Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 11.11.2007

Predigt zu Lukas 18:1-8, verfasst von Wolfgang Petrak

Liebe Gemeinde,

Meinst du, er werde Glauben finden, wenn...?

Denn um zu wissen, was so auf Erden los ist, aber auch, um sich einfach abzulenken, machst du den Fernseher an. Am letzten Sonnabend zum Beispiel. Die Arbeit ist getan, der Besuch gegangen, noch schnell etwas zappen, das Wetter und die Bundesliga. Die Langweile der torlosen Spiele lässt auf Phoenix zutreiben. Hier immerhin eine Diskussion über die zehn Gebote, kleine Kirche, hochkarätig besetztes Podium. Was meinst du? Ob nicht zumindest einige der zehn Gebote unverständlich sein könnten? Der Bischof antwortet; es mag aber an meiner eigenen Müdigkeit liegen, dass nur die Worte Kompetenz und Kommunikation haften geblieben sind, weiß also nicht mehr, was er gemeint hat. Der Theaterregisseur betont hingegen , dass Menschen bereit sind, sich auch mit schwierigen Worten auseinander zusetzen, weil sie zu unserem lebensgeschichtlichen Zusammenhang gehören, die Dame am Podium, deren Name ich nicht kenne, weil ich zu spät eingeschaltet habe, lächelt in sich hinein und sagt nichts, der Journalist neben ihr lächelt ebenfalls. Was das zehnte Gebot anbelangt, das mit Weib, Knecht, Magd, Vieh, nun ja, das könne man sicherlich zeitgemäßer sagen. Über die Begierde als Grund menschlichen Fehlverhaltens redet keiner, und als zum Schluss gefragt wird, welches elfte Gebot einem persönlich wichtig erscheint, antwortet die lächelnde Dame: du sollst in dir selbst ruhen. Und der Journalist sagt: du sollst nicht langweilen.

Selbstbezeichnung und Erlebnisorientierung: was meinst du, drückt so die postmoderne Gesellschaft ihren latenten Glauben aus?

Auch ich gehöre zu ihr und zappe ich einfach weiter, sozusagen entsprechend dem Gebot der Selbstbestimmung und dem Verbot der Langweile: Boxkampf auf dem ERSTEN. Schwergewicht. Alexander Povetkin gegen Chris Byrd in Erfurt. Die vorletzte Runde. Nach einem wütenden Schlagabtausch stellt Povetkin den Afroamerikaner an den Seilen. Byrds Trainer, übrigens sein eigener Vater, wirft das Handtuch. Der Ringrichter bricht den Kampf ab, um den schwer gezeichneten Mann mit den zum Zopf gebundenen Dreadlocks zu schützen. Povetin ist Sieger und lässt sich mit der üblichen Pose feiern. Chris Byrd verharrt in seiner Ecke. Die Kameras und Mikrophone richten sich auf ihn. Die Reporter befragen ihn nach seinem Gefühl und nach seiner Verfassung. Byrd nimmt seinen Mundschutz raus und sagt, fast lächelnd, aber atemlos: „First of all I thank Jesus Christ". Und dann nimmt ihn sein wohl zwölfjähriger Sohn, der sich auf den Ring gedrängelt hat, tröstend in den Arm. „Ihm ist ein Vater lieber, der sich nicht gefährdet" deutet der Reporter verstehend.

Was meinst du: Hättest du gedacht, hier einen solchen Glauben zu finden? Ein Boxer mit 40 Siegen und nur vier Niederlagen, Silbermedalliengewinner von Barcelona, Sieger über Vitali Klitschko, kurz einer, der vor keinem Menschen fürchten und vor keinem Kampf scheuen muss, dann aber im IBF- Ausscheidungskampfes durch technischen K.O. verliert, der sagt am wahrscheinlichen Scheitelpunkt seiner Karriere: Als erstes danke ich Jesus Christus. Öffentliches Bekennen, mitten in eine Welt hinein, in der es nur Siege und Niederlagen zu geben scheint, überwacht von unbestechlichen Richtern im Ring, gefördert von Leuten, die etwas vom Geschäft und vom Erfolg verstehen; man sieht die schäbigen Sparring ringe vor sich, ahnt eine Geruchswelt von Schweiß und kaltem Zigarettenrauch, Kampf und Geschäftigkeit, all das. Doch er sagt das Unerwartete, weil er seinen Weg nicht allein sich selbst, sondern einem anderen verdankt.

Was meinst du: Es ist der Glaube, der die Richtungen des Lebensweges mit all seinen Verwicklungen und Entscheidungen dankbar versteht. Er wagt es dann, dieses laut zu bekennen, ohne je wissen zu können, wie die anderen darauf reagieren. Darin liegt seine Offenheit, darin liegt aber auch seine Anfechtung. Denn was ist , wenn das eigene Leben nicht mehr zum deutenden Hintergrund des Bekenntnisses her reicht? Wenn es keinen Grund mehr gibt, dankbar zu sein? Wenn zum Beispiel Freunde des Jungen kommen und sagen würden, dass alle Welt über den Vater lacht, weil der Champion zum Versager wurde, so dass nichts mehr bleiben würde als Scham und Fluch?

Siehst du, erst hier beginnt diese Geschichte vom Beten und vom Glauben. Vordergründig spielt sie in der Öffentlichkeit, und der Betrachter, der gewohnt ist, Podiumsdiskussionen distanziert zu folgen und sich an Boxkämpfen zu begeistern, möchte am liebsten lächeln, weil da jemand ist, der sich im Prinzip nicht vor Gott fürchtet und sich im Prinzip vor keinem Menschen scheut, dem es aber gezeigt wird, diesem Richter, dem, der gewohnt ist, alles zu verbiegt, auch alle Maßstäbe des Rechts; dem, der aber letztlich nachgeben, selbst das Handtuch werfen muss. Denn da ist sie, die Witwe, die ihr Recht einfordert, die nicht aufgibt; die ihn in die Ecke treibt, ihn gleichsam an den Seilen stellt, traktiert, so dass er die Hände erheben und den Klagen nachgeben muss: wir vermeinen, ihn fluchen hören zu können ob ihrer Schamlosigkeit. Doch wir vernehmen nichts außer der äußeren, man könnte sagen: außer der fast spielerischen Form, wenn es nicht so Ernst wäre. Denn es geht um das Glauben im Beten. Und das vollzieht sich nicht in der Öffentlichkeit. Nichts wissen wir über den Anlass, nichts über die Folgen. Ahnen können wir nur, dass sie nichts hat, um von sich aus ihr Recht durchzusetzen, dass sie aber alles erwartet von einem, der zwar Recht sprechen soll, in Wirklichkeit aber das Gegenteil zu tun pflegt. Von außen ist es absurd. Von innen ist es die äußerste Not, sich an den zu wenden, der für nichts einsteht. Da hilft dann kein geerdeter Blick auf die Lebenserfahrung, da bleibt nur ein Sich- Wenden dorthin, was noch nicht ist. „Da hilft nur noch Beten". Das sagen wir oft. Meinen wir es auch so?

Wenn der Grund unter den Füßen entzogen ist, sodass ich nur noch mit Herz und Mund klagen kann, ihm, der sich den Blick und oft genug auch der Sprache entzieht: was meinst du: wird er dann den Glauben finden auf Erden? Ich hoffe ja, denn der Glaube weiß nichts und wagt alles. So muss er selbst kommen, um ihn ihn einzulösen.



Pastor Wolfgang Petrak
Göttingen-Weende
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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