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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 15.02.2015

Eins aber ist not!
Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Christoph Rehbein

Liebe Gemeinde,

letztes Jahr mochte ich sie nicht mehr gern in die Hand nehmen. Denn ihr Äußeres hatte sehr gelitten und sie war aus dem Leim gegangen. Ich spreche von meiner guten alten Lutherbibel, die ich mir vor knapp 30 Jahren im Vikariat gekauft habe. Ich habe sie mir dann neu einbinden lassen und seitdem liebe ich sie umso mehr. Sie ist mir das wertvollste Buch, nicht zuletzt auch wegen einer solch kräftigen Geschichte wie dem heutigen Predigttext. Meine 15jährige Tochter würde über den Evangelisten sagen: Der textet einen wenigstens nicht zu! Ich finde auch: Lukas erzählt so sparsam, dass genug Raum bleibt für eigene Ideen. Gedanken, die mein Leben in Berührung bringen mit dieser Geschichte. Sie baut in kurzen Schritten eine neugierig machende Spannung auf. Und sie gibt Dir am Ende einen Merksatz mit, der Dich weiter begleiten wird: EINS ABER IST NOT.

Doch beginnen wir noch einmal mit dem Anfang: Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf.

Das heißt: ER, Jesus bestimmt, wo SIE, also die Gruppe von Anhängern um ihn herum, langgehen. Es gibt in diesem Dorf, in IRGENDEINEM Dorf, wie es im Urtext steht, etwas Bestimmtes zu tun, etwas zu verändern oder deutlich zu machen.

Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.

Ihn und wahrscheinlich auch seine Begleitung. Marta, der Name bedeutet HERRIN. Noch heute werden ältere Männer im Hebräischen mit MAR angeredet, MARTA ist die weibliche Form: HAUSHERRIN. Eine starke Frau, wie wir noch sehen werden. Die öffnet die Tür ihres Hauses und gewährt Jesus Gastfreundschaft.

Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria, die setzte sich dem Herrn zu Füßen.

Ich stelle mir vor, das war die jüngere Schwester. Die im Haus nicht so viel zu melden hatte. Die Bedeutung ihres Namens hängt vielleicht mit der zweiten Möglichkeit zusammen, das Wort MAR ins Deutsche zu übersetzen: Als Adjektiv heißt es BITTER. Manche zweiten oder dritten Geschwister können ein bitteres Lied davon singen, was es mit sich bringt, nachgeordnet zu sein. Auch in Sachen Besitz nie die erste Geige spielen zu dürfen. Allein – jetzt tut Maria, um Gottes willen, genau das Richtige: Sie setzt sich dem zu Füßen, der noch mehr zu sagen hat als die große Schwester. Sie hört Jesus zu.

Wir hören auch weiter zu. Und ahnen schon, dass jetzt ein Konflikt heraufzieht, der die Geschichte in Bewegung bringt.

Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen.

Im griechischen Urtext stehen da zwei sehr interessante Worte. Zum einen perispaomai für „sich zu schaffen machen“. Wörtlich heißt das „die Augen nach allen Seiten richten“. Martas Aufmerksamkeit war überall gleichzeitig. Ich muss da sofort an einen nicht untypischen Geburtstagsbesuch bei einer 80jährigen Dame aus unserer Gemeinde denken. Ich kam so gegen elf am Vormittag. Ich kam aber nicht dazu, mehr als einen zusammenhängenden Satz mit dieser freundlichen Frau zu wechseln. Sie war voller Unruhe. Ob ich auch genug Kaffee in der Tasse habe und ob die Dame von der Sparkasse, die auch zu Besuch war, nicht doch noch ein halbes Brötchen wolle. Dann klingelt das Telefon schon wieder. Sie geht jedes Mal dran. Und der Ehemann? Der blickt stumm auf dem ganzen Tisch herum. Er könnte doch wenigstens am Ehrentag seiner Frau mal BEDIENEN, denke ich.

Und damit sind wir bei dem zweiten interessanten Wort: Im Urtext steht hier diakonia: Tätige Gastfreundschaft ist also ganz positiv die Keimzelle aller Diakonie, einer der wertvollsten und unumstrittensten Daseinsäußerungen unserer Kirche. Die aber bitte nicht nur von einzelnen Frauen geleistet werden muss.

Jesus wird einmal nach den größten Geboten gefragt. Wir kennen die Antwort. Das erste ist das der Gottesliebe. „Das zweite aber ist dem gleich: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“ Zum Beispiel indem Du Diakonie, indem Du Gastfreundschaft an ihm übst. Die tätige, manchmal auch anstrengende Nächstenliebe aber will erfrischt und gespeist werden aus einer Quelle. Und an der sitzt Maria. Dem Herrn zu Füßen hört sie seine Rede. Denn dort ist die Quelle des Lebens und in Seinem Lichte sehen wir das Licht.

Doch zurück auf den Boden der Tatsachen. Zurück zu jener starken Frau namens Marta. Meine Tochter würde sagen: Die ist absolut keine Null-Checkerin.

Sie weiß, wie sie Jesus anzureden hat: Herr,

so sagt sie,

fragst Du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!

Eine Frau, die ihre Augen überall hat, die bekommt natürlich auch sehr genau mit, was im Hintergrund der Küche geschieht. Da verbreitet jener HERR seine Lehre. Und die kleine Schwester sitzt nur da und hört zu. In Martas Augen ist sie faul: Gerade jetzt, wo Jesus zu Gast ist, muss doch für die Frauen im Haus erst einmal das Dienen wichtiger sein als das Zuhören!

Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr.

Hier stehen nun plötzlich doch ein paar Worte zu viel in der so knapp erzählten Geschichte, oder?

Der Herr antwortete

hätte doch eigentlich gereicht! Andererseits kommt so ein wenig Pause in die Spannung. Ich stelle mir vor, dass Jesus die Langsamkeit nicht erst entdecken muss, sondern aus einer tiefen Ruhe heraus antwortet. Und spricht: Marta, Marta, Du hast viel Sorge und Mühe.

Wörtlich steht da: Du bist in einem Viel-hin-und-her-Laufen.

Wir würden heute sagen: Du machst Dir viel Stress, der jetzt gerade nicht angesagt ist. Essen können wir später – jetzt gibt es Worte aus der Quelle zu trinken. Wirksame, auf- und ausrichtende Worte. Worte, von denen Petrus mal gesagt hat, es seien Worte ewigen Lebens (Joh. 6,68), die aus Jesu Mund zu hören sind.

Und da gibt es nun eines zu hören, das in der Lutherbibel dick gedruckt ist: Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.

Eins nur ist nötig – und das in einem doppelten Sinn. Eines der ersten Worte Jesu im Lukas-Evangelium finden wir in Kapitel 4, Vers 18 – Jesu Predigt in Nazareth: Der Geist des Herrn...hat mich gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen. Er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen.

Liebe Gemeinde, Jesus wird deswegen nicht nur Bruder, sondern auch Herr genannt, weil er zeit seines kurzen Lebens souverän auf dieser Linie bleibt. Er macht seinem Namen alle Ehre. Marta will, dass er ihrer Schwester sagt, sie solle ihm helfen. Er will – das bedeutet sein Name – sein Volk retten aus seinen Sünden(Mt. 1,21) und befreien, auch aus allen zwanghaften Verhaltensregeln! Er will das eine zeigen, das nottut. Er will es beiden zeigen, der „Marta, Marta“ und der Maria. Vielleicht ist es letzterer gerade zum ersten Mal passiert, dass sie aus der zweiten Geschwisterreihe hervorkommt. Sie hat ihre Augen nicht überall. Sie konzentriert ihren Blick auf das gute Teil, das jetzt zu erwählen ist. Und ihr widerfährt Überraschendes. Jesus lobt sie vor den Ohren der großen Schwester!

In einem Andachtsbuch (Schorlemmer, Das soll Dir bleiben) fand ich vor ein paar Tagen folgende Gedanken zum Thema „Loben“:

Nun kann man gewiss nicht alles loben, was ein Mensch tut. Vieles muss auch getadelt werden. Doch der Mensch will und soll nicht nur für das gelobt werden, was er tut. Er will und soll auch dafür gelobt werden, dass er da ist. Loben ist die höchste Form der Anerkennung. Ein jeder Mensch hat ein Recht darauf, auch unabhängig von allen seinen Taten einfach um seiner selbst willen eine anerkannte Person zu sein. Denn dazu hat Christus uns angenommen, dass wir nicht wegen unserer mehr oder weniger lobenswerten Taten, sondern trotz unserer ganz und gar tadelnswerten Taten vor Gott ein für allemal anerkannte Personen sind. Das ist unsere Menschenwürde. Und deshalb verdient ein jeder von uns einfach dafür, dass er da ist, zumindest ein wenig gelobt zu werden. (E. Jüngel)

 

Liebe Gemeinde, es wird nicht erzählt, wie der Tag zu Ende ging in jenem Haus der Marta. Ob die Herrin sich von Jesu Wort überzeugen ließ, sich ebenfalls zu seinen Füßen zu setzen und seiner Rede zuzuhören? Ich bin skeptisch, dass das Ende happy war.

Aber auch das macht eine gute Geschichte aus: Uns Hörende bringt sie bis heute zum Nachdenken.

Die evangelische Kirche verliert in unserem Land noch schneller Mitglieder als die katholische. Die ist dank des neuen Papstes wieder im Aufwind. Wir haben etwas von Marta und laufen aufgeregt hin und her. Haben die Augen überall auf Konzepten und neuen Ideen, wie dem Machtverlust zu wehren sei.

Neulich hatte ich im Auto ein längeres Gespräch mit einer Kollegin. Es ging um die Frage, wie gut wir Hauptamtlichen eigentlich die Bibel kennen. Wie viel Zeit wir, die wir in der Gemeinde immer für die großen Gelehrten gehalten werden, uns eigentlich bei all unserem Machen und Tun noch nehmen, die Heilige Schrift zu lesen. Ich gestehe ein, dass es an den meisten Tagen gerade mal zu den Losungen reicht. Der Kollegin geht es nicht anders.

Wir kommen dann noch auf das Thema, ob es nicht auch in Niedersachsen ganz bald nur noch eine evangelische Kirche geben wird. Von meiner Kollegin erwarte ich eigentlich die Meinung, dass sie uns Reformierte gern schlucken will. Sie ist nämlich – wie man in Ostfriesland sagen würde – lutheerisch. Solo verbo, sagt sie, „allein oder sagen wir: in erster Linie durch das Wort bekommt die Kirche wieder Leben, ganz klar. Und das ist eindeutig bei Euch Reformierten am besten aufgehoben! Ihr macht wenig Brimborium. Ihr habt diese Konzentration auf das Wort in Euren Kirchräumen, in Euren Liturgien und manchmal sogar in Euren Predigten. Das ist im guten Sinne schriftgemäß, das ist Euer Job, macht weiter!“

Fehlte nur, dass wir noch über diesen Predigttext gesprochen hätten und sie uns mit ihrem Lob die Rolle der kleinen Schwester Maria zugewiesen hätte...

Eins aber ist not, liebe Gemeinde!

Ich möchte schließen mit der ersten Strophe des Liedes 593 (eg Rheinland/Westfalen/Lippe/ ERK), gedichtet von Dieter Trautwein aus Frankfurt (also vermutlich evangelisch-uniert):

Wort, das lebt und spricht,

wenn die Wörter schweigen,

Wort, das wächst und blüht,

wenn die Sprüche welken: Komm durchs Buch der Bücher,

das in allen Sprachen

Hoffnung in die Welt bringt.



Pastor Christoph Rehbein
Hannover
E-Mail: christoph.rehbein@reformiert.de

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