Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 01.03.2015

Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Poul Joachim Stender

Wir sollten einen rauhaarigen Foxterrier bekommen. Aber dann wurde meine Frau schwanger und wir bekamen einen glatthaarigen Jungen. Das Buch für die Hundeerziehung war gekauft. Abgesehen vom Reinlichkeitstraining meinten wir, dass wir unser Kind gut nach dem teuer eingekauften Buch erziehen konnten. Das Hautprinzip sind Liebe, Kontakt, Fordern und Konsequenz. Das ist eine Weiterentwicklung der drei R der vorigen Generation, die eigentlich besser für eine Hundebuch passen: Ruhe, Reinlichkeit, Regelmäßigkeit. Liebe, Kontakt und Fordern – das ist recht einfach. Es ist nicht schwer, seine Kinder zu lieben. Man kann gleichsam gar nicht anders. Gibt man ihnen als Teenager ein Schild um den Hals, auf dem steht „Im Umbau begriffen“, kann man sie sogar in dieser Periode lieben. Es ist auch nicht schwer, Kontakt zu seinen Kindern zu haben. Auch wenn behauptet wird, dass Eltern heutzutage alles für ihre Kinder tun würden außer mit ihnen zusammen zu sein, kann man nicht vermeiden, hin und wieder seinen Nachkommen zu begegnen. Forderungen liegen auch auf der Hand. Keine neuen Horrorfilme, ehe die alten fertig gesehen sind. Basta. Süßigkeiten fertigessen usw. Hingegen ist es völlig unmöglich, in seiner Erziehung konsequent zu sein. Die Liebe ist in ihrem Wesen inkonsequent. „Jetzt ist die Grenze erreicht“, ruft man zu seinem Kind. Und das Kind argumentiert und drängelt und bettelt und bittet darum, die Grenzen zu erweitern. Aus reiner Liebe gibt man oft nach. Nicht nur um seine Ruhe zu haben. Man kann vielmehr gar nicht anders. Bevor die Leute Hundebesitzer oder Eltern werden, haben sie viele solche Prinzipien, wie rauhaarige Terrier und Kinder zu erziehen sind. Nachher werden sie Experten für andere Standpunkte.

Im Neuen Testament wimmelt es von inkonsequenten Personen. Petrus ist ein gutes Beispiel. Er ist schlechterdings konsequent inkonsequent. Paulus ist nicht viel besser. Ihm wird einmal von der Gemeinde in Korinth vorgeworfen, nicht konsequent zu sein, weil er seine Reisepläne geändert hatte. Wir wissen, dass Meinungen, Prinzipien eine gewisse Lebenszeit haben. Nichts ist gefährlicher für eine Meinung oder ein Prinzip als Liebe und Mitgefühl. Es ist zwei gewagt zu behaupten, dass Christus inkonsequent ist. Er war ja gehorsam bis in den Tod. Als Petrus ihn dazu bringen wollte, von dem Weg in Leiden, Tod und Auferstehung abzuweichen, den Gott ihm vorgegeben hatte, sagte er hart zu Petrus: „Hebe dich, Satan, von mir“. Aber im Gespräch mit dem kanaanäischen Weib sehen wir einen inkonsequenten Gott. Er hat die Grenze zum heidnischen Land rein physisch überschritten. Als eine heidnische Frau ihn darum bittet, ihre Tochter zu heilen, ist er fest entschlossen, ihr nicht zu helfen. Er ist nur zu den Juden gesandt. In einem imponierenden Gespräch mit der heidnischen Frau überschreitet Christus noch einige Grenzen. Er ändert plötzlich seinen Standpunkt, kommt den Wünschen der namenlosen Frau entgegen und sagt: „Dir geschehe, wie du willst!“ Mit diesen Worten entstand unsere Volkskirche mit allem, was dazugehört. Jedenfalls wurde die Möglichkeit eröffnet, dass das Evangelium auch nach Dänemark kam. Aber nicht nur das. Es wir angedeutet, dass Gott sich bewegen lässt. Es nützt offenbar etwas, Gott mit seinen Bitten zu bedrängen. Aufdringlichkeit lohnt sich. Als die Frau zu Beginn des Gesprächs Christus anrief, dass er sich ihrer erbarmen solle, antwortete er ihr erst mit keinem Wort. Warum dieses brutale Schweigen? Sicher weil es Gottes Sohn überraschte, wie grenzüberschreitend seine Liebe zu ihr war. Das ist kennzeichnend für die Liebe, dass sie uns überrascht. Wir entscheiden uns heutzutage nicht dafür zu lieben – und doch fallen, stolpern rutschen wir aus in der Liebe. Nicht ohne Grund heißt es ja auf Englisch: „to fall in love“. Vielleicht sind weder Christus, Petrus, Paulus oder wir Eltern inkonsequent. Nur ist unsere Liebe, zu unserer Überraschung, größer als unsere Prinzipien und Meinungen. Zu unserem Glück verhält es sich so mit der Liebe Gottes. Gäbe uns Gott, was wir verdient haben, sähe es nicht gut f¨r uns aus.

Es war Gott, der die Initiative ergriff. Er wurde Mensch in Jesus Christus. Es liebte zuerst. Er kommt uns noch immer entgegen. Aber das schließt nicht aus, dass wir auch die Initiative ergreifen können. Da sind wir so gestellt wie die kanaanäische Frau. Das Himmelreich kann erobert werden. Es ist gleichsam anerkanntes dänisches Christentum geworden, dass man sich sein ganzes Leben total passiv zu verhalten habe gegenüber Gott und dennoch erwarten kann, von einem Pastor der Volkskirche mit einer eins im Examen in den Himmel geschickt zu werden. Wir haben uns in eine Position einer Art volkkirchlicher Passivität begeben, wo wir uns leidenschaftslos von der Gnade überwältigen lassen. Und vielleicht ist Christus auch so total inkonsequent, dass er trotz seiner Worte vom letzten Gericht und der Scheidung von Schafen und Böcken dennoch die ganze Herde annimmt? Der liebe Gott ist zweifellos immer wieder selbst überrascht über seine überwältigende Liebe zu uns. Aber die Frage ist, ob wir uns nicht zusammenreißen und das alte Mantra verlassen sollten, dass die Dänen religiös schamhaft sind. Zur Abwechslung könnten wir ja eine private Initiative ergreifen und Teil eines größeren Zusammenhanges werden als EU und NATO. In die Kirche gehen, beten, Lieder singen und damit unsere Grenzen sprengen, wie Christus dies tat. Wir sehen ja in der Schrift, wie der Himmel gestürmt wird. Als Christus mit den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus war, wollte er weitergehen, als die das Dorf erreichten. Aber die Jünger hielten ihn zurück und nötigten ihn, bei ihnen zu bleiben. Der blinde Bettler bei Jericho musste zwei Mal nach Jesus rufen, ehe der zu ihm kam und ihm sein Augenlicht wiedergab. Eine Frau mit Blutungen stürmte heran und berührte das Gewand Jesu. In der Bibel wimmelt es von Himmelsstürmern. Von Leuten wie der kanaanäischen Frau, die die Gnade an sich rissen als seien sie besessen von den Worten: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan“.

Heute würde ich von der Kanzel rufen: Greift an! Werdet Himmelsstürmer! Bestürmt Gott mit Gebeten und Sehnsüchten! Bittet Gott darum, von Erkältungen, Depressionen, Krebsgeschwüren geheilt zu werden! Quengelt bei ihm um Glück und ewiges Leben! Tut es! So bringt man seine Träume und Wünsche dort an, wo sie eigentlich hingehören. In den Händen Gottes. Wir, die wir Kinder haben, wissen, wie gute Erfahrungen unsere Kinder damit gemacht haben, ihre Grenzen zu sprengen mit ihren heftigen Quengeleien. Und wie sie als Erwachsene haben einsehen können, dass auch Liebe war in dem Nein, auf das sie zuweilen stießen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
E-Mail: pjs(at)km.dk

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