Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 25.02.2007

Predigt zu Lukas 22:31-34, verfasst von Martin Schmid

Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.

 

Liebe Gemeinde!

Sonst heißt er Petrus. Petrus bedeutet „Fels". Heute wird er Simon genannt. „Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen." Simon steht nicht wie ein Fels. Simon hat keinen festen Boden unter den Füßen. Simon wird gerüttelt wie Körner im Sieb.

Ein Sieb ist, wie man weiß, ein Gerät, das Materialien trennt. Es trennt zum Beispiel die Spreu vom Weizen. Dann fallen die erwünschten Weizenkörner durch das Sieb, und die ausgesiebte Spreu bleibt zurück. Sie wird beiseite geworfen. Das Sieb kann umgekehrt auch das Erwünschte zurückhalten. Die dickeren Körner, die guten, bleiben zurück, die weniger dicken, die schlechten, fallen durch die Maschen.

So oder so trennt das Sieb Gutes vom Schlechten, Erwünschtes und Willkommenes vom Unerwünschten, nicht Willkommenen. Das Sieb ist nützlich, wenn es eingesetzt wird, um Sachen zu trennen. Das Sieb ist von teuflischer Wirkung, wenn es - in einem übertragenen Sinne -angewandt wird auf Menschen. So etwas kommt aber vor. Es kann deshalb vorkommen, dass ein Mensch sich fühlt, als wäre er von einer teuflischen Macht auf ein Rüttelsieb geworfen worden. Nun ist dieser Mensch nicht mehr sicher, ob er durchfallen wird oder ob er zu dem Rest gehört, der übrig bleibt. Jesus sagt zu Simon, dass bei ihm ein Moment kommen wird, wo es unsicher ist, ob er bleibt oder fällt.
Nach der biblischen Schilderung des Brüderpaars Kain und Abel müssen schon diese beiden sich gefühlt haben, als seien sie gerüttelte Körner auf einem Sieb. Und Kain sah sich schon fallen und seinen Bruder glücklich zurückbleiben. Auch Esau sah sich schon fallen und sah Jakob leichtfüßig über die Maschen tanzen. Die Brüder Josephs sahen ihn, den Glücklichen, ausgesiebt. Das würde er büßen müssen. Wo gesiebt wird unter Menschen, wächst auch der Zorn. Oder die Verzweiflung.
Bei den Bauern ist das Sieb heute nicht mehr viel im Gebrauch. Aber die Zeit selbst arbeitet wie ein großes Sieb. Sie siebt Menschen, rüttelt sie durch, trennt sie von einander und macht sie zu Konkurrenten: Wer bleibt übrig? Wer fällt durch? Welcher Betrieb? Welches Volk? Welche Religion? Die Christen oder die Muslime? Die im Westen oder die im Osten? Wir oder die andern? Noch immer entsteht dort, wo gesiebt wird, auch Zorn. Oder es entsteht Verzweiflung. Und wir fragen uns: Was passiert mit diesen teuflischen Energien?
„Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen." Also nicht nur Simon, der sonst eigentlich Petrus heißt, wird gerüttelt, sondern auch andere, seine Freunde, die auf einmal seine Konkurrenten sind. Vielleicht ist sogar Jesus selbst mit in das Sieb geraten. Wer wird dann der Größte sein, der Bevorzugte? Simon ist zur äußersten Anstrengung bereit, um mithalten zu können. „Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen!" Doch er wird durchfallen. Eines Morgens, wenn der Hahn kräht, wird es klingen wie Hohn. Durchgefallen! Nicht bestanden! Simon, Verleugner seines Herrn! Als er gefragt worden war, ob er nicht einer von den Jüngern Jesu sei, und als er dann geantwortet hatte: „Ich kenne diesen Menschen nicht!" da war auch etwas wie Zorn in dieser Antwort gewesen. Doch dann gab's nur noch die Verzweiflung. Der arme Simon ging hin und weinte bitterlich.

 

Hier könnte die Geschichte von Simon enden. Tatsächlich fängt sie nun erst eigentlich an. Denn von Simon wird uns nicht deshalb erzählt, weil er auch einer von den vielen ist, die in den Prüfungen des Lebens durchgefallen sind. Von Simon wird uns nicht erzählt, weil er gefallen ist, sondern weil er im Fallen gehalten wurde. „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Das Gebet Jesu ist der Halt das sinkenden Simon.
Jesus hat für seine Freunde gebetet. Mehr noch: sein ganzes Leben war ein Gebet zu Gott. Wir leben und wir sterben. Wir rufen auch zu Gott. Vom ersten Schrei bis zum letzten Seufzer bitten wir auch darum, dass einer uns erhört und gnädig annimmt. Jesus lebte und starb nicht für sich. Im Leben und im Sterben trat er ein für andere. Jesus war ein Gebet zu Gott - und daneben nicht auch noch etwas anderes. Und hinter seinem Leben und seinem Sterben stand der Glaube, dass Gott das Rufen seiner Kinder hört. Dieser Glaube geht bis heute auf andere über. Jesus betet noch immer für uns.
Der Psychotherapeut Tilmann Moser erzählt von einem Fall (Zeitschrift Das Plateau Nr.99/2007 S.4ff), wo ein Patient zu ihm kam, der besonders niedergeschlagen und trostbedürftig wirkte. Er hatte eine Operation vor sich, die er als schwere Bedrohung empfand. Da bot ihm der Therapeut an, seine Hand zu halten. Eine Viertelstunde ruhten die Hände des Arztes und des Patienten ineinander. Beide hielten die Augen geschlossen. Als sie die Augen wieder öffneten, fragte der Patient seinen Therapeuten, ob er während dieser Zeit gebetet hätte. Nein, antwortete dieser, aber er habe ein Gefühl der Andacht empfunden.

Vielleicht kann man das, was Jesus für Simon Petrus getan hat, auf ähnliche Weise ausdrücken. Jesus streckte ihm die Hand entgegen. Das geschah nicht nur damals, als Simon Petrus in den Wellen des Sees Genezareth zu versinken drohte. Und auch nicht nur dieses andere Mal, wo Simon nun aus dem Mund seines Herrn hört: „ich habe für dich gebetet .." Sondern das ganze Leben und noch das Sterben Jesu war so, als wäre Jesus neben seinen Jünger getreten, um ihm die Hand entgegen zu strecken und ihm zu erlauben, seine Hand in die ausgestreckte Hand seines Herrn zu legen.
Wir erinnerten uns an den Zorn Kains. Das ist der Zorn der Verschmähten. Jesus hat diesen Zorn auf sich gezogen. Sein Tod war auch eine Folge von diesem Zorn, wo die einen schrieen: „Kreuzige, kreuzige ihn!" und wo Petrus sagte: „Ich kenne diesen Menschen nicht." Aber dann musste Petrus mit ansehen, dass Jesus selber fiel, dass er abstürzte in die tödliche Tiefe. Und dass er nicht der Glückliche, der übrig Gebliebene war, sondern einer von denen, die gerüttelt werden und stürzen. Aber noch im Fallen streckte er ihm die Hand entgegen. Noch im Fallen blieb er Simons Freund. Noch im Fallen ließ er sich nicht trennen. Das teuflische Sieb, das trennen will, war selbst durchgefallen und hatte verloren.

Jener Therapeut berichtete, er sei von einer Art Andacht erfüllt gewesen, als seine Hand sich verbunden hatte mit der Hand des Patienten. Jesus war von der Gewissheit seines Lebens erfüllt gewesen, als sein Glaube sich mit dem schwachen Glauben Simons verband.

 

Genau an dieser Stelle also fängt jene schöne Geschichte an, welche von Simon, dem Fels handelt, von Simon, dem Petrus. Diese Geschichte steht unter dem Motto: „Wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder."  Es wird eine Wendung in seinem Leben geben. Danach kann Petrus aufhören, sich verzweifelt dagegen zu wehren, dass er wie ein Korn durch das Sieb fällt. Denn er wird es zulassen, dass er ausgesät wird auf den Acker der Welt. Ganz ähnlich wie zuvor schon sein Herr. Mit seiner Botschaft von Jesus wird er säen, er wird Wachstum fördern, er wird Frucht reifen lassen. Und das Sieb - er fürchtet es nicht mehr, und er braucht es auch nicht. Das Sieb ist für die Bauern und für die Eierhändler und für die Kartoffelverkäufer. Menschen gehören nicht gesiebt. Genug Gewalt und genug Verzweiflung sind aus den Versuchen hervorgegangen, Menschen zu sieben.

Statt zu sieben wird er stärken. Er wird Petrus heißen und stark sein, ein Fels für andere. Aber seine Stärke wird nicht darauf beruhen, dass er anderen zeigt, wer hier der Stärkere ist. Sondern darauf, dass er andere stark macht, die schwächer sind. Er wird fördern, stärken, groß machen und wird den Glauben nicht aufgeben, dass Gott auch mit denen etwas vorhat, die in Gefahr sind durchzufallen. -
Und seine Stärke wird nicht darunter leiden, dass er Schwäche zeigt. Menschen, die andere führen sollen, dürfen angeblich keine Schwäche zeigen und keine Fehler haben. Nein, Petrus braucht nie zu vergessen, dass Jesus für ihn gebetet und an ihn geglaubt hat, als er versagte. Er braucht nicht immer der Erste zu sein. Er braucht nicht zu behaupten, er habe sich nie geirrt. Er braucht nicht so zu tun, als würde er nicht älter und gebrechlicher und vergesslicher. Petrus, der Fels, darf auch schwach sein. -
Tatsächlich wird Petrus, der Fels, höher aufragen als andere, er wird fester stehen und wird mehr tragen können als andere. Trotzdem wird er nicht vergessen, dass er doch selbst getragen und selbst gehalten werden musste und dass er noch immer die Hand braucht, die sich nach ihm ausstreckt. Deshalb bleibt auch er verbunden mit allen, die durch ein Sieb zu fallen drohen.

Von Simon Petrus also handelt diese schöne Geschichte. Sie könnte auch von uns handeln. Anstelle des Namens Simon kann man auch seinen eigenen Namen hier einsetzen oder den Namen eines anderen Menschen, der im Sieb gerüttelt wird. So weit kann es ja wirklich kommen. Und es kann dann geschehen, dass wir das Gefühl haben, es könnte uns sogar unser Glaube abhanden kommen. Wo der eigene Glaubensvorrat aufgebraucht ist, darf man aber trotzdem noch zehren von dem Glauben Jesu. Denn Jesus betet auch für uns. Sein Leben, sein Sterben begleitet uns durch alle Jahre unseres Lebens.. Und es geht davon etwas aus: das ist eine ausgestreckte Hand, die uns hält, ja, das ist ein Gebet, das uns tröstet und stärkt. Wer sich aber gefallen lässt, dass Jesus für ihn betet, der wird nicht mehr sieben wollen. Und wenn andere sieben, dann hat er was dagegen: das Gebet Jesu. Amen.

Martin Schmid
Hasenwaldstraße 29
70736 Fellbach
E-Mail: Mado.Schmid@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)