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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 08.02.2015

Mit vollen Händen, alles muss raus!
Predigt zu Lukas 8:4-15, verfasst von Jörg Coburger

Als Kind habe ich es noch wenige Male sehen können, mit welch ruhiger, unaufhaltsam beständiger Bewegung ein Sämann mit weit ausladendem Handwurf säend übers Feld geht. Es wirkte wie Zeitlupe und war vollkommen ohne Aufregung. Ich weiß noch, dass es vollkommen still war und, wie ich erst später erfuhr, auch sein musste, damit der Wind nicht die Gleichmäßigkeit bei der Saat und somit auch eine gute Ernte stören kann. Der Bauer hatte an der linken Hüfte eine Art riesigen Stoffbeutel befestigt, den er mit der einen Hand hielt um mit der anderen die Körner ausbringen zu können. Ich kann nicht sagen, seit wie viel Jahrtausenden es diesen Ablauf schon gab, vermutlich seit dem Beginn, da Menschen sesshaft wurden. Im Neolithikum? Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf meint derzeit, es war nicht die Not, sondern der erste Überfluss, der die Menschen dieser Zeit erfinderisch machte und – das ist wirklich kein Scherz! – das Bier ist an allem schuld, so zumindest will er erforscht haben.

 

Wollen wir aber bei der Sache bleiben.

Wir haben mit diesem Gleichnis vom Wort Gottes und den nicht zu überschätzenden Umstand, dass es uns Jesus selbst auslegt. Jesu Jünger fragten ihn, was das Gleichnis bedeute. Ist es nicht deutlich genug erzählt? Und ich war so christlich verwöhnt, dass ich lange Zeit nicht bemerkte, welche Chance und auch welcher nötige Bruch mit dem landwirtschaftlichen Bild gemeint ist. Es schien immer ganz einfach, was Jesus erklärt. „Vierfach ist das Ackerfeld; Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“

 

Oder geht es denn etwa nicht zum anderen um unsere unfruchtbare Arbeit und alle Anfechtungen und Frust, der damit verbunden ist? Muss man sich nicht wundern, dass der Sämann- wo hat der bloß seine Augen – so viel verschüttert? Das ist doch für jeden Betrieb und vor allem für jede Fruchtfolge im nächsten Jahr, da genügend Saatgut übrig bleiben muss, ruinös. Es muss rein rechnerisch zur Hungerskatastrophe kommen!

 

Gott ist kein Landwirt! Hier hat die Bildseite des Gleichnisses ihre Grenze.

Das Erzählte ist kein Selbstzweck aus einem Ökolehrbuch der Antike.

Hochachtung und aller Respekt vor diesem Beruf, besonders heute, wo viele mit unvergifteten Lebensmitteln unsere Ernährung ganz neu als etwas schützenswertes ins Bewusstsein gerückt haben und dabei immer weiter gefährdet ist. Zum Beispiel durch das anvisierte Handelsabkommen TTIP mit den USA, wodurch bereits erkämpfte Standards massiv unterlaufen werden können und wohl auch sollen. Aber um Öko oder Bio und Bewahrung der Schöpfung geht es hier nicht.

 

Aber darum geht es inhaltlich nicht. Es geht auch nicht um eine Aussage, so kreativ der Umgang mit dem Text auch erscheinen mag, es würde beim Vorgang des Gleichnisses 75% des Saatgutes verworfen und da solle uns trösten, das so viel danebengeht, also beim vierfachen Ackerfeld könnten nur 25% aufgehen.

 

Der Bauer wirft etwas aus. Er ist das Subjekt. Das Korn sein Objekt.

Gottes Wort aber ist kein Objekt, das man auswerfen muss. Er selbst ist sein Wort. Geber und Gabe sind eins. In seinem Wort spricht er doch selbst uns.

 

Und doch: Menschen, vielleicht die Lukas-Gemeinde, haben an dem Saatgut mitgearbeitet und manches in den Text mit eingebracht, aufbewahrt, konserviert, oder wieder wie heute in eine Urform rückverwandelt, haben das Dinkel- Urkorn wieder finden wollen? 

 

Und doch: Ist es mit dem Wort Gottes nicht noch viel ergebnisloser und unfruchtbarer, als das sich – wie schön wäre es – 25% am Gemeindeleben beteiligen, 25% seines Wortes irgendwie Frucht brächte; woran wollten wir das bloß messen? Wäre ein 25%-Erfolg in allen Gemeindebereichen nicht geradezu ein Aufbruch in unserer Arbeit? Von wegen lediglich 25%! 25% - Hurra! Und noch etwas schärfer: Was muss wohl damals in der Lukas- Gemeinde das Problem gewesen sein. 

 

Es soll uns keine statistische Wahrheit gesagt werden. Wir dürfen das helfende Gerüst des Gleichnisses verlassen. Es geht aber um eine Differenz. Und die muss bei Gott wohl eine andere sein als beim Bauern.

Seine Insolvenz stünde gewiss bevor.

 

Und doch: „Der Same ist das Wort Gottes.“ Welch ein Glück, dass wir in den Versen 11-15 weiterdenken dürfen – alles erklärt wird uns dennoch trotzdem nicht.

 

Dann dürfen wir sagen:

Wir haben ein gutes und „perfektes“ Saatgut. Es kommt von Gott. Somit wird es zur Vertrauensfrage. Glaubst du auch, dass das Saatgut in Ordnung ist, also genügend aufgeht, um zu nähren und auch in darauf folgenden Frühjahr ausreichend ausbringen können, auf ein Neues! Tun wir nicht eher so, als ob das Saatgut nicht mehr reicht oder – nun wieder ins gemalte Bild- Gleichnis hineingeraten – also ob es nicht mehr genügend Landwirte gibt, die es ausbringen. Leute zur Aussaat und Ernte werden gebraucht.

 

Noch nie war die Kirche so gut organisiert wie wir heute. Noch nie waren unsere Gebäude in ihrem Gesamtniveau EKD-weit, Ost wie West, auf einen solch hohen Standard seiner Zeit, noch nie waren wir so reich, so umfassend versichert und abgesichert. Noch nie waren wir so unsicher wie heute. Nein, früher war nicht alles besser. Das meine ich nicht.

 

Der Boden zur Aussaat war niemals günstig oder perfekt, fett, ohne Felsen und Disteln und Dornen, nur nährstoffreich und fruchtbar allein. Auch früher nicht. Die Situation: Wenn „Korn und Erde zusammenfallen“ hat sich nicht geändert. Darum heißt es: Wer Ohren hat zu hören…

 

Worauf warten wir denn? Dass unsere Arbeit immer effektiver wird, also Auswurf und Ernte immer perfekter, schließlich die missliche Proportion 25% zu 75% immer weiter zugunsten von Gewinn ausgemerzt werde?

 

Klar, wir allen kennen bitterböse Missernten. Doch ich will dem Saatgut neu vertrauen und werde es auch – es geht ja ganz unverschämt nicht von meinem – dorthin werfen, wo mach Menschenmaß sowieso nie etwas wachsen kann.

 

Ich muss nicht haushalten wie es ein Bauer handwerklich können muss, knausern muss ich schon gar nicht. Ich darf verschwenden. Mit vollen Händen auswerfen. Was hindert mich daran? ( Ich weiß was Hardliner-Atheismus im Osten Deutschlands Osten bedeutet, der strichweise so felsenfest verheerend ist und so wohlwollend mal kurz interessiert aufblüht, dass selbst die Sekten aufgeben. ) Wichtiger aber als die Frage nach den anderen ist die Frage nach uns selbst. Hier hat das Wort von der Verstockung seinen ersten Sinn. Was hindert mich selbst am Sehen und Verstehen, an der Freude über diesen guten Samen und der unbändigen Lust, mit vollen Händen zu streuen?

 

Kein Landwirt machte solch einen Unsinn wie wir alle, die sein Wort aussäen dürfen.

 

Herr, wir haben die ganze Nacht umsonst gefischt… aber auf dein Wort! Lukas 5 Herr, wir haben jahrelang geackert….

 

Was wir beim Aufzeichnen des Gleichnisses mit dem Zirkel von der einen zur anderen Seite zu uns hinüber nicht sehen würden: Der Sämann sind nicht zuerst wir. Es ist auch nicht unser Saatgut. Auf die Differenz kommt es an. Gesät und aufgegangen. Sie ist da! Sie darf sein! Sie schmerzt.

 

Noch mehr aber hat es einen geradezu subversiven Moment. Denn diese Differenz schmerzt nicht nur, sie macht geradezu Lust hinauszuwerfen, und zu sehen, was wird passieren. Und wir werden erleben, dass in der Tat die dümmsten Bauern manchmal die größten Kartoffeln haben. ( Mit Verlaub, das war auch ein Gleichnis. )

 

Lesung: Jesaja 55, 6-12



Pfarrer Jörg Coburger
Amtsberg
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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