Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 25.01.2015

Weinen, weil man so glücklich war
Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Michael Ebener

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus

und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

1.

Und sie wickelten ihn in Zeitungspapier,

legten ihn mit allen anderen Krippenfiguren in einen Schuhkarton

und verstauten diesen auf dem Dachboden …

So ist das! Und was bleibt vom Glanz der Heiligen Nacht, von der frohen Botschaft der Engel, von den überwältigten Eltern Maria und Josef, von den begeisterten Hirten und den erstaunten Weisen, nachdem die Krippen und Christbäume aus unseren Hütten, Häusern und Kirchen wieder verschwunden sind? Was retten wir von der Weihnachtsfreude in unseren Alltag hinüber, wenn „O du fröhliche“ verklungen ist?

2.

Erst einmal wird das Kind aus der Krippe erwachsen. Wie, wissen wir nicht. Die Bibel erlaubt uns kaum einen Blick auf das Leben Jesu „vorher“. Wir begegnen dem einstigen Krippenkind erst bei seiner Taufe wieder, da ist er an die dreißig Jahre alt. Er steht da am Jordan, steigt wie all die anderen ins Wasser und lässt sich von Johannes taufen. Und dann geht der Himmel auf und alle, die dabei sind, hören Gottes Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ So beginnt sein öffentliches Wirken.

Drei Jahre hat Jesus noch Zeit, das Reich Gottes auf Erden zu verkünden. Er wird darin vorleben, wie Gott sich das Zusammenleben von uns Menschen denkt und so die Botschaft seiner Geburt entfalten: „Euch ist heute der Heiland geboren“.

Irgendwann innerhalb dieser drei Jahre erfährt Jesus noch einmal eine Bestätigung seines Auftrags, überhaupt seiner Sendung. Noch einmal hört er Gottes Stimme, wie am Tag seiner Taufe, und der Himmel öffnet sich wieder über denen, die dabei sind. Aber dieses Mal ist es hell – so hell, wie damals als er geboren wurde:

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg.

Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.

Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!

Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 

3.

Ein unglaublich schöner Moment ist das. Ikonenmaler müsste man sein und darüber ein Bild mit Goldgrund schaffen: Die drei Freunde Petrus, Jakobus, Johannes mit Jesus auf einem hohen Berg, der felsig aus der Landschaft ragt! Der Anstieg hat sie Kraft gekostet, aber nun sind oben. Allein. Stille. Unten ist weit.

Was dann geschieht, lässt sich beschreiben, malen sogar, aber nicht deuten: SEIN Gesicht, das wie die Sonne leuchtet, lichtweiße Kleider. Und zwei weitere Gestalten kommen hinzu. Klar und deutlich, oder nur Schemen? - - - Die dabei sind, wissen: das sind Mose und Elia – der eine, Mose, der das Gesetz vom Berg gebracht hat, das Zehnwort Gottes, das das Leben leitet; der andere, Elia, der verehrte Prophet, der entrückt wurde in Gottes Herrlichkeit und wiederkommen soll, kurz bevor der Messias auf Erden erscheint und Gott alles ist in allem, alles licht.

Ein unglaublich schöner Moment, der alles erklärt und alles erleuchtet, auch wenn man diese Einsicht kaum in vernünftigen Worten beschreiben kann! Alles macht Sinn. Wir würden wohl reagieren wie der Apostel Petrus, der dieses flüchtige Ereignis gern festhalten und deshalb am liebsten drei Hütten bauen würde, damit all das Licht, all der Glanz möglichst lange bei ihm heimisch bliebe.

Aber das geht nicht. Der Himmel, der sich öffnet, schließt sich auch wieder. Und die, die auf den hohen Berg gestiegen sind, müssen wieder hinunter. Es ist ganz so, wie mit dem Glanz und dem Engelsgesang der Heiligen Nacht – wir können’s nicht halten und trotzdem leben wir lange Zeit davon.

Wenn man abends, aus der Südstadt kommend, zurück nach Göttingen fährt, dann ist da dieser Balkon. Der ist noch immer mit allen Weihnachtslichtern geschmückt, einschließlich Rentier und Weihnachtsmann. Selbst um die Festtage herum ist das üppig gewesen, zu viel des Guten mit Ketten und Glitzern. Aber jetzt ist es schon fast peinlich. Da will ein Mensch dem Weihnachtlicht drei Hütten bauen und hat gar nicht gemerkt, dass das Licht weitergezogen ist und nun lieber im Dunklen wohnt.

Licht, lichte Momente, lichte Wolke, Sonnengesicht und lichtweiße Kleider, Phänomene von Klarheit und Glanz, das Heilige im Alltag der Welt, Gott mit Stimme und Zeichen – wir können‘s nicht halten! Gerade das macht Verklärungsmomente so wertvoll, so einzigartig und kostbar, unwiederholbar. Das ganze Jahr Weihnachten, in Endlosschleife, wäre nicht auszuhalten! Die Krippenfiguren gehören eingewickelt, weggepackt, in den Schuhkarton und auf den Dachboden. Wir wissen ja, dass sie da sind und wenn es Zeit ist, werden sie wiederkommen.

Alles, was uns in dem einen Augenblick sonnenklar da ist, verflüchtigt sich im nächsten. Es wird wieder ungewiss - Wagnis, mit dem wir vom Berg hinunter müssen zu den anderen, die nicht dabei waren und solcher Erscheinung deshalb nur mit Kopfschütteln begegnen können: „Ihr sollt von dieser Erscheinung niemanden sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ - - - Und selbst dann bleibt‘s ein Wagnis - ein fast willkürlich interpretierbares Phänomen, wenn nicht der Geist in jede einzelne von uns, in jeden einzelnen von uns fährt und den Vorhang wegreißt von unseren Augen, die immer wie gehalten sind, und unser Herz erneut brennt.

4.

Erleuchtung und „Verklärung“ sind mehr Alltagsphänomen, als wir meinen!

Jede und Jeder von uns hat schon andere Menschen zum Leuchten gebracht. Zumindest bei allen Eltern, allen Müttern, allen Vätern, die heute unter uns sind, setze ich das voraus: „Dies ist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe.“ - - - Vielleicht haben wir es nicht wörtlich genau so gesagt, aber doch ähnlich und durch entsprechende Gesten unterstrichen. Und die, und der das hört, strahlt. Das Gesichtchen leuchtet wie die Sonne, auch wenn die Kleider nicht weiß sind wie das Licht!

Die Woche war eine Todesanzeige im Tageblatt, da ist ein Vater recht früh verstorben, noch keine sechzig. Die beiden Kinder haben für ihn eine bewegende Anzeige geschaltet: Dad, dann der Name des Vaters – a son’s first hero, a daughter’s first love. Dieser Vater hat seine Kinder zum Strahlen gebracht, hat sie „verklärt“, ihnen Momente bereitet, die außerhalb der Zeit lagen, ganz Glanz, mit der Intensität des einen besonderen Augenblicks, der etwas bedeutet.

Im Grunde ist unser ganzes Leben ein Sammeln solcher Momente. Wenn wir einmal dahin kommen: ins selige Erinnern, mit geschlossenen Augen und traumverlorenem Lächeln, dann wird unser ganzes Leben nur aus solchen Momenten bestehen. Dann werden wir weinen, weil wir so glücklich waren.

Erleuchtungen haben und Verklärungen erleben wir in der Familie, in der Liebe, in der Freundschaft, im Glauben, im Denken und Tun.

Ein besonderer Zauber liegt auf lichten Momenten, wenn sie sich ganz unerwartet einstellen: die zufällige Begegnung mit einem Fremden, der dies oder das für uns tut, der dies oder das zu uns sagt. Ein beiläufiges Wort war das, aber es hat uns ein Lebensrätsel erschlossen.

Manchmal geschieht Klarwerden, Klarsehen beim Lesen. Man hat zum Beispiel die eine Bibelstelle so oft gehört und dann schaut man wieder hin und alles ist deutlich – man hat etwas von Gott verstanden! Oder man sieht ein Bild neu, ein Musikstück dringt so tief wie nie.

Das da ist immer noch derselbe Weg, derselbe Überhang, dieselbe Herausforderung. Und nach langer Mühe, langer Übung wachsen einem unvermittelt Kräfte, Fähigkeiten zu und man ersteigt diesen hohen Berg ohne Anstrengung, wie von allein – alles licht und leicht.

Gipfelerlebnisse sind das, im Ausatmen haben auch wir schon gesagt: „Herr, hier ist gut sein.“ Und doch können wir diesem Erleben, diesen Erleuchtungen nie „drei Hütten bauen“, sondern müssen runter und weiter.

5.

Jesus hört auf dem Gipfel seines Wirkens und Lebens noch einmal die Stimme seines VATERs: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe …“

Das ist eine unglaubliche Stärkung – man darf, man soll auch großen Kindern sagen, dass man sie lieb hat!

Und da Jesus den VATER kennt, fürchtet er sich nicht, als er Gottes Stimme hört. Er weiß, dass dieses Licht, das auch blenden kann, und diese Stimme, die auch donnern kann, die reine Liebe ist. Jesus begegnet dem HEILIGEN gelassen, weil er selbst heilig ist. Uns andere würde die Stimme Gottes aus der Helligkeit wohl genauso zu Boden werfen, wie es an den Jüngern geschieht, zumal weil diese Stimme auch uns anspricht: „Dies ist mein Sohn …; den sollt ihr hören.“

Es ist, als gäbe Gott hier seine Stimme ab. Ein anderes Wort, als das von Jesus, braucht Gott nicht mehr, um seine Menschen zu leiten. Wer Jesus hört, hört Gott! Mose und Elia flankieren das Geschehen und das ist wichtig. Sie versichern die Hörenden, dass die Worte Jesu Grund haben in der Glaubensgeschichte Israels; da ist nun kein Jota anders, als es schon geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten.

Was reden die beiden Alten mit Jesus, da oben auf dem Berg? Wir wissen es nicht. Aber Jesus spricht und das hören wir nun: „Steht auf und fürchtet Euch nicht!“  

Das ist ein Kernsatz der Bibel, eine biblische Grundbewegung, zu der wir eingeladen, in die wir hineingezogen sind: furchtloses Aufstehen und Hinuntergehen, Hingehen zu den anderen. Weitersagen, so dass auch sie’s begreifen können. Verstehen und glauben, leuchten vom Licht. Es heller machen, wo es dunkel ist.

„Fürchtet Euch nicht!“ singen die Engel in der Nacht auf dem Feld, und die Hirten treten aus dem Schatten ins Licht, werden selbst Boten des Hellen. Da zieht er mit, da ist er hin: der Glanz der Heiligen Nacht - wird zur Bewegung, die keine Hütte braucht, aber noch jedes Haus und jedes Herz zum Leuchten bringt, an der sie vorbeiführt.

Amen.



Pstor Michael Ebener
Göttingen
E-Mail: michael.ebener@refo-goettingen.de

Bemerkung:
Martin Wirth, Diakon im katholischen Dekanat Göttingen, hat mit seiner Zeitungsandacht vom 17. Januar 2015 im Göttinger Tageblatt den Predigteinstieg inspiriert. Danke!


(zurück zum Seitenanfang)