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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 01.02.2015

Für ein Leben in Würde
Predigt zu Matthäus 12:1-16a, verfasst von Harald Klöpper

Um Tagelöhner geht es im heutigen Predigtabschnitt aus Matthäus 20. Menschen also mit noch kürzeren Arbeitsverträgen als Praktikanten, Polinnen in der Altenpflege und rumänischen Ernte- oder Schlachthofhelfer.

 

Tagelöhner? Ja in Indonesien, in Namibia oder anderen Ländern kann man kann sie noch sehen. Schon früh am Morgen hocken sie an den Straßenrändern. Sobald die Ampel auf Rot wechselt, springen sie auf die Autos zu, und hoffen auf einen Gelegenheitsjob. Entrümpeln, Garten- oder Fabrik- Arbeit: Hauptsache ein wenig Lohn.

 

Aber die meisten Autofahrer in ihren klimatisierten Allrad-Fahrzeugen reagieren gar nicht oder genervt. Bis dann doch ein Pick-up anhält, zwei oder drei Männer aufsteigen lässt und mit ihnen zum heutigen Arbeitsplatz fährt.

 

Mittags dagegen sind die Straßenkreuzungen schon wieder wie leer gefegt: zu gering ist die Chance, doch noch einen Job für unter 10 Euro zu ergattern.

 

Vielen der erfolglosen Tagelöhner fällt es schwer, nach erfolgloser Jobsuche gleich nach Hause zu gehen: die Frau wird klagen, und angesichts eines leeren Tisches werden die Kinder irgendwohin verschwinden, statt Hausaufgaben zu machen.

 

Reichlich realitätsfern ist es, wenn Rilke in seinem Stundenbuch die Armut und die Sorge um das tägliche Brot in die Worte fasst: „Armut ist ein großer Glanz aus Innen“ Denn nach jeder erfolglosen Arbeitssuche kommt nun die beschämende Bettelei bei den Nachbarn. Was das im Detail heißt? Sich einschmeicheln und für jeden Essensrest Dankbarkeit zeigen müssen. Da braucht man ein dickes Fell, um sein Selbstwertgefühl zu bewahren. Schnorren müssen baut nicht auf, darum hält auf Dauer keiner die ewige Bittstellerei aus.

 

Dennoch sieht so oder ähnlich der Alltag von Millionen Tagelöhnern und Menschen mit Kurzzeitverträgen aus. Es gilt sogar als Prima-Geschäftsmodell, eine Firma zu finden, die Arbeiten für eine Handvoll Reis erledigt!

 

Um so nachdenkenswerter ist darum die folgende biblische Geschichte. Da wird doch tatsächlich aufgezeigt, dass es durchaus im Sinne Gottes sein kann, den Teufelskreis der Lohndrückerei zu durchbrechen. So lesen wir im 20.Kapitel bei Matthäus (Gute Nachricht):

 

1 »Wenn Gott sein Werk vollendet, wird es sein wie bei dem Weinbergbesitzer, der früh am Morgen auf den Marktplatz ging, um Leute zu finden und für die Arbeit in seinem Weinberg anzustellen.

2 Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn von einem Silberstück, dann schickte er sie in den Weinberg.

3 Um neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch ein paar Männer arbeitslos herumstehen.

4 Er sagte auch zu ihnen: ›Ihr könnt in meinem Weinberg arbeiten, ich will euch angemessen bezahlen.‹

5 Und sie gingen hin. Genauso machte er es mittags und gegen drei Uhr.

6 Selbst als er um fünf Uhr das letzte Mal zum Marktplatz ging, fand er noch einige herumstehen und sagte zu ihnen: ›Warum tut ihr den ganzen Tag nichts?‹

7 Sie antworteten: ›Weil uns niemand eingestellt hat.‹ Da sagte er: ›Geht auch ihr noch hin und arbeitet in meinem Weinberg!‹

 

Vordergründig geht es bei dieser Gleichnisgeschichte um eine Nachfolgefrage. Ausgelöst hatte sie ein reicher Jüngling im vorangehenden 19. Kapitel. Zu allem war er bereit, nur seine materielle Sicherheit konnte er nicht aufgeben. Petrus führt das zu der Frage „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür gegeben?“

 

Jesus geht kurz darauf ein, dreht dann aber die Blickrichtung weg vom Menschen. Denn in seiner Welt gelten andere Maßstäbe als die allseits beliebten Sätze wie: „Der frühe Vogel fängt den Wurm,“ „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“ Aus diesem Grund erhält in der Gleichnisgeschichte zum Schluss jeder seine Chance, selbst wenn es Fünf vor Zwölf ist oder eine Stunde vor Feierabend. Möglich wird dies, weil der Weinbergbesitzer den Menschen in seiner Not in den Blick nimmt und sich um deren Wohl kümmert.

 

Eine realitätsferne Geschichte, die uns da Matthäus nahelegen will? Keinesfalls. Denn die Geschichte geht weiter und hält uns einen unangenehmen Spiegel vor. Warum? Weil uns als Arbeitnehmer ein solch großzügiges Verhalten wie von dem Weinbergbesitzer eher sauer aufstößt. Denn in unseren Köpfen haben sich Sätze eingeprägt wie: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Um das sicherzustellen wird digitalisiert und auf die Minute geschaut. Und darum fährt die Geschichte fort:

 

8 Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: ›Ruf die Leute zusammen und zahl allen ihren Lohn! Fang bei denen an, die zuletzt gekommen sind, und höre bei den ersten auf.‹

9 Die Männer, die erst um fünf Uhr angefangen hatten, traten vor und jeder bekam ein Silberstück.

10 Als nun die an der Reihe waren, die ganz früh angefangen hatten, dachten sie, sie würden entsprechend besser bezahlt, aber auch sie bekamen jeder ein Silberstück.

11 Da murrten sie über den Weinbergbesitzer

12 und sagten: ›Diese da, die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde lang gearbeitet, und du behandelst sie genauso wie uns? Dabei haben wir den ganzen Tag über in der Hitze geschuftet!‹

13 Da sagte der Weinbergbesitzer zu einem von ihnen: ›Mein Lieber, ich tue dir kein Unrecht. Hatten wir uns nicht auf ein Silberstück geeinigt?

14 Das hast du bekommen, und nun geh! Ich will nun einmal dem Letzten hier genauso viel geben wie dir!

15 Ist es nicht meine Sache, was ich mit meinem Eigentum mache? Oder bist du neidisch, weil ich großzügig bin?‹«

16 Jesus schloss: »So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten.«

 

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Dieses Gleichnis aus Matthäus 20 bleibt eine gesamtgesellschaftliche Provokation. Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, weil es die uns vertraute Welt auf den Kopf stellt und uns deshalb sauer aufstößt. Offensichtlich gelten Profit und Leistung in Gottes kommender Welt doch wesentlich weniger, als uns lieb ist.

 

Sie fragen nach Beispielen? Davon gibt es mehr als genug: wie hoch schlagen doch im Augenblick die Wogen, wenn es um einen erneuten Schuldenerlass für Griechenland geht! Wie erbittert werden doch um Mindestlohn, Arbeitslosengeld IV und erst erst recht um die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens gestritten!

 

Am 28.10.2014 hatte dagegen der für sein Sozialengagement bekannte Papst Franziskus gesagt:

 

„Man begreift nicht, dass die Liebe zu den Armen das Herzstück des Evangeliums ist. Landbesitz, ein Dach über dem Kopf und Arbeit – das sind heilige Rechte... Diese Rechte einzuklagen, ist keine Regelwidrigkeit, sondern gehört zur Soziallehre der Kirche... Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Grund alternative gesellschaftliche Strukturen errichten, die wir brauchen.“ (http://www.friedensdekade.de/uploads/media/ANSPRACHE_VON_PAPST_FRANZISKUS.pdf)

 

„Landbesitz“ wird kaum die Lösung für die übervölkerten Industrienationen sein. Da wird es andere Teilhabe-Modelle an den Ressourcen einer Nation geben. Aber die Aufgabe bleibt, allen ein Leben in Menschenwürde zu ermöglichen. Zumindest so lange, wie wir an dem Satz des Glaubensbekenntnisses festhalten: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“

 

 

 



Pfarrer Harald Klöpper
Lengerich
E-Mail: kloepper@chrina.org

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