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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 11.01.2015

Predigt zu Lukas 2:41-52 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Leise Christensen

In fast jeder Familie stehen dicke Alben im Regal, alle voll mit Bildern von Festtagen in der Familie, von Sommerferien und Ausflügen und vor allem von unseren Kindern in allen möglichen und unmöglichen Situationen. So verhält es sich nicht mit der Kindheit Jesu. Das einzige Zeugnis, das wir aus seiner Kindheit außer der Erzählung von dem kleinen Kind in der Krippe haben, ist die Erzählung, die wir in diesem Text hören. Jesus war auf Pilgerreise mit seinem Vater und seiner Mutter in das große Jerusalem, das wegen des Osterfeses voll von Menschen war. Es bleibt uns selbst überlassen, uns die Kindheit Jesu vorzustellen, seine Interessen und Aktivitäten – die Evangelien und die Briefliteratur des Paulus erzählen heute nichts davon. Aber, was ist das für eine Erzählung, die wir hier hören? Eigentlich gibt es wohl niemanden, der sich hier nicht angesprochen fühlt. Man macht einen Ausflug mit der Familie einschließlich des unregierbaren Zwölfjährigen, der gleichsam von hüpfenden Hormonen besetzt zu sein scheint. Das Kind befindet sich in einem Befreiungsprozess und findet ganz andere Betätigungsfelder als die, die sich Vater und Mutter eigentlich ausgedacht hatten. Die Szene ist uns vertraut: Mutter und Vater glauben, das Kind befinde sich unmittelbar in der Schlange am Markt, aber das Kind, das sich durchaus selbst als ein Kind versteht, ist ganz woanders, an einem Ort, der interessanter ist. Und als sie ihn endlich wiederfinden, nachdem sie nach Jerusalem zurückgekehrt sind – sie waren ja auf dem Wege nachhause nach Nazareth, als sie entdeckten, dass er nicht mit den anderen gleichaltrigen Lümmeln aus dem Dorf im Norden zusammen war – ja, da ist er wahrlich ziemlich aufsässig. Auf ihre Frage, wo in aller Welt er sich herumgetrieben hat, antwortet er, dass er bei seinem Vater war. Ganze drei Tage. Das muss für Joseph verletzend gewesen sein, er war doch der Mann, der für das leibliche Wohl des Jungen gesorgt hatte, der ihn liebte und ihm ein Dach über den Kopf gab. Aber Jesus war ein Junge, der wie alle anderen Jungen und Mädchen in dem Alter sich selbst manifestieren wollte in seinem Tun und Lassen. Er war also in einem Befreiungsprozess und fand es notwendig, seine eignen Wege zu gehen. Dazu passt gut, dass er sich im Konfirmationsalter befand, dem Alter, wo alle jüdischen Jungen zu ihren Bar Mizwa gehen und ein Sohn des Gesetzes werden, d.h. sie werden religiös mündig. Man kann wohl sagen, dass Jesus in diesem Text unartig, ja vielleicht unbedacht ist, jedenfalls seinen jüdischen Eltern gegenüber.

Ich sagte vorher, dass wir keine Erzählungen über die Kindheit Jesu außer dieser hier und der von seiner Geburt in Bethlehem. Das ist genau genommen nicht richtig. In einigen der Schriften, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, findet man sehr viele Erzählungen – oder Legenden, sollte man besser sagen – über die Kindheit Jesu. In diesen Erzählungen ist Jesus ein frommes Kind – an der Grenze zum enorm Langweiligen. Er ist ein Kind mit besonderen Fähigkeiten, die er gar nicht umhin kann zu gebrauchen. Wenn die Kinder Vögel aus Lehm unten an der Quelle formen, kann er gar nicht anders als mit einem Wunder einzugreifen, indem er ihnen Leben gibt und sie fliegen lässt. Wenn die anderen Kinde wild und heftig spielen, kann er gar nicht anders als einzugreifen mit einem Mirakel und die Gemüter zu beruhigen. Er ist in diesen Legenden ganz klar das Gotteskind, das besondere Kind. Und das macht diese Legenden ganz unchristlich. Denn Jesus war ja kein Gott, der nur so tat, als wenn er ein Mensch wäre. Jesus war ein Mensch. Voll und ganz Mensch. Und eben dafür hat Lukas in seiner Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel einen Blick. Jesus war ein Mensch, der wie alle anderen Menschen zu einem Zeitpunkt gegen die engen Bande rebellierte, die er von zuhause mitbrachte, Bande, die er ein wenig lockern wollte. Die Kirche hat sich in ihrer ganzen Geschichte mit dieser Frage geplagt: War Jesus Gott oder Mensch? War er vielleicht halb Gott und halb Mensch? War er, wie es in den Legenden beschrieben wird, oder wie er bei Lukas geschildert wird? Mann verfällt so leicht in eines dieser Extreme und überbetont entweder den menschlichen Aspekt oder das Göttliche. Wenn wir uns für die Kindheitslegenden entscheiden und Jesus zu einem Wunderkind von Kindheit an machen, ja dann machen wir Jesus zu einem unverwundbaren Wesen, der nur so tat, als lebe er ein menschliches Leben, der nur so tat, at litte und stürbe er für uns. Nein, wir müssen daran festhalten, dass er ein wahrer Mensch war, der wie alle Menschen eine Kindheit mit Enttäuschungen, Freuden, Fehlern, glücklichen Ereignissen und Identitätsproblemen durchmachen musste – so wie alle Menschen.

In Deutschland hat der Künstler Max Ernst ein Bild von Jesus gemalt. Er wollte, soweit ich das dem Bild entnehmen kann, sich gegen das idyllische Bild von Jesus wenden, das Bild, das die phantastischen Kindheitslegenden repräsentieren. Max Ernst malte ein Bild von Jesus, der eines auf den Hintern bekommt, einen ordentlichen Klatsch auf den Hintern. Maria sitzt breit, mächtig und zornig mit dem Jesuskind auf den Knien, und wir müssen uns vorstellen, dass Jesus nicht artig war und dafür von seiner Mutter bestraft wird. Hier kann Maria nicht Gottesgebärerin, Mutter Gottes oder die heilige Mutter oder etwas anderes Feines genannt werden, sondern sie ist einfach Mutter. Hier in diesem Bild finden wir jedenfalls einen kräftigen Ausdruck für den menschlichen Jesus, den Jesus, der einen Schlag auf den Hintern verdient hat. Aber Max Ernst verfällt nicht darauf, Jesus ganz menschlich zu machen und in Bezug auf die Kindheitslegenden ins andere Extrem zu verfallen. Nein, denn etwas vor Jesus, dessen Kopf auf den Knien seiner Mutter nach unten hängt, da liegt seine Glorie, die in der Hitze des Gefechtes heruntergefallen ist. Der Strahlenglanz seiner Glorie leuchtet dem Betrachter entgegen, so dass man dennoch keinem Zweifel hat, das nun einmal etwas Besonderes an Jesus ist, auch wenn er auf den Knien seiner Mutter liegt. Wir müssen uns vorstellen, dass in dem Augenblick, als das Bild gemalt war, Maria Jesus auf den Boden setzt, seine Kleidung etwas glättet, ihn etwas herzt und den Strahlenglanz wieder an seinen Platz auf seinem Kopf rückt, so wie wir anderen Mütter das mit der Mütze tun, wenn wir unsere Kinder in die Schule schicken. Jesus ist Gott und ein Junge, Marias Junge und Gottes Sohn. Jesus ist in beiden Sphären verwurzelt, mit Wurzeln in zwei Zuhause, mit zwei Vätern, als Gott und Mensch.

Viel Zeit hat man im Verlauf der Geschichte verwandt, um dieses Geheimnis zu ergründen – wie kann das zugehen, fragen wir. Und es ist schwer zu verstehen. Aber in Wirklichkeit sollte man weniger über das Wie dieser Sache nachdenken als über das Warum. Warum entschied sich Gott dafür, Mensch zu werden und einen brutalen Tod zu erleiden mit Schmerz und Angst wie jeder andere hingerichtete Mensch? Warum wollte sich vor Gericht schleppen, verurteilen und hinrichten lassen, um nach drei Tagen als ein Gott zu auferstehen? Das wolle er für uns, damit ein Ausweg ist in unserem Leben, wenn es versandet, damit auch wie uns an zwei Orten zuhause fühlen, zwei Orte, wo wir hingehen können, wenn das Leben uns nicht mehr zu ertragen scheint. Wie Jesus sind wir an zwei Orten zuhause. Bei unseren Eltern, unser Gemeinde, unserer Stadt, unserem Land und der Welt. Aber wir gehören auch Gott. Die Staatsbürgerschaft, die wir bei Gott haben, haben wir in der Taufe erhalten. In der Taufe wird uns zugesagt, dass wir Gott gehören, der unser Vater ist. Ein Vater, der seine Kinder bedingungslos liebt. Auch wenn unser Leben nicht so zu wollen scheinen, wie wir wollen, oder wenn unser Leben nicht so zu gelingen scheint, wie wir uns das vorgestellt hatten, so ist es doch in den Augen Gottes gelungen. Dort sind wir eben so geliebt, wie wir sind mit Fehlern, Mängeln, Widerstand, einem mehr oder weniger blankpolierten Glauben. Wir sind in unsere Familie zuhause, aber auch on der Kirche. Da können wir hingehen und Gott danken, da können wir uns beschweren, diskutieren oder nur mit ihm reden, denn so ist es in einem guten Zuhause. All das sollen wir mutig glauben, auch wenn der Verstand nicht folgen kann. Unser anderes Zuhause hier in der Kirche gibt uns Freiheit und Mut, hinauszugehen und unser Leben mit unserer Familie, unseren Freunden, unserer Arbeit und all dem, was wir sonst in unserem Alltag haben, zu leben. Das Leben Jesu schwebte zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen, so schweben auch unsere Leben zwischen unseren beiden Zuhause. In dem einen Zuhause empfangen wir Kraft und Stärke, um in dem anderen Zuhause so zu leben, dass wir mit Achtung vor dem Mitmenschen leben können, in Liebe, Bedachtsamkeit und Vertrauen. Und wenn dies trotz guten Willens nicht gelingen will, dann wissen wir, dass auch dort Vergebung ist bei unserem himmlischen Vater. Amen.



Dozent Dr. Leise Christensen
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: lec(at)km.dk

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