Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 01.02.2015

Das Verhältnis zwischen Güte und Berechnung
Predigt zu Matthäus 20:1-16, verfasst von Anders Kjærsig

ein paar Stunden kam der König zu ihm und sagte, er solle aufhören zu arbeiten.

Den Rest des Tages kann man sehen, wie der König mit dem jungen Mann umherging vertieft in Gesprächen. DannEs gibt eine jüdische Weinbergerzählung, die Jesus zweifellos gekannt hat. Sie handelt von einem König, der einen großen Weinberg besaß. Viele Arbeiter waren in diesem Weinberg beschäftigt, darunter auch ein junger Mann, der sehr eifrig war. Er arbeitete fleißiger als viele andere. Nach  wurde es Feierabend, und die Arbeiter sollten ihren Lohn bekommen. Zur Überraschung der anderen erhält der junge Mann genauso viel wie sie. Darüber wurden sie ziemlich zornig. Das ist nicht in Ordnung, sagten sie. Wir haben den ganzen Tag hart gearbeitet. Aber der junge Kerl da hat nur zwei Stunden gearbeitet. Ja, sagte der König, das ist richtig, er hat zwar nur zwei Stunden gearbeitet, aber in den zwei Stunden hat er genauso viel getan wie ihr den ganzen Tag.

Sie brauchten sich also nicht aufzuregen. Der König ist gerecht. Der junge Mann hat bekommen, was im durchaus zusteht.

Das ist eine moralische Geschichte. Und die Moral ist, dass man nur zusehen muss, dass man arbeitet. Sei fleißig, sagt die Geschichte. Dann kannst du in kurzer Zeit einen ganzen Tageslohn verdienen. Jesus ist diese Geschichte sicher erzählt worden – vielleicht mit erhobenem Zeigefinger: Du kannst selbst, es geht darum, etwas zu leisten. Aber als er die Geschichte selbst erzählt, gibt er ihr eine Wendung, so dass der erhobene Zeigefinger verschwindet und etwas ganz Neues in den Blick kommt.

Die Geschichte aus dem Matthäusevangelium handelt von einem Weinbergbesitzer, der laufend Tagelöhner anstellt, um im Weinberg zu arbeiten. Einige zehn Stunden lang, andere sieben und einzelne nur eine Stunde. Aber der Besitzer bezahlt den gleichen Lohn an alle Arbeiter, ganz gleich wie lange und wie hart sie gearbeitet haben – und darüber waren die, die am längsten gearbeitet haben, sehr verärgert. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie nicht mehr Lohn bekommen haben.

Da geschieht eine Überraschung im Verhältnis zur jüdischen Geschichte. Eder Weinbergbesitzer sagt nichts darüber, dass die, die nur eine Stunde lang gearbeitet haben, besonders fleißig waren und deshalb einen ganzen tageslohn verdient haben, sondern er sagt zu einem der Benachteiligten: Mein Freund, waren wir nicht einig um einen Denar? Ja, das waren wir wohl. Ihr wart sogar froh über diese Abmachung. Sie war gut. Der Tag war gerettet.

Der Tag war gerettet, bis die zuletzt Angekommenen auch einen Denar bekamen. Dann verblich ihr eigener Denar, meinten sie. Der Weinbergbesitzer sagt: Waren wir uns nicht einig um einen Denar? So nimmt, was dein ist und geh! Kann ich nicht mit dem, was mir gehört, tun, was ich will, oder bist du neidisch, weil ich großzügig bin?

Das ist kein moralischer Zeigefinger, den die Zornigen und Benachteiligten hier finden. Es ist Güte, die allen Verstand übersteigt. Alle bekommen einen Denar. Der Tag ist für alle gerettet, Auch wenn sie nicht das Recht auf einen ganzen Denar haben. Dieser Weinbergbesitzer denkt offenbar nicht daran, was die Leute verdient haben, er ist großzügig über alle Maße.

Die Zornigen sind nicht zornig, weil sie zu wenig bekommen haben, sondern sie sind zornig, weil es den anderen so gut geht. Eigenes Glück ist gut, aber das Unglück anderer ist auch nicht zu verachten, lautet ein altes bitteres Sprichwort. Dass es anderen gut geht, auch wenn sie es nicht verdient haben, ist für uns schwer zu ertragen.

Bist du neidisch, weil ich großzügig bin? Das ist eine entlarvende Frage. Hast du in Wirklichkeit Angst vor der Großzügigkeit? Kannst du es nicht ertragen, dass es deinem Bruder gut geht?

Man kann gut merken, dass es nicht um Lohnpolitik geht. Jesus redet nicht von den Verhältnissen am Arbeitsplatz. Das Gleichnis redet vom Reich Gottes. Das Reich Gottes ist dort, wo das Vorzeichen für das Leben der Menschen nicht Selbstgerechtigkeit ist, nicht Neid, sondern unverdiente Güte.

Als der dänische Dichter und Nobelpreisträger Henrik Pontoppidan sein erstes Kind in den Armen hielt, sagte er: Wir sind insolvente Schuldner. Er wusste in seinem Innersten, dass alles Gute, das uns hier im Leben widerfährt, ganz unverdient ist. Wir stehen immer in der Schuld, und das ist gut. Der dänische Dichter C.V. Jørgensen sagt es so: „Bereichert und bodenlos verschuldet“. Und das ist auch gut. Oder wir es bei dem Dichter Hostrup heißt:

An das Leben glauben ist es erfahren.

Das Leben lieben ist es erklären.

Das Leben wagen ist es erklären.

Das Leben hergeben ist es bewahren.1

 

Es ist ja völlig abwegig, seine Eltern zu fragen: Was bekomme ich dafür, dass ich euer Sohn bzw. eure Tochter bin? Oder zu dem Geliebten: Was bekomme ich dafür, dass ich dich lieb habe? Oder welchen Sinn hat es zu fragen: Was bekomme ich dafür, dass ich mich am Morgen über die Sonne freue? Oder dafür, dass ich meine Arbeit machte so gut wie ich kann?

Für all das hast du grundlegend überhaupt kein Recht auf Bezahlung. Das ist ja dein Leben, das dir gegeben ist. Es ist ja dein Leben, Sohn oder Tochter, Nachbar, Freund, Mann oder Frau zu sein, morgens aufzustehen. Wie haben viel mehr bekommen als wir verdienen.

Christus kommt nicht mit dem, was wir unter Gerechtigkeit verstehen. In der Nacht, als er verraten wurde, reicht er Brot und Wein an Judas wie an Johannes, an Gute und Böse, an Schuldige und Unschuldige- Hier stehen wir vor einer Großzügigkeit, einer tiefen Liebe, die niemand ergründen kann, ohne die aber niemand leben kann. Er reicht uns unseren täglichen Denar.

Nimm ihn und gehe!

Oder wie an einer Kneipe auf einem Schild im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro steht: „Sie meinen vielleicht nicht, dass Sie die Behandlung bekommen haben, die Sie verdienen – Seien sie froh darüber“. Amen.

 

1 Ved at tro på livet erfares det.

Ved at elske livet forklares det.

Ved at vove livet forsvares det.

Ved at give livet bevares det.

 



Pastor Anders Kjærsig
DK 5792 Årslev
E-Mail: ANKJ(at)km.dk

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