Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 08.02.2015

Ein verrückter Sämann
Predigt zu Lukas 8:4-15, verfasst von Angela Rinn

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:

5 Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.

6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.

7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.

8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute.

10 Er aber sprach: Euch ist's gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.

Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes.

12 Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.

13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

14 Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht.

15 Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

 

Herr, segne unser Reden und Hören!

 

Liebe Gemeinde,

 

erzähl einem Blinden von der Farbe, spiel einem Tauben eine Symphonie vor und dem, der noch nie geliebt hat, dem erkläre, wie die Liebe ist. Versuchs doch mal, fang mit der Farbe an, mach bei der Musik weiter und komm schließlich ins Stottern, wenn´s um die Liebe geht. Liebe ist... ja wie denn? Wenn´s um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens geht, da geht es nicht eins zu eins auf. Farbe ist rot und eine Symphonie dauert eine Stunde - das sagt gar nichts. Da verblasst das Wunder. Und schon bald wirst du merken, wie du Bilder zu Hilfe nimmst: Deine Liebe ist lieblicher als Wein, von deinen Lippen träufelt Honig, Honig und Milch sind unter deiner Zunge. Du kannst es nur begreifen, wenn du anfängst zu erzählen, wenn dir die Bilder aus dem Herzen auf die Lippen kommen, wenn du anfängst zu schwärmen. Und dann kann es sein, dass das eine sich auf das andere bezieht und sich so erklärt. Da kann man dem Blinden erzählen, dass Farben wie eine Symphonie sein können, ja eine Symphonie von Farben, du kannst erzählen, dass die Liebe ein bisher graues Leben in leuchtenden Farben erstrahlen lässt und dass sich bei mancher Musik das Herz öffnet und es einem scheint, als ob mit dem Herzen der Himmel offen steht.

Und wie steht´s mit dem Himmel? Erklär mir doch den Himmel, Jesus. Erklär mir... Gott! Jesus erzählt: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. So ist das mit Gott. Hattest du dir etwas anderes vorgestellt als eine solche Geschichte? Aber du meinst doch nicht im Ernst, dass Gott sich wie ein Pfund Rindfleisch abwiegen und darstellen ließe, wenn es schon eine Meisterleistung ist, die Farbe Rot so zu beschreiben, dass ein Blinder eine Ahnung gewinnt, was Rot ist. Du glaubst doch nicht, dass Gott sich in eine Formel pressen lässt, wenn du noch nicht einmal weißt, wie eine Symphonie klingt, wenn du von ihr nur einen Notenausschnitt kennst. Selbst wenn du jede Note kenntest - wüsstest du, wie das ganze Kunstwerk klingt?

Also ein Sämann. Ein merkwürdiger Sämann. Stadtkinder merken vielleicht nicht sofort, wie seltsam sich dieser Sämann verhält. Der schleudert das kostbare Saatgut durch die Gegend, als hätte er es im Überfluss. Nicht nur manch vereinzeltes Körnlein, nein, dreiviertel seines Saatgutes wirft er auf ungeeigneten Boden! Lediglich ein Viertel der Saat landet auf gutem Acker. Ressourcenverschwendung! Bei diesem Sämann greift sich jeder an den Kopf. Jeder vernünftige Bauer zu Jesu Zeiten hatte es im Griff, im geübten Schwung, dass der Same auf den fruchtbaren Boden fiel. Gut, das ein oder andere Körnlein geht immer daneben, die Vögel müssen ja auch was zum Leben haben, aber der Großteil fällt doch in die Furche. Kein Bauer ist so verrückt wie dieser Sämann.

Keiner ist so verrückt wie Gott, so verrückt vor Liebe, dahin treibt sie einen nämlich, die Liebe, völlig verrückte Dinge zu tun. Das gilt auch für Gott, verrückt vor Liebe sät er mit vollen Händen aus. Hat er so viel? Ja, er hat so viel Liebe, im Überfluß, da schaut er nicht sparsam in den Beutel, da kalkuliert er nicht und schränkt sich nicht ein. Da fliegen die Körner durch die Welt, dass alle staunen.

Ist er etwa dumm, unser Sämann? Weiß er nicht, dass unter Dornen nichts aufgehen kann? Nun: Die Liebe hofft und glaubt auch dann noch, wenn alle anderen schulterzuckend aufgegeben haben. Es könnte ja doch sein, dass sich ein Hälmchen durch die Dornen zwängt, dass ein Spalt im Stein ist, der genügend Erde für ein Korn fasst, damit es aufgehen kann. Haben wir so etwas nicht schon gesehen? Pflanzen, die sich durch Pflastersteine arbeiten. Die eine zarte Blume, die zwischen den Dornen wächst? Vielleicht geht dreiviertel des Saatgutes doch nicht ganz verloren, auch wenn es zertreten am Weg liegt. Vielleicht, so hofft die Liebe, und sät und verschleudert sich.

Erich Fried sagt:

„Es ist Unsinn sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe

Es ist Unglück sagt die Berechnung Es ist nichts als Schmerz sagt die Angst Es ist aussichtslos sagt die Einsicht Es ist was es ist sagt die Liebe

Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe[i]

 

Wer Ohren hat zu hören, der höre! So ruft Jesus. Auch dies ein werbender Ruf, wie ein Liebeslied, so wie der Same, der da gesät wird. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Aber die Freunde Jesu, die jeden Tag um ihn sind, von denen er sich doch offene Ohren und Herzen erhoffen könnte, die verstehen rein gar nichts. „Was bedeutet das, was du sagst?“ Haben Sie denn gar keinen Schimmer vom Reich Gottes? Die Erklärung setzt noch eins drauf. Plötzlich wird aus dem Samen das Wort Gottes und zugleich die, das Wort hören und aufnehmen. Das Wort verschmilzt mit den Hörenden. Jetzt steht alles auf dem Spiel. Wie Menschen mit dem Wort umgehen, daran entscheidet sich Misslingen oder Gelingen des Lebens. Alles hängt daran, es gibt keinen anderen Weg. Hier geht es nicht darum, ob ich das neue Angebot von Aldi mitnehme oder verpasse, ob ich den Zeitgeist rechtzeitig am Schopf packe oder hoffnungslos unmodisch bin. Es geht um mich, um meine ganze Person, es geht um Sein oder Nichtsein! Verstehen das die Jünger? Und verstehen Sie, wie die Frage Sein oder nicht sein für dreiviertel des Saatgutes beantwortet wird?

Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden.

Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht.

Das sind harte Worte! Dreiviertel Verlust. Dreiviertel leben am Leben vorbei. Wer versteht, begreift, wer das Gleichnis hört und versteht, wer Ohren hat zu hören, der wurzelt in der guten Furche. Aber die anderen...

Die Erklärung des Gleichnisses, nachgeliefert für die begriffsstutzigen Jünger, die sich um Kopf und Kragen fragen, macht es nicht klarer. Die Jünger hören, aber versteht darum einer von ihnen, worum es geht? Zu welcher Gruppe gehören die Jünger? Wenn sie nicht verstehen, obwohl sie verstehen sollten, dann zählen sie am Ende zu denen, an die der Same verschwendet ist. Wenn aber selbst die Jünger gefährdet sind, für wen kann es da gut aussehen? Zu welcher Gruppe gehören wir, die wir dieses Gleichnis hören? Verstehen wir denn, was er sagt?

Unbeirrt vom Unverständnis der Hörenden sät der Sämann. Verschleudert das Wort, mit vollen Händen auf den Felsen, auf den Weg, in die Dornen. Manches fällt auf gutes Land.

Was bedeutet das Gleichnis? Erklär einem Blinden die Farbe Rot, einem Tauben eine Symphonie und dem, der nie geliebt hat, dem erklär die Liebe. Und ich erkläre, dass Rot eine Spektralfarbe ist und dass eine Symphonie in der Regel vier Sätze hat und dass die meisten Menschen sich irgendwann in ihrem Leben mal verlieben und dann verrückte Dinge tun. Und was ist dann verstanden?

Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Jesus erklärt. Und was verstehen wir durch die Erklärung, die Jesus nachreicht? Ich meine - wir verstehen nichts. Es ist eine weitere Verrätselung, ein neues Gleichnis, uns erzählt, damit wir nicht sehen, auch wenn wir sehen und nicht verstehen, auch wenn wir hören. Wenn dem aber so ist - was bleibt dann? Verstehen wir denn Rot, selbst wenn wir es sehen können? Können wir Rot so sehen, wie Rot wirklich ist? Verstehen wir eine Symphonie und verstehen wir Liebe? Kommt es womöglich auf anderes an? Darauf, eine Symphonie zu hören, sich von der Liebe überwältigen zu lassen. Kommt es bei unserem Gleichnis zuerst darauf an, zu staunen? Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Staune mit mir darüber, wie unökonomisch Gott ist. Wie er verschwendet und verschleudert, wie er sich verschleudert, aus lauter Liebe. Staune mit mir darüber, dass er so mit uns verschmilzt, dass sein Wort in uns ist und wir sein Wort sind, lebendiges Wort Gottes! Alle, die es hören, fassen es für einen Moment, auch wenn dieser Moment kurz ist. Alle hören erst einmal das Wort, das mit liebevollen Händen reich ausgesät ist. Und dann?

 

„Zu welcher Sorte gehören wir?“ fragt meine Freundin, mit der ich mich über das Gleichnis unterhalte. - „Nun, bei uns ist es wohl auf guten Boden gefallen“, finde ich, „wir glauben doch an Jesus Christus.“ - „Sei dir mal nicht so sicher“, meint sie, „vielleicht gehörst du ja zu denen unter den Dornen, vielleicht hast du ja noch keine richtige Anfechtung erlebt! Wart´s mal ab, wenn die kommt! Vielleicht gehöre ich ja zu denen auf dem Felsen, also, ich bin mir nicht so sicher, ob wir zu denen auf dem guten Feld zählen.“ - „Weißt du“, sage ich, „wenn er so ist, der Sämann, unser Gott, dass er mit einem Herzen voller Liebe und mit vollen Händen in die Dornen wirft und auf den Fels und auf den Weg, wenn er die Hoffnung nicht aufgibt, dass auf dem Fels und unter Dornen doch etwas wächst, dann muss ich die Hoffnung auch nicht aufgeben. Dann kann es sein, dass selbst wenn ich zu den Körnern zähle, die auf den Weg fallen und zertreten werden und von den Vögeln aufgepickt werden, dass dieser Vogel, der mich aufpickt, mich dann später gut verdaut in eine Furche fallen lässt. Und dann ist mein Korn doch auf gutem Boden gelandet und hat den Dünger noch dazu.

 

Amen.

 

Wichtige Anregungen für diese Predigt verdanke ich Prof. Dr. Günter Klein

 

 

 

[i] Erich Fried, Es ist was es ist, Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte, Berlin 1996.

 



Pfarrerin PD Dr. Angela Rinn
Mainz
E-Mail: AngelaRinn@t-online.de

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