Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 25.01.2015

Mit Jesus vom Gipfel ins Tal
Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Wolfgang Schmidt

Liebe Gemeinde,

Der heutige Predigttext hat bei mir Erinnerungen an einen lange zurück liegenden Urlaubstag geweckt. Es war Ende Januar. Schon Tage lang war der Himmel über uns bedeckt und lag als graue Decke über dem fest gefrorenen Schnee im Rheintal. Kein Sonnenstrahl ließ die Kristalle aufblitzen. Da beschlossen wir, einen Familienausflug hinauf in den Schwarzwald zu machen. Nicht weit von uns, in Triberg schraubte sich die Straße in Serpentinen hinauf nach Schönwald und - siehe da! An dieser Stelle brachen wir durch die bleierne Wolkendecke hindurch und traten oben auf der Höhe hinaus ins gleißende Licht der warmen Mittagssonne, die von einem strahlenden blauen Himmel herab die noch weitgehend unberührte Schneelandschaft in einer unvergleichlichen Schönheit aufleuchten ließ. Ein herrliches, befreiendes Gefühl! Wir sind auf der Höhe! Äußerlich - und mehr noch innerlich!

 

Viele von Ihnen haben diese oder vergleichbare Erfahrungen auch schon einmal gemacht. Tiefe beglückende Erfahrungen beim Wandern; in den Bergen, weit oben vielleicht auf der Höhe oder am Ziel, wenn schließlich der Gipfel erreicht ist. Berg-Erfahrungen haben es in sich! Das wird mir jeder Wanderer bestätigen. Weit oben, dem Leben im Tal entrückt, den Sorgen und Mühen des Alltags ein Stück weit enthoben, schweift der Blick hinüber in die Ferne: die Felder und Wälder, die Dörfer und Städte weit unten zu unseren Füßen... Gipfel-Erfahrungen bringen ein Stück Ewigkeit ins Leben herein. Dort oben in der Weite der Berge ist alles anders. Dort berühren sich Himmel und Erde.

 

Darum muss es uns auch nicht wundern, dass ausgerechnet Mose und Elia dort oben auf dem Berg der Verklärung in Erscheinung treten. Sind diese nach biblischer Tradition nicht ausgewiesene Kenner der Berge mit einmaligen Gipfel-Erfahrungen? So erging doch an Moses auf dem Gottesberg die alles entscheidende Botschaft, in der Gott seinen Bund schloss mit dem Volk der Juden: die zehn Gebote, Lebensordnung dieses Bundes. Auch Mose hat sechs Tage gewartet bis am siebten schließlich die Stimme Gottes zu vernehmen war – aus der Verborgenheit einer Wolke.

 

Und auch Elia, der Prophet auf der Flucht, hatte seine Gipfelerfahrung. Vielleicht erinnern Sie sich: Elias unerbittlicher Kampf gegen die falschen Götter, gegen Baal und seine Priester, erweckte ihm die Feindschaft der Königin Isebel. Doch seine Flucht führte ihn zur Gottesbegegnung. Eben dort, oben auf dem Berg, wo Gott schon dem Mose nahe gekommen war, dort wird auch Elia seiner gewahr: nicht im Sturm, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer - in einem stillen sanften Sausen, wie die Lutherbibel schreibt, gewahrt er die Gegenwart des Ewigen.

 

Moses und Elia sind Männer der Berge, auf deren Gipfel sich Himmel und Erde berühren. Und darum brauchen wir uns nicht zu wundern, dass beide in einer biblischen Geschichte auftauchen, die von der Gipfelerfahrung Jesu erzählt. Sie sind die Zeugen der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Als solche wohnen sie jetzt der Gottesbegegnung Jesu bei. Und so verdichtet sich auf diesem gipfel die Geschichte Gottes mit seinem Volk: Mose, Elia, Jesus; die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft! Auf diesem Gipfel ballt sich alles zusammen: was war und was ist und was kommt. Es gehört alles zusammen. Es hat seinen Ursprung und sein Zentrum in dem barmherzigen heiligen Gott.

 

Auf dem Gipfel des Berges berühren sich Himmel und Erde. Jesus bietet sich als Bergführer an: „Und nach sechs Tagen“, so wird erzählt, „nahm er sich mit Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder und führte sie allein auf einen hohen Berg.“ Heute nimmt er die drei Jünger mit hinauf in die Höhe. Sie dürfen den Höhepunkt seines Weges mit ihm erleben. Später wird er sie auch mitnehmen in die Tiefe. Sie müssen dann den Tiefpunkt seines Weges mit ihm erleben – dort im Garten Gethsemane, in der Gottverlassenheit: „Und er nahm mit sich Petrus in die beiden Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen“, so erzählt uns später Matthäus 26. Auf der Höhe und in der Tiefe – Gottesnähe und Gottverlassenheit. Auf diesem Weg nimmt Jesus seine Jünger mit. Und sie folgen ihm.

 

Das Matthäusevangelium hat diesen Zusammenhang auf kunstvolle Weise komponiert. Höhepunkt und Tiefpunkt, Epiphanias und Passion. Nicht umsonst gehört der Predigttext zum heutigen Sonntag, dem letzten Sonntag nach Epiphanias, mit dem der Weihnachtsfestkreis endet. Von nun an rückt der Leidensweg Jesu immer stärker in den Mittelpunkt. Vom höchsten Punkt aus können die Wege nur noch in die Tiefe führen. Der Weg auf den Gipfel ist der Auftakt zum Weg in die Tiefe der Gottverlassenheit.

 

Und was spielt sich nun also ab auf dem Gipfel? „Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.“ Auf dem Gipfel seines Weges wird Jesus vor den Augen seiner Jünger für einen Augenblick verwandelt – verwandelt in eine Gestalt, die wahrhaftiger und eindeutiger und klarer als alles andere zeigt, was er in Wahrheit ist: Licht! Jesus ist das Licht der Welt! „Und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne“ ...wie die Sonne, die in ihrer Kraft in diesen Tagen das Eis schmelzen lässt; wie die Sonne, die nun wieder das Leben weckt in der Erde und die mit ihrer zunehmenden Kraft erneut einen Frühling hervor brechen lässt, der uns Blüten und Blumen, Wärme und leben beschert; wie die Sonne, in deren wärmenden Strahlen sich die Katze behaglich schnurrend räkelt; wie die Sonne, die uns das Herz aufgehen lässt an jenem Urlaubstag auf den Schwarzwaldhöhen.

 

Kein Wunder, dass Petrus an diesem Ort drei Hütten bauen will! „Herr hier ist gut sein!“ In diesen knappen Worten bringt es Petrus auf den Punkt. „Herr hier ist gut sein“. Petrus drückt die Stimmung aus, die von diesem Gipfelerlebnis ausgeht. Und diese lohnt sich aufgespürt zu werden in unserem Predigttext: diese Stimmung! Es ist ja auf den ersten Blick ein seltsamer, ein befremdlicher, geradezu sperriger Bibeltext. Man kann sich lange daran aufhalten mit Fragen, die nichts fruchten: Ist das genau so geschehen oder nicht oder wie sonst? Viel lohnender ist es, diese Stimmung aufzuspüren, die Petrus mit den Worten ausdrückt „Herr, hier ist gut sein!“ – Hier in deinem Licht, hier in dieser wunderbaren Klarheit! „Verklärung“ heißt es in der Bibel. Verklärung! In der Verklärung erklärt sich der Verklärte in absoluter Klarheit: Jesus – Licht der Welt! Jede Dunkle Stunde, jede finstere Nacht lehrt uns, was wir entbehren, wenn kein Licht mehr scheint! Herr hier ist gut sein!

 

In diesem Licht will Petrus leben. Bevor es nun wieder hinab geht in die Tiefe, bevor es hinab geht ins Tal der Trostlosigkeit und der Gottverlassenheit soll den Jüngern noch einmal unmissverständlich gezeigt werden, wer Jesus ist. Sie sollen nicht an ihm irre werden, wenn die Zeit der Leiden einmal groß wird. Das Licht der Auferstehung scheint von Ferne schon herein. Der Verklärte ist die Vorabbildung des Auferstandenen. Schon jetzt, ganz oben auf dem Gipfel begegnet ihnen der Zukünftige, der der ihnen wieder begegnen wird, wenn er das Tal der Trostlosigkeit und der Gottverlassenheit durchschritten haben wird; der ihnen wieder begegnen wird, wenn er das Tal des Todes für uns durchwandert hat. Der Verklärte ist die Vorabbildung des Auferstandenen. Die Stimme aus der Wolke räumt den letzten Zweifel aus: „Dies ist mein lieber Sohn an dem ich Wohlgefallen habe!“ Schon einmal, bei der Taufe Jesu, haben wir diese Worte gehört. Der Himmel öffnet sich und lässt den Geist Gottes auf Jesus herabkommen. Aber hier auf dem Berg der Verklärung werden diesem Satz noch vier weitere Worte hinzugefügt: „Den sollt ihr hören!“ – „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“ Der Gott, der einst dem Mose auf dem Sinaiberg seine Worte mitgab als Zehn Gebote zum Leben, der gibt nun den Jüngern wiederum Worte zum Leben mit auf den Weg. Jesus, den sollt ihr hören! Dort unten, wenn ihr wieder im Tal seid, wenn ihr nicht mehr ganz auf der Höhe seid, dort unten in euren Dörfern und Städten, auf den Feldern und in den Büros und Fabriken, in euren Wohnungen und in den Schulen - dort unten in eurem Alltag! „Den sollt ihr hören!“ Im Tal der Trostlosigkeit und der Gottverlassenheit! „Den sollt ihr hören!“ In der Passion, im Leiden! „Den sollt ihr hören!“ Auf dem Berg kann man nicht immer bleiben. Gipfelerfahrungen sind die Ausnahmen im Leben. Aber das Licht der Welt scheint auch drunten im Tal auf! Denn ihr habt ja sein Wort, das eurem Leben einen Sinn gibt, das eurem Tun Richtung gibt, das euer Reden heilsam macht. Ihr habt sein Wort, das frei spricht von Schuld; sein Wort, das Vergebung zusagt; sein Wort, das zur Liebe anstiftet; sein Wort, das euch mit Hoffnung erfüllt; sein Wort, das euch immer wieder zu ihm führt!

 

„Den sollt ihr hören!“ Hier, wo Jesu Wort zu hören ist, wo dieses Wort laut wird, hier, drunten im Tal, gilt dann auch, was Petrus sagt: „Herr, hier ist gut sein!“



Propst Wolfgang Schmidt
Jerusalem
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

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