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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 22.02.2015

Der Wirbel der Versuchung
Predigt zu Matthäus 4:1-11, verfasst von Bernd Giehl

Liebe Gemeinde!

Darf ich Ihnen eine Frage stellen? –

Was sagen Sie? Natürlich dürfe ich das? Ich sei doch schließlich der Pfarrer? Und der Pfarrer dürfe selbstverständlich Fragen stellen. Notfalls auch im Gottesdienst.

Also berufe ich mich auf das „notfalls“. Hier also meine Frage: Ist Ihnen in Ihrem Leben schon einmal der Teufel begegnet? Ich meine leibhaftig und nicht nur im Puppentheater oder in der Geisterbahn?

Ja, tatsächlich? Und woran haben Sie ihn erkannt?

 

*

 

Ich hoffe, Sie haben Verständnis, dass ich an dieser Stelle abbreche.

Nein, um ehrlich zu sein, glaube ich, dass Sie mehr als nur Verständnis haben. Ich denke, Sie sind geradezu erleichtert. Letzten Sonntag habe ich meine Predigt über den Säemann ja auch mit einem Gespräch angefangen. Aber da ging es noch nicht um viel. Da musste man sich nicht unbedingt outen. Ein Gespräch über die Begegnung mit dem Teufel könnte um einiges riskanter sein.

Ich erinnere mich an einen Kollegen aus dem Zivildienst vor mehr als vierzig Jahren, der eines Morgens von einem LSD Rausch erzählte, in dem ihn der Teufel verfolgt hatte. Ansonsten erinnere ich nur Beispiele aus der Literatur. Am schönsten erzählt Michail Bulgakow in Der Meister und Margarita“ von ihm als „Zauberkünstler Voland, Professor der Schwarzen Magie“ der im Moskau der zwanziger Jahre Chaos anrichtet und zwar genau deshalb, weil man ihn dort – genauso wie seinen Kollegen, den lieben Gott – für ein Märchen hält, an das kein aufgeklärter Mensch mehr glaubt.

Gibt es den Teufel? Kann man ihm begegnen? Jeder und jede von Ihnen wird da eine Meinung zu haben. Wenn Sie wollen, können Sie mir am Ausgang ja etwa dazu sagen. Aber fragen werde ich Sie jetzt nicht. Und ich selbst werde Ihnen jetzt auch keine definitive Antwort geben. Ich glaube, ich könnte es gar nicht.

Also mache ich jetzt erst einmal mit einer Vermutung weiter. Ich vermute, kaum einer von uns hatte schon einmal das Gefühl, dem Teufel begegnet zu sein. Woran würde ich ihn erkennen? Am intensiven Schwefelgeruch? Am Pferdefuß, den er nicht verbergen kann? Am Schwanz, der unten aus seiner Hose heraushängt? Das sind doch alles nur Ammenmärchen. Oder daran, dass er mir das Leben schwermacht? Wenn das ein Kriterium wäre, würde mir schon der eine oder andere einfallen, dem ich das Schwänzchen anhängen könnte. Aber das dürfte es wohl auch nicht sein.

Bleibt also nur die Versuchung. Die man aber auch nicht so schnell als Versuchung erkennt. Andernfalls wäre es leicht. Was könnte sie sein? Das nächste Glas Wein, das mir jemand bei der Party anbietet, obwohl er weiß, dass ich noch fahren muss? Die schnelle Nummer mit einer Frau, weil wir voneinander fasziniert sind, obwohl wir beide verheiratet sind; nur leider nicht miteinander? Begegnet er mir da, im Anderen? Nein, ich glaube nicht. Eher steht er schon zwischen uns; hat vielleicht Anteil an uns beiden.

So einfach ist der Teufel nicht zu identifizieren. Sein Gesicht verschwimmt.

 

*

 

Er kommt näher. Der Wind bauscht seinen roten Umhang. Sein Gesicht verschwimmt in der Hitze.

Es ist der Staub, den der Wind aufwirbelt. Es ist die flirrende Hitze. Es ist der Hunger, dieser beißende, alles verschlingende Hunger nach dem tagelangen Fasten. Nichts gegessen, nur ein paar Schlucke Wasser getrunken. Gott nahe sein; sich in ihn versenken. Wissen wo der Weg hinführt. Das wollte er. Jetzt ist die Begegnung wohl zu Ende und eine andere Begegnung steht bevor. Er kneift die Augen zusammen. Die Gestalt kommt immer näher. Fast kann er sie greifen.

Und dann hört er die Stimme. Ein tiefer Bass. Eine verführerische Stimme. Schon die Stimme weckt Vertrauen. „Bist du Gottes Sohn so sprich zu diesen Steinen, dass sie Brot werden.“ Er sieht die Brocken und sie verwandeln sich. Sie nehmen die Farbe von Brot an. Sie duften geradezu verführerisch. Sein Magen schreit nach Speise. „Bist du Gottes Sohn …“ Woher weiß der Andere das? Woher kennt der seine wahre Identität? Gab es noch jemanden außer ihm selbst, der die Stimme vom Himmel gehört hat? Aber wozu braucht es Beweise? Wem soll da etwas bewiesen werden?

Hoch richtet er sich auf und sagt, so laut er kann: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“

Im nächsten Augenblick wirbelt es ihn. Er sinkt zu Boden. Einen Moment lang glaubt er, das Bewusstsein zu verlieren. Aber dann sieht er ein anderes Bild vor sich. Er befindet sich nicht mehr in der Wüste sondern tief unter sich erblickt er eine Stadt. Unten sind Marktstände aufgebaut. Ein reges Treiben herrscht dort. Er sieht einen weitläufigen Palast. Das muss der Palast des Herodes sein. Im nächsten Augenblick weiß er, wo er sich befindet. Unter ihm liegt Jerusalem und er steht hoch oben auf einer Zinne des Tempels. Und hinter sich hört er die verlockende Stimme, die er schon kennt: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab. Denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln befehlen über dir, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“

Und schon sieht er die Bilder vor sich. Wie er – wie von Flügeln getragen – zu den Marktständen hinab sinkt. Und wie die Menschen zu ihm hochblicken. Sie jubeln. Sie reißen die Arme hoch, wie um ihn aufzufangen. „Der Messias“ schreit einer und alle stimmen ein: „Er ist es. Er ist der von Gott gesandte Messias. Der Herr hat unsere Gebete erhört.“ Er will schon einen Schritt nach vorne machen, aber dann hört er sich selbst sagen: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.“

Er möchte die Visionen loswerden; er möchte in die Wüste zurückkehren, aber schon wieder wirbelt es ihn; sie scheinen zu fliegen, er und die Gestalt im roten Umhang und dem Gesicht, das er immer noch nicht richtig erkennen kann und im nächsten Augenblick stehen sie auf dem Dach der Welt und die Stimme sagt zu ihm: „Schau. All die Reiche unter dir will ich dir geben, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest.“ Und er schaut und schaut und kann sich nicht sattsehen an der Schönheit der Welt. All diese Länder würden dir gehören, flüstert eine Stimme, von der er nicht weiß, ob sie ihm gehört oder dem Anderen. Du würdest in einem Palast wohnen, größer als der Palast des Kaisers Augustus. Aber das Geld und die Macht, die dir zur Verfügung stünden, würdest du nicht für dich ausgeben sondern für die Armen. Du würdest die Kriege der Welt beenden. Du würdest sie erlösen von ihrer Not. Du würdest sie glücklich machen. Nicht nur ein paar Menschen sondern alle. Sie würden dich als ihren Erlöser feiern. Was ist dagegen ein kleiner Kniefall? --------

 

*

 

Quälend. Unerträglich. Sie wollen den Schluss wissen. Und zwar jetzt. Sofort. Falls Sie es nicht aushalten, können Sie sich ja selbst diesen Schluss erzählen. So steht es geschrieben: „Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir Satan, denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten den Herrn deinen Gott und ihm allein dienen. Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.“

Warum erzähle ich es nicht so? Ganz einfach: weil ich in dieser Geschichte nicht nur von Jesus erzählt habe. Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, dass ich bewusst die Namen offen gelassen habe. Ich habe die Geschichte, die uns Matthäus überliefert, noch einmal ein wenig offener erzählt. Und zwar so, dass die Frage offen bleibt, ob das alles nur ein Traum ist oder Wirklichkeit. Und auch so, dass man statt dem Namen „Jesus“ auch einen anderen Namen einsetzen kann.

Nun will ich ganz sicher nicht leugnen, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen Jesus und uns gibt. Nicht nur dass die Versuchung, die hier geschildert wird nur für wirklich große Menschen gedacht ist – wer von uns kann schon Steine in Brot verwandeln? – nicht nur das, sondern dass Jesus sie auch noch bravourös besteht. Er entdeckt den Haken an der Sache. Nicht dass das alles so weit von ihm entfernt wäre. Das ist ja das Geniale an dieser Geschichte. Die Versuchungen sind genau auf Jesus zugeschnitten. Indem er das täte, was der Teufel ihm vorschlägt, würde er vermutlich jeden Widerstand in die Knie zwingen. Aber eben nur an der Oberfläche. Er wäre ein Zauberer, ein Wundertäter, einer, der die Menschen becirct. Sie würden ihm folgen, aber ihre Seelen würde er nicht gewinnen. Aber er will ihnen die Freiheit lassen, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Weil er diesen Weg nicht gehen will, wird sein Weg in die entgegengesetzte Richtung führen. Am Ende wird ihn dieser Verzicht ans Kreuz bringen.

Insofern ist dies eine exemplarische Geschichte, wie sie exemplarischer nicht mehr sein könnte. Es ist sozusagen ein Blick in Jesu Innerstes. Und sie steht auch nicht zufällig direkt hinter der Geschichte von der Taufe Jesu, in der Jesus die Stimme vom Himmel hört: „Du bist mein lieber Sohn. An dir habe ich Wohlgefallen.“ Diese Stimme ist es, die ihm all die neuen Möglichkeiten eröffnet. Darum muss er in die Wüste gehen und mit Gott reden. Er muss erkennen, was Gott von ihm will und was nicht. Und so sind auch die Versuchungen, von denen hier berichtet wird, nichts was von außen an ihn herangetragen wird, sondern sie sind sozusagen die Kehrseite seiner Berufung als „Sohn Gottes“. Womöglich könnte er das alles tun: Steine in Brot verwandeln, auf der Zinne des Tempels stehen und am Ende sogar die Welt beherrschen. Aber damit würde er sich an die Stelle Gottes setzen, und das kommt ihm nicht zu.

Erst im Gehorsam gegen Gott, in der Unterordnung unter seinen Willen wird er wahrhaft zum Sohn Gottes.

 

*

 

Bleibt am Ende noch die Frage nach den eigenen Versuchungen. In der Gestaltung meiner „Versuchungsgeschichte“ habe ich die ja mit hineingenommen.

Natürlich gibt es Menschen, die sagen: So etwas gibt es ja gar nicht. Für sie gibt es kein „Gut“ und Böse“. Alles ist erlaubt.

Aber mit ihnen möchte ich mich hier nicht auseinandersetzen. Für mich zumindest gibt es beides: Gut und Böse. Manchmal sind beide leicht zu unterscheiden. Aber in dem Fall ist nicht das „Böse“ interessant, sondern der Grenzbereich. Da wo es anfängt zu verschwimmen. Da, wo es nicht so leicht ist zu sagen: „Hebe dich weg, Satan.“

Was also könnte eine Versuchung sein? Hier wird es schwierig. Die Menschen sind nun einmal nicht gleich. Für den einen könnte es die Feigheit sein. Es gibt ja eine Menge Menschen, die gern in Harmonie mit ihren Mitmenschen leben. Ist ja auch nichts Schlechtes. Möglichst nicht auffallen. Nirgendwo anecken. Manchmal muss man eben schlucken. Dann muss ich auch nicht für mich oder für einen anderen kämpfen.

Irgendwann kann das zum Problem werden.

Für den anderen könnte es der Zorn sein. Es gibt Menschen, die gehen hoch, wenn sie nur den leisesten Verdacht haben, ungerecht behandelt worden zu sein. Oder weniger geachtet zu werden als andere. Da wäre es wichtig, die richtige Balance zu finden.

Die Sexualität kann es auch werden. Obwohl ich da schon wieder Bauchschmerzen kriege, weil sie gerade von Christen als die Quelle der Versuchung dargestellt wurde. Aber zunächst einmal ist Sexualität etwas Schönes, ein Gottesgeschenk. Nur kann sie – wie fast alles zur Versuchung werden. Und zunächst braucht man es ja auch nicht zu merken. Ich denke da an bestimmte Menschen. Sie sind charmant, sie sehen gut aus, sie haben Esprit. Sie kriegen fast jeden oder fast jede ins Bett. Es muss ja nicht einmal Dritte geben, die dadurch verletzt werden. Aber womöglich fühlt sich derjenige, den man für einen One-Night.Stand ins Bett bekommen hat, hinterher missbraucht. Oder es entwickeln sich plötzlich tiefere Gefühle, mit denen der Andere nicht umgehen kann. Was als harmloses Spiel begann, endet womöglich mit tiefen Verletzungen.

Will heißen: Es gibt keinen Katalog der Versuchungen. Es gibt nur die Norm. „Liebe deinen Nächsten“ heißt sie. Niemandem schaden, bedeutet das wohl. Auch nicht sich selbst. Wenn wir das beherzigen, haben wir zumindest einen guten Leitfaden.

 

*

 

Ob ich das wohl noch zusammenbinden kann? Schließlich habe ich die Geschichte ja so ausgelegt, dass es nicht allein um die Versuchung Jesu ging, sondern auch um das, was uns versucht. Ich weiß nicht, ob Matthäus mir da zustimmen würde. Aber es gibt ja nicht nur Matthäus, sondern es gibt auch den Hebräerbrief, der von Jesus Christus als dem Hohepriester spricht, der sich selbst zum Opfer bringt. Von dem sagt der Hebräerbrief: Er wurde versucht, doch er blieb ohne Sünde. Deshalb, so folgert er, können wir in der Versuchung zu ihm beten. Weil er uns versteht. Weil er uns helfen kann in unserer Not.



Pfarrer Bernd Giehl
Nauheim
E-Mail: giehl-bernd@t-online.de

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