War Jesus ein liebes, gehorsames Kind? Hat er immer auf seine Eltern Joseph und Maria gehört? Ist Jesus zur Schule gegangen? Hat er anschließend eine Lehre in der Zimmermanns-Werkstatt seines Vaters gemacht?"

 

Genau diese Fragen haben sich auch die Christen in den ersten Jahrzehnten der Urchristenheit gestellt. Auch im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus wollten die Christen mehr wissen über das Leben dieses Jesus von Nazareth.

Damals wie heute war und ist es so: Um die Person und das Leben eines bekannten Menschen ranken sich sehr schnell Geschichten und Legenden. So auch  bei Jesus. Gegen Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts tauchte eine Schrift auf, die mit folgenden Worten beginnt:

 

„Ich, Thomas der Israelit, hielt es für angebracht, allen Brüdern aus den Heidenvölkern von der Jugend unseres Herrn Jesus Christus zu berichten und von seinen großen Taten zu erzählen, nachdem er in unserem Land geboren war. So begann es: 

 

Als Jesus fünf Jahre alt war, gab es einmal einen starken Regenschauer. Jesus spielte an einer flachen Stelle am Bach. Er leitete das vorbeifließende Wasser in kleine Vertiefungen, sammelte es dort und machte es sofort, allein durch sein Wort, ganz klar. Dann knetete er weichen Lehm und modellierte daraus zwölf Spatzen. Es war aber an einem Sabbat und es waren auch noch andere Kinder da, die mit ihm spielten.

 

Als ein Jude sah, was Jesus beim Spielen am Sabbat tat, ging er sofort zu seinem Vater Joseph, und sagte zu ihm: „Dein Sohn spielt am Bach und hat aus Lehm zwölf Spatzen geformt. Dadurch hat er den Sabbat entweiht." Joseph lief an die angegebene Stelle. Als er sah, was Jesus gemacht hatte, rief er: „Warum machst du verbotene Dinge am Sabbat?" Doch Jesus klatschte in die Hände und sagte zu den Spatzen: „Los, fliegt weg." Die Spatzen breiteten ihre Flügel aus und flogen laut zwitschernd davon. Die Juden staunten sehr als sie das sahen. Sie gingen hin und erzählten ihren Ältesten, was Jesus getan hatte." 

 

Diese Geschichte ist ja noch harmlos, aber wenn wir dieses Kindheitsevangelium Jesu weiterlesen, dann kann es uns schon grausen: Ein Junge zerstört den kleinen Teich, den Jesus im Spiel gebildet hatte. Sofort verflucht Jesus ihn, sodass der Junge zu einem toten Stück Holz verdorrt. Ein anderer Junge rempelt Jesus an; er wird von Jesus verflucht und fällt tot um.

Lesen sie das Kindheitsevangelium, und Sie werden über diese teils schrecklichen Geschichten staunen. Noch andere Geschichten lesen wir dort: Der kleine Jesus lässt Menschen erblinden, er ärgert seine Lehrer, er weckt Tote zum Leben, er verlängert in der Werkstatt seines Vaters allein durch die Kraft seines Geistes ein Holzbrett auf die passende Länge und er bändigt Feuer und Wasser.

 

Ich weiß noch, dass uns vor vielen Jahren in meinem Kindergottesdienst solche Geschichten erzählt wurden als Beweis dafür, dass der kleine Jesus genauso Wunder tun konnte wie der Dreißigjährige, von dem in der Bibel erzählt wird.

Und genau das ist die Absicht des Kindheitsevangeliums, das nicht in die Bibel aufgenommen wurde: Den Christen im römischen Reich erzählen, dass schon der kleine Jesus ein wundermächtiger Mensch war.

 

In diesem Kindheitsevangelium findet sich eine Geschichte, die auch im Lukasevangelium aufgeschrieben ist. Ich lese Lukas 2,41 - 50:

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.

Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten es nicht.

Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.

Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.

 

Zur Geschichte: Ab dem 13. Lebensjahr war jeder (männliche) Jude verpflichtet, mindestens einmal im Jahr den Tempel in Jerusalem und den zentralen Gottesdienst dort zu besuchen. Die Lesungen in den Synagogen konnten diesen Gottesdienst in keiner Weise ersetzen, denn der Tempel, das war mit dem Allerheiligsten der irdische Wohnort Gottes. Der Opfergottesdienst im Tempel, das war Ausdruck und Innbegriff der Anbetung Gottes. Das ist auch der Grund, warum sehr viele Juden bis heute das Fehlen des Tempels als tiefste Verletzung ihrer Religion erleiden.

 

Maria und Joseph gehen also die 120 km von Nazareth im Norden bis nach Jerusalem im Süden. Sie nehmen Jesus mit - und eine Frage sei am Rande erlaubt: Wo sind denn die anderen Kinder dieses Paares - Jakobus, Joses, Judas und Simon sowie die Schwestern Jesu? Ich nehme an, dass sicherlich einige dieser Kinder mit auf der Wanderung zum Tempel waren, aber sie werden nicht genannt, weil es in dieser Geschichte um Jesus geht. Um Jesus und seine Eltern. Es geht um Jesus und sein echtes Vaterhaus.

 

Nach dem Besuch des Tempels machen sich Joseph und Maria auf den Rückweg nach Nazareth. Sicherlich inmitten vieler Nachbarn und Freude, die mit ihnen gemeinsam aus Nazareth aufgebrochen waren. Da kann man schon mal ein größeres Kind aus den Augen verlieren, der ist sicherlich bei Onkel und Tante oder den Nachbarn.

Erst am Abend wird der Jüngling vermisst und Joseph und Maria tun das, was Eltern in so einem Falle zu machen pflegen: Sie machen sich Sorgen, drehen um und kehren nach Jerusalem zurück.

 

Dort finden die Eltern Jesus inmitten einer Gruppe Schriftgelehrter. Jesus hört, er fragt, er antwortet - er ist in einem tiefen Gespräch über Bibel und Glaube: Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.

Wird schon hier bei dem zwölfjährigen Jungen deutlich, wie sehr die Weisheit Gottes in ihm wirkt? Ist diese Geschichte im Tempel eine Vorahnung dessen, was Jahre später von Jesus berichtet wird: Die Gespräche und Diskussionen mit denen, die die Bibel kennen und auslegen, die Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und den Menschen, die das geschriebene Wort zu eng auslegten - nicht als freimachendes Wort sondern als Fessel?

 

Im Tempel also entdecken die Eltern ihren Sohn.

Selbstredend machen die Eltern dem 12-jährigen Sprössling Vorwürfe: Wie kannst du nur!

Die Antwort Jesu markiert einen Wendepunkt in seiner persönlichen Geschichte - und somit auch in der Geschichte seiner Familie. Es wird in den beiden nachfolgenden Versen zwar noch berichtet, dass Jesus mit seiner Familie nach Nazareth zurückkehrte. Lukas schreibt:

 

51 Und Jesus ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.

52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen

 

Aber schlussendlich ist diese Geschichte die Einleitung dessen, was in den Evangelien im Anschluss beschrieben wird: Die Taufe Jesu und sein darauf beginnendes Wirken in Galiläa und Jerusalem.

 

Zurück zu der Frage vom Anfang: Warum steht in der Bibel fast nichts über die Kindheit Jesu?

Danz einfach: Es geht in der Bibel nicht um die Biografie eines Kindes, eines Jugendlichen, eines Mannes aus Nazareth. Es geht in den Evangelien um das Wirken des Sohnes Gottes. Und erst mit der Taufe im Jordan wird Jesus von Nazareth Gottes Sohn genannt. Nicht vorher. Und ab da beginnt die Geschichte Jesu, die für uns Christen wichtig ist.

Aus diesem Grunde finden wir in der Bibel fast keine Berichte über Kindheit und Jugend Jesu. Nur das, was für sein späteres Wirken wichtig ist:

- Die Geburt mit der Verkündigung an die Hirten: „Euch ist heute der Heiland geboren!",

- Die Flucht nach Ägypten als Zeichen der Verbundenheit mit der Geschichte des Volkes Israel,

- und unsere Geschichte vom zwölfjährigen Jesus, in dem zum ersten Mal ein Ahnen von der Wirksamkeit des Geistes Gottes erscheint, der bis heute in uns wirkt mit dem Vertrauen, dass dieser Jesus Christus unser Heiland ist.

 

Amen



Pastor i.R. Hans-Otto Gade
Buxtehude
E-Mail: Hans-otto.gade@ewetel.net

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