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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Aschermittwoch, 18.02.2015

Vom Fasten und vom Schätze sammeln
Predigt zu Matthäus 6:16-21, verfasst von Thomas Bautz

Wenn ihr aber fastet, werdet nicht wie die griesgrämigen Heuchler; denn sie geben sich ein trübseliges Aussehen, um sich den Leuten mit ihrem Fasten zur Schau zu stellen. (Denn sie machen verhärmte Gesichter, um vor den Menschen als Fastende zu erscheinen.) - (GN:)

Wenn ihr fastet, dann setzt keine Leidensmiene auf wie die Scheinheiligen. Sie machen ein saures Gesicht, damit alle Welt merkt, dass sie fasten.

Wahrlich ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn oder Verdienst (metaphorisch gemeint).

Du aber, wenn du fastest, salbe dir das Haupt und wasche dir das Gesicht, um dich nicht mit deinem Fasten den Leuten zu zeigen, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist; dein Vater aber, der auch ins Verborgene hineinsieht, wird es dir alsdann vergelten (im Sinne von danken, hoch anrechnen, „vergüten“).

Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motten und Rost sie vernichten und wo Diebe einbrechen und stehlen! Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie vernichten und wo keine Diebe einbrechen und stehlen!

Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.

 

Liebe Gemeinde!

Dreimal geht es im mittleren Kapitel der Bergpredigt um frommes Verhalten, das Rabbi Jesus jeweils kritisiert: Almosen, Beten, Fasten. Dreimal kontrastiert er äußere religiöse Übung, die nach Ansehen heischt, mit innerer Haltung des Herzens, die sich im Verborgenen verortet.

Frömmigkeit aus Pflichtgefühl, gepaart mit dem Buhlen um Anerkennung, wird tatsächlich mit einer gewissen Akzeptanz in religiösen oder kirchlichen Kreisen belohnt. Dem steht eine Religiosität gegenüber, die nur durch das Hören auf die Sprache des Herzens motiviert ist und die sogleich danach handelt und dabei nicht nach „Lohn“ oder „Belohnung“ fragt. Hören und Tun bilden, mit Dietrich Bonhoeffer (Ethik) gesprochen, eine Einheit; der Fromme handelt, ohne etwas dafür zu erwarten - ganz schlicht, frei nach dem Motto: „Vergelt‘s Gott!“

Man soll Fromm- oder Gläubig sein nicht nach außen unter Beweis oder zur Schau stellen. Religiosität lässt sich nicht beobachten, messen oder beurteilen, und deshalb muss auch kein Almosen, kein Beten, kein Fasten demonstriert werden. Niemand sollte es nötig haben, als großzügiger Spender, als demütiger oder inbrünstiger Beter, als strikt enthaltsamer Asket zu erscheinen. Denn wie sollte man vor dem „Gott“ in Erscheinung treten wollen, der ohnehin ins Verborgene sieht (cf. Hans Weder: Die „Rede der Reden“, 169)!

Frömmigkeit und Gerechtigkeit vor „Gott“, „Innerlichkeit der Gottesbeziehung“ (Weder, 169) werden von Jesus thematisiert. Die Verortung, die Beheimatung des Gottesverhältnisses eines Menschen geschieht im Verborgenen. Aus dieser Quelle speist sich die Motivation des Tuns. Deshalb kommt es auch gar nicht darauf an, ob sich das Handeln im Vertrauen auf den „Vater im Himmel“ als eine „fromme“, religiöse oder als eine „weltliche“, alltägliche Tat erweisen lässt. Wer hier meint, urteilen zu müssen, unterliegt einem Trugschluss; denn nichts ist, wie es scheint. Jede Zuordnung ist absurd. Was zählt, ist die Frucht; gute, gesunde Früchte stammen von einem guten, gesunden Baum.

Einer äußeren Demonstration des Fastens „mit Leidensmiene“ oder griesgrämigen Gesicht kann man vielleicht am besten entgehen, wenn „Fasten“ vorwiegend nicht als Enthaltsamkeit von Speisen oder Genussmitteln verstanden, wenn also nicht unbedingt eine leibliche Askese betrieben wird.

Vielmehr soll auf eine innere Einstellung, ein Handeln, ein Lebenswandel verzichtet oder zumindest eingeschränkt werden, wenn es nicht hilfreich oder rühmlich oder sogar schädlich ist. Das kann unser Sozialverhalten betreffen, mag sich aber auch gegen uns selbst richten.

Seit 1983 lädt die EKD zur Fastenaktion „Sieben Wochen Ohne“ ein, an der inzwischen knapp drei Mio. Menschen teilnehmen. Beispiele der letzten Jahre verdeutlichen den Sinn:

„Verschwendung! Sieben Wochen ohne Geiz“ (2008); „Sich entscheiden! Sieben Wochen ohne Zaudern“ (2009); „Näher! Sieben Wochen ohne Scheu“ (2010); „Ich war’s! Sieben Wochen ohne Ausreden“ (2011); „Gut genug! Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“ (2012); „Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten“ (2014).

Fastenaktionen sind natürlich als Anreiz, Anleitung, Hilfe gedacht, nicht etwa ihrerseits als moderne Anstiftungen, tugendhaftes oder frommes Verhalten zur Schau zu stellen oder in Gruppen miteinander zu wetteifern. Wir wissen auch, dass vorbildliches Verhalten, soziale Gesinnung oder stabiler Lebenswandel ebenso ohne „Sieben Wochen ohne“ erfahrbar ist.

2015 (18. Febr.-5. April) steht die Aktion unter dem Motto „Du bist schön! Sieben Wochen ohne Runtermachen“. Warum nicht einmal mit ganzem Herzen zum Menschen an unserer Seite oder auch zu uns selbst sagen: „Du bist schön!“?! Warum nicht einmal Komplimente, Lob, Danksagen und aufs Rumnörgeln, Kritisieren, Meckern und Besserwissen verzichten: „Ohne gegenseitiges Runter­machen“, ohne negative Selbstkritik, ohne Selbstkasteiung den Alltag gestalten. „Sieben Wochen Ohne“ ist „nicht ganz Ohne“!

Wo das gelingt, sind Menschen - zumindest vorübergehend - wie verwandelt. Wenn ich z.B. eine Putzfrau (weibliche Reinigungskraft) dafür lobe, dass alles so sauber ist und nach Frische duftet und ihr obendrein noch ein Trinkgeld gebe, schenke ich ihr etwas Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Ich kann mich etwa bei einer Kassiererin für ihre Freundlichkeit und bei einer Verkäuferin für kompetente, fachkundige Beratung bedanken.

Indem ich scheinbar Selbstverständliches nicht selbstverständlich nehme und es obendrein noch positiv anspreche, gebe ich Mitmenschen, die mir bei alltäglichen Anlässen begegnen, das Gefühl, auch bei einer Dienstleistung, bei der Arbeit, ein Mensch und als solcher etwas wert zu sein. Im normalen Berufsleben geht es in keiner Weise um die Persönlichkeit oder um das Menschsein; was zählt, ist die Funktion. Menschen haben zu funktionieren. Das zeigt sich auch an ihrem angepassten, stereotyp und mechanisch wirkenden Verhalten. Viele Leute stumpfen dabei ab. Manche leben fast nur noch für den Beruf und ihren häufig zwingend damit verbundenen materiell hohen Lebensstandard.

An Arbeitsplätzen, in Firmen und in allzu vielen Berufsfeldern wird der arbeitende Mensch nahezu als solcher ausgeblendet, selbst wenn er sich engagiert und sogar Überstunden in Kauf nimmt. Der Einzelne ist austauschbar, weil die Funktion, die er oder sie ausübt, ebenso von anderen wahrgenommen werden kann. Sehen sich dann die Betroffenen auch selbst nur noch als „Rädchen im Getriebe“, führt dies leicht zu einer Haltung der Gleichgültigkeit, und die berufliche Tätigkeit entartet zur Belanglosigkeit, verliert jeden Wert. Der Beruf wird zum Job, zum reinen Broterwerb.

Die diesjährige Fastenaktion hat sich mit dem ersten Teil ihres Mottos: „Du bist schön!“ ein anspruchsvolles Ziel gesetzt. Nun hat die Bezeichnung „schön“ für eine Person oder für etwas nicht nur eine ästhetische Komponente. Wir meinen damit auch „harmonisch“, „gelungen“, „gut“. Ist etwas für uns zufriedenstellend, aber noch nicht abgerundet, z.B. eine Aussprache, ein Gespräch oder eine Verhandlung, stellen wir vorläufig fest: „Gut und schön!“ (Aber …)

Das Altgriechische verwendet ein- und dasselbe Wort für verschiedene Bezeichnungen, die alle einem Wortfeld zugehören: „kalos“ hat die Grundbedeutung „schön“, meint aber auch „lieblich“, „anmutig“; „edel“, „ehrenhaft“, „rühmlich“, „geziemend“; „geeignet“, „gut“, „vorteilhaft“, „tüchtig“; „erwünscht“, „günstig“; „glücklich“, um nur einige zu nennen.

Wenn wir diese Aspekte des „Schönseins“ gelegentlich bei Begegnungen einfließen lassen und auf uns selbst anwenden, wird unser aller oft genug „saures“ Dasein einen schöneren Geschmack erhalten. Graue, ernst blickende Gesichter erstrahlen durch inneren Frohsinn der Herzen. Es kommt auch sehr darauf an, wie wir uns und unsere Mitmenschen sehen wollen.

„Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet“ (Chris­tian Morgenstern). Diesen Blick können wir lernen und das Herz öffnen für die Schönheiten jenseits der Norm. Man kann im Unscheinbaren mit einem liebevollen Blick unerwartet Edles, Anmutiges entdecken. Es mag uns sogar gelingen, einen verzagten Menschen wieder zu ermutigen, indem wir ihn an seine Gaben erinnern oder ihm dafür danken, wie tüchtig er sich ins Zeug legt. Wer Kinder hat, durfte erkennen, dass ein Kind leichter lernt, wenn es für das gelobt wird, was ihm bereits gelingt, statt dafür getadelt zu werden, was noch brach liegt.

Solche Fastenaktionen bewegen sich im Rahmen dessen, was bei Tritojesaja (58,3-11) als wahres, wahrhaftiges Fasten verstanden und mit prophetischer Vehemenz vertreten wird. Unmissverständlich wird gefordert, sich für Notleidende, Benachteiligte, Elende einzusetzen und selbst Unrecht, Benachteiligung der „Schwachen“, Begünstigung der „Starken“ und üble Nachrede zu unterlassen. Gottesverhältnis wie auch Gottesdienst werden am Sozialverhalten, an sozialer Gerechtigkeit gemessen.

Wenn „Fasten“ also nicht nur eine Frage der inneren religiösen Haltung ist, sondern allemal auch eine soziale Seite hat, wundert es nicht, dass Rabbi Jesus in der Bergpredigt nun auch die sensibelste Saite in der Gesellschaft anschlägt: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde“, die letztlich keinerlei Bestand haben. Sie sind allemal vergänglich! „Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel“; dort bleiben sie bestehen und besitzen ewige Werte. - Denn: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“

Ein Kommentator meint, Jesus appelliere an den gesunden Menschenverstand: „Schätze sammeln lohnt nicht.“ - Die Realität zeugt eher von weit verbreiteter Dummheit, denn auch bei uns glaubt man an Steigerung von Wachstum und Wohlstand, hält dies für wirtschaftlich machbar und lebt dementsprechend. Längst warnen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler vor der Ideologie eines unbegrenzten Wachstums.

Jesus spielt auf weit mehr an als auf materiellen Verzicht und Loslassen von Besitz, Gütern und Sicherheiten. Es spielt vermutlich keine große Rolle, wie viel oder wie wenig jemand hat. Es ist illusorisch, einflussreiche Banker von der Wallstreet zu Bettelmönchen bekehren oder einen braven Mitteleuropäer zu einem bescheideneren Lebensstandard bewegen zu wollen.

Es kommt aber sehr darauf an, wovon ich mich bestimmen lasse: Bin ich wirklich frei im Handeln, in meinem Lebensstil, oder bin ich längst Sklave eines im Grunde alles diktierenden Systems? Beherrschen mich unterschwellig Sprüche wie „Ohne Moos nix los!“; „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt!“? Oder lebe ich inzwischen nach dem Prinzip „Geld stinkt nicht!“? (Das Wort geht auf einen römischen Kaiser zurück, der gar eine Urinsteuer erheben wollte.) Verstehe ich den Nazarener in der Bergpredigt richtig, würde er heftig widersprechen:

Geld, Mammon, stinkt gewaltig; sein die Sinne vernebelnder Gestank verbreitet sich über den Globus und verpestet bereits den „Himmel“! Edward Luttwak (geb. 1942) prägte das Wort „Turbokapitalismus“. Es bezeichnet den völlig „deregulierten“, „entfesselten Markt, ohne alle schützenden Barrieren. Reichtum schafft der Turbokapitalismus, weil für ihn nur eins zählt: Effizienz!“ (Interview mit Luttwak in „Die Zeit“, 1999, H. 50, S. 25) Unverfroren, dreist, eitel, aggressiv, lockend, verführerisch, omnipotent gebärdet sich der Turbokapitalismus und hat längst die Völker und Staaten weltweit infiltriert.

„Die Liebe zum Geld ist die Wurzel allen Übels“; sie verführt zu Götzendienst, weckt Geiz und Habgier, verleitet zu Luxusbefriedigung und Warenfetischismus, führt zur Ausbeutung. Die „diabolischen Züge des Geldes“ erkennt Niklas Luhmann (1927-1998) darin, dass Geld andere Symbole und Wertsysteme „ersetzt und eintrocknen läßt.“ Die Diabolik des Mammons wirkt sich in permanenten Substituierungsprozessen aus:

Geld fungiere als technischer Ersatz für Gott, wobei Gott für den einheitlichen Inhalt stünde, worin die Verschiedenheit und Vielfalt menschlicher Motive gründete. Geld als Konkurrent gegenüber Religion äußere sich nicht in dramatischer, kämpferischer Weise, sondern in seiner leisen, rationalen Weise als Ersatz, der in seiner Vermittlerrolle effizienter, sparsamer auftritt. Das Geld als Medium beinhaltet funktionale Abstraktheit, verbunden mit dem „Merkmal der Generalisierung“ und Einebnung, Vereinheitlichung der Verschiedenheiten.

Das Glaubensbekenntnis der „Religion des Geldes“ prangt augen-schein-lich auf jeder US-Amerikanischen Eindollarnote „in geradezu emblematisch-esoterischer Dichte“: Pyramide, Strahlenkranz, „Gottesauge“: In God We Trust. Es zeigt sich „Monotheismus“ in brutaler, perfider, kompromissloser Form; das Geld duldet keine anderen Götter neben sich. Und gäbe es welche, würden sie ins Monetäre transformiert, geschwächt und ihres Sinnes beraubt.

„Fortschritt“ um jeden Preis, schier grenzenloses wirtschaftliches Wachstum ohne eklatante Folgen, ist nicht nur pure Illusion, sondern wird - bei weiterem Fortschreiten - die Schere zwischen Arm und Reich extrem vergrößern, sowie große Flächen der Erde in Steppen und Wüsten verwandeln und Küstengebiete ins Meer versinken lassen. Es gibt zwar Gegenkräfte: Kapazitäten und Kompetenzen, die in interdisziplinärer Forschungsarbeit Methoden und Pro-gramme entwickeln, die realistische und hilfreiche Alternativen bieten. Die Frage ist nur, ob sich diese gegenüber dem Mainstream rechtzeitig werden behaupten können.

Denn das „Auge des Geldes“ überwacht, kontrolliert - à la Big Brother Is Watching You - auch diese Gegenentwürfe globaler Weltsicht. Um sich von diesem omnipräsenten Auge nicht blenden zu lassen, darf man nur sein Spiegelbild auf einem Schutzschild anschauen, etwa wie Perseus, der auf diese Weise dem schrecklichen Anblick der Medusa ausweicht, damit der drohenden Versteinerung entgeht und sie schließlich heldenhaft enthauptet.

Der Barockdichter Friedrich von Logau hat zum Thema Reichtum ein bissiges Sinngedicht verfasst („Reich und Grob“): „Wo der Geldsack eingekehret, ist die Kunst verreist. / Selten daß bey vielem Reichthum Wissenschaft sich weis't. / Kann nun gleich ein goldnes Tuch einen Esel decken, / Sieht man ihn doch immerdar noch die Ohren recken.“

Der Turbo-Kapitalismus beherrscht nicht nur alle Bereiche der Wirtschaft, sondern nahezu jeden Aspekt des Lebens. Es ist nicht mehr länger hinzunehmen, zumal längst auch scheinbar „neutrale“ Bereiche wie Kunst, Religion und Sport in den Sog des Mammonismus geraten sind. Gegenwehr erfordert Einsicht über den Ist-Zustand, Selbstkritik, gesellschafts- und systemkritisches Bewusstsein, Entwicklung einer „Naturethik“, einer Ethik für die Zukunft. Dies bedeutet Übernahme von Verantwortung und Willen zur Veränderung.

Erfreulicherweise ist ein solches Bewusstsein in vielen Bereichen der Kultur gewachsen. Dennoch ist die Abhängigkeit von wirtschaftlichem, monetärem Denken und Handeln noch immens. Wenigstens relative Autonomie in kulturellen Teilbereichen zu erlangen, wird auch durch den Umstand erschwert, dass Politik längst zum Handlanger wirtschaftlicher Interessen bzw. ein Teil des turbokapitalistischen Systems geworden ist.

Der berühmte Nationalökonom Adam Smith (1723-1790) erkennt im Alter die Nichtigkeit des Strebens nach Macht und Reichtum, „keine wirkliche Befriedigung“ zeitigend. Reichtum und Macht sind „bloßer Tand“, „ihr Nutzen lächerlich gering“. Er gewinnt diese Erkenntnis, als er „durch Verdrossenheit oder Krankheit dahin gebracht“ wird, seine eigene Lage aufmerksam „zu beobachten und zu überlegen, was es ist, das ihm tatsächlich zur Glückseligkeit fehlt.“

Diese Worte entstammen dem ersten Hauptwerk von Adam Smith: „Theorie der ethischen Gefühle“ (The Theory of Moral Sentiments, 1759/ 2004). Er publiziert 1776 sein zweites Hauptwerk: „Der Wohlstand der Nationen“ (2009) (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations), das sich vom ersten nicht nur durch andere Fragestellungen und Schwerpunkte unterscheidet. Vor allem fehlen im „Wohlstand der Nationen“ klare Hinweise auf die in der „Theorie der ethischen Gefühle“ enthaltenen moralischen Grundlagen.

Inzwischen haben Industrienationen einen immensen Wohlstand erreicht. Doch anstatt sich damit zufrieden zu geben und den Lebensstandard dankbar zu halten, wenn man schon nicht gewillt ist, den Gürtel enger zu schnallen, werden verantwortungslos Ressourcen weiterhin ausgebeutet. Immer noch geht es einzig und allein um Gewinnmaximierung: „big money“! Man verschafft sich Einfluss und Macht in Ländern, wo man leicht billige Arbeitskräfte bekommt. Mit einer hochentwickelten Technologie rückt man dann der Natur zu Leibe und entreißt ihr die wertvollen Ressourcen. Deren Erhaltung wären zwar auf Dauer auch für den Menschen sehr wichtig, aber Gier und Dummheit blenden genau dieses Faktum einfach aus.

Rabbi Jesus polemisiert sicher nicht gegen das Besitzdenken, weil er den Menschen nichts gönnt. Er unterbreitet vielmehr ein Angebot der Freiheit: Lass los, und dein Herz wird leicht. Häng nicht am Geld, und du wirst großzügig und unverkrampft. Sorge dich nicht um deine Güter, du hast mehr als du zum Leben brauchst. Wo dein Herz schlägt, ist dein „Schatz“, die Mitte, das Zentrum deiner Existenz, der Sinn deines Lebens. „Bei der Frage nach dem Geld steht das Menschsein auf dem Spiel“; das sollten wir nicht herunterspielen oder relativieren. Es handelt sich tatsächlich um „eine höchst scharfe Zuspitzung der Warnung vor irdischen Schätzen“ (Ulrich Luz: Matthäus, 359).

Ernesto Cardenal (geb. 1925, Nicaragua) meint: „Nur Gott kann man besitzen.“ - Als ich das erste Mal mit diesem Gedanken konfrontiert wurde, war ich entrüstet, fand ihn fast lästerhaft. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich wirklich nur etwas verinnerlichen kann, dass nicht rein äußerlich existiert: „Gott“, Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Kunst, Musik, geistiges Gut. All das will auch von mir „vereinnahmt“ werden, damit es in mir wirken kann.

Die Bergpredigt lädt dazu ein, die irdischen, messbaren, nicht dauerhaften „Schätze“, unseren Besitz, loszulassen, um unser „Herz an die Gottesherrschaft hängen“ zu können (Weder, 200). Wo „Gott“ regiert, zählen weder Besitz noch Ansehen; weder Habseligkeiten noch Gehabe; weder Statussymbol noch Bildungsgrad; weder Stärke noch Schwäche - was einzig zählt, ist seine unverbrüchliche, auf Dauer verlässliche, unbegreifliche Liebe. Diesen Schatz lohnt es sich zu ergreifen.

„In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz. / Denn alle Überflüsse, die ich sah, / sind Armut und armseliger Ersatz / für deine Schönheit, die noch nie geschah.“ (Rainer Maria Rilke)

Amen.



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: thomas.bautz@ekir.de

Bemerkung:
Literatur
Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1 (1985), 319-329; 355-363.
Hans Weder: Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute (2. Aufl. 1987).
Edward Luttwak: Turbo-Kapitalismus. Gewinner und Verlierer der Globalisierung (2. Aufl. 2000), 348-384; 385ff.
Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft (1988), 43-90; 230-271.
Friedhelm Hengsbach: Kapitalismus als Religion? (2007).
Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl (1996), 75ff.
J. Hörisch: Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte (2013).
Hans-Peter Studer: Die Entwicklung des Wirtschaftsverständnisses von „primitiven“ Kulturen bis hin zur Neuzeit. Eine kritische Betrachtung mit Hinblick auf die heutige materialistische Gesellschaft und ihre Folgen für Mensch und Natur (1987), 79-107: 81-86.
Friedrich von Logau: Sinngedichte. Auswahl von Hanns Floerke (1920), S. 86.
Rainer Maria Rilke: Das Stunden-Buch. Zweites Buch: Das Buch von der Pilgerschaft (1901).



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