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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 25.01.2015

Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Ulrich Wiesjahn

Liebe Gemeinde!

 

Angeregt durch eine bestimmte Jesusgeschichte, denken wir heute über den Berg nach, den Berg, den wir entweder ehrgeizig besteigen wollen oder den wir schicksalhaft besteigen müssen oder dem wir uns anbetend und staunend nähern. Ein Berg, das wissen wir alle, ist so der so in unserem Leben und unserer Umwelt ein sehr sichtbarer Höhepunkt.

   Mein Sohn, ein junger Mann, ist ein begeisterter Bergsteiger, der ganz zu Anfang seines sportlichen Ehrgeizes auf den nahen Brocken gestiegen ist, dann auf so manchen Gipfel der Alpen und der sich schließlich in die Höhen des Himalaja gewagt hat, wo die Herausforderungen nun noch einmal größer waren. Was ist das wohl für eine Lust?, so frage ich mich manchmal. Nun, es ist der pure Ehrgeiz und die reine Herausforderung an sich selbst. Anstrengung und Glücksgefühl liegen nah beieinander. Denn nach der Mühe und Qual des Aufstiegs steht man endlich oben, an der kleinsten Stelle des Berges, auf der Spitze, und blickt von dort auf die Erde hinunter und in die Weite umher und in den ewigen Himmel über sich. Hier berühren sich für ihn Himmel und Erde, und er ist in seiner Freude ganz bei sich selbst.

   Ich dagegen bin inzwischen im so genannten biblischen Alter und denke über mein Leben nach und das erscheint mir nun auch wie ein Berg, der aus einer Ebene herausragt, ein Berg, der allerdings immer kleiner wird in seinem Umfang. Und der letzte Anstieg ist da genauso steil wie beim Brocken oder in den Alpen oder im Himalaja. Im Grunde ist dieses letzte Stück im Leben besonders mühsam und beschwerlich und anspruchsvoll. Da wird die Zeit kurz und der Atem auch.

   Doch anstatt jetzt einfach in Klagen auszubrechen, will ich von meinen Entdeckungen im Alter erzählen. Denn nachdem ich frei geworden bin von den beruflichen Pflichten, hat mich eine besondere und eigenartig tiefe Unruhe und Lust ergriffen, über mein Leben nachzudenken. Und da ist mir klar geworden, dass ich jetzt zu Erkenntnissen fähig bin, die ich weder in der Kindheit, noch in der Jugend, noch im besten Lebensalter hatte haben können. Selbst der Beruf in seinen schönsten Ausprägungen hatte etwas Ablenkendes, von mir Fortführendes, etwas ewig Besorgendes, das Jesus einmal bei der fleißigen Martha tadelte. Natürlich ging es bei mir früher gar nicht anders – aber nun bin ich alt und erkenne die einzigartigen Möglichkeiten des Alters, so dass ich darauf fast ein Loblied singen möchte. Ich bin mir der Grenzen meines Lebens bewusst und blicke deshalb sehr aufmerksam auf die wahre Substanz kirchlichen Lebens und der biblischen Botschaft.

   Und diese Botschaft leuchtet und zeigt sich heute am Sonntag für uns nun auch in einer Berggeschichte, einer für Jesus typischen Begebenheit, in der alles klar und hell, zugleich aber auch verschwiegen und diskret ist. In ihr berühren sich nun auch Himmel und Erde, bleiben aber wie im Traum auch wieder ungreifbar und rätselhaft. Es ist wie ein glücklicher Seufzer, den ein Bergsteiger beim Erreichen des Gipfels ausstößt. Was ihm von der Anstrengung bleiben wird, so weiß er, ist eine schöne Erinnerung. Festhalten kann er den Augenblick nicht, so wie niemand sein Leben festhalten kann. Aber irgendwie innerlich behalten kann er es doch. Und dann wird aus der Erinnerung ein sehnsüchtiger Ausblick. Ja, unser irdisches Leben kennt diese sehnsüchtigen Ausblicke und auch die glücklichen Verwandlungen.

   In dieser uns allen bekannten offenen Weise hören wir jetzt auf die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor, wie sie uns Matthäus aufgeschrieben hat:

Lesung von Matthäus 17,1-9

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist jetzt unsere Aufgabe, dass wir uns in die Jünger hineinzuversetzen haben, weil auch wir in gewisser Weise Jünger und Jüngerinnen Jesu sind. Tun wir es nicht, dann verpassen wir eine Gelegenheit, fromm zu sein. Und das entspricht dem Verpassen eines Zuganschlusses oder sonst einer wunderbaren Möglichkeit. Wer nicht fromm sein kann, der muss ein Langweiler bleiben. Kurz: auf dem Berg Tabor erleben wir den Glanz des ewigen Lebens, das Glück eines verwandelten Daseins, den göttlichen Glanz am Menschen. Wir erfahren, dass der Mensch mehr ist als Materie, mehr als Farbe und Gewicht, mehr als Biologie und Chemie, mehr ist als die familiäre Abstammung und mehr ist als seine Grenzen und Gebrechen. Der Mensch ist groß. Deshalb wird Jesus, der Menschensohn, von Gott verklärt und beauftragt: „Den sollt ihr hören!“

   Ja, den sollen wir heute hören, liebe Gemeinde, den sollen wir verstehen und glauben, gerade weil er so anders und nicht begreifbar ist. Denn in ihm begegnen sich Himmel und Erde. Wie junge Bergsteiger und wie alte Lebenserfahrene stehen wir heute in diesem Gottesdienst neben den Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes auf ein und demselben Berg des Lebens, wo sich Himmel und Erde begegnen und wo man glücklich und erhoben und begeistert ausrufen möchte: „Hier ist es gut sein! Hier lasst uns Hütten bauen!“ Und oft genug haben wir im Leben schon ausrufen wollen, wie es Faust in Goethes Schauspiel getan hat: „Zum Augenblicke möcht ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!“ Ja, das Gottesglück kennen wir alle, wenn wir nur gefühlvoll genug sind.

   Doch Jesus, der Verklärte, der zum Ziel Gekommene, so müssen wir nun hören, dämpft ein wenig unseren Enthusiasmus und lehrt uns Bescheidenheit, die Bescheidenheit der Hoffnung: „Es ist schon recht“, meint er, „aber wartet erst einmal, wartet auf die Auferstehung.“ Ja, das ist es von Anfang an: warten können, diese Haupttugend des Christentums, warten müssen. Nun gut, wir werden warten, wir müssen warten, wir können warten. Die Auferstehung kommt gewiss. Da haben wir selbst so eine Ahnung und Erfahrung. Aber wir haben auch diese wunderbare Geschichte, die Matthäus uns aufgeschrieben hat. Auch wir werden einmal den Berg Gottes besteigen, um dort Christus zu treffen und um mit ihm dort verwandelt zu werden.

 

A m e n.



Ulrich Wiesjahn

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