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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 11.01.2015

Jesus von Nazareth und seine Taufe durch Johannes den Täufer
Predigt zu Matthäus 3:13-17, verfasst von Thomas Bautz

Damals kam Jesus von Galiläa her an den Jordan zu Johannes, um sich (auch) von ihm taufen zu lassen. Der wollte ihm aber nicht zu Willen sein und sagte: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“

Doch Jesus gab ihm zur Antwort: „Lass es für diesmal geschehen, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Da gab Johannes ihm nach.

Als Jesus aber getauft und soeben aus dem Wasser gestiegen war, siehe, da taten sich ihm die Himmel auf, und er (Johannes oder Jesus) sah den Geist Gottes wie eine Taube herabschweben und auf ihn (oder: sich) kommen. Und siehe, eine Stimme erscholl aus den Himmeln: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe!“

 

Liebe Gemeinde!

Die „urchristliche“ Überlieferung von Jesu Taufe spiegelt einen Verdrängungsprozess: Johannes der Täufer und der historische Jesus werden zugunsten einer konstruierten Gestalt der Evangelientradition zurückgedrängt. Die Evangelien nach Markus, Lukas und Matthäus übermalen das historische Ereignis der Taufe Jesu nach eigenen Interessen und Erwartungen der Empfänger ihrer Botschaft; im JohEv wird es nicht mehr erzählt. Bei Lukas wird zwar die Taufe erwähnt, aber nicht der Täufer. Bei Markus fehlt das „Taufgespräch“ zwischen Jesus und Johannes dem Täufer.

Johannes der Täufer ist mehr als Verkünder und Wegbereiter des Jesus von Nazareth. Jesus respektiert den Täufer zumindest eine Zeit lang als seinen Lehrer (Rabbi) und lässt sich von ihm zur „Vergebung der Sünden“ (Mk 1,4; Lk 3,3) taufen. Er sieht sich als einen der vielen, die in Israel aufgrund der Verkündigung des letzten Propheten (Johannes) umkehren und ihr Leben ändern wollen, um dem nah geglaubten Gericht Gottes zu entgehen.

Die Tradition konstruiert ein hierarchisches Gefälle zwischen Jesus und dem Täufer, indem sie Johannes Folgendes in den Mund legt (Mt 3,11.14): „Ich taufe euch nur mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht gut genug, ihm seine Schuhe nachzutragen: der wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen.“ Zu Jesus sagt er dann (angeblich): „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“

Johannes der Täufer gehört zu den bedeutenden Lehrern des Judentums der Antike: er predigt die Taufe zur Buße, zur Umkehr, zum Umdenken und zur Änderung unserer Gesinnung. Er hat eigene Anhänger und Schüler. Das Täuferbild der Tradition und der dahinter stehenden, teils legendarischen Überlieferungen ist ausgesprochen vielfältig und nicht widerspruchsfrei. Lukas stellt den Täufer nur als Vorläufer Jesu, aber auch als eigenständigen Lehrer dar. Was er dem Volk zu sagen hat, ähnelt sehr stark dem, was bereits alttestamentliche Propheten verkündigten. Sein Auftreten muss die Menschen derart beeindruckt haben, dass sie Johannes dem Elias gleichstellten, ja, es war sogar eine Legende im Umlauf, in welcher der Täufer als der wiedergekehrte Elias angesehen wurde.

Mehr Gewicht hat aber ein Vergleich mit Jesus von Nazareth. Beide muten ihren Hörern Gerichtspredigten zu, welche nicht gerade zum religiösen Alltag gehören. Die Frommen im Lande haben sich eher in der behaglichen Atmosphäre eines fürsorglichen Gottes eingerichtet. Sie sind es nicht gewohnt, dass sie jemand in aller Schärfe daran erinnerte, dass ein religiöses Leben auch Früchte hervorbringt.

Jesus wie Johannes binden die Frömmigkeit, den Glauben eines Menschen konsequenterweise an das Hervorbringen guter Früchte; Johannes bezeichnet sie als „der Buße würdige Früchte“. Immerhin kommen die Menschen in Scharen zu ihm, um von ihm als Zeichen der Buße, der Umkehr, der Änderung ihrer Gesinnung, des Umdenkens - zum Nachlass, zur Vergebung der Sünden - getauft zu werden.

Der Täufer drängt sich also nicht auf. Das kann man auch dem Mann aus Nazareth nicht unterstellen. Aber wenn schon jemand einen Neuanfang wagt, dann erfährt er von Johannes und - fast noch provokanter, noch eindringlicher - von Jesus, welche Konsequenzen diese Umkehr und Nachfolge für sie hat. Die Taufe wird dann zu einem „Zeichen, sich Gott auf Gedeih und Verderb zu überlassen“, voller Vertrauen; deshalb lässt sich Jesus in die Fluten des Jordan ein- und untertauchen. (Eugen Drewermann)

Für uns könnte die Taufe Jesu durch Johannes den Anfang all dessen bedeuten, „was Gott uns zu sagen hat in der Person des Jesus von Nazareth als unseres Bruders“ (Drewermann). Es wird zugleich deutlich, wie der spätere Rabbi oder Lehrer Jesus sich selbst sieht, und worin er den Kern seiner Botschaft erkennen wird: Es ist die Vorstellung einer neuen Art, wie Gott redet, nämlich in Gestalt des „Sohnes“ oder auf „Sohnesweise“ (Hebr 1,2).

Ich bevorzuge den heute verständlicheren Ausdruck: „auf kindliche Weise“, schon deshalb, weil Kinder viel eher Vertrauen investieren, als wir Erwachsene jemals dazu bereit sind. Jesus identifiziert sich mit dieser kindlichen Gottesbeziehung; im Gebet redet er Gott als Vater an. Seine Gleichnisse sind überwiegend phantasievoll, seine Reden markant und eindringlich. Er bedient sich weniger einer Gelehrten- oder gar Herrschersprache.

Wir sollten dem Vorbild des historischen Jesus folgen - der nach mehrheitlicher Erkenntnis der Forschung selbst keine christologischen Hoheitstitel wie Sohn Gottes, Messias/ Christus, Menschensohn oder sogar „Gott“ für sich beansprucht hat -, um Menschen heute „etwas von Gott näherzubringen“, ihnen „ein Stück vom Himmel zu öffnen“. Mit jeder Geburt eines Menschleins ist sozusagen etwas vom Himmel auf die Erde gekommen, für uns „unableitbar, unerklärbar“, etwas „Freies, Kostbares und wunderbar Schönes“, ein Geheimnis, das zu schützen und lebendig zu erhalten es uns wert sein müsste (Drewermann).

Es gilt, unseren Mitmenschen ihre Würde und Selbstachtung wiederfinden zu lassen - dort wo sie an der Grausamkeit einer Krise zu zerbrechen drohen; wo sie in den Augen anderer schon als gescheiterte Existenzen, als Versager dastehen; wo eine unerbittliche Maschinerie sie im Berufsleben hat ausbrennen lassen, oder wo Langzeitarbeitslosigkeit sie hat müde und mürbe werden lassen, so dass einstige Phantasie, Kreativität und Elan in ihrem Leben längst abgelöst wurden gegen stupide Belanglosigkeit und Gleichgültigkeit.

Wir sollten uns in den Kirchen nicht scheuen, in Predigten, Gemeindeseminaren, persönlichen Gesprächen und im Konfirmandenunterricht die mühevolle Arbeit der Leben-Jesu-Forschung aufzunehmen und den Versuch wagen, einiges davon in unser eigenes Leben zu übersetzen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns so manche Schuppen von den Augen fallen bzw. wir mitunter aufmerken und entdecken werden, dass wir auf einem Auge blind waren. Es ist kaum zu glauben, wie sich der historische Jesus von einem durch die Tradition erhobenen Christus unterscheidet. Das wird auch anhand der Geschichte von Jesu Taufe deutlich.

Jesus von Nazareth ist kein Königssohn, auch kein Messias, überhaupt keine triumphierende oder herrschende Gestalt; er ist kein Religionsstifter; er ist Jude und als solcher hingerichtet worden. Er hat nicht Religionen von einander entfremdet oder gar die christliche gespalten. Der Nazarener hat zu keinem Missionsimperialismus, zu keinen Kreuzeszügen angestiftet und auch den Kolonialismus nicht angetrieben. Was haben Kirchen und Regierungen nicht alles im Namen Christi an Gräueltaten verübt! Hätten sie doch nur ein wenig von Johannes dem Täufer, von dessen Predigt von der Taufe zur Buße, zur Sinnesänderung, zur Umkehr - und hätten sie von der Demut und dem unerschütterlichen Gottvertrauen des Rabbi Jesus gelernt!

Wir sollten entscheiden, ob wir weiterhin einer Dogmatisierung des Glaubens folgen wollen, die uns so manche „Hirnakrobatik“ abverlangt, deren Nutzen mir seit der Konfirmandenzeit noch nie aufgegangen ist. Wem hilft das christologische Dogma der Zwei-Naturen-Lehre: Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch? Wozu dient das Dogma der Trinität? Warum muten wir aufgeklärten, denkenden Menschen den Unsinn zu und präsentieren Dogmen als wichtige Denkmodelle für den christlichen Glauben? Deren Vermittlungsversuche können mich und viele Menschen, die ich kennenlernen durfte, nicht im Mindesten überzeugen.

Ja, ich nenne es Unsinn, weil es uns davon abhält, das Wesentliche der Gottesbeziehung, des Gottvertrauens zu erfahren. Den Schwierigkeiten zum Trotz, dem historischen Jesus auf die Spur zu kommen, weil bereits die Evangelien Ereignisse aus dem Leben Jesu und seine eigene Verkündigung sehr stark mit den Interessen, Motiven und Anschauungen der urchristlichen Überlieferung verbunden und vermischt haben, muss unsere Orientierung am Leben Jesu ein wichtiges Anliegen bleiben. Eine Vergöttlichung des Nazareners bringt uns nicht weiter.

Das Frühchristentum hat in Abgrenzung gegenüber der griechisch-römischen Kultur durch die Apotheose des Rabbi Jesus von Nazareth die Entwicklung eines starken Konkurrenzdenkens und -verhaltens eingeleitet. Welche Bedeutung, welchen Stellenwert hat die Vergöttlichung eines Menschen bei den Römern bzw. im römischen Umfeld des Frühchristentums?

Durch den Einfluss des Hellenismus gewinnen verschiedene Bedürfnisse wie Götterschutz, Götternähe und Angleichung an mythische Gestalten sowie Behauptung eigener göttlicher Herkunft für Selbstverständnis und Selbstdarstellung der Großen der späten (römischen) Republik verstärkt an Bedeutung. Die Herrscher, auch „zweitrangige Figuren“, entwickeln eine Identifikation mit den Göttern, lassen sich selbst als „Gottmenschen“ feiern, wie z.B. Caesar, glauben an ihre „Auserwähltheit“ und reklamieren für sich die Nähe zu den Göttern.

Zwar lässt sich aus der Sicht Roms eine Vorstellung von der Apotheose eines Monarchen ebenso wenig mit der Essenz der römischen Staatsreligion vereinbaren wie Spekulationen über das Wesen der Götter oder deren Genealogie und Familienbeziehungen; dennoch wird sich - durch den Einfluss der Provinzen des Ostens - allmählich der Kaiserkult durchsetzen. Die Überlieferung nennt verschiedene Prädikate, die den Status des Herrschers beschreiben und mehr oder minder auf eine Apotheose hinweisen: Der Kaiser ist Gott; er ist Epiphanie eines Gottes; er ist Stellvertreter eines Gottes; er ist Bild eines Gottes; er ist wie ein Gott oder einem Gott ähnlich. „Vergöttlichung des Menschen“ ist eine Vorstellung, worin Antike und Christentum übereinstimmen. Der Begriff „Vergöttlichung“ ist zwar biblisch als solcher nicht belegt, aber der Gedanke daran schon, vor allem in Ps 81,6 LXX; Acta 17,28 und 2 Petr 1,3-4:

„Götter seid ihr und Söhne des Höchsten alle.“ - „In ihm, dem (unsichtbaren) Gott, nämlich, leben, weben (bewegen wir uns) und sind wir.“ - „Seine (Jesu) göttliche Kraft hat uns ja doch alles, was zum Leben und zur Gottseligkeit erforderlich ist, durch die Erkenntnis dessen geschenkt, der uns durch die ihm eigene Herrlichkeit und Tugend berufen hat. Durch sie hat er uns kostbare und überaus wichtige Verheißungen geschenkt, damit ihr durch diese dem in der Welt infolge der Sinnenlust herrschenden Verderben entrinnt und Anteil an der göttlichen Natur erhaltet.“

Die Übereinstimmung zwischen antiken Philosophen und griechischen Kirchenvätern sind wesentlich zahlreicher, als man vielleicht vermuten mag; eine Übersicht nahezu identischer Formulierungen ließe sich leicht zusammenstellen. Man verweist z.B. auf eine Parallele zwischen Platon und Klemens von Alexandrien; Platon benennt als Ziel des menschlichen Lebens die Verähnlichung mit Gott nach dem Maß des dem Menschen Möglichen - ein Ziel, das in der Antike universalen Charakter hat.

Die Denkweise, dass der ideale Herrscher ein Bild Gottes ist oder sein soll, findet sich auch im jüdisch-christlichen Kontext, nachweisbar anhand der Weisheit Salomos, der Schrift eines alexandrinischen, griechisch schreibenden Juden aus der Frühzeit des römischen Prinzipats. Diese Mahnschrift an die Herrscher thematisiert die „Gottesebenbildlichkeit der Könige“, fordert von ihnen eine gerechte Regentschaft. Zur Orientierung diene das „Bild Gottes“ als Maßstab, da „Gott“ den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht hat.

Der Kontext zeigt, dass hier die Gerechtigkeit, nicht aber der Anthropomorphismus beim Gottesbild betont wird. Gerechtes Verhalten ist Bedingung für die Bildähnlichkeit des Herrschers mit Gott. Dieser Gedanke findet sich bei Seneca und bereits in der Priesterschrift der hebräischen Bibel. Die Gottähnlichkeit oder -ebenbildlichkeit wird zur moralischen Aufgabe, und zwar für alle Menschen; beim erteilten „Herrschaftsauftrag“ liegt die Betonung beim Auftrag; Ermächtigung versteht sich hier als Aufgabe, nicht als Machtinstrument.

Der Mensch ist „Bild Gottes“, sofern er sich verantwortlich handelnd zu seinem Lebensraum samt den Lebewesen darin verhält. Diese Vorstellung geht auf die ägyptische Königstheologie zurück, die wahrscheinlich den ganzen „Osten“ beeinflusst hat. Mag es auch schwierig sein, die Rezeption dieser Denkform zu rekonstruieren, so scheint das Postulat des ikonischen oder abbildhaften Verhältnisses zwischen „Gott“ und Mensch, ähnlich wie die Vorstellung der Gottessohnschaft, aufgrund seiner Anschaulichkeit und funktionalen Evidenz derart attraktiv, dass sich seine Verbreitung durchaus erklärt.

Wen wundert's, dass sich das frühe Christentum dieses Topos bedient und einkalkuliert, dass mit der Salbung Jesu zum König, mit der Überhöhung zum Gesalbten, zum Messias/ Christus und zum „Gott“ provozierend eine Gegenfigur zum römischen Kaiser geschaffen wird. Christus als „sichtbarer Repräsentant Gottes“ konkurriert mit dem Kaiser; er wird als „Bild Gottes“, als „sichtbares Bild des unsichtbaren Gottes“ (2 Kor 4,4; Kol 1,15) angesehen. Die Analogie von Königstheologie und Christologie gehört mit zu den Faktoren, die für den Konflikt von Kaiser- und Christuskult verantwortlich sind.

Im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar wird dieser Konflikt in der spätantiken Konkurrenz von Kaiser- und Christusbild. Nicht nur als Bild, sondern auch als Sohn eines Gottes nimmt Christus eine dem Kaiser vergleichbare Stellung ein; denn meist ist auch der princeps, von Beginn seiner Herrschaft an, als Sohn eines Gottes, nämlich des divus, legitimiert. Wiederholende und unter Vorbehalt stehende göttliche Verwandtschaft des Kaisers und einmalige sowie wesensinhärente Genealogie Christi stehen einander gegenüber.

Ich zögere, den philosophischen und religionsgeschichtlichen Hintergrund des Judentums als dogmatischen oder absoluten Monotheismus zu erkennen; aber das Christentum möchte sich selbst als streng monotheistisch ansehen, wobei man das trinitarische Dogma als ständigen Widerspruch betrachten kann. Wie auch immer, der Monotheismus wird in der Spätantike zu einem entscheidenden Mittel der Abgrenzung. Während griechisches bzw. hellenistisches Denken und die römische polytheistische Religion keine Probleme hat, die monotheistische Religion zu integrieren, zieht sich das Frühchristentum aus dem religiösen und später auch aus dem kulturellen Leben der römischen Gesellschaft zurück. Natürlich gibt es Phasen des Übergangs, der Vermischung und gegenseitigen Durchdringung. Das lässt sich vor allem an der Entwicklung der Kunst beobachten.

Nachdem im 4. Jh. Kaiser Konstantin der Große den Weg des Christentums zur Staatsreligion geebnet und Kaiser Theodosius I es mit Brief und Siegel als solche bestätigt hat, zeigt die neue Religion, dass sie mit der ihr verliehenen Macht nicht umgehen kann: pagane Tempel bzw. Heiligtümer werden zerstört oder anderweitig verwertet bzw. umgestaltet. Viele Dichter und Denker der Antike werden verhöhnt, ihre Schriften verlästert. Das Schlimmste daran ist für mich, dass viele dieser ungeheuren Vorgehensweisen noch mit biblischem Gedankengut begründet bzw. verteidigt werden.

Ich bin davon überzeugt, das Frühchristentum hätte einen besseren Weg eingeschlagen, wenn es sich an der hebräischen Bibel, besonders an den Propheten und an Johannes den Täufer als letzten Propheten, vor allem aber an Jesus von Nazareth als Vorbild orientiert hätte. Denn trotz aller Übermalungen und Verzeichnungen sind die Evangelien als einzige zuverlässige Quellen für die Leben-Jesu-Forschung doch transparent genug, um wiederum glaubwürdige „Bilder“ vom Rabbi Jesus zu entwerfen. Haben wir doch mehr Mut, uns darin gleichsam zu spiegeln! Begeben wir uns einmal (wieder) auf die inspirierende literarische Reise durch die Evangelien und erleben das Auftreten des Täufers am Rande der Wüste; die Taufe Jesu und die anschließenden Versuchungen in der Wüste; die großartige, unübertroffene Bergpredigt bzw. Feldpredigt - setzen wir uns (noch einmal) seinen Richtung weisenden Worten aus.

Was mich auch immer wieder fasziniert, ist Jesu „seelsorgliche“ Art, wie er einfühlsam, aber nicht unkritisch, manchmal auch überaus provozierend auf Menschen seiner Zeit zugehen kann. Ich nehme es ihm ab, ich glaube ihm: Er benutzt keine Methode, er hat einfach ein Herz für seine Mitmenschen. Ohne Vorurteile, aber nicht blind für ihre Nöte und Schwächen, ist er da für die Kranken, für die Ungerechten, für die Armen, für die Randgruppen, für diejenigen, die von der Gesellschaft verachtet werden: das sind damals die Zöllner, die Prostituierten, die sog. Sünder. Selbstgerechte, Heuchler und Besserwisser werden von ihm als solche entlarvt. Pointiert behaupte ich: Im Reden und Handeln des historischen Jesus ist seinen Zeitgenossen gewiss „Gott“ begegnet; das hat auch der eine oder andre Römer erkannt.

Wird man oder kann man in meinem, in Ihrem Leben „Gott“ begegnen? Strahlen Reden und Handlungen im Wirkungskreis der Kirchen „Göttliches“ aus? Wenn das Leben Jesu, soweit es für uns rekonstruierbar ist, zur entscheidenden Richtschnur, zum Kompass, zur Leitlinie, zur christlichen Weisung für unser Leben wird, brauchen wir uns nicht (mehr) zu sorgen. Dann wird unser Leben wahrhaft Früchte bringen. Doch um dahin zu gelangen, sollten wir wohl erst einmal umkehren. Genau dazu lädt uns die Geschichte von der Taufe Jesu ein.

Amen.



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: bautzprivat@gmx.de

Bemerkung:
Literatur
Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1 (1985), 150-158.
Gerd Theissen/ Annette Merz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch (21997), 184-198.
Eugen Drewermann: Das Matthäusevangelium. 1. Teil: Bilder der Erfüllung (1992), 320-324.
Paul Zanker: Augustus und die Macht der Bilder (52009): (II.) Konkurrierende Bilder. Der Kampf um die Alleinherrschaft (42–84): Götteridentifikation und Selbstverständnis, 52-61.
Matthias Peppel: Gott oder Mensch? Kaiserverehrung und Herrschaftskontrolle, in: Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, hg.v. Hubert Cancik/ Konrad Hitzl (2003), 69-95.
Denis Feeney: Literature and Religion at Rome. Cultures, contexts, and beliefs (1998): (3) Divinity, 76-114.
Martin George: Vergöttlichung des Menschen. Von der platonischen Philosophie zur Soteriologie der griechischen Kirchenväter, in: Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche, (FS Ulrich Wickert z. 70. Geb.), BZNW 85 (1997), 115-155, bes. 116-119.

Manche Abschnitte der Predigt sind älteren Texten des Verfassers entnommen.



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