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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 01.02.2015

Predigt zu Matthäus 20:1-16a, verfasst von Matthias Wolfes

Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markte müßig stehen und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und die neunte Stunde und tat gleichalso. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinberges zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und heb an an den Letzten bis zu den Ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum so scheel, daß ich so gütig bin? Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“ (Jubiläumsbibel 1912)

 

Liebe Gemeinde,

vielleicht sind manche unter uns geneigt, beim Hören oder Lesen dieser Geschichte zu schmunzeln. In der Tat darf man den Eigensinn amüsant finden, mit dem hier einige ihrem Gerechtigkeitsempfinden Ausdruck geben. Sie fühlen sich um den gerechten Lohn betrogen als sie sehen müssen, daß die, die später oder sogar viel später mit der Arbeit begonnen haben, jetzt genau so wie die zuerst Gekommenen „einen Groschen“ erhalten. Sie sagen: „Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben.“ Was aber ist denn da eigentlich „amüsant“? Es ist doch ohne weiteres nachvollziehbar, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Handelt es sich nicht um den Bericht eines krassen Falles von Ungleichbehandlung, von Willkür und eben ungerechtem Urteilen?

I.

Wir können uns zu der Geschichte nur deshalb so abgeklärt verhalten, weil wir den Fortgang ja schon kennen. Wir wissen, worauf es letztlich ankommt, nämlich auf die Souveränität des Weinbergbesitzers, des „Hausvaters“. Und was die Ungerechtigkeit betrifft, so wird man immerhin sagen können, daß dieser Besitzer sich ja nur an das hält, was er mit den einzelnen Gruppen abgemacht hat. Sich selbst also, der Verpflichtung, die er gegenüber den Arbeitern zur Zahlung eines ganz bestimmten Lohnes eingegangen ist, bleibt er treu. An irgendwelche Maßstäbe, an übergeordnete Gesichtspunkte, wie sie sich aus einem Vergleich der jeweiligen Arbeitsleistungen ergeben, muß er sich nicht halten. Wie gesagt, von Willkür kann keine Rede sein: Was abgemacht war, wird eingehalten. Was aber eben den Unwillen auslöst, das ist die Ungleichheit des Leistung, die am Ende in der Gleichheit der Entlohnung keine Berücksichtigung findet.

Dem Matthäusevangelium zufolge erzählt Jesus diese Geschichte auf dem Weg nach Jerusalem. Im vorangehenden Abschnitt geht es um das Thema Reichtum (Jesus und der reiche Jüngling), im Anschluß kündigt er erneut sein Leiden an und spricht über das Verhältnis von Leiden und Dienst (Wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht). Die Parabel, mit der wir es jetzt zu tun haben, ist in diesen Zusammenhang eher locker eingefügt. Wir betrachten sie für sich. Und da ist doch von vornherein klar, daß es hier nicht um einen kritischen Bericht aus der zeitgenössischen Arbeitswelt geht. Ebenso wenig will Jesus (oder der Evangelist) etwas über die Lohnpolitik im Palästina des frühen ersten Jahrhunderts sagen. Entscheidend sind die ersten Worte: „Das Himmelreich ist gleich wie ...“. Um das „Himmelreich“, das Königreich Gottes geht es ihm.

II.

Nun ist das Himmelreich das eine. Das andere ist, daß es sich um das Reich Gottes handelt. Ich möchte deshalb diese Gleichniserzählung konsequent als eine Aussage über Gott verstehen. Das wird auch durch die sehr unterschiedlichen Auslegungen nicht erschwert, die im Laufe der Zeit dazu entwickelt worden sind. Man mag die Arbeiter als Kinder Gottes auffassen, die zu unterschiedlichen Zeiten zum Glauben finden, denen aber trotzdem allen in gleichem Maße die gleiche Liebe Gottes zuteil wird. Man hat bisweilen auch harte Kritik an der ersten Arbeitergruppe geübt und in ihnen solche gesehen, die – vielleicht aus Neid – ihr eigenes Gerechtigkeitsideal bloß vorschieben, in Wahrheit aber darin unrecht tun, daß sie sich über die geschlossene Vereinbarung hinwegsetzen. Ein andere, mehr erbauliche Auslegung sieht in der Erzählung einen Hinweis darauf, daß Gott sich den spät Kommenden, also den „Sündern“, besonders zuwendet. Denen, die ohnehin schon immer auf Gott vertraut haben, kann kein Schaden entstehen, wenn sie sehen, daß eben auch die anderen von Gott angenommen sind.

Wie auch immer, jede dieser Interpretationen hat einen guten Aspekt. Aber recht ausreichend scheinen sie mir alle nicht zu sein. Wie gesagt: Im Kern geht es um Gott. Wir werden in aller Bestimmtheit damit konfrontiert, daß Gott sich eben nicht in vorgegebene Kategorien, zum Beispiel denen von Leistung und Lohn, einzwängen läßt. Er steht jenseits unseres Urteilens, auch des religiösen Urteilens. Wer den Anspruch erheben wollte, er wisse wie und warum dies oder jenes dem Willen Gottes entspricht und der folglich auch etwas darüber sagen zu können glaubt, was die richtige Entsprechung ist zwischen unserem Handeln und dem Ergehen aus Gott heraus, der geht in die Irre.

Soll das nun heißen, daß Gott uns letztlich „unbekannt“ wäre? Das ist es nicht, was ich sagen möchte. Ich möchte vielmehr sagen, daß dieses ganze Thema, wer oder was Gott den nun eigentlich sei, gar kein Thema des Glaubens ist. Uns interessiert kein Gott „an sich“. Uns beschäftigt der Gott, dessen wirkliche Gegenwart wir in unserem Leben erfahren. Und daran haben wir genug. Alles finstere Grübeln, alle Gotteslehre jenseits der tatsächlichen Erfahrung des Glaubens können wir auf sich beruhen lassen. Andere mag das umtreiben, aber für den Glauben spielt es keine Rolle.

III.

Die Erzählung ist in der Tat recht brüsk. Aber was sie sagen will, sollte man sich denn doch wirklich zu Herzen nehmen. Im Glauben geht es nicht um Gottesspekulation, sondern um das Zeugnis von einer Erfahrung, und zwar einer solchen Erfahrung, die ich als glaubender Mensch gemacht habe und im Glauben mache. Daß in unserem Text auch von den Glaubenden die Rede ist, in Gestalt der Arbeiter, der Menschen, ist offensichtlich. Die ganze Erzählung ist ja doppelseitig: Den Arbeitern steht der Weinbergbesitzer gegenüber; der geleisteten Arbeit kontrastiert die Entscheidungsfreiheit über die Entlohnung.

Unser Teil ist das zu tun, worauf wir uns verpflichtet haben. Wir sollen gewissenhaft und verläßlich das Werk verrichten. Die Frage, ob wir uns damit eine Anerkennung durch Gott erwerben, ob wir dadurch in seinen Augen gewinnen, oder wie es sich damit verhält, bleibt demgegenüber von nachgeordneter Bedeutung. Es genügt, wenn wir uns sagen: Ich habe das Meine getan. Es steht nicht bei uns, in das Wollen und Tun Gottes einzugreifen. Die Erzählung kann uns daran erinnern, daß irgendwelche Vorstellungen davon, wie man sich das Wohlgefallen Gottes einhandeln könne, Unsinn sind. Sie führen in das Gebiet der Magie, und damit wollen wir nichts zu tun haben.

Gott ist Gott, und er bleibt es, was auch immer wir unternehmen, um ihn zu vermenschlichen. Zweifellos hat die Geschichte einen verstörenden Zug. Dennoch meine ich, daß es genug ist, wenn man sie in diesem Sinne als eine Art Erinnerungsstütze nimmt. Was aber uns selbst betrifft, so gelte eben gerade deshalb der Grundsatz: Wenn am Ende der Herr kommt, dann soll er uns an der Arbeit finden.



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

Bemerkung:
Verwendete Literatur:
Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband: Mt 18 – 25 (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Band I / 3), Zürich und Düsseldorf / Neukirchen-Vluyn 1997.


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