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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Aschermittwoch, 18.02.2015

Vom Verschwindenlassen
Predigt zu Matthäus 6:16-21, verfasst von Güntzel Schmidt

Liebe Schwestern und Brüder,

 

mit dem heutigen Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Der richtige Moment, um uns von Jesus noch schnell ein paar Fastentipps geben lassen. Aber bevor die ersten enttäuscht weghören, weil eine Fastenpredigt das letzte ist, was sie sich wünschen oder erwartet haben, will ich gleich zu Anfang verraten, dass es im Predigttext - und daher auch in der Predigt - um mehr geht als ums Fasten. Wie es auch beim Glauben generell um mehr geht als um die Äußerlichkeiten, die uns oft mehr beschäftigen als die Inhalte: das, was wir glauben. Also: auch die, denen der Gedanke ans "Fasten" fremd ist oder sogar Ablehnung oder schlechte Erinnerungen wachruft, bitte ich um Aufmerksamkeit für die Worte Jesu:

 

Jesus spricht:

Wenn ihr fastet, werdet nicht so wie die verdrießlichen Scheinheiligen, die ihr Gesicht [unter einer Schicht Dreck] verschwinden lassen, damit die Leute sehen, dass sie fasten. Wirklich, ich sage euch, sie haben damit den Lohn [für ihr Fasten] schon erhalten. Wenn du aber fastet, parfümiere dein Haar und wasche dein Gesicht, damit nicht die Leute sehen, dass du fastest, sondern dein Vater, der verborgen ist. Dann wird dein Vater, der in das Verborgene sieht, es dir vergelten.

Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Holzwurm sie verschwinden lassen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Holzwurm sie verschwinden lassen und wo Diebe nicht einbrechen und auch nicht stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.

 

(Eigene Übersetzung. Zu den exegetischen Entscheidungen vgl. die Anmerkungen zur Stelle auf http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Matthäus_6)

 

Der Predigttext setzt mit der Frage nach dem "richtigen" Fasten ein. Offenbar kann man da einiges falsch machen. Tatsächlich bedeutet Fasten nicht, dass man einfach zu essen aufhört. Wer fastet, bereitet sich gut darauf vor; auch beim Fasten selbst muss man Regeln beachten, damit man seinem Körper nicht damit schadet. Wenn man fastet, verzichtet man ja nicht nur auf Nahrung - um des Glaubens willen, wie im Predigttext, oder um ordentlich Pfunde zu verlieren und eine schlankere Figur zu bekommen, was wohl heute eher der Beweggrund sein dürfte. Das Fasten entschlackt und entgiftet auch den Körper. Dadurch, dass der Körper vom Eingemachten lebt, wird unnützer Ballast abgebaut und allerhand Dreck ausgeschieden, der sich im Laufe der Zeit in einem Menschen angesammelt hat. So kommt es, dass Fastende ziemlich unangenehm riechen. Deshalb spielt Körperpflege beim Fasten eine wichtige Rolle. Zur Zeit Jesu aber legten es die frommen Leute geradezu darauf an, dass man schon von weitem riechen und sehen konnte, dass sie fasteten. Ihnen war es nicht peinlich, dass sie den Nasen und Augen ihrer Mitmenschen einiges zumuteten - im Gegenteil: sie waren sich sicher, von den anderen für ihren Glaubenseifer bewundert zu werden. Sie wuschen sich nicht, sie benutzten keine Seife und kein Parfum, sodass bald, wie Jesus etwas überspitzt formuliert, ihr Gesicht unter einer Schicht Dreck verschwand.

 

Das Gesicht verschwinden lassen, um so erst recht gesehen und wahrgenommen zu werden, das klingt widersprüchlich, und das ist es auch. Normalerweise zeigt man sein Gesicht. Man lächelt zurück, wenn man angelächelt wird, oder lächelt in die Kamera. Aber hier wird das Gesicht, das anderen durch ein Lächeln eine Freude macht, verdüstert und versteckt, um die Freude für sich zu behalten. Das ist wie mit den Schätzen im zweiten Beispiel, das Jesus anführt: auch die werden in Kisten und Truhen versteckt, um sie ganz allein für sich zu behalten. Das, sagt Jesus, ist denn auch der Lohn - der Genuss, den man davon hat: Man hat sein Lächeln, seine Reichtümer ganz für sich allein. Und man genießt die Bewunderung und den Neid der anderen, die nicht fasten oder die nicht so reich sind.

 

Allerdings ist dieser Lohn nicht von Dauer, er verschwindet. Motten zerfressen die wertvollen Kleider, Holzwürmer zernagen die hölzernen Truhen mit den Schätzen. Diebe tragen weg, was nicht niet- und nagelfest ist.

Heute müssen wir uns kaum noch Sorgen wegen Motten oder Holzwürmern machen: die Werte, die wir besitzen, sind in der Regel vor ihnen sicher. Und auch Diebe haben es nicht mehr so leicht, bei uns einzubrechen, zumal wir die wahren Werte gar nicht zuhause lagern, sondern auf der Bank. Da sind sie vor Dieben ebenso sicher wie in Abrahams Schoß. Glaubten wir. Aber nun erfahren wir, dass unser Geld auf der Bank immer weniger wird, weil es für die Spareinlagen keine Zinsen mehr gibt. Zwar ist das Geld nicht gleich weg, aber statt dass der Haufen Jahr um Jahr wächst, wird er Stück für Stück kleiner.

 

Jesus schlägt einen anderen Umgang mit unseren Schätzen vor - dem Schatz unseres Lächelns ebenso wie mit unserem materiellen Besitz. Statt sie für uns allein zu behalten und vor den Augen der anderen verschwinden zu lassen, sollen wir sie zeigen, indem wir sie benutzen. Immerhin zeigen die Fastenden, die Jesus kritisiert, auch etwas: sie zeigen sich mit ihrem Fasten. Man kann das heute noch beobachten: In manchen kirchlichen Kreisen gibt es Zeichen, an denen sich die wahren Insider erkennen. Zum Beispiel am Fastenkalender, der sichtbar auf dem Tisch liegt. Am Losungsbüchlein, das man bei sich hat. An Tüchern oder Anhängern, die man gemeinsam auf einer Freizeit anfertigte und die einen als Angehörigen des harten Kerns der Gemeinde ausweisen.

Mit dem Fastenkalender, dem Losungsbuch, dem Tuch oder Anhänger ist es so, wie Jesus das Fasten beschreibt: Da gibt es die, die es tun, weil sie es für Gott tun wollen, und die sich deshalb äußerlich nichts anmerken lassen. Und dann gibt es die, die es tun, damit die anderen es sehen und sie bewundern und beneiden.

So streng, wie Jesus zwischen den beiden Typen der Fastenden, kann man oft die Trennungslinie gar nicht ziehen. Oft gibt es das eine nicht ohne das andere, das Tun nicht, ohne dass man dabei auch gesehen werden möchte. Meist ist uns gar nicht bewusst, dass wir von anderen gesehen werden wollen. Es ist für uns so selbstverständlich, dass man zeigt, was man kann und was man getan hat. Wir denken gewöhnlich: Wenn ich mir schon so viel Mühe gebe, können das die anderen ruhig mitbekommen.

 

“Tue Gutes und rede darüber!” Dieser Ratschlag hat das alte “Eigenlob stinkt” abgelöst - das ziemlich direkt vom heutigen Predigttext abgeleitet sein könnte, wenn wir uns daran erinnern, wie nötig die Körperpflege beim Fasten ist. Die Leute dürfen ruhig sehen und wissen, was ich geleistet habe. Mir tut es gut, wenn meine Leistung gewürdigt und bewundert wird. --- “Gut”, sagt Jesus, “das kannst du machen. Aber dann wird das Ergebnis deines Tuns schnell verschwinden. Denn du bleibst abhängig von der Anerkennung durch die anderen. Du wirst immer und immer wieder etwas leisten und dich zeigen müssen, damit die Leute dich auch weiterhin bewundern und respektieren. Bei Gott dagegen hast du das nicht nötig. Gott freut sich zwar auch über das, was du leistest. Gott freut sich, wenn du für ihn fastest. Aber du musst das nicht tun, um Gott etwas wert zu sein. Gott respektiert dich so, wie du bist, und erkennt das an, was du bist. Du musst dich also entscheiden, auf wessen Anerkennung du dich verlassen willst: auf die Gottes, oder auf die deiner Mitmenschen.”

 

Ähnlich verhält es sich mit den irdischen Schätzen. Natürlich ist es klug, sich etwas auf die hohe Kante zu legen, für das Alter oder für eventuelle Notlagen vorzusorgen. Schlimm, wer im Alter auf Sozialhilfe angewiesen ist. Aber alle Versicherungen, Anlagepakete und Sparstrümpfe können uns nicht vor dem bewahren, was das Alter vor allem so erschreckend macht: Krankheit, Einsamkeit, Hilflosigkeit. Mit Jesus wäre zu fragen, ob wir mit unserer Altersvorsorge wirklich die richtige Anlageform gewählt haben:

Ob es nicht besser wäre, statt auf Geld auf soziale Kontakte zu setzen: auf einen Freundeskreis, auf den wir uns verlassen können und mit dem wir auch im Alter noch Zeit verbringen möchten.

Ob es nicht besser wäre, statt in Fonds in Infrastruktur zu investieren: dafür zu sorgen, dass die Kirche im Dorf bleibt, und auch der Bäcker und der Fleischer, damit man dann, wenn man nicht mehr so weit laufen oder fahren kann, immer noch alles vorfindet, was man zum Leben braucht.

Ob es nicht besser wäre, statt auf hohe Rendite auf Menschlichkeit zu achten in den Krankenhäusern und Altersheimen, in denen auch wir eines Tages liegen werden, damit sie keine Orte sind, vor denen man sich fürchtet, sondern Orte, in denen Menschen menschenwürdig leben können und versorgt werden.

Ob es schließlich nicht besser wäre, statt auf die Macht des Geldes auf die Macht Gottes zu vertrauen, die sehr viel weniger greifbar, die so schrecklich unberechenbar ist - die aber niemals unmenschlich, sondern an unserer Seite ist: an der Seite derer, die schwach sind, hilflos, ängstlich, krank, verfolgt.

 

Wer bei dem, was er tut, nur an sich und seine Wirkung auf die anderen denkt, dessen Gesicht verschwindet für seine Mitmenschen. Der sieht nicht andere an, um ihnen zu begegnen, der sieht nur noch auf seinen eigenen Bauchnabel und wird dadurch zum homo incurvatus in seipsum, zum in sich selbst verkrümmten Mensch, wie Martin Luther ihn nannte. Ebenso geht es dem, der sein Geld und seinen Besitz allein für sich arbeiten lässt, um ihn zu horten, ohne sich zu fragen, wie er damit Gutes bewirken kann.

Wem es gelingt, für das, was er ist und was er wert ist, allein auf Gott zu vertrauen, der nimmt sich selbst nicht so wichtig, weil er weiß: Gott sorgt dafür, dass ich jemand bin, und dass ich etwas wert bin.

Gott sorgt auch dafür, dass ich auch im Alter noch genug habe - vor allem genug von dem, was man wirklich zum Leben braucht. Dadurch löst man sich aus seiner Selbstverkrümmung, aus dem Kreisen um sich selbst, und wendet sich seinen Mitmenschen zu. Schenkt ihnen ein Lächeln, ein Strahlen seines gewaschenen Gesichtes, einen wohltuenden Hauch seiner duftenden Haare. Schenkt ihnen wohl auch etwas von dem, was man besitzt, um es mit ihnen zu teilen.

 

Man darf aber nicht denken, es ging Jesus um Äußerlichkeiten, wenn er die Fastenden und die Wohlhabenden so kritisiert. Er will nicht durch die Blume sagen, dass wir uns öfter mal waschen, mehr spenden, unsere Bank oder unseren Anlageberater wechseln sollten. Jesus geht es um uns, um unser Heilsein, unser Glück.

Jesus weiß, dass es uns nicht gut tut, wenn wir uns von der Anerkennung und dem Lob anderer abhängig machen. Er bietet uns an, auf Gottes Anerkennung zu vertrauen, die wir umsonst haben können, ohne uns beweisen, ohne etwas dafür tun zu müssen.

Jesus weiß auch, dass das Geld uns nicht vor dem Leben schützen kann. Die Sicherheit, die es uns verspricht, kann es uns nicht geben. Im Zweifel wird es sich gegen uns wenden.

Unser wahrer Schatz ist im Himmel. Wir vermehren ihn, wenn wir uns selbstlos anderen Menschen zuwenden, wenn wir ohne Hintergedanken anderen helfen, wenn wir den manchmal so schweren Schritt über die Schwelle des Nachbarn tun. Dabei bilden wir ein Guthaben an Liebe und Mitmenschlichkeit, das für ein ganzes Leben vorhält und uns auch im Alter noch die dunklen Stunden hell macht.

Vor allem aber haben wir dabei die Chance, im Mitmenschen dem zu begegnen, der uns über alles liebt und der sein Leben für uns gab, damit wir das Leben in Fülle haben. Diesen wahren Schatz gilt es zu entdecken - jeden Tag neu.

Amen.



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meinigen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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