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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Epiphanias, 06.01.2015

Wohin wir unterwegs sind
Predigt zu Matthäus 2:1-12, verfasst von Bernd Giehl

Liebe Gemeinde!

Ist sie nicht bewundernswert - die Sicherheit, mit der diese Männer ihrem Stern folgen? Und sich dabei von nichts beeindrucken lassen, nicht von den Strapazen einer Reise über tausende von Kilometern, nicht von den Wüsten, die sie durchqueren müssen, nicht von den Räubern, die dort vielleicht Beute machen wollen? Vermutlich haben sie Kamele und kundige Führer, die den Weg kennen und die Wasserstellen finden. Wahrscheinlich sind sie wohlhabend genug, um die Arbeit für ein paar Monate ruhen zu lassen. Und dennoch: Woher wissen sie, dass der Stern sie nicht in die Irre führt? Oder dass sie seine Botschaft womöglich falsch gedeutet haben? Aber sie machen sich auf den Weg, unbeirrt durch Strapazen und Gefahren. Und am Ende kommen sie tatsächlich ans Ziel.

Ich beneide sie.

 

*

 

Oder habe ich die Geschichte jetzt falsch erzählt? Ganz sicher bin ich mir da nicht. Matthäus legt das Gewicht ja anders. Er sagt nichts von den Strapazen der Reise. Bei ihm beginnt die Gefahr erst in Jerusalem, und sie ist konkret. Erst durch die Sterndeuter erfährt der König Herodes von der Geburt Jesu. Und sogleich wittert er Konkurrenz. Der aufgehende Stern eines neuen Herrschers; das kann nicht sein. Da entsteht Konkurrenz. Und Konkurrenz ist das letzte, was Herodes brauchen kann. Daraus entsteht schließlich der Kindermord von Bethlehem, von dem Matthäus später erzählt.

Eigenartig, wie der Frieden auf Erden, der zumindest in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ausgerufen wird, in dieser anderen Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Matthäus schon wieder vorbei ist. Ja mehr noch: Wie er hier die bösen Mächte, wenn ich es einmal so nennen darf, erst auf den Plan ruft.

Ist das nun ein Widerspruch in sich? Man könnte es meinen. Aber zum einen muss man bedenken, dass hier ein Ereignis, nämlich das Kommen Gottes in die Welt von zwei unterschiedlichen Autoren erzählt und gedeutet wird. Man wird - anders als wir es lange getan haben - die Geschichte von den „Heiligen drei Königen" nicht einfach an die bekanntere Weihnachtsgeschichte des Lukas anhängen dürfen, sondern wird sich in Erinnerung rufen müssen, dass hier zwei unterschiedliche Evangelisten ein- und dasselbe  Ereignis unterschiedlich deuten. Und zum anderen kann man ja auch noch einen dritten Evangelisten zu Rate ziehen, Johannes nämlich, der sozusagen seinen eigenen Kommentar dazu gibt, wenn er sagt: „Das Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen."

 

*

 

Eine ernüchternde Erkenntnis. Dabei haben wir uns doch vor knapp zwei Wochen so viel Mühe gegeben. Haben die Geschenke rechtzeitig gekauft, die Lebensmittel, die wir für das große Fest brauchten, waren frühzeitig eingekauft und ich habe die Gottesdienste für die Feiertage rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht. Natürlich gab es auch ein bisschen Hektik - wann gab es die nicht vor Weihnachten - aber es hielt sich doch im Rahmen. Eigentlich haben wir doch alles getan, damit Weihnachten werden konnte. Und jetzt also die Ernüchterung. Die bösen Mächte gibt es immer noch.

Na ja, wenn wir ehrlich sind müssen wir zugeben, dass wir es wussten. Am Ersten Weihnachtstag waren wieder so wenig Leute in der Kirche wie in früheren Jahren auch. Was immer die Menschen an Heiligabend in der Kirche suchen; hernach sind sie wieder für ein Jahr verschwunden. So irritierend das auch sein mag, wir müssen damit leben.

 

*

 

An diesem Punkt nun möchte ich auf ein Gedicht zurückgreifen. Nun ja, ich gebe es zu: Es ist ein eigenes Gedicht, das vor vielen Jahren entstanden ist. Genauer gesagt, es ist ein Gedicht über die „Heiligen drei Könige", die immer noch unterwegs sind.  

 

                                                  Sterndeuter an der Bar

                                      

                                       Den dritten

                                       ließen wir zurück   

                                       in Küsnacht

                                       drei Jahre mit dem Stern

                                       sagt er ca c'est fini

 

                                       Wirt noch zwei Bier

                                      

                                       Ein Haus am Berg

                                       mit Blick auf'n See

                                       drei Jahre ohne Frau

                                       sagt er 's ist doch kein Leben

                                       nicht

 

                                       Die Stadt so hell und

                                       voller Wunder, geheime Zeichen

                                       an jeder Ecke

                                       nur die Botschaft, Wirt,

                                       sag uns die Botschaft.

 

                                       Wo bleibt's Bier

 

                                       Da draußen im Dunkeln

                                       ein wandernder Stern

                                       auf der Straße nach Horgen

                                       und wenn er stehenbleibt, Wirt

 

                                        Auf Wiederluege

 

(in Bernd Giehl „Versuch auf dem Wasser zu gehen, Mauer Verlag, Rottweil, 2001)

 

Und jetzt tue ich einfach einmal so, als ob ich nicht selbst der Autor wäre. Dieses Gedicht irritiert. Zumindest vermute ich das. Es wechselt umstandslos zwischen zwei Ebenen. Zwei Leute stehen am Tresen einer Gaststätte und unterhalten sich mit einem Dritten, der aber selbst nichts sagt. Sie sind unterwegs, sagen sie, und dass sie einen anderen, der mit ihnen unterwegs gewesen ist, in Küsnacht, einem Vorort von Zürich, zurückgelassen haben. Offensichtlich sind sie schon drei Jahre lang gemeinsam unterwegs und jetzt will der Dritte nicht mehr weiter. Er hat genug von drei Jahren Wanderschaft; er will leben, wie alle anderen. Ein Haus haben, eine Frau lieben, vielleicht Kinder zeugen. Also stehen die anderen beiden nun in Zürich an der Bar, trinken etwas und denken nach über die „drei Jahre mit dem Stern" und ob sie es nun auch gut sein lassen. Bis hierher könnte man das Geschehen noch ganz in der Moderne ansiedeln und auch die Überschrift spricht nicht dagegen; schließlich treffen sich vermutlich auch Astrologen zu irgendwelchen Kongressen und stehen abends gemeinsam an einem Tresen. Fraglich ist nur, ob sie ihre Sternenkonstellationen so ernst nehmen, wie die drei, die da jahrelang ihrem Stern gefolgt sind. Spätestens an dieser Stelle wechselt das Gedicht in die andere Ebene, die des Mythos oder der biblischen Erzählung. Es sind die drei „Magier" bzw. die drei Sterndeuter aus der biblischen Geschichte, die ihrem Stern gefolgt und dabei in Zürich gelandet sind. Offensichtlich haben sie ihr Ziel noch nicht erreicht. Mehr noch: sie sind offenbar überrascht und überfordert von den vielen Lichtern, die eine abendliche Stadtkulisse nun einmal zu bieten hat. Es scheint so, als wären sie zum ersten Mal in eine Großstadt gekommen und haben die vielen Lichter gesehen, deren Botschaft sie offensichtlich nicht verstehen. Ob der Wirt ihnen helfen, ob er ihnen „die Botschaft sagen" kann? Vermutlich wird er den Sinn der Frage gar nicht verstehen. Er lebt ja in einer völlig anderen Welt.

Damit könnte es nun zu Ende sein. Zwei Sterndeuter, die den dritten verloren haben und erst einmal in der Großstadt gestrandet sind. Sie könnten es dem dritten nachmachen und sich in der Stadt niederlassen. Womöglich fänden sie als Astrologen ja auch Arbeit. Aber so pessimistisch endet das Gedicht nicht. Die beiden wissen offensichtlich, wie es weitergehen könnte. „Da draußen im Dunkeln/ ein wandernder Stern/ auf der Straße nach Horgen/ und wenn er stehenbleibt, Wirt ..." Vielleicht sind sie es ja selbst, die jetzt „auf Wiederluege" sagen, „auf Wiedersehen" also und sich aufmachen, weg von den Lichtern der Stadt und hin zur Dunkelheit, wo der Stern zu sehen ist. Aber das lässt das Gedicht offen.  

 

*

 

Ob ich das wohl sagen darf? Ach was, ich vergesse jetzt einfach einmal, dass ich selbst der Autor bin und sage: Ich mag dieses Gedicht. Es ist so wunderbar vielschichtig. Es tut so, als könnte man eine alte Geschichte einfach fortsetzen. Als gäbe es nicht den Abstand zwischen den biblischen Geschichten und uns. Oder vielmehr: Es spielt mit diesem Abstand. Es stellt sich vor, wie die „drei Weisen aus dem Morgenland" in unserer Zeit landen und wie diese ganz andere Zeit sie verwirrt. Und umgekehrt nimmt es uns in diese Geschichte mit hinein. Vielleicht sind es ja gar nicht die drei Weisen, die da an der Bar gestrandet sind, sondern wir sind es, die den Stern suchen und ihn womöglich eine Zeit lang verloren haben. Weil es so mühsam ist, Jahr für Jahr dem Stern zu folgen und vorläufig noch nicht ans Ziel zu kommen. Da kann es schon einmal vorkommen, dass einem die vielen Lichter den Sinn vernebeln. Oder dass einer abhandenkommt, weil er des Reisens müde ist und endlich wissen will, wo er zuhause ist.

Aber die anderen, so ist zu hoffen, werden dem Stern auch weiterhin folgen und am Ende ans Ziel kommen.

 

 



Pfarrer Bernd Giehl
Wiesbaden
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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